Man_Smith_2_CMS.jpg RWS
© RWS
© RWS
Dezember 2015

Zeit ist Geld

Roger Smith baut Uhren – nur wenige und ganz langsam. Michael Stirner hat ihn in seinem Atelier auf der Isle of Man besucht.

Zu Ehren unseres Kollegen Michael Stirner (1951–2023) und im Gedenken an ihn veröffentlichen wir eine seiner schönsten Geschichten aus dem Jahr 2015 hier noch einmal.

Werbung
Datenschutz Zur Anzeige von Werbung benötigen wir Ihre Zustimmung.

Die Isle of Man – wenn überhaupt, kennt man sie wegen der traditionellen Motorradrennen oder als Steuerparadies. Dass hier, auf dem überschaubaren Eiland zwischen England und Irland, aber Uhrmachergeschichte geschrieben wurde, wissen sogar viele seiner 70.000 Bewohner nicht.

"In der Schule war ich ein fauler Kerl", gesteht Roger Smith, blickt verschmitzt durch seine randlose Brille über den weiten Horizont und wirft Mac, seinem quirligen Fox-Terrier, ein ausgebleichtes Holz zu, das er vom Kiesstrand aufgeklaubt hat. "Zum Glück hat mein Vater im letzten Moment die Reißleine gezogen und mich in die Uhrmacherschule geschickt. Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre."

Man_Daniels-Smith_1_CMS.jpg RWS 1
Man_Daniels_Uhr_1_CMS.jpg RWS 2
Man_Daniels-Smith_2_CMS.jpg RWS 3

1 Roger Smith (rechts) und sein Mentor, Förderer und Lehrer George Daniels. © RWS

2 Alles an dieser Uhr entstand in den Händen von George Daniels. Nur das Uhrglas ist zugekauft. © RWS

3 Smith (links) und Daniels (rechts) bei einem ihren ungezählten Spaziergänge auf der Isle of Man. © RWS

Die Welt der Winzigkeit

Roger Smith wurde 1970 in Manchester geboren. Wenn man ihn aber heute bei seinen ausgedehnten Spaziergängen entlang der Nordwest-Küste der Isle of Man sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass er ein echtes Großstadt-Kind war. "Ich hab mich sicher sehr verändert. Mit der Uhrmacherei wurde ich ein neuer Mensch. Schon wenige Monate nach dem Schulwechsel gehörte ich damals zu den Besten meiner Klasse und was ich da tat, machte mir ungeheuer Spaß."

Diese Freude an der Welt der Winzigkeit bekam ein paar Jahre später noch eine Art Turboschub: "Dr. George Daniels, Englands berühmtester Uhrmacher des 20. Jahrhunderts, hielt einen Vortrag vor den Abschlussklassen. Meine Kollegen und ich hatten zwar schon viel über diesen Mann gehört, der für seine Leistungen nicht nur wiederholt von Königin Elisabeth geehrt, sondern auch mit einem Doktortitel ausgezeichnet worden war, aber jetzt lernten wir ihn persönlich kennen. Er sprach leise und langsam, aber seine Augen strahlten und wir hingen gierig an seinen Lippen. Noch Stunden später war ich wie in Trance."

Die Faszination hielt an. Roger kaufte sich umgehend die von Daniels verfasste Uhrmacher-Bibel "Watchmaking" und fing an, seine erste eigene Uhr zu bauen. "Jeden Tag verbrachte ich Stunden über Stunden in meinem Zimmer, das zur Werkstatt geworden war. Und langsam nahm die Uhr Gestalt an."

Erfolg im zweiten Anlauf

Etwa ein Jahr später war das Erstlingswerk vollendet und Roger Smith wollte es Dr. Daniels zur kritischen Prüfung vorlegen. "Ich packte die Uhr gut ein und machte mich auf den Weg." George Daniels residierte damals bereits auf der Isle of Man, wohin er sich nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen zurückgezogen hatte. Dort baute er pro Jahr etwa eine Taschenuhr, für die Sammler förmlich Schlange standen. Der Erlös blieb auf der Insel weitgehend ungeschmälert und so konnte sich der Meister auch einen alten, edlen Bentley und manche andere Annehmlichkeit leisten.

Die Prüfung fiel nicht ganz erwartungsgemäß aus. "Gut, weitermachen, war ungefähr das Urteil", erinnert sich Roger Smith und schwört, dass er dadurch sogar noch mehr motiviert wurde. "Es war keine niederschmetternde Kritik, sondern ein konstruktives Zerpflücken meiner Arbeit mit ungezählten wertvollen Ratschlägen." Rund fünf Jahre später stand der junge Engländer, der neben seinem Job in der Niederlassung einer Schweizer Marke einen zweiten Anlauf genommen hatte, wieder auf der Schwelle des Herrenhauses auf der Insel. Diesmal war Daniels mit der technisch aufwändigen und minuziös gefertigten Uhr zufrieden – und zwar sehr. Smith: "Er bot mir an, mit ihm gemeinsam an einer kleinen Serie von Uhren zu arbeiten, die alle seine neueste Erfindung enthalten sollten, die so genannte Co-Axial-Hemmung."

Man_Smith_1_CMS.jpg RWS
© RWS

Das Geheimnis der Hemmung

George Daniels hatte es immer schon gestört, dass bei mechanischen Armband- und Taschenuhren seit Jahrhunderten aus seiner Sicht keine essenzielle Verbesserung in puncto Reibungsminimierung und damit Ganggenauigkeit gelungen war. Er hatte die althergebrachte Ankerhemmung – eine Sperrklinke, die bei jeder Schwingung der Unruh die Spannung der Aufzugsfeder immer nur ein winziges Stück freigibt – als das Hauptproblem geortet. Die Lösung, in vielen Monaten erarbeitet und nach langwierigen Versuchen in die Tat umgesetzt, ist eben diese Co-Axial-Hemmung, die zwar enorme Präzision bei der Herstellung und Justierung erfordert, aber nahezu verschleißfrei und in allen Lagen unübertroffen gleichmäßig arbeitet. So perfekt übrigens, dass sich Omega die Nutzungsrechte inzwischen für die Top-Modelle seiner Armbanduhren sicherte.

