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Hier war einst die Welt zu Ende: Cabo da Roca markiert in Portugal den westlichsten Punkt des europäischen Festlandes.

© Roland Fibich/auto touring

Hier war einst die Welt zu Ende: Cabo da Roca markiert in Portugal den westlichsten Punkt des europäischen Festlandes.

© Roland Fibich/auto touring
Dezember 2017

Das Land vor dem Horizont

Wer nach Portugal reist, kann die halbe Welt mit den Augen des Entdeckers erkunden. Und kehrt am Ende doch wieder in den Schoß Europas zurück.  

Fast ohne Vorwarnung ist die Erde unter mir zu Ende, bricht ab, verschwindet in der Tiefe, bildet einen schaurigen Abgrund. Ein Rauschen und Grollen dringt durch grauen Nebel, der sich für nur wenige Augenblicke zögernd lichtet. Dann erblicken die Augen, die nach Punkten suchen, an denen sie sich festhalten können, ganz weit unten den Ozean, der mit riesigen Brechern ­wütend auf das Land einschlägt.

Später, nach einigen Minuten, erringt die Sonne einen Etappensieg gegen den Dunst. Und es eröffnet sich eine unglaubliche, glitzernde und gleißende Weite, die niemals zu Ende zu gehen scheint. Dort draußen muss das sagenhafte Atlantis liegen! Oder es wartet ein neuer, noch grausamerer Abgrund, an dem der Ozean in die Tiefe stürzt und alles, was sich auf ihn hinaus gewagt hat, mit sich reißt! Oder es lauern vielleicht ungeheure Geheimnisse, fremde Welten und unglaubliche Schätze, wer weiß das schon? 

Für alle, die gerne und viel reisen, ist Cabo da Roca in Portugal, der westlichste Punkt des europäischen Festlandes, ein Ort, an dem man einfach einmal gewesen sein muss. Viele Jahrhunderte lang war hier und an den anderen Küsten des Landes die Welt zu Ende. Bis Portugiesen und Spanier, deren Handelsrouten durchs Mittelmeer von den Arabern blockiert waren, sich hinaus in diese scheinbar endlose Wasserwüste wagten – um nach Indien oder noch weiter zu gelangen.  

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Auf den Spuren der Tempelritter

Heinrich der Seefahrer war gar kein Seefahrer. Aber er war Großmeister des Christusritterordens, in dem die Tempelritter nach Verbot und Auflösung 1314 aufgegangen ­waren. Ich reise durch Portugal, um die Aus­löser der portugiesischen Weltexpansion zu begreifen und zu verstehen, warum Bauten, Denkmäler und Mentalität Portugals im 21. Jahrhundert noch immer davon geprägt sind.

Dafür beginne ich aber nicht mit Heinrichs berühmtem Denkmal der Entdeckungen ("Padrão dos Descobrimentos") in Belém vor den Toren Lissabons. Ich reise vielmehr ins fruchtbare mittelportugiesische Ribatejo, wo das aufgeräumte Städtchen Tomar am Fluss Nabao liegt. Auf einem Hügel über der Stadt thront die sogenannte Christusritterburg – in der Glanzzeit des Ordens der Christusritter war Heinrich dessen Großmeister. Durch verwinkelte Gänge erreiche ich das Zentrum der alten Templerkirche, einen sechzehneckigen Zentralbau mit achteckigem Mittelraum, der das "Neue Jerusalem" nach Vorbild der Grabeskirche repräsentieren sollte: Pracht und Reichtum dieses Raumes konkurrieren mit seiner faszinierenden Spiritualität.

Von Anfang an waren die von Heinrich und seinem Orden finanzierten und organisierten Expeditionen eine Kombination aus missionarischer und imperialistischer Unternehmung: der Start von Europas Ausdehnung in die Welt, die jetzt – ein halbes Jahrtausend später – in die Ausdehnung der Welt zurück nach Europa mündet.

Auch wenn der wirtschaftliche Gesamtnutzen der kolonialen Expansion heute umstritten ist: In Portugal haben Geld- und Kulturtransfer Reichtümer hinterlassen, die genug Sehenswertes für mehrere Monate Rundreise bieten würden. Ich muss mich leider dieses Mal mit einer schmalen Woche begnügen. Dabei reicht alleine für die Christusritterburg von Tomar ein halber Tag nicht annähernd aus.

Gleiches gilt für das Kloster der Hieronymiten in Belém. Dieses Symbol für Portugals Macht und Reichtum zur Zeit der kolonialen Eroberungen wird heute täglich von Zehntausenden Kreuzfahrt-Passagieren auf Lissabon-Landausflug be- und heimgesucht. Ich komme an einem Wochentag Ende September: Leider ist es nahezu unmöglich, sich zum Grab Vasco da Gamas, des neben Kolumbus wohl berühmtesten Entdeckers, durchzukämpfen: Zu viele andere Menschen haben den gleichen Plan. Ich begnüge mich daher mit dem Bestaunen des Westportals im manuelinischen Stil: die in Stein gemeißelten exotischen und ozeanischen Motive, all das Seegetier, die nautischen Instrumente, die tropischen Blüten und Pflanzen. Und das Christusritterkreuz, das Zeichen der portugiesischen Entdecker. Diese neue Welt hat überall in Portugal ihre Spuren hinterlassen: nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Literatur, in den Restaurants sowie in Lebensstil und Mentalität der Menschen.   

