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Mai 2024

Vom Dach in den Tank

Private Photovoltaik-Anlagen boomen. Natürlich werden sie auch gerne genutzt, um Elektroautos zu betanken. Dank Energiegemeinschaften ist das sogar möglich, wenn man selbst keine PV-Anlage besitzt. Ein Überblick von Karin Mairitsch.
 

Lassen Sie mich mit einem Rechenbeispiel beginnen. Folgende Annahmen: Eine private Photovoltaik-Anlage mit 15-Kilowatt-Peak erzeugt an einem sonnigen Tag im Frühjahr 60 Kilowattstunden PV-Überschuss-Strom. Ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt verbraucht täglich 10 Kilowattstunden Strom, drei davon tagsüber, wenn die Sonne scheint. Frage: Wie viele weitere Haushalte könnte diese PV-Anlage rein rechnerisch tagsüber mit PV-Überschuss-Strom versorgen, wenn das Teilen von PV-Überschuss-Strom über das Stromnetz möglich wäre? Richtig, 20.

Und wie viele Elektroautos könnten mit dem PV-Überschuss-Strom dieser Photovoltaik-Anlage tagsüber vollgeladen werden, wenn jedes dieser Elektroautos über einen halb vollen 60-Kilowattstunden-Akku verfügt? Richtig, zwei. Allerdings steht das Elektroauto nicht immer dort, wo die PV-Anlage Überschuss-Strom produziert, und nicht immer gibt es im Haushalt mit PV-Anlage auch ein Elektroauto. An diesem Punkt kommen die Energiegemeinschaften ins Spiel. In Österreich gibt es derzeit rund 1.300 davon, Tendenz stark steigend.

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Was sind Energiegemeinschaften?

Unter Energiegemeinschaften versteht man den Zusammenschluss von zumindest einem Erzeuger und einem Verbraucher von Energie. Aktuell handelt es sich bei der Energieform zumeist um elektrischen Strom, der mittels Photovoltaik-Anlagen produziert wird. Bei den Energiegemeinschaften unterscheidet man Erneuerbare Energiegemeinschaften (EEG) und Bürgerenergiegemeinschaften (BEG).

Erneuerbare Energiegemeinschaften – lokal und regional

Bei einer lokalen EEG befinden sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinter derselben Trafostation, also in einem wenige Straßenzüge umfassenden Siedlungsgebiet. Bei einer regionalen EEG werden dagegen alle Teilnehmer über dieselbe Mittelspannungssammelschiene versorgt. Hier sprechen wir also von einem ganzen Dorf oder einem Grätzel. Da in beiden Fällen bei Weitem nicht das gesamte Stromnetz verwendet wird, verrechnen die Betreiber der Stromnetze für den innerhalb der EEG gehandelten Strom geringere Tarife: Die Reduktion der Netzgebühren beträgt in lokalen EEGs 57 Prozent und in regionalen EEGs 28 Prozent. Außerdem entfallen für diese Strommengen die Elektrizitätsabgabe und der Erneuerbaren Förderbeitrag. In Summe machen diese gesetzlich geregelten Vergünstigungen zwischen 2 und 5 Cent Ersparnis pro Kilowattstunde aus.

Bürgerenergiegemeinschaften – bundesweit

Die zweite große Variante der Energiegemeinschaften sind Bürgerenergiegemeinschaften. In ihnen kann Energie bundesweit gehandelt werden. Hier gibt es keine Reduktion der Netzgebühren, denn Bürgerenergiegemeinschaften benützen theoretisch ja auch das gesamte bundesweite Stromnetz.

Ein klassisches Beispiel für eine Bürgerenergiegemeinschaft ist eine 10-Kilowatt-Peak-Photovoltaik-Anlage im nördlichen Waldviertel, die mit drei Verbrauchern im Großraum Wien und einem in Linz kombiniert ist.

CMS_Abb_1.jpg Österreichische Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften © Österreichische Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften
Netzebenen und Energiegemeinschaften

Wie viel sie bezahlen, hängt davon ab, auf welche Tarife sich die Gemeinschaft geeinigt hat. Dabei obliegt es der Energiegemeinschaft, wie sie ihre Tarife gestaltet. Sie sind frei wählbar und haben zwei Benchmarks: Zum einen möchte der Verbraucher in einer Energiegemeinschaft für seinen elektrischen Strom weniger zahlen als bei seinem herkömmlichen Energieversorger, zum anderen möchte der Produzent für seinen in die Energiegemeinschaft eingespeisten elektrischen Strom einen höheren Tarif bekommen als am freien Markt.

Wie sich die Gemeinschaft rechnet

Ein Beispiel aus der Praxis: Die Energiegemeinschaft zahlt dem Einspeiser mit der PV am Dach für seinen PV-Überschuss-Strom 12 ct/kWh und verkauft diesen Strom um 16 ct/kWh an ihre Verbraucher weiter, und zwar in beiden Fällen brutto für netto, weil die Energiegemeinschaft weniger als 35.000 Euro jährlichen Umsatz und daher die Kleinunternehmerregelung geltend macht.

