Schwarz-weiß-Foto des Ex-Tennisspielers Dominic Thiem, wie er in die Ferne blickt.
© Sebastian Weissinger
© Sebastian Weissinger
September 2025

"Gewinnen ist wie ein Rausch"

Nadal, Djokovic, Federer: Dominic Thiem bezwang sie alle. Vor einem Jahr hat der 32-Jährige den Tennisschläger an den Nagel gehängt. Was er heute macht, wie er an die Spitze kam, was ihm am Profitennis (nicht) fehlt.

Im Oktober 2024 hast du dein letztes Turnier gespielt. Wie war das erste Jahr ohne Profitennis für dich?

Man hört den Spruch „Ein Sportler stirbt zweimal“ ja immer wieder. Ich kann ihn jetzt bestätigen, das war ein unfassbarer Einschnitt. Seit ich fünf Jahre alt war, ist mein ganzes Leben auf das nächste Turnier ausgerichtet. Deshalb hat es auch fünf, sechs Monate gedauert, bis ich mich an mein neues Leben gewöhnt habe. Jetzt ist der Umbruch abgeschlossen und ich kann sagen: Es war ein gutes Jahr.

Wie haben sich deine Ernährungsgewohnheiten und dein Fitnesslevel verändert?

Fitness ist auch für meine neuen Aufgaben wichtig. Deshalb bin ich bei der Ernährung sogar ein bisschen strikter. Das muss sein, denn so viele Kalorien wie früher verbrenne ich nicht mehr. Dafür kann ich Neues ausprobieren. Das ging früher nicht, weil es fatal gewesen wäre, wenn es sich auf meine Leistung ausgewirkt hätte.

Zum Beispiel?

Eisbaden im Winter taugt mir richtig. Drei bis vier Grad für drei bis vier Minuten. Es ist jeden Morgen aufs Neue eine unglaubliche Herausforderung. Aber der Tag ist dann sensationell und ich merke, dass es meinem Immunsystem guttut.

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Der Ex-Tennisspieler Dominic Thiem mit Kappe und grauem Kapuzenpullover im Gespräch mit einem Journalisten.
© Sebastian Weissinger

Was fehlt dir am meisten an deiner aktiven Tennis-Karriere?

Das Gefühl nach einem Sieg. Selbst nach einem normalen Match bei einem normalen Turnier sind die Stunden nach dem Sieg wie ein Rausch. Und das Einlaufen vor vollem Haus ist auch richtig cool. Sei es im Arthur Ashe Stadium in New York (Center-Court bei den US Open, Anm. d. Red.) oder noch mehr in Kitzbühel oder Wien, wo alle Fans auf meiner Seite waren.

Und was geht dir gar nicht ab?

Die dauerhafte Grundanspannung. Körper und Geist waren immer in Alarmbereitschaft. Das geht nach all den Jahren extrem auf die Substanz.

Hast du privat noch Freude am Tennis?

Wenn ich mit den Mädels und Jungs der Thiem Academy Burgenland spiele, macht mir das viel Spaß. Vor allem aber spiele ich, damit sie eine gute Trainingseinheit haben. Darüber hinaus bin ich bei fünf bis sieben Exhibitions im Jahr dabei, auf die ich mich vorbereiten muss.

Du spielst jetzt mehr Fußball, richtig?

Fußball ist ein Mannschaftssport, du bist nicht so auf dich allein gestellt. Das ist etwas ganz anderes und macht mir gerade richtig Spaß.

Auf einem Tennis-Sandplatz schlägt ein Spieler in grünem T-Shirt auf, © Sebastian Weissinger
Schauplatz des Interviews: die Thiem Academy Burgenland in Oberpullendorf. 

Was war der Schlüsselmoment, in dem du beschlossen hast, deine aktive Karriere zu beenden?

Ich hatte lange Zeit die Hoffnung, dass ich es wieder bis ganz nach oben schaffe. Vielleicht nicht in die Top 3, aber zumindest in die Top 20. Anfang letzten Jahres habe ich für fünf Wochen im Training noch einmal alles gegeben. Doch die ersten zwei Turniere danach waren eine völlige Enttäuschung. Da habe ich beschlossen: Nein, 2024 ist das letzte Jahr.

Was braucht es, um an die Tennis-Weltspitze zu kommen?

Drei Dinge. Erstens: Resilienz. Du fängst mit sechs Jahren an und spielst extrem viel, auch wenn da noch der Spaß im Vordergrund steht. Mit zehn Jahren beginnt es professionell zu werden. Doch bis die Anstrengungen Früchte tragen, dauert es noch lange. Vielleicht hast du in den Jugendjahren Erfolge, vielleicht spielst du auch schon Junioren Grand Slams. Aber das ist nicht das, wofür du trainierst: die ATP-Tour und Grand Slams. Der Weg dorthin ist hart und es kostet jeden Tag Überwindung, wieder 100 % zu geben. Das über Jahre durchziehen zu können, ist absolut notwendig.

