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Die Luftfahrt erlebt die schlimmste Krise ihrer Geschichte. Wann der Neustart wirklich gelingt, ist unklar. 

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Die Luftfahrt erlebt die schlimmste Krise ihrer Geschichte. Wann der Neustart wirklich gelingt, ist unklar. 

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November 2020

Was vom Virus bleiben wird

Die Coronavirus-Pandemie hat die Mobilität von Milliarden verändert. Und sie beschleunigt Mega-Trends. Versuch eines Überblicks. 

So etwas hatten wir hier noch nie!" Die Gesprächspartnerin hat eine offizielle Funktion in einer kleinen Stadt in Niederösterreich, in der einander Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Diese könnten jedoch bald zahlreiche menschliche Gesellschaft bekommen. Denn im Sommer schoss die Nachfrage nach Grundstücken und Häusern regelrecht in die Höhe. Und zwar obwohl es von hier gut 100 Kilometer bis nach Wien und nicht viele weniger nach St. Pölten sind.

"Der Trend zum Haus im Grünen hat sich durch die Pandemie weiter verstärkt", bestätigte im Sommer auch ein großer Immobilienmakler dem ORF.

Die Veränderungen, die in der kleinen rot-weiß-roten Gemeinde nun beginnen, passieren derzeit weltweit. Milliarden Menschen stellen ihr Leben um, passen sich so gut es geht an die Folgen der Pandemie an – und ändern damit auch ihre Mobilität. Arbeitswege, Geschäftsreisen, Freizeitaktivitäten, Urlaubstrips, der Warenverkehr samt Lieferketten, die Verkehrsmittelwahl zwischen ­Auto, Bahn, Bus, Fahrrad, Schiff und Flugzeug – alles steht auf dem Prüfstand. 

Viele haben den Eindruck, dass das Coronavirus nur als Brandbeschleuniger von technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen wirkt, die ohnehin gekommen wären. Aber es gibt auch genug Überraschungen: Wer hätte noch vor einem Jahr darauf gewettet, dass das vielerorts verpönte Homeoffice einen nachhaltigen Siegeszug rund um den Globus antreten würde?

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Neue Mobilitätsformen

Sehr rasch wurden Veränderungen bei der Mobilität in den großen Metropolen sichtbar. Schon im Juni zeigte eine Studie der Boston Consulting Group, dass die Pandemie die Stadtbewohner in den Vereinigten Staaten, China und Europa dazu brachte, den öffentlichen Verkehr und alle Sharing-Modelle (Taxi,Carsharing, Mitfahrgelegenheiten) verstärkt zu meiden und Wege dafür vermehrt mit dem privaten Fahrrad oder dem eigenen Pkw zurückzulegen.

Und das könnte, so die Studie, auch in den nächsten 18 Monaten einmal so bleiben. Die Mobilitätsagentur der Bundeshauptstadt Wien registrierte in der Corona-Krise eine Zunahme der Fußwege und des Radverkehrs, gleichzeitig ging die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zurück.

Für die Verkehrsplaner sind das alles ­widersprüchliche Nachrichten: Wenn immer mehr Menschen nicht mehr zur gleichen Zeit mit Auto oder öffentlichem Verkehr zur ­Arbeit in die Städte strömen, sondern sich der Arbeitsverkehr durch Homeoffice gleich­mäßiger über den Tag und die Woche verteilt, kann man beim Ausbau von Straßen und Schienen vielleicht Geld sparen.

Gleichzeitig führte und führt die Krise aber zu massiven Einbrüchen der Einnahmen bei Bahnen und Bussen. Derzeit scheint auch nur wenig dafür zu sprechen, dass sich der Mega-Trend zur Urbanisierung und damit zu einer Verteuerung von Wohnen und Leben in der Stadt durch die Pandemie mittelfristig aufhalten lässt.

