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Sehr blau, sehr breit, sehr stark. Und trotz E-Motoren mit markentypischem Kühlergrill. Jaguar I-Pace.

© Heinz Henninger

Sehr blau, sehr breit, sehr stark. Und trotz E-Motoren mit markentypischem Kühlergrill. Jaguar I-Pace.

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November 2018

Jaguar I-Pace: Auf leisen Pfoten

Brite, made in Austria: Der erste voll-elektrische Jaguar hört auf den Namen I-Pace und läuft bei Magna Steyr in Graz vom Band. Plus: Interview mit Wolfgang Ziebart, dem "Vater" des I-Pace.

Nur vier Jahre vom weißen Blatt Papier bis zur Auslieferung an den ersten Kunden: Jaguar hat mit seinem elektrischen I-Pace auf dem Weg zum Händler einige Premiumhersteller überholt.

Bemerkenswert: Jaguar nutzte nicht eine bestehende Plattform, sondern entwickelte eine neue speziell für die E-Mobilität. Ergebnis: Je ein Motor an den beiden Achsen, sehr langer Radstand und, für die Außengröße, sehr viel Platz im Innenraum. Damit einher geht auch ein Allradantrieb, bei dem die Achsen keine mechanische Verbindung besitzen und die Kraft blitzschnell und unterschiedlich an jedes einzelne Rad verteilt werden kann. Resultat: vollkommen neutrales Lenkverhalten auch in schnellsten Kurven. Mit einigen aufpreispflichtigen Extras (etwa die Luftfederung, mit der sich der I-Pace acht Zentimeter in die Höhe pumpen lässt) ist der Jaguar auch höchst geländegängig. 

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Bei voller Beschleunigung ist das Sport-SUV übrigens nicht vollkommen lautlos, das Sound-Design durch die Ingenieure simuliert vor allem im Dynamik-Modus eine Tonkulisse, die an einen Sechszylinder erinnert.

Die E-Motoren sind eine Eigenentwicklung der Briten, die zugelieferten Batterie-Zellen (432 je Fahrzeug) werden von Jaguar in Polen zum Akkupack samt Thermomanagement ­assembliert und nach Graz geliefert. Die ­Kapazität: 90 Kilowattstunden. Damit verspricht der I-Pace eine Normreichweite von 470 km.

Beim auto touring-Test konnte er das nicht erreichen. Spätestens nach 370 km verlangt er nach einer Ladesäule. Sofern diese die entsprechende Leistung bietet, können die Batteriezellen mit 100 kW geladen werden. Die ersten Exemplare schaffen "nur" 80 kW, können aber später durch ein Software-Update via Internet nachgerüstet werden.

Suboptimal die Platzierung der Ladebuchse am linken vorderen Kotflügel. Vor allem beim ­Parallel-Parken an einer Ladesäule muss man mit dem Kabel ums Fahrzeug herum, und die große Klappe ragt dann in die Fahrbahn.

Der größte Nachteil des Jaguar I-Pace dürfte aber die beschränkte Produktionskapazität bei Magna sein. Mit längeren ­Wartezeiten ist zu rechnen. 

"Spektakulär unspektakulär"

Interview mit Wolfgang Ziebart, ehemaliger Technical Design Director und "Vater" des Jaguar I-Pace

— Wie sind Sie zu Jaguar gekommen?

WOLFGANG ZIEBART: Ich war 23 Jahre bei BMW, damals hatten wir auch noch Land Rover an Bord. Ralf Speth, heute CEO von Jaguar Land Rover, war mein Mitarbeiter. Dort kommt auch mein Konnex zu Jaguar her. Ich war eigentlich schon in Pension, als Ralf mich fragte, ob ich nicht die Entwicklung von Jaguar Land Rover leiten möchte. Ich habe ein Zeit lang überlegt, denn so einen 24/7-Job steckt man im späteren Lebensalter nicht so einfach weg. Aber die Entwicklung von Autos ist wie eine Droge – also habe ich dann gesagt, ok, ich mach das. Nach einiger Zeit habe ich das wieder abgegeben und nur noch mein Auto, den I-Pace, fertig gemacht. Da war ich für die Gesamt-Entwicklung verantwortlich. Ich habe das komplett abgetrennt von anderen Entwicklungen aufgesetzt, auch räumlich 15 Kilometer entfernt von unserem Entwicklungszentrum. Jetzt ist die Markteinführung passiert, und damit ist mein Job erledigt. Seit dem 1. Oktober bin ich jetzt wieder in Pension.