"Natürlich nahm ich dieses Angebot an", erzählt Roger Smith, "und aus der Zusammenarbeit entwickelte sich eine enge Freundschaft. Auch nachdem ich in der Nähe mein eigenes Atelier gegründet und begonnen hatte, eigene Uhren zu entwerfen und bis zum kleinsten Rädchen und Schräubchen selbst zu bauen, war ich glücklich über jeden Rat und jede Hilfe, die ich von George bis zu seinem Tod vor knapp zwei Jahren erhalten konnte." Dankbar denkt er heute an gut zwanzig gemeinsame Jahre zurück.

Man_Smith_Uhr_1_CMS.jpg RWS © RWS
Der Name des Meisters, der Herkunftsort und feinste Arabesken schmücken die Rückseite der Uhr.
Man_Smith_Uhr_3_CMS.jpg RWS © RWS
Auf Daniels' Spuren: Roger Smith verwendet die von seinem Lehrmeister erfundene Co-Axial-Hemmung.
Man_Smith_Uhr_5_CMS.jpg RWS © RWS
Wunderding in Weißgold – diese Handvoll Handarbeit kostet mehr als eine Handvoll Tausender.

Was für eine Insel!

Roger Smith ist George Daniels auch dankbar für den Ortswechsel. "Ich fühle mich hier, auf der Isle of Man, wirklich zuhause. Hier sind die Leute ruhiger, ausgeglichener, gelassener als drüben in England. Und hier hat die Uhrmacherei auch lange Tradition. Kaum jemand weiß, dass John Harwood auf dieser Insel die erste Armbanduhr mit automatischem Aufzug konstruiert hat. Das war 1926 und viele dieser Uhren funktionieren noch heute. Ich gehöre jedenfalls hierher, hier tickt man richtig."

Inzwischen ist die Hunde-Runde zu Ende und Rogers Frau Caroline hat Tee und Scones bereit gestellt. Anschließend schlüpft Roger wieder in seinen weißen Mantel und verschwindet im Atelier. Ihm ist da etwas eingefallen, das muss er gleich ausprobieren, denn Zeit ist Geld.

Die Isle of Man

Die Isle of Man ist ein äußerst geschichtsträchtiger Boden mit Jahrtausende alten Besiedlungsspuren, mystischen Steinkreisen, geheimnisvollen Keltengräbern und dem wohl ältesten Parlament der Welt, das seit dem Jahr 979 unverändert die Geschicke der 70.000 Einwohner lenkt. Die Eigenständigkeit bringt aber noch etwas mit sich: für Wohlhabende und Großverdiener äußerst verlockende Steuergesetze. Und die sind zweifellos auch für Roger Smith kein Nachteil, beginnt doch der Preisrahmen für seine tickenden Kunstwerke von der Isle of Man bei rund 80.000 Euro. Für Spezialanfertigungen muss man auch das Fünffache oder mehr einkalkulieren – sowie drei bis fünf Jahre Wartezeit.

Diese Eigenständigkeit und die weitgehende Unabhängigkeit von Großbritannien erlaubt es bis heute, dass – im Gegensatz zum Königreich nebenan – öffentliche Straßen für Rennveranstaltungen einfach gesperrt werden. Und nur dadurch können die Insulaner seit 1907 Jahr für Jahr "ihre" Tourist Trophy veranstalten, die spektakulärsten und gefährlichsten Motorrad-Straßenrennen der Welt.

Man_Motorrad_2_CMS.jpg Michael Stirner 1
Man_Motorrad_1_CMS.jpg Michael Stirner 2
Man_Motorrad_3_CMS.jpg Michael Stirner 3

1 Die Tourist Trophy: Nirgendwo anders lassen sich Motorradrennen so hautnah verfolgen. © Michael Stirner

2 In Reih und Glied. Die Park-Disziplin der Fans ist vorbildlich. © Michael Stirner

3 Bikes, so weit das Auge reicht. Aber viele kommen auch mit dem Wohnmobil und müssen ganz hinten parken. © Michael Stirner

Abseits der Motorradrennen, die hier seit Generationen im Frühsommer (bei der Tourist Trophy) und Anfang Herbst (zur Classic TT) jeweils zwei Wochen lang Tempo, Trubel und abertausende Besucher auf die Insel bringen, herrscht auf Man sonst allerorten Ruhe und Besonnenheit. Ein Ort der Stille, Muße und Entspannung, nur zweieinhalb Fährstunden etwa von Liverpool an der englischen Westküste entfernt.

Nachbemerkung der Redaktion: Autor Michael Stirner ist quasi ein Isle-of-Man-Held. Nachdem er 15 Mal das härteste (und wohl auch gefährlichste) Motorrad-Straßenrennen der Welt als Zuschauer verfolgt hatte, entschloss er sich, sich selbst in den Sattel zu schwingen. Sechs Mal ging er als Amateur bei der Tourist Trophy an den Start und kam fünf Mal ins Ziel. Heute besucht er die Insel nur noch als Urlauber. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben war Stirner über drei Jahrzehnte lang beim auto touring tätig, zuletzt viele Jahre als stellvertretender Chefredakteur.

Kommentare (nur für registrierte Leser)