Und so gehen die Forscher der Boston Consulting Group in einem "wahrscheinlicheren Szenario" auch davon aus, dass der ­öffentliche Nahverkehr und Sharing-Modelle ein Comeback erleben werden, wenn die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung dies unterstützen. Entscheidend wird auch in Zukunft der Preis sein, zu dem effiziente Alltagsmobilität möglich ist.

Auch andere Trends dürften sich verstärken. Laut einer Studie der Welt-Tourismus-Organisation WTTC wollen fast zwei Drittel jener Menschen, die sich in der Covid-19-Krise erstmals per Videokonferenz austauschten, diese Technik weiterhin nutzen. Ebenfalls zwei Drittel wollen beim Bezahlen weniger Bargeld und öfter elektronische Bezahlsysteme nutzen. Und knapp die Hälfte der Flugpassagiere ist bereit, ihren Reisepass gegen eine digitale Identität zu tauschen.

Allein im Tourismus gehen durch die Krise heuer 121 Millionen Jobs verloren.

Welttourismus-Organisation (WTTC)

Der Tourismussektor ist von der Krise besonders hart getroffen, was auch in Österreich deutlich zu spüren ist. Riskiert man einen Blick über die Grenzen, eröffnet sich das ­ganze Ausmaß der Misere. Weltweit dürfte der Tourismus heuer um 60 bis 80 Prozent zurückgehen, der an vielen Plätzen beklagte "Overtourism" stürzte in einen "Undertourism" ab.

Dabei werden, so eine WTTC-Schätzung, 121 Millionen Jobs und etwa 3.000 Milliarden Euro weltweit an wirtschaftlicher Wertschöpfung verloren gehen. Auf dem Höhepunkt der Krise im Frühjahr war jeden Tag eine Million Menschen im Tourismus vom Verlust ihres Jobs betroffen.

Eines ist schon jetzt klar: Ist die Gesundheitskrise einmal vorbei, beginnt für den Tourismus und andere Wirtschaftszweige erst der harte Weg zurück.

Aber nicht nur im Tourismus, auch bei den Geschäftsreisen ist kein Stein auf dem anderen geblieben. 9/11, SARS oder die Finanzkrise 2008, das alles ist nicht mit Covid-19 vergleichbar.

"Der Markt ist nach einem Höchststand 2019 auf weniger als ein Viertel des bisherigen Umsatzes eingebrochen. Wir arbeiten aktuell vor allem an der Aufarbeitung von Stornierungen", berichtet Anja Meier, Leitung Sales & Account Management beim Geschäftsreiseanbieter Business Travel Un­limited (BTU), bei dem aktuell alle Mitarbeiter auf Kurzarbeit sind.

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Täglicher Wandel

"Die Bedingungen ändern sich täglich, international, national und regional", so Meier. Das erschwere die Situation. Aber auch wenn digitale Meetings zur neuen Normalität in der Krise geworden sind: "Ein Anlagenbauer wird sein Kraftwerk nicht über einen Videocall verkaufen", sagt Julian Jäger, Vorstand Flughafen Wien. "Wo der persönliche Kontakt wichtig ist, wird es weiterhin Geschäftsreisen geben."

Es bleibt die Hoffnung auf eine wirksame Impfung, Heilungsmöglichkeiten und verlässliche Schnelltests, denn "das Bedürfnis nach Mobilität ist ungebrochen und wird nach Monaten der Reisebeschränkungen sogar noch zulegen", sind sowohl Meier als auch Jäger überzeugt.

Die "New Work Economy" war schon vor Corona ein Thema. Doch eine nachhaltige Veränderung in der Arbeitswelt ließ auf sich warten. Nun hat die Krise viele Unternehmen in Bewegung gebracht. Das Fenster für flexiblere Arbeitsmodelle, mehr Homeoffice und eine Verbesserung der digitalen Infrastruktur in Büros und zu Hause ist weit geöffnet.