— Was fahren Sie privat für ein Fahrzeug?

WOLFGANG ZIEBART: Privat fahre ich seit letzter Woche den I-Pace. Wenn sie einmal für längere Zeit so etwas gefahren haben, dann sind sie eigentlich für traditionelle Autos verloren. Sie empfinden das dann als Abstieg. Er ist ruhig, bietet unglaubliche Fahrleistungen, hat sehr viel Platz bezogen auf die Außenlänge, was soll man da noch sagen.

— Der I-Pace ist komplett vom sprichwörtlichen weißen Blatt Papier entwickelt worden. Was sind die großen Vorteile, wenn man von Null anfangen kann?

WOLFGANG ZIEBART: Ein Elektrofahrzeug gestattet es, in zwei Bereichen wesentlich besser zu sein. Erstens bei der Raumausnutzung und zweitens beim Fahrverhalten und Handling. Sie haben keinen großen Verbrennungsmotor vorne drin, sie können also mit dem gesamten Innenraum weiter nach vorne rücken. Damit erreichen sie eine Innenraumgröße, bezogen auf die Fahrzeuglänge, wie in einem Auto einer Klasse höher. Bezogen auf den I-Pace heißt das, sie haben die Außenlänge eines Jaguar XE und im Innenraum ist er vergleichbar mit dem XJ – also sogar zwei Fahrzeugklassen höher.

Der zweite Vorteil entsteht, wenn sie den Antrieb auf zwei Motoren aufteilen. Sie haben zwei Antriebe, die sie völlig unabhängig voneinander regeln können. Bei einem Fahrzeug mit einem Verbrennungsmotor, auch mit Allradantrieb, haben sie entweder eine fixe Drehmomentaufteilung vorne/hinten, oder sie haben ein wenig Variabilität. Aber im Elektrofahrzeug haben sie einfach plus/minus 100 Prozent vorne und hinten, völlig unabhängig und auch viel schneller regelbar.

Ein Verbrennungsmotor ist bei seinem Drehmoment nicht so schnell zu regeln, während ein E-Motor in Millisekunden angepasst werden kann. Sie können in der ganzen Bandbreite der Handling-Situationen, also von der Rennstrecke bis hin zu einer Offroad-Situation, und natürlich bei allem, was dazwischen liegt, alles optimal regeln. In diesen beiden Extremsituationen können sie ein Fahrverhalten realisieren, das es sonst nicht gibt.

Normalerweise ist die Rennstrecke ja ein spektakulärer Vorgang. Man hat das Gefühl, da arbeitet richtig was. Wenn sie mit einem I-Pace auf der Rennstrecke fahren, da ist in dieser Hinsicht eigentlich gar nichts los. Sie haben aber auch nicht das Gefühl der Unsicherheit. Es ist einfach unspektakulär bis zu wirklich hohen Geschwindigkeiten. Das liegt darin, dass wir große Teile der Stabilitätsregelung, alles, was bei kleinen Driftwinkeln passiert, nicht über die Bremse realisieren, sondern wir verwenden einfach die Drehmomentverteilung vorne/hinten. Simpel gesagt, an dem Rad, wo sie weniger Seitenführung haben wollen, da müssen sie einfach ein bisschen weniger Lenkkraft drauf geben. Indem sie einfach Drehmoment zwischen vorne und hinten verlagern, haben sie einfach Über- oder Untersteuern. Darum erscheint eine schnelle Runde auf der Rennstrecke ziemlich normal. Und bei Offroad haben wir einfach zwei völlig unabhängige Antriebe. Etwa auf Sand, so ziemlich das Unangenehmste, was man haben kann. Man sieht, die Räder drehen völlig unabhängig voneinander, schnell und langsam. Im Auto selber fällt einem das gar nicht auf.