Der Einspeiser erhält für seinen Überschuss-Strom also um 5 bis 6 ct/kWh mehr als am freien Markt und freut sich. Der Verbraucher zahlt im Vergleich zu seinem herkömmlichen Fixpreis-Tarif von 17 ct/kWh netto über die reduzierten Netzgebühren sowie die nicht zu entrichtenden Steuern und Abgaben in der Energiegemeinschaft rund 10 ct/kWh weniger und freut sich auch. Ihn kostet somit die Volltankung eines Elektroautos mit einem 60-Kilowattstunden-Akku um rund 6 Euro weniger als bisher.

Lässt man die Energiegemeinschaft gedanklich beiseite und rechnet die direkte Betankung des Elektrofahrzeuges aus der Produktion der PV-Anlage am Dach, so tankt man um gut 20 ct/kWh günstiger als über den Fixpreis-Tarif herkömmlicher Energieversorgungsunternehmen. Der in diesem Fall nicht erzielte Erlös für die Netzeinspeisung des Überschuss-Stroms wurde in der Höhe von 8 ct/kWh abgezogen.

Als tolles Geschäftsmodell sind Energiegemeinschaften allerdings nicht konstruiert. Energiegemeinschaften sind in den meisten Fällen Vereine, die vorab gegründet werden müssen. Fallweise werden in Energiegemeinschaften auch Eintrittsgebühren oder jährliche Mitgliedsbeiträge verrechnet. Diese liegen in der Größenordnung von 10 bis 30 Euro und sollten als wirtschaftliche Notwendigkeit gewertet werden. Die treibenden Kräfte einer Energiegemeinschaft sind ehrenamtlich tätige Personen. Energiegemeinschaften sind nicht gewinnorientiert und kein klassisches Geschäftsmodell. Auf den zweiten Blick sind sie soziale Vehikel, die einen Beitrag zur Energiewende leisten können. Etwaige Gewinne werden vor allem bei größeren Energiegemeinschaften für deren Datenbank-Management und Abrechnung verwendet.

Strom spenden oder schenken

Es gibt auch Praxisbeispiele mit Null-Tarifen, etwa wenn sich Familien zu Bürgerenergiegemeinschaften formieren und nichts verrechnet wird. Aber auch "solidarische Energiegemeinschaften" stellen den sozialen Gedanken in den Vordergrund. Sie liefern ihren von Energiearmut betroffenen Verbrauchern oder caritativen Einrichtungen den elektrischen Strom gratis oder sehr deutlich unter dem Marktpreis.

Zurück zum Elektroauto. Im Privathaushalt ist die verfügbare Leistung des elektrischen Stroms zumeist auf 10 Kilowatt (kW) beschränkt. Dementsprechend dauert die Beladung eines halb vollen 60-Kilowattstunden-Akkus drei Stunden. Diese drei Stunden lassen sich – gesetzt den Fall, dass das Fahrzeug vor Ort verfügbar ist – gut in jenem Zeitfenster unterbringen, in dem die PV-Anlage am Dach Strom produziert und/oder Überschuss-Strom in die Energiegemeinschaft einspeist.

Eine Frage des Timings

Welche Rolle der Zeitpunkt der Stromnutzung spielt, lässt sich gut anhand von drei Bildern illustrieren. Sie zeigen in Gelb die Produktion von PV-Strom, in Grün den Ladezustand des integrierten Batteriespeichers und in Blau den Stromverbrauch durch die Betankung eines Elektroautos. Hellblau ist die direkte Deckung aus der Produktion, Blitzblau ist die Deckung aus dem Batteriespeicher. Der Beginn der waagrechten grünen Linie markiert den "Ladezustand 100 Prozent" des Batteriespeichers und zugleich den Beginn der Einspeisung von PV-Überschuss-Strom in das öffentliche Stromnetz respektive in die Energiegemeinschaft. Ist kein Batteriespeicher vorhanden, beginnt die Einspeisung von PV-Überschuss-Strom mit dem Erscheinen der gelben Fläche.

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Zuerst das schlechte Beispiel: So sollte man nicht laden. Denn nur tagsüber ist Überschuss-Strom verfügbar. Hier wird das Elektroauto allerdings erst betankt, wenn die Sonne untergegangen ist.
 
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Schon besser – hier wurde in der Mittagspause kurz mal angesteckt und die Kraft der Sonne in den Akku des Elektroautos gefüllt.
 
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So sieht eine optimale Kurve aus. Der Energiebedarf für das Elektroauto kann fast zur Gänze über die direkte Produktion (in Hellblau) gedeckt werden, wenn die Beladung rund um die Mittagszeit erfolgt.
 

Die Verfügbarkeit von PV-Überschuss-Strom in der Energiegemeinschaft sieht ähnlich aus wie die gelben Produktionskurven in den obigen Abbildungen. Je mehr Produktionsanlagen in die Energiegemeinschaft eingebunden sind, desto stabiler ist die Verfügbarkeit von Strom aus der Energiegemeinschaft über den Tagesverlauf.