Bis vor einem halben Jahr war Homeoffice eher die Ausnahme. Viele Unternehmenskulturen waren nicht dazu bereit, doch das Management hat gelernt loszulassen, zu vertrauen und die Mitarbeiter eigenständig arbeiten zu lassen, anstelle sie ständig zu kontrollieren. Covid-19 brachte hier tatsächlich die Beschleunigung einer Entwicklung, die älter ist, als man denkt. Schon die Oma nähte und strickte nach dem Krieg daheim. Echte Telearbeit begann aber erst in den 1970er-Jahren in den USA. Die Motivation von Begründer Jack Nilles: die Entwicklung des Personal Computers, die Ölkrise und der Umweltschutzgedanke – das klingt ja irgendwie bekannt.

Neue Arbeitswelt

Der größte Schub kam mit smarten Geräten und besseren WLAN-Systemen. In den letzten Monaten wurde die Virtualität endgültig zur Realität. Gleichzeitig tauchen neue Herausforderungen auf: Wie managt man seinen ­Arbeitstag ohne Trennung von Büro und zu Hause bei Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit? Wie geht Arbeiten am unbequemen Küchenstuhl mit tobenden Kindern im Nebenzimmer? 

Apropos Kinder: Virtuelles Lernen ist eine Herausforderung – für Eltern, Kinder und Studierende. Das romantisierte Bild von Online-Lehre und Homeoffice mit Blick ins Grüne, ruhigem Arbeitsraum und netten ­Kaffeepausen am ergonomischen Schreibtisch entspricht selten der Wirklichkeit. 

Auch die Klarheit der Office-Struktur und der Kontakt zu Kollegen, Kunden und Geschäftspartnern fehlen. Oxytocin ist als Bindungshormon im Geschäftsalltag nicht zu unterschätzen, Ellbogengruß und Maske schaffen zusätzlich Distanz. Trotzdem: Das Positive am "Mobile Working" überwiegt. 

So sagt eine Studie der Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu, dass flexible Arbeitszeiten und Homeoffice zu den attraktivsten Benefits eines Unternehmens zählen. "41 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass die neuen Rahmenbedingungen langfristig bleiben werden", erläutert kununu-Pressesprecherin Yenia Zaba. 

Interessant, dass nach mehr Flexibilisierung auf Rang zwei der bessere Kollegenzusammenhalt genannt wird, trotz des aktuell berührungsfernen Arbeitsalltags. Distanz schafft Nähe? Das sind positive Zeichen, auch für Führungskräfte, die die Produktivität von Teams auch in Zeiten mobilen Arbeitens zu Hause garantieren sollen.

Was wird bleiben?

Wird also von der Pandemie das bleiben: Der Angestellte, der in unserer kleinen Stadt in Niederösterreich günstig wohnt, fast alles von daheim erledigt und nur noch selten in die Großstadt pendelt, die ihre Funktion als Begegnungsort im Grunde eigentlich für immer verloren hat?

Schon machen Schlagwörter wie "Japanisierung der Kultur" und "Smart Distancing" die Runde: Distanz, vor allem auch körperliche, könnte eine neue normierte Kultur des Abstands und des Fernhaltens begründen. So haben wir uns das 21. Jahrhundert wahrlich nicht vorgestellt.

"Schwerste Krise"

Interview mit Julian Jäger, Vorstand der Flughafen Wien AG

Julian Jaeger_c_Flughafen Wien.jpg Flughafen Wien © Flughafen Wien
Flughafen-Vorstand Julian Jäger glaubt an eine langfristige Erholung in seiner Branche.

— Wie wird sich der weltweite Flug- und Reiseverkehr durch Covid-19 verändern?

Julian Jäger:Covid-19 hat die Luftfahrt in die schwerste Krise ihrer Geschichte gestürzt. Am Flughafen Wien verzeichnen wir Passagierrückgänge von mehr als 80 Prozent, das wird sich leider in den nächsten Monaten nicht wesentlich verbessern.