Zusätzlich kommt das Know-how der Leute von Land Rover dazu, die haben sich einfach draufgestürzt und alle Möglichkeiten ausgenutzt. Da kamen dann ein paar Sachen dazu, die wir gar nicht im Lastenheft hatten. Etwa bei der Tür, die bis zu 50 Zentimeter wasserdicht ist, was ja normalerweise ein Auto dieser Art nicht kann.

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— Die Entwicklung des I-Pace dauerte vom weißen Blatt Papier bis zur Auslieferung des ersten Fahrzeuges an einen Kunden vier Jahre. Wieso schafft es ein vergleichsweise kleiner Hersteller, ein E-Auto auf einer eigenen Plattform so schnell auf die Straße zu bringen, während große Hersteller Milliarden investieren, länger brauchen und dann ein E-Fahrzeug auf einer Verbrenner-Plattform auf den Markt bringen?

WOLFGANG ZIEBART: Diese Frage stellen mir Kollegen von größeren Firmen auch. Das ist relativ klar, wo das herkommt. Erstens sind in einer kleinen Firma die Entscheidungswege viel schneller. Unser Vorschlag in der Entwicklung war, ein kompromissloses E-Auto zu entwickeln. Der Vorstand war einverstanden damit. Danach brauchten wir niemanden mehr fragen, und wir haben am nächsten Tag damit angefangen. Zweitens habe ich in meiner beruflichen Laufbahn ja auch in anderen Bereichen gearbeitet, so etwa bei Infineon.

Das war sehr, sehr wertvoll, einmal in diesem High-Tech-Bereich gewesen zu sein. Da sieht man, wie Firmen mit ganz anderen Ansätzen arbeiten und ganz andere Entwicklungsgeschwindigkeiten erreichen. Solche Ansätze haben wir in der I-Pace-Entwicklung umgesetzt. Zum Beispiel das Zusammenziehen aller Entwickler in einem Raum – da haben sie die Kommunikation nur mehr über die Tische. Unsere Hierarchie war ganz flach, faktisch nur eine Management-Ebene. Vom Konzern hat sich niemand um die Entwicklung eines E-Autos gerissen, wir konnten also alle Entscheidungen auf unserer Ebene fällen.

Wir haben die Abläufe an die High-Tech-Industrie angepasst, speziell an die Mobilfunk-Industrie. Das ist die schnellste Industrie, die es überhaupt gibt, da kommt es auf Tage oder Wochen an. Während der Automann in Monaten denkt, denkt man dort in Tagen. Sehr viele Ansätze aus diesem Bereich haben wir auf unser Projekt übertragen.

— Und ein Weltkonzern schafft das nicht?

WOLFGANG ZIEBART: In einem Weltkonzern sind so viele Leute, die im Weg stehen. So eine Kultur entwickelt sich ja in einer Firma anhand von Dingen, die gut gelaufen sind. Damit entwickeln sich Prozesse – wenn man die genau so macht, weiß man, dann kommt hinten ein gutes Auto heraus. Sehr viele dieser Prozesse sind aber nicht mehr zeitgemäß und für ein Elektro-Auto nicht geeignet.

Ein paar Beispiele: Wenn man die klassische Auto-Entwicklung betrachtet und mit anderen Industrien vergleicht, dann passiert da pro Zeiteinheit relativ wenig. Für die jetzige Art von Fahrzeugen war das ja auch okay. Wenn sie aber jetzt eine Technologie haben, die sich viel schneller fortentwickelt, dann wird das klassische Vorgehen zur Katastrophe. Also, wenn etwas Neues kommt, probiert man das erst einmal aus: eine Komponente oder ein neues Fahrwerk. Man probiert es aus, entwickelt und schaut, ob es auch liefert, was es versprochen hat. Wenn es funktioniert, dann kommt das neue Fahrwerk in das nächste Auto, das entwickelt wird. Also erst Entwicklung einer Komponente abschließen, dann in ein neues Auto einbauen. Damit sind wir schon bei einem Entwicklungszeitraum von fünf bis sieben Jahren.

