Normandie_Fib_2017-02_028_CMS.jpg Dietmar Feichtinger Architectes

Der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger baute die neue Brücke zum Mont-Saint-Michel in der Normandie.

© Dietmar Feichtinger Architectes

Der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger baute die neue Brücke zum Mont-Saint-Michel in der Normandie.

© Dietmar Feichtinger Architectes
Februar 2017

Das Land im Meer

Vom Klosterfelsen des Erzengels Michael zu den Farben der Impressionisten: eine Reise quer durch die Normandie.
 

Wenn das Wasser ging, kamen die Menschen. Das war am Mont-Saint-Michel seit tausend Jahren so. Ebbe und Flut, der Atem des Meeres, bestimmten den Rhythmus des Lebens. Gefährliche Zeiten waren das immer. Normannen fuhren aus Skandinavien heran, plünderten Siedlungen und Klöster. Der steile Felsen vor der Küste, das Land im Meer, versprach Sicherheit. Doch Aubert, Bischof von Avranches, schreckte wohl vor der schier unendlichen Mühsal zurück, mit eigener Hände Arbeit ein Kloster und eine Kirche auf der Spitze einer winzigen Insel weit draußen im Ozean zu errichten. Da trat, so die Legende, der Erzengel Michael auf den Plan, wandte sanften Zwang an, damit Gottes Wille vollstreckt und mit den Arbeiten am Klosterberg begonnen werde.

Heutzutage freilich ist nur noch wenig bis gar keine Überzeugungsarbeit nötig, damit Menschen zum Mont-Saint-Michel in der französischen Normandie pilgern. Drei Millionen sind es Jahr für Jahr. Seit Dietmar Feichtinger, Architekt aus Bruck an der Mur, die spektakuläre, neue Brücke errichtete, ist auch die Gefahr gebannt, dass die Klosterinsel an der Grenze zwischen Normandie und Bretagne langsam verlandet.

Man hat uns geraten, besser gegen Abend zu kommen, wenn die Besucherströme etwas nachlassen. Die Parkplätze (€ 8,50) sind jetzt am Festland, von hier geht es mit Shuttle-Bussen, Kutschen oder (etwa 45 Minuten lang) zu Fuß weiter. Am Fuß das 80-Meter-Berges drängt sich touristische Infrastruktur, zur Klosterkirche (Eintritt € 9,–) sind es 330 im Sommer schweißtreibende Stufen.

Doch die Aussicht über die Bucht ist fantastisch. Auch der Kreuzgang, ein Garten als Symbol des Paradieses, und die romanisch-gotische Kirche, die wie der erste Wolkenkratzer der Architekturgeschichte an die Felsenspitze angebaut ist, lohnen die Mühen. Die Franzosen sagen nur: la merveille – das Wunder.

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Invasoren und Eroberer

Die Flut kommt an der normannischen Küste schneller herein, als ein Pferd galoppieren kann. Bis zu 14,5 Meter kann der Wasserspiegel innerhalb kürzester Zeit ansteigen: Ozean und Erde sind in der Normandie in Symbiose miteinander verschränkt. Eine Verbindung, die eine vielfältige Kulinarik ermöglicht, aber auch die Gespenster des Krieges herbeigerufen hat. Wilhelm brach 1066 auf, um das Land der Angeln und Sachsen jenseits des Kanals zu erobern: Die dramatischen Ereignisse schildert der Teppich von Bayeux in Form einer Art mittelalterlichem Comicstrip. 

1944, noch so ein historisches Jahr, ging es in die andere Richtung. Alliierte Truppen landeten an den normannischen Küsten: einer der Anfänge vom Ende des Dritten Reiches. Diesen Ereignissen wiederum ist Mémorial de Caen gewidmet: Um "Sieger und Besiegte" geht es hier freilich schon lange nicht mehr. Das Mémorial sieht sich als Museum für den Frieden. Und den wünschen wir uns umso mehr, nachdem wir mehrere Stunden lang mit den Mitteln modernster Medientechnik eindringlich mit Schrecken und Leiden des Weltkrieges konfrontiert worden sind.

La France profonde – etwas frei übersetzt ist dies das einfache, ländliche, bodenständige Frankreich. Das Calvados ist so eine Region. Auf unserem Weg nach Osten machen wir hier Station in der Auberge des Deux Tonneaux: mit Stroh gedeckte Häuser, Fachwerk, ein Obstgarten. Es wird Cidre serviert, der goldgelbe, leicht moussierende Apfelschaumwein, und Pommeau, ein Mix aus Calvados und Apfelsaft. Dann gibt es Huhn mit Schlagobers, eine normannische Torte und Camembert. Jenseits des Zaunes starren Kühe mit braunen Flecken unter den Augen Löcher in die Luft. Sonst ist nichts los. 

Sorgen um Verständigungsschwierigkeiten muss man sich wie fast überall in der Normandie übrigens keine mehr machen. Mit einigen wenigen Wörtern in Englisch oder Französische sowie einem Lächeln überwinden auch deutschsprachige Urlauber einfach jede Barriere. Wer sicher gehen will, kann ja etwa eine geführte Gruppenreise buchen oder in einem der 26 "Willkommen-in-der-Normandie"-Hotels Unterschlupf suchen, wo man auf deutschsprachige Gäste spezialisiert ist.

Vom Blumenstädtchen in den Garten Monets

Keine Sprachschwierigkeiten sind auch ein Stück weiter östlich in dem an der Seine-Mündung gelegenen "Blumenstädtchen" Honfleur zu erwarten. Zu international ist das Rundreise- und Kreuzfahrt-Publikum, das von früh bis spät durch die hübschen Gässchen mit ihren Ateliers und Delikatessen-Geschäften hinüber zum alten Hafenbecken, dem Vieux Bassin,  strömt. Der Trubel macht es schwer, sich in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückzuversetzen, als die Freiluftmaler aus Paris nach Honfleur kamen und dem Impressionismus den Weg bereiteten.   

Das prachtvolle Rouen jenseits der Seine-Mündung aber ist die Hauptstadt der Normandie. Das Museum Historial Jeanne d’Arc zeigt in drastischen Video-Installationen die dramatische Geschichte der Nationalheldin, die am 30. Mai 1431 auf dem Vieux-Marché den Flammentod starb – ein Politkrimi, der noch fast 600 Jahre später mitnimmt. Auch etwas für Kinder ist hingegen das neue XXL-Panorama, eine Gasometer-förmige Halle, in der man einen 360-Grad-Rundumblick auf das historische Rouen werfen kann. 

Bevor es zurück nach Paris und dann leider auch wieder nach Hause geht, ist das idyllische Giverny an der Seine unsere letzte Station. Hier lebte von 1883 bis zu seinem Tod 1926 der Impressionist Claude Monet. Sein Wohnhaus mit der rosafarbenen Fassade, den grünen Fensterläden, dem gelben Esszimmer, der blauen Küche und dem auf vielen seiner Bilder verewigten Garten mit Seerosenteich und japanischer Brücke ist ebenfalls ein Touristenmagnet ersten Ranges.

Noch einige wenige Autobahnkilometer Richtung Paris, dann stehen wir in einem gigantischen Stau. Das gibt Zeit, um die Erinnerungen abzuspeichern. Als diese Zeilen geschrieben werden, ist seit der Reise in die Normandie fast ein ganzes Jahr vergangen. Aber das Land im Meer ist gegenwärtig, als sei es gestern gewesen.

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