— Das Wachstum der letzten Jahre war hoch, kommt der Boom zurück? Wenn ja: In welchen Zeiträumen rechnen Sie aktuell?

Julian Jäger:Die gesamte Luftfahrt- und Tourismusbranche muss sich auf einen harten Herbst und Winter einstellen, es wird noch einmal schlechter, bevor es besser wird. Wir hoffen jedenfalls, dass die Entwicklungen spätestens nächstes Jahr in den Sommerferien zumindest in Richtung Normalität geht.

So schwer eine Prognose auch ist, wir gehen derzeit von Passagierzahlen von etwa 50 Prozent des Jahres 2019 für das Jahr 2021 aus. Wir hoffen auf den Sommerflugplan 2021. Eine weltweite Erholung der Luftfahrt kann noch einige Zeit dauern. Aber so tiefgreifend diese Krise auch ist, langfristig wird der Flugverkehr sogar weiter wachsen.

— Wovon hängt die Zukunft ab?

Julian Jäger:Wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Derzeit behindern sich die einzelnen EU-Staaten mit nationalen Einreise- und Quarantänebestimmungen gegenseitig. Menschen können nur mehr unter strengen Auflagen reisen und darunter leiden alle Wirtschafts- und Tourismusregionen. Wir brauchen dringend europaweit einheitliche Reisebestimmungen. In China, wo es innerhalb des Landes keine unterschiedlichen Regelungen gibt, ziehen Wirtschaft und Tourismus bereits wieder an.

— Wie werden sich die Flugpreise entwickeln?

Julian Jäger:Die Krise verschärft den Konkurrenzkampf zwischen den Airlines und einzelne Fluglinien versuchen mit günstigen Preisen den Markt zu stimulieren. Derzeit ist die Unsicherheit unter den Reisenden aber so groß, dass auch günstige Preise nicht für mehr Passagiere sorgen.

— Wie verändert sich der Boarding-Prozess?

Julian Jäger:Fliegen hat schon heute extrem hohe Sicherheitsstandards, nicht zuletzt durch 9/11. Nun kommt das Thema Gesundheit hinzu. Die Mund-Nasen-Schutz-Pflicht oder Plexiglasschutz an den Check-in-Schaltern werden wohl länger bleiben. Mittels Wärmebildkameras messen wir die Körpertemperatur ankommender Reisender.

Wie bei den Sicherheitskontrollen braucht es auch hier internationale Standards, das würde die Reisetätigkeit für Passagiere deutlich erleichtern. Daran wird bereits gearbeitet: Der Flughafen Wien ist Test-Airport der europäischen Flugsicherheitsorganisation EASA. Unsere Erfahrungen fließen in die Gestaltung internationaler Sicherheits- und Gesundheitsstandards ein. Das Flugzeug weist schon jetzt eine deutlich bessere Lüftung als jedes andere Verkehrsmittel auf. Corona-Schnelltests bringen zusätzliche Sicherheit.

— Bedeutet die Pandemie das Ende großer Flieger? Neben älteren Modellen werden nun auch jüngere Modelle wie der A380 ausgemustert. Der größte Flugzeugabstellplatz Europas in Teruel in Spanien ist mehr als überfüllt.

Julian Jäger:Die Krise beschleunigt Trends wie das Ende für den A380. Viele Airlines flotten ältere und unwirtschaftlichere Modelle aus und setzen auf moderne Flugzeugtypen. Nachhaltigkeit spielt eine wichtige Rolle. Der Boeing 787 Dreamliner ist eines der umweltfreundlichsten Flugzeuge der Welt und bei vielen Airlines im Einsatz. Die Zukunft liegt aus meiner Sicht in Kohlendioxid-neutralem Treibstoff, dann kann die Luftfahrt langfristig wachsen. Hier braucht es mehr Investitionen in der Forschung.

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