In der Tech-Industrie funktioniert das so nicht. Man vertraut einfach auf gewisse Entwicklungslinien, etwa in der Halbleiter-Industrie. Da arbeitet man mit dem Moore’schen Gesetz. Man weiß und geht davon aus, dass sich alle 18 Monate die Anzahl der Transistoren verdoppelt, vereinfacht gesagt. Wenn ich etwas entwickle, das in drei Jahren erscheint, und ich arbeite mit den aktuellen Komponenten, dann ist das beim Erscheinen schon total veraltet.

Ich muss also einfach darauf vertrauen, dass zu dem Zeitpunkt, wenn das Auto auf den Markt kommt, die Technik schon viel weiter ist. Ich muss also mit etwas entwickeln, das ich noch nicht habe, oder derzeit noch horrend teuer ist, aber beim Zeitpunkt, zu dem das Auto auf den Markt kommt, zu vernünftigen Kosten verfügbar ist.

So haben wir das auch gemacht, zum Beispiel bei der Batterie. In den letzten Jahren konnte pro Jahr um fünf bis sechs Prozent mehr Energie pro Kilogramm Batterie gespeichert werden. Darauf haben wir vertraut, dass das so auch weitergeht. Damit haben wir mit einer Batterie entwickelt, die eigentlich kleiner war, als wir für die angestrebten 450 Kilometer Reichweite gebraucht hätten. Hätte man die damalige Akkutechnik herangezogen, hätten wir eine viel größere Batterie einplanen müssen. Wenn sie also mit einer Technologie arbeiten, die sich viel schneller entwickelt als die herkömmliche Technik, müssen sie eben anders arbeiten. Bis vor einem Jahr haben wir die Batteriezellen, die jetzt verbaut sind, noch nicht einmal gesehen.

— Für die Elektromobilität kommen die Batteriezellen fast ausschließlich aus dem asiatischen Raum. Muss die europäische Fahrzeugindustrie eine heimische Zellenproduktion aufbauen, um nicht in eine gefährliche Abhängigkeit zu geraten?

WOLFGANG ZIEBART: Ich würde das nicht unbedingt als Risiko sehen. Es gibt Bereiche, da ist die Abhängigkeit von einem Standort noch viel größer. Ich denke da zum Beispiel an das Thema der Halbleiter, speziell der High-End-Prozessoren, Mikroprozessoren und so weiter, die praktisch alle aus Taiwan kommen. Da haben sie teilweise noch eine größere Abhängigkeit.

Was aber unerfreulich in Zusammenhang mit den Batterien ist: Je nach Größe des Akkus hat die Batterie einen Anteil von rund 40 Prozent an den Gesamtkosten des Fahrzeuges. Und wenn diese 40 Prozent komplett von außerhalb Europas zugeliefert werden, dann ist das natürlich ein Problem. Das ist etwas, was sich die Autoindustrie überlegen muss: Wollen wir das auf alle Ewigkeit so weiterlaufen lassen? Oder wollen wir irgendwann im Laufe der Zeit diese Wertschöpfung in Europa ansiedeln?

Im Moment ist das nicht ganz so einfach zu entscheiden, da der Aufwand dafür relativ hoch ist. Und die Margen bei der Zellenproduktion sind im Moment auch nicht besonders überwältigend, weil die Zellenhersteller alle um Marktanteile kämpfen. Wenn da einer neu einsteigt, hat er im Moment nicht nur die großen Einmal-Investitionen zu tragen, sondern auch einen relativ großen Zeitraum vor sich, um dann auch einmal Geld zu verdienen.

— Aber ist es nicht so, wenn man eine E-Auto-Produktion hochfahren will, dass dann die Zellen der Flaschenhals für hohe Produktionszahlen sind?