Die Kreuzfahrt-Kolosse ankern unten vor Lissabons Alfama. Vom Aussichtspunkt bei der Kirche Santa Luzia wirken sie wie bedrohliche Gebirge aus Metall und Glas, die der Tejo irrtümlich angeschwemmt hat.

Doch es gibt sie auch hier noch, die stimmungsvollen Plätze, die eigentlich ein Geheimnis bleiben sollten, aber hier von mir doch ausnahmsweise verraten werden. Astrid Röttgen, Reiseleiterin und kundige Begleiterin in dieser Stadt, entführt mich von all den Kulturschätzen müden Krieger in das Pateo 13. Hier werden herrliche gegrillte Sardinen samt einem leichten, spritzigen Vinho Verde zu einem erstaunlich niedrigen Preis serviert. Wir sitzen auf wackeligen Sesseln unter Schatten spendenden Platanen und sprechen über alte Zeiten. Astrid etwa kam in den 1980ern mit dem Zug in diese Stadt des Lichts und wusste sofort: Hier, in Lissabon, will ich leben. 

Ich aber bin eher ein Zugvogel. Und bleibe Portugal als modernem Zerrspiegel des Zeitalters der Entdeckungen auf der Spur. Nirgendwo anders hier sind Land und Meer wahrscheinlich mehr verbunden als auf der "Brücke des 25. April" und der "Vasco-da-Gama-Brücke" östlich von Lissabon. Alleine die Fahrt über diese gigantischen Bauwerke auf dem Weg nach Süden in die Stadt Evora im Alentejo (portugiesisch, „jenseits des Tejo“) ist ein Erlebnis. Die Stadt Evora selbst ist eine Art freundliches, lebendiges Freilicht-Museum der portugiesischen Geschichte von der ­Römerzeit bis zu den Entdeckungen.

Nach Norden, nach Porto

2017-09_Portugal_FIB_CMS_04.jpg Roland Fibich/auto touring © Roland Fibich/auto touring
Portos monumentale Ponte de Dom Luis I. über den Rio Douro spielt ihre phantastische Pracht erst vollständig aus, wenn die Sonne untergegangen ist. 
2017-09_Portugal_FIB_CMS_05.jpg Roland Fibich/auto touring © Roland Fibich/auto touring
Von der Vila Nova de Gaia auf der Südseite des Flusses genießt man eine herrliche Aussicht auf Portos Altstadt und das Ausgehviertel Ribeira unten am Flussufer.

Mein nächstes Ziel, wieder nördlich des Tejo, ist die Universitätsstadt Coimbra, die auch Verbindungen zu Österreich hat. Eher missmutige Zeitgenossen behaupten ja, in Portugal gebe es außerhalb von Lissabon und Porto nicht so viel Sehenswertes, aber jeder Tag mehr im Land überzeugt mich vom Gegenteil. An diesem sonnigen Samstag bin ich freilich nicht der einzige Besucher, der hoch über dem Fluss Mondego durch die Porta Férrea ("Eisernes Tor") in den großen Innenhof eilt, um die berühmte "Alte Bibliothek“ zu bestaunen. Die phantastisch-prachtvollen Räume wurden 1717 bis 1723 nach dem Vorbild der Wiener Hofbibliothek geschaffen. Anna Maria, die Gemahlin von König João V., war Österreicherin.

Die Verbindung von bedingungslosem Glauben mit unabhängiger Wissenschaft, die das Ensemble zusammen mit der angeschlossenen Universitätskirche vermittelt, mutet für Besucher unserer Epoche freilich etwas merkwürdig an. Und beim Anblick der zahllosen prachtvollen Bände mit mittlerweile meist nutzlosem Wissen dämmert die Erkenntnis, dass nicht die bloße Anzahl von Büchern die Menschheit voranbringt, sondern ob das, was in ihnen festgehalten ist, auch richtig und wahr ist. Unter der Bibliothek von Coimbra befand sich bis 1832 übrigens ein Gefängnis.

Porto ("der Hafen") ist – nicht nur im Fußball – der große Gegenspieler von Lissabon im Norden des Landes. Es ist schon dunkel, als ich durch schmale Gassen hinunter in die Ribeira, das Altstadtviertel direkt am Douro, spaziere. Wie ein schützendes Gespinst aus Stahl erstreckt sich die 68 Meter hohe Ponte de Dom Luis I. über die Restaurants und Bars am Flussufer. Auf der anderen Seite, in Vila Nova de Gaia, spiegeln sich die beleuchteten Werbetafeln der großen Portwein-Kellereien im Wasser. Dort muss ich einen steilen Aufstieg hinter mich bringen, zur Belohnung gibt es einen phantastischen Ausblick auf die nächtliche Stadt.

Ich will gerne länger in Porto bleiben, doch Guimarães ruft mich. Die "Wiege der Nation Portugal" ist eine freundliche Kleinstadt mit stimmungsvollen Plätzen, im Kastell wurde am 24. Juni 1111 Afonso Henrique, der erste König des Landes, geboren. In den zahlreichen Bars jedoch drehen sich die Gespräche vor allem um die bevorstehenden Wahlen. Die Wirtschaft des Landes hat sich nach der großen Schuldenkrise wieder erholt. Und die Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien jenseits des Horizonts sind schon lange nicht mehr so ein großes Thema.

So gesehen ist die koloniale Pracht, die Portugal an allen Ecken und Enden ausstrahlt, ein Relikt aus ferner Vergangenheit – ähnlich dem Glanz der k.u.k.-Monarchie in Österreich. Aus fernen Gefilden sind die Portugiesen nach Europa zurückgekehrt.

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