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Nichts ist unmöglich: Rollstuhlwandern unterm Großglockner im Nationalpark Hohe Tauern.

© Nationalpark Hohe Tauern_Martin Kurzthaler

Nichts ist unmöglich: Rollstuhlwandern unterm Großglockner im Nationalpark Hohe Tauern.

© Nationalpark Hohe Tauern_Martin Kurzthaler
März 2022

Einfache Bergfahrt

Bergwandern im Rollstuhl? Geht das? Ja! Im Nationalpark Hohe Tauern. Dort ist die Faszination Bergwelten jetzt auch für Menschen mit Behinderung aktiv erlebbar.

Ich liebe mein Leben so wie es ist, vermisse nichts. Na ja – fast nichts. Seit nunmehr achtzehn Jahren bin ich querschnittgelähmt, führe ein Leben im Rollstuhl. Und dennoch stand die Welt für mich offen: Afrika, die Karibik, der Nahe Osten, Nord- und Südeuropa. Bis nach Japan bin ich im Rolli gereist.

Aber in die Berge? Wie soll das gehen? Früher, als Gehender, war ich oft hochalpin unterwegs, im Gesäuse, Hochschwab, auch im Himalaja. Schwer zu akzeptieren, aber vorbei, dachte ich jedenfalls. Und dann poppt diese Facebook-Nachricht auf: "Wir freuen uns, dass es im Nationalpark Hohe Tauern eine neue Möglichkeit für Rollstuhlfahrer gibt, die Schönheiten des Hochgebirges zu erleben."

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Das will ich wissen, rufe sofort in Matrei an, in der Nationalpark-Verwaltung. Erreiche Sandra, die mir die Meldung bestätigt und Unterstützung zusagt. Jetzt habe ich Stress: Bahnticket buchen. ÖBB-Rollstuhl-Service an­melden. Keine Ahnung, wie das mit dem Zug funktioniert, aber ich muss irgendwie da hin.

Wien Hauptbahnhof–Lienz. Das Einladen mittels Hebebühne: kein Problem. Re­servierter Sitzplatz, Behinderten-Toilette im Waggon. Stunden später, es ist bereits dunkel, erreicht der Zug Lienz. Der Bahnhof wird heftig umgebaut, ist erst seit Kurzem barrierefrei. Egal! Hauptsache, ich bin da.

Berge & Rollstuhl. Geht das?

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Und ob das geht!

Ein kalter klarer Morgen. Es riecht rauchig-würzig vor dem Lucknerhaus. Im Holzofen der hochalpinen Gastwirtschaft schmort das Mittagsmenü, ein Schweinsbraten.

Hochbetrieb auch in der Wetterküche: Licht-Schatten-Spiele über steilen Bergflanken, Wolken im Tiefflug, Almwiesen im satten Grün, Lärchen im Zwielicht. Und mitten drin, quasi als romantischer Eyecatcher, zwei kleine Almhütten.

Am Talschluss hoch über den Schneefeldern des Ködnitzkees eine graue Wand. Dahinter verborgen der Großglockner. Er spielt wieder einmal Verstecken, das Lieblingsspiel aller hohen Weltberge.

Angekommen im Glocknerwinkel im Osttiroler Ködnitztal. Hier oben auf einer Höhe von fast 2.000 Metern führt ein traumhafter Wanderweg hinein ins alpine Herz Österreichs. Obwohl, heute sind weder Bergsteiger noch Wanderer unterwegs. Wetterumschwung ist angesagt: Regen, sogar Schneefall.

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1 Pittoreske Bergkulisse im Nationalpark Hohe Tauern. Das Ködnitztal ist der Zustieg zum Großglockner von der Tiroler Seite.   © Nationalpark Hohe Tauern_Martin Lugger

2 Im Ködnitztal unterhält die Nationalpark-Verwaltung ein barrierfreies Informationsbüro zum Thema Big Five der Tauern: Gams, Murmeltier, Steinbock, Steinadler und der wieder angesiedelte Bartgeier. © Nationalpark Hohe Tauern_Martin Lugger

3 Der Ausgangspunkt für Rollstuhl-Wanderungen. Swiss-Trac-betriebene Rolli-Gespanne können hier nach Voranmeldung kostenlos ausgeliehen werden.  © Nationalpark Hohe Tauern_Martin Lugger

Trotzdem dränge ich zum Aufbruch. Nach zwei Jahrzehnten bin ich wieder auf Bergfahrt, da ist mir das Wetter wurscht, denn ich will versuchen, was ich bis dato für unmöglich hielt: querschnittgelähmt, im Rollstuhl, in den Bergen unterwegs zu sein.