Zweitens: Du brauchst Talent und Gefühl für den Ballsport. Und drittens gehört auch Glück dazu. Mal ein wichtiges Match zu gewinnen, das so oder so hätte ausgehen können. Oder sich nicht zu verletzen. Klar war meine Handgelenksverletzung bitter. Aber ich erlitt sie mit 28 – und nicht mit 18 Jahren.

Wäre sie mit 18 passiert, hätte es einen Plan B gegeben?

Für mich nicht. Was ein Risiko war, weil ich anders als Carlos Alcaraz, der schon mit 18 Jahren im US-Open-Viertelfinale spielte, oder Sascha Zverev, der mit 17 Jahren das Halbfinale des 500er-Turniers in Hamburg erreichte, eine klassische Entwicklung durchlaufen habe. Ich war ein guter Jugendspieler, aber es war nicht vorhersehbar, wie weit es wirklich hinaufgeht. Wer weiß, ob meine Eltern dann etwas in der Hinterhand gehabt hätten (lacht).

In der Pubertät beginnen die Freunde auszugehen, Mädels werden ein Thema. Sein Programm dennoch durchzuziehen und auf gewisse Dinge zu verzichten, ist eben diese Resilienz. 

Dominic Thiem, Ex-Tennisprofi und US-Open-Sieger 2020

Gibt es ein Alter im Profitennis, ab dem sich die Spreu vom Weizen trennt?

Es gibt Knackpunkte. Die Pubertät ist einer davon. Davor macht das Spiel riesigen Spaß, du fährst mit anderen Kindern zu Turnieren und hast eine gute Zeit. Ab dann wird es professioneller. Und es kommen andere Interessen dazu: Die Freunde beginnen auszugehen, Mädels werden ein Thema. Sein Programm dennoch durchzuziehen und auf gewisse Dinge zu verzichten, ist eben diese Resilienz.

Gibt es etwas, das dir in deiner Jugend gefehlt hat?

Ich habe es nie so empfunden, weil ich die meisten meiner Freunde durch Tennis kennengelernt habe. Aber es gibt viele Spielerinnen und Spieler, deren Freunde aus anderen Umfeldern stammen. Wenn dann die Wege auseinandergehen, ist das schwierig.

Wie gut muss man sein, um von Tennis leben zu können?

Wenn man unter den Top 100 in der Weltrangliste ist und in den Hauptbewerben aller vier Grand-Slam-Turniere mitspielt, kann man Tennis gut betreiben und sich etwas zur Seite legen. Weiter hinten Platzierte können zwar auch vom Sport leben, aber es braucht dann einen richtigen Hustle, um über die Runden zu kommen.

Wie viel kostet es, professionell Tennis zu spielen?

Mit 13, 14 Jahren beginnt man richtig viel zu reisen, dann kostet Tennis 70.000, 80.000 Euro im Jahr. Wenn man das mal sieben multipliziert, ergibt das eine unglaubliche Summe.

Wieso mal sieben?

Das erste Mal wirklich Geld verdient habe ich mit 21 Jahren. Davor haben wir schon acht Jahre lang eingezahlt, obwohl wir nicht wussten, wohin der Weg hinführt. Schlimmstenfalls zahlt man umsonst ein. Klar: Die Erfahrungen, die man als Jugendlicher macht, sind auch für andere Berufswege eine gute Basis. Aber finanziell wäre es eine mittlere Katastrophe.

Der Ex-Tennisspieler Dominic Thiem mit Kappe und grauem Kapuzenpullover im Gespräch mit einem Journalisten. © Sebastian Weissinger
Dominic Thiem im Gespräch mit auto touring.

Wie gut funktioniert die Tennis-Nachwuchsförderung in Österreich?

Dadurch, dass es finanziell extrem aufwendig ist, sind Akademien und Vereine wirklich wichtig. Es darf nicht passieren, dass talentierte Mädchen und Burschen Träume wegen finanzieller Engpässe nicht verfolgen können. Dem versuchen wir mit der Thiem Acadamy Burgenland entgegenzuwirken.

Ist Österreich also ein gutes Tennis-Land?

Verglichen mit ähnlich großen Ländern brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir hatten mit Muster, Melzer und mir drei Top-Ten-Spieler hintereinander. Das ist wichtig, damit der Sport präsent und beliebt bleibt. Gibt es kein Zugpferd, leiden Turniere wie Kitzbühel und Wien. Es gab auch Top-Ten-Spielerinnen, das ist aber ein bisschen länger her. Aber wer weiß, vielleicht kommt da ja bald etwas nach.

Du sprichst von der Osttirolerin Lilli Tagger. Wie schätzt du ihr Potenzial ein?

Sie gewann dieses Jahr die Junioren-French-Open, hat eine super Trainerin, ein tolles Umfeld aus dem Sinner-Kosmos und ist mit 17 Jahren schon jetzt bei den Frauen voll dabei. Sie ist ein riesiges Versprechen, das einen richtigen Hype auslösen könnte.