WOLFGANG ZIEBART: Ja, das betrifft nicht nur die Batteriezellen, sondern auch viele andere Komponenten von Zulieferbetrieben. Als Autohersteller macht man einen Verkaufs-Forecast, und nach dem richten sich die Zulieferer und richten ihre Kapazitäten danach aus. Wenn man dann auf einmal doppelt so viele Komponenten beziehen will, dann können viele Zulieferer nicht liefern.

Wenn sie einmal für längere Zeit so etwas wie den I-Pace gefahren haben, dann sind sie eigentlich für traditionelle Autos verloren. Sie empfinden das dann als Abstieg.

Dr. Wolfgang Ziebart, von der Zukunft der E-Mobilität überzeugt

— Wie ist Ihre Einschätzung zu anderen Batterie-Technologien als den derzeitigen Lithium-Ionen-Batterien, zum Beispiel den Feststoffbatterien, die immer wieder als die Zukunft beschrieben werden?

WOLFGANG ZIEBART: Ja, die geistern immer wieder durch die Medien. Ich halte das aber für einen Unfug. Die Feststoffbatterie ist vom Charakter her eine Batterie, die zwar eine hohe Kapazität hat, die aber nur eine vergleichsweise geringe Leistung abgeben kann. Ein Auto ist also nicht der primäre Anwendungsfall für eine Feststoffbatterie, sondern etwa eher als Handybatterie, wo über einen längeren Zeitraum eine ziemlich konstante Energieabgabe notwendig ist. Wenn man bei einem E-Auto etwa über 30 Minuten die volle Leistungsabgabe braucht bei Vollgas – dafür ist die Feststoffbatterie nicht geeignet. Der ganz große Vorteil der Feststoffbatterie, der kommuniziert wird, ist, dass sie ungefährlich sei. Aber beim heutigen Stand der Batteriemanagementsysteme ist ein möglicher Brand auch bei den Lithium-Ionen-Akkus kein Thema. Das war vielleicht vor fünf Jahren so, aber heute nicht mehr.

— Jaguar bezieht die Zellen, aber alles andere wird im Hause gefertigt?

WOLFGANG ZIEBART: Ja, speziell das gesamte Batteriemanagement-System stammt von Jaguar. Es war unser Bestreben, nicht nur ein Auto zu entwickeln, sondern auch an diesen kritischen Stellen das Know-how im Hause zu haben. Die Batteriekonzeption ist hervorragend, nicht nur was die Sicherheit betrifft, sondern auch die Temperaturverteilung über alle Zellen und die Batteriekühlung. Wenn sie Zellen haben, die eine höhere Temperatur haben als die anderen Zellen, dann altern die schneller. Dann geht die Kapazität der Batterie schnell zurück. Und das Temperaturmanagement ist vor allem beim Schnellladen ein Thema. Wenn man keine ordentlich Kühlung hat, geht das wirkliche Schnellladen nur in einem sehr kleinen Temperaturfenster. Für uns ist nicht die maximale Ladestärke ein Thema, sondern wie lange brauche ich von null auf 80 Prozent. Das ist in unserem Fall vierzig Minuten. Ein anderer Hersteller kommuniziert zwar eine um 50 Prozent höhere Ladeleistung, also 150 kW. Wenn sie aber schauen, was nutzt ihm das bei der Ladezeit, dann hat er die 40 Minuten auf 30 Minuten reduziert.

— Der I-Pace hat einen Kühlergrill wie ein herkömmliches Fahrzeug – hat es auch Entwürfe ohne Kühlergrill gegeben?

WOLFGANG ZIEBART: Was viele nicht bedenken, ist, dass ja auch Elektro-Fahrzeuge eine Kühlung brauchen, etwa für die Klimaanlage, bei der man Wärme ableiten muss. Und der Kondensator ist so groß wie der normalerweise dahinterliegende herkömmliche Kühler. Von der Fläche her können sie da nicht so viel machen. Wir hatten Entwürfe, bei denen der Kühlergrill ganz nach unten gerückt war, aber das sah entsetzlich aus.

— Wie sehen die geplanten Stückzahlen aus?