Logisch. Denn die Energiegemeinschaft erhält nur dann Strom, wenn PV-Überschuss-Strom (also Energie, die vom Produzenten mit der PV nicht unmittelbar selbst verbraucht wird) in sie eingespeist wird. Und erst wenn dieser Strom durch die Verbraucher innerhalb eines 15-Minuten-Zeitfensters, in dem die Smartmeter den Verbrauch messen und den Zählerstand übermitteln, konsumiert wird, hat der Stromhandel innerhalb der Energiegemeinschaft bilanziell stattgefunden. Deswegen sind die Verbraucher in einer Energiegemeinschaft mindestens ebenso wichtig wie die Produzenten. Eine Option, um den zeitnahen Verbrauch zu umgehen, wäre ein großer Quartierspeicher mit hoher Kapazität, aus dem man Strom auch dann entnehmen kann, wenn er gerade nicht produziert wird. Allerdings sind die Kosten der Speicherung aktuell noch unwirtschaftlich hoch.

Fazit: Bringt’s das?

Photovoltaik-Anlagen auf privaten Dächern tragen den Gedanken der Energiewende und der Energieautonomie in sich und visualisieren über die mitgelieferte App die eigenen Energie-Prozesse. Damit liefern sie nicht nur günstigeren Strom, sie tragen auch zur Transparenz des Verbrauchs bei. In der hellen Jahreszeit kann das familieneigene Elektroauto, die Waschmaschine, der Geschirrspüler und über einen integrierten Batteriespeicher am Abend die Playstation der Kinder mit der PV-Anlage betrieben werden. Überschüssiger Strom aus privaten Photovoltaik-Anlagen kann in eine Energiegemeinschaft eingespeist werden. So wird der PV-Überschuss-Strom auch von Strom-Konsumenten ohne eigene PV-Anlage zur Verfügung gestellt. Eine Win-win-Situation. Zudem werden über ein bewusstes Verbraucherverhalten die Stromnetze entlastet, indem die stromverbrauchenden Prozesse in jene Zeiten verlagert werden, in denen Strom im Überfluss vorhanden ist.

Technische Voraussetzungen

Um an einer Energiegemeinschaft teilzunehmen, braucht es lediglich ein installiertes Smartmeter-Messgerät und ein Smartmeter-Webportal, über das die Ablesung im 15-Minuten-Intervall eingestellt und die Zustimmung zur Teilnahme an der Energiegemeinschaft durch das Setzen von zwei Häkchen gegeben wird. Mehr ist nicht nötig.

Energiegemeinschaften in Österreich

In Österreich gibt es derzeit rund 1.300 Energiegemeinschaften, Tendenz stark steigend. Die Grundlage der Energiegemeinschaften ist ein EU-Gesetz aus dem Jahre 2021, bei dessen Umsetzung Österreich eine europaweite Vorreiterrolle eingenommen hat – selbst Deutschland lernt hier von uns.

Hier finden Sie eine Landkarte der aktiven Energiegemeinschaften.

Zur Autorin

DI Dr. Karin Mairitsch ist Biotechnologin, Verfahrens-, Brennstoff- und Umwelttechnikerin. Im Frühjahr 2023 hat sie in ihrer Perchtoldsdorfer Nachbarschaft die Regionale Erneuerbare Energiegemeinschaft franz.energy gegründet; die familiäre Bürgerenergiegemeinschaft folgte ein Jahr später.

Weiterführende Links

Auf der Webseite der Österreichischen Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften, finden Sie weiterführende Informationen.

Auf einen Blick

  1. Man braucht keine eigene PV-Anlage, um Teil einer Energiegemeinschaft zu werden. Die Verbraucher sind in einer Energiegemeinschaft mindestens ebenso wichtig wie die Produzenten.
  2. Man muss seinen bisherigen Strom-Lieferanten nicht wechseln, wenn man einer Energiegemeinschaft beitritt. Soll man auch gar nicht – die Energiegemeinschaft hat nur dann Strom, wenn die Sonne scheint.
  3. Energiegemeinschaften bieten eine Win-win-Situation. Der Produzent von PV-Überschuss-Strom bekommt in der Energiegemeinschaft mehr als bei der OeMAG, der Abwicklungsstelle für Ökostrom. Und der Konsument zahlt in der EEG einen geringeren Fix-Verbrauchspreis als beim herkömmlichen Stromlieferanten.
  4. Durch die Verlagerung von stromverbrauchenden Prozessen in die Zeit zwischen 10 und 16 Uhr werden die Stromnetze entlastet. Das funktioniert sehr gut bei Elektroautos, aber auch bei zeitlich programmierbaren Waschmaschinen und Geschirrspülern oder Schwimmbad-Pumpen.
  5. Die Konsumenten sparen sich über die Energiegemeinschaft das Investment der eigenen Produktionsanlage.

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