Apropos Hype: Haben Sinner und Alcaraz den Sport wirklich auf ein neues Level gehoben?

Mein Vater war mit einem Spieler unserer Akademie bei den US Open in New York. Dort hat ihm ein Fitness-Trainer erzählte, dass das Tempo, wie sich Spieler bewegen und schlagen, um 10 % höher geworden sei. Er hat das schwarz auf weiß, weil er mit vielen Daten arbeitet.

Alcaraz und Sinner sind hauptverantwortlich, aber gleichzeitig ist das auch der normale Lauf der Zeit. Schon Federer und Nadal haben den Sport auf ein neues Level gehoben. Dann kam Djokovic und jetzt eben Sinner und Alcaraz. Wahrscheinlich wird in zehn bis 15 Jahren wieder jemand kommen, obwohl man aktuell sagt, dass nicht noch mehr geht.

Der Ex-Tennisspieler Dominic Thiem mit Red-Bull-Kappe und Kapuzenpullover lacht während eines Gespräches. © Sebastian Weissinger
Tennis sei um 10 % schneller geworden, erzählt Dominic Thiem. 

Du hast mehrmals die Thiem Academy Burgenland angesprochen: Welche Rolle spielst du dort?

Es gibt ein paar Stationen am Karriereweg, die sehr heikel sind. Schwierige Phasen, wie der Sprung vom Junioren- ins Erwachsenen-Tennis. Hier kann ich mit meinen Erfahrungen helfen. Am Platz stehe ich nicht so häufig, das können die Trainer hier viel besser.

Du hast dieses Jahr Thiem Energy gegründet. Wie ist die Idee zu dem Unternehmen entstanden?

Aus einer klassischen Sponsorenfrage letztes Jahr: Stefan Herzog, ein Mitgründer von Thiem Energy, wollte mit seiner Firma Solah auf mein Leiberl. Das hätte aber nicht viel gebracht, weil ich nur noch ein paar Turniere gespielt habe. Wir wollten dennoch sinnvoll zusammenarbeiten. Nach vielen Gesprächen ist dann die Idee von Thiem Energy entstanden.

Was sind eure konkreten Services?

Unser Kerngeschäft sind Energiegemeinschaften. Dort können sich Menschen zusammenschließen, um Energie zu produzieren, zu speichern, zu verbrauchen und zu verkaufen. So können auch Personen, die beispielsweise über keine eigene PV-Anlage verfügen, an der Energiewende teilnehmen.

Hast du eine Vorbildfunktion als öffentliche Figur?

Als Athlet hast du eine sehr große Plattform und auch Einfluss. Es ist unsere Pflicht, diesen Einfluss sinnvoll zu nutzen.

Welche Parallelen und Unterschiede gibt es zwischen Business und Profisport?

Der Team-Gedanke ist sowohl Parallele als auch Unterschied. In meiner aktiven Karriere war das Team essenziell, aber nur so lange, bis ich am Platz war. Ab dann war ich auf mich alleine gestellt. Das ist im Unternehmertum anders, dort triffst du alle Entscheidungen im Team. Eine weitere Gemeinsamkeit ist der Weg zum Erfolg: Es gibt Probleme und Rückschläge, für die man Resilienz benötigt. Als Tennisspieler lernt man, mit Niederlagen umzugehen.

Wie sieht dein Alltag als Unternehmer aus? 9-to-5?

Es gibt 9-to-5-Tage in unserem Büro in Mattersburg. Aber ich bin auch viel unterwegs, halte Vorträge, bin in der Akademie und versuche, Thiem Energy an die Menschen zu bringen.

Der Ex-Tennisspieler Dominic Thiem mit Kappe und grauem Kapuzenpullover im Gespräch mit einem Journalisten. © Sebastian Weissinger
"Als Tennisspieler lernt man, mit Niederlagen umzugehen", sagt Thiem. Das helfe auch im Unternehmertum.

Wie häufig reist du noch?

Von außen wirkt es so, als wäre ich viel unterwegs. Im Vergleich zu früher ist es aber minimal und die langen Reisen fallen weg. Dass ich jetzt beispielsweise zwei Monate am Stück in Österreich bin, war seit Jahren nicht mehr der Fall. Ich finde das sehr angenehm.

Hast du noch ein großes Ziel, das du erreichen möchtest?

Ich handhabe das als Unternehmer so wie in meiner Tenniskarriere: Keine unrealistischen, sondern kurz- und mittelfristig erreichbare Ziele stecken. Es gibt Sportler, die schon als Fünfjährige die Vision hatten, Wimbledon zu gewinnen. Bei mir war das nie so.

Was soll über Dominic Thiem in zehn Jahren in der Zeitung stehen?

Natürlich werden mich viele Leute immer als Sportler in Erinnerung haben, aber es wäre sehr cool, wenn man mich auch als Unternehmer am Schirm hätte. Als jemand, der etwas Sinnvolles gemacht und dem Planeten und den Menschen geholfen hat.

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