Begleitet werde ich von Simon, dem Nationalpark-Ranger. Gemeinsam sind wir die Mautstraße vom Bergdorf Kals mit seinen pittoresken Holzhäusern heraufgefahren. Direkt am Parkplatz unterhält die Nationalpark-Verwaltung über den Sommer ein Informa­tionsbüro, auch eine Ausstellung.

Die Stars der Ausstellung: die Big Five des Nationalparks Hohe Tauern – Gams, Murmeltier, Steinbock, Steinadler und der Herrscher des Osttiroler Luftraums, der Bartgeier.

Zum "Begreifen“ ist ein Prasinit ausgestellt, ein Stein aus der Gipfelregion des Großglockners. Überraschende Info für mich: Hier oben gibt es eine Behinderten-Toilette.

Ranger & Rollifahrer

Hohe Tauern_015_CMS.jpg Mathäus Gartner © Mathäus Gartner
Begleit-Person: Simon, der Nationalpark-Ranger, auf der Suche nach den Big Five der Tauern.
Hohe Tauern_019_CMS.jpg Nationalpark Hohe Tauern_Dana Krah © Nationalpark Hohe Tauern_Dana Krah
Inklusion: Ranger und Rolli-Redakteur gemeinsam unterwegs im Ködnitztal.
Hohe Tauern_004_CMS.JPG August Kargl © August Kargl
Sensation: Eine Ranger-Führung zahlt sich aus. Alleine hätte ich die meisten Tiere übersehen.

Simon bringt einen Rollstuhl mit angekoppeltem Swiss-Trac, einer geländegängigen Zugmaschine mit Elektroantrieb. "Hab ich gestern extra für dich hergerichtet", grinst er.

Ranger wie Simon, mit Flora, Fauna und steilem Fels auf Du und Du, kennen sich also neuerdings auch mit Rollstühlen aus. Swiss-Trac-Gespanne können nach Vorreservierung im Nationalpark-Büro kostenlos ausgeliehen werden. Einzige Bedingung: Eine Begleit­person muss dabei sein. Zur Sicherheit, aber auch als gelebte Inklusion.

Nach kurzer Einweisung brechen wir auf. Simon geht voran. Anfangs habe ich noch Mühe mit der Beschleunigung. Es gelingt mir nicht auf Anhieb, die richtige Dosis des ruckartig einsetzenden Vortriebs zu finden. Dabei ist die Bedienung denkbar einfach. Ein ­Hebel: links für vorwärts, rechts rückwärts, zwei Geschwindigkeits-Stufen. Die Lenkung erinnert an einen Rasenmäher. Schnell wird klar: Für das Handling des Swiss-Trac ist eine uneingeschränkte Handfunktion notwendig.

Auf steinigem Terrain geht es sanft bergan. Ich bin begeistert, euphorisch. Ein tolles Gefühl, fast wie früher. Nur dass ich weder keuche noch schwitze. Sogar das Durchqueren eines Bachbetts schafft der Swiss-Trac mühelos.

Wie sehr habe ich dieses Unterwegssein vermisst: den Wind, die Wildheit der Landschaft, den Geruch von Kuhmist, feuchten Almböden und nahendem Schnee.

Hohe Tauern_012_CMS.jpg August Kargl © August Kargl
Hochgefühle: Der Autor ist Rollstuhlfahrer und nach achtzehn Jahren wieder in den Bergen unterwegs. 

Aktiv in den Bergen unterwegs zu sein, hatte ich als langjähriger Rollstuhlfahrer für immer abgehakt.

August Kargl, auto touring-Redakteur

Simons Blick schweift angespannt über Grate und Hochwiesen. Er hält Ausschau. Klar, er will mir die Big Five zeigen!

So eine Ranger-Führung zahlt sich allemal aus. Denn das Rudel Gämsen hätte ich sicher übersehen. Auch den jungen Steinadler auf der Jagd nach Murmeltieren. Die Steinböcke samt Jungtieren hoch oben auf dem Grat erkenne ich erst, als Simon mir das Fernrohr auf dem Stativ einrichtet. Und dann, nach fast zwei Kilometern Genuss-Wanderung, wird der Weg schmal und steil.

Obwohl der Hüttenwirt mit seinem Pick-up rauffährt – den Aufschwung zur Luckner-Hütte traue ich mir auch mit Swiss-Trac-Unterstützung nicht zu. Umgeben von einer grandiosen Bergarena rasten wir – auch wie früher, mit heißem Tee aus der Thermos­flasche und Mannerschnitten. Und plötzlich, für einen kurzen Moment, erbarmt sich der Glockner: Wolken reißen auf, Sonnenschein, blauer Himmel und freie Sicht auf den Stüdlgrat und die dunklen Felsen der Südwand. Oben auf dem Gipfel auf fast 3.800 Meter liegt schon Schnee. Zeit umzukehren.