WOLFGANG ZIEBART: Wir geben keine Zahlen raus. Aber wenn man sich bei Magna in Graz, wo der I-Pace gebaut wird, anschaut, dass die Taktzahl des Rohbaus etwa acht Minuten beträgt, kann man sich das ja ausrechnen. Man kann dann noch mit einer dritten Schicht oder Wochenend-Produktion was machen, aber irgendwann stoßen sie dann an eine Grenze.

— Werden Daten über das Nutzerverhalten, also etwa die Ladegewohnheiten, vom Fahrzeug an den Hersteller übertragen?

WOLFGANG ZIEBART: Nein, das machen wir nicht. Außer in China, da sind wir dazu verpflichtet. Da müssen wir alle 30 Sekunden Daten, bis hin zu den Temperaturen der einzelnen Zellen, bis ins letzte Detail also, aus dem Batteriemanagement-System rausziehen und an eine offizielle Stelle übertragen. Real Time Monitoring heißt das dort.

— Wenn wir fünf oder zehn Jahre vorausschauen und einmal wirklich viele E-Autos auf den Straßen sind – werden wir Probleme mit der dafür benötigten Strommenge haben?

WOLFGANG ZIEBART: Das Stromthema ist nicht im Ansatz ein Problem. Als Beispiel in Deutschland: Wenn sie alle Autos auf E-Autos umstellen, also 45 Millionen Autos, und davon ausgehen, dass die weiterhin ihre normale Kilometerleistung haben, dann steigt der Stromverbrauch etwa um 17 Prozent. Und bis alle umgestellt sind, das wird noch eine gewisse Zeit dauern.

Aber Elektrofahrzeuge werden deutlich billiger werden, durch zwei Effekte: einerseits durch günstigere Batterien. In den letzten Jahren sind die Akkus pro Jahr um zehn bis zwölf Prozent billiger geworden. Der zweite Effekt: Die Akku-Kapazitäten werden wieder kleiner werden – durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Wenn ich überall und jederzeit aufladen kann, besteht vielfach keine Notwendigkeit mehr, so große Akkus einzubauen. Auf der anderen Seite werden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor deutlich teurer werden, durch die verschiedenen Vorschriften zur Abgasreinigung und Verbrauchsminderung.

Der Forecast der Autoindustrie ist ungefähr so, dass in den Jahren zwischen 2025 und 2030 ein Kostengleichstand zwischen E-Autos und Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren erreicht ist. Im oberen Preissegment haben wir eigentlich schon jetzt Gleichstand. Meine Prognose: das autonome, selbstfahrende Auto wird deutlich später kommen, als wir derzeit annehmen, und die E-Fahrzeuge werden deutlich früher den Massenmarkt erobern, als wir jetzt glauben.

— Danke für das Gespräch!

Dr. Wolfgang Ziebart studierte Maschinenbau an der Technischen Universität München. Anschließend arbeitete er 23 Jahre für BMW, überwiegend in der Produktentwicklung und Fertigung. Er begann als Konstrukteur in der Karosserieentwicklung, war später für die Elektronikentwicklung und dann als Baureihenleiter für die BMW 3er-Reihe verantwortlich. Anschließend wurde er in den BMW-Vorstand berufen, zuständig für Entwicklung und Einkauf.
Im Jahr 2000 wurde Wolfgang Ziebart in den Vorstand der Continental AG berufen und verantwortete dort das Geschäft mit Fahrwerkssystemen und Elektronik.
Von 2004 bis 2008 war Ziebart CEO des Halbleiterherstellers Infineon.
Im Anschluß daran übernahm er verschiedene Aufsichtsratsfunktionen, u.a. bei Autoliv in Schweden/USA und bei ASML in den Niederlanden. Er ist Chairman des deutschen Windturbinenherstellers Nordex SE. 
Von 2013 bis 2015 war er Engineering Director von Jaguar Land Rover in UK. In seiner Zeit wurde u.a. der Jaguar I-Pace konzipiert und entwickelt.

Jaguar I-Pace  Heinz Henninger © Heinz Henninger

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