Hohe Tauern_016_CMS.jpg Nationalpark Hohe Tauern Clothilde Wurzer © Nationalpark Hohe Tauern Clothilde Wurzer
Die Felsenkapelle: sakraler Ort der Wallfahrt und der Einkehr am Weg ins Innergschlöß.

Beim Bergabfahren ist Gefühl gefragt. Zu hart gebremst und schon rutscht das Rollstuhl-Gespann auf dem feuchten, steinigen Weg. Als Schneeregen und Graupelschauer einsetzen, sitzen wir bereits in der warmen Gaststube im Lucknerhaus. Gerade rechtzeitig, denn der Schweinsbraten ist fertig.

Von Simon erfahre ich: Das Ködnitztal ist erst der Anfang mehrerer Rollstuhl-Routen im Nationalpark. Oberhalb von Kals ist ein barrierefreier Themenweg geplant. Und quasi als Gustostückerl der Weg hinein ins wildromantische Innergschlöß, zum schönsten Talschluss der Ostalpen.

Hochalpine Superstars

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1 Der Bartgeier ist der Herrscher des Osttiroler Luftraums. © Nationalpark Hohe Tauern_Martin Lugger

2 Der Steinbock ist das imposanteste Tier der Hohen Tauern. © Alexander Müller

3 Die Gämsen sind die Kletterkünstler der Alpen. © Nationalpark Hohe Tauern_Rieder

Ausgangspunkt ist das Matreier Tauernhaus. Von hier führt ein schmaler asphaltierter Weg ins Gschlöß. Vorbei an wilden Wassern und Sturzbächen. Ungefähr 1,5 Stunden dauert die Wanderung. Der alte Pfad der Schmuggler und Säumer, die hier einst Lasten Salz nach Italien schleppten und mit edlen Stoffen heimkehrten. Gefahren lauerten überall: Überfälle, Steinschlag und todbringende Lawinen schürten das Verlangen nach spirituellem Beistand, dazu kam noch ein unerklär­liches nächtliches Leuchten auf den Almen.

Der Anlässe genug für die Errichtung einer Gebetsstätte, der Felsenkapelle. Damals gegen den Willen der katholischen Kirche. Bis heute ist die Felsenkapelle ein sakraler Ort der Wallfahrt und Einkehr. Die Aura im engen Tal rund um die Kapelle gefällt offenbar auch den Bartgeiern. Ranger berichten von einem neuen Brutplatz ganz in der Nähe.

In einer Steilwand in der Nähe der Felsenkapelle haben wir einen neuen Brutplatz der Bartgeier entdeckt.

Simon Zeiner, Nationalpark-Ranger

Der fahrbare Weg endet im idyllischen Almhüttendorf. Kitschig wie aus einer Heimat-Filmkulisse: Klobige Steinmauern bilden das Erdgeschoß der Hütten, Obergeschoß und Dach sind aus massiven Holzbalken.
Ein glorioser Platz vor den gleißend-weißen Schneefeldern der Venedigergruppe. Für die Gschlösser das schönste Fleckerl Erde.

Hürde für Rollstuhlfahrer auf Reisen ist immer auch die Frage: Wo wohnen, wo komme ich zurecht? Zu meiner Überraschung – eigentlich untypisch fürs ländliche Österreich – gibt es rund um den Nationalpark
Hohe Tauern eine ganze Reihe barrierefreier Unterkünfte, etwa den Hotel-Gasthof Hinteregger in Matrei. Detaillierte Informationen dazu beim Tourismusverband Osttirol

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Innergschlöß mit Almdorf und Großvenediger, der schönste Talschluss der Ostalpen.

© Nationalpark Hohe Tauern_EmanuelEgger

Die Top-Adresse für Menschen mit und ohne Behinderung ist das Gradonna, ein 4-Sterne-S-Mountain-Resort. In dem wuchtig-visionären Hotelkomplex aus Holz und Glas gibt es auch spezielle Zimmer für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Riesige Panorama-Fenster eröffnen eine spektakuläre Aussicht auf das Bergdorf Kals und die umliegenden Tauern-Gipfel. Spektakulär auch die abendlichen Gourmet-Menüs und Schmankerl-Buffets am Morgen.

Und weil die knackige Wadl-Massage für müde Wanderer im hauseigenen Spa für mich als Rollifahrer so gar nicht relevant ist, gönne ich mir nach all den Hochgefühlen ein wenig Tiefenentspannung: eine ölig-exotische ­hawaiianische Lomi-Nui-Massage. So liebe ich das Leben, vermisse nichts.

Hohe Tauern_015_CMS.jpg Soll und Haben GmbH © Soll und Haben GmbH
Zimmer mit Aussicht im Gradonna, dem 4-Sterne-S-Mountain-Resort oberhalb von Kals.

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