MERZARIO Arturo_Aufmacher CMS.jpg Erich Reismann
© Erich Reismann
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November 2022

Der Asphalt Cowboy

Italiens Rennsport-Ikone Arturo Merzario rettete 1976 Niki Lauda das Leben. Jetzt wurde er in Wien mit dem Béla-Barényi-Preis ausgezeichnet. auto touring traf den 79-Jährigen zum Talk.  

Was für ein Auftritt. Dunkelblauer Anzug, schwarze Stiefel. Weißes, wildes langes Haar. Das faltige Gesicht zeugt von einem bewegten Leben. Und noch immer flackert Leidenschaft in den blau-grünen Augen unter dem weißen Cowboy-Hut.

Arturo – oder auch Arturio, wie ihn enge Freunde nennen dürfen – Merzario war einer der schnellsten Rennfahrer seiner Zeit. Damals in den wilden 1970er-Jahren. Er gewann zweimal die berüchtigte Targa Florio, war Berg-Europameister und Sportwagen-Weltmeister.

Nur Grand-Prix-Siege blieben dem kleinen Italiener verwehrt. Und dennoch zählt er heute zu den lebenden Legenden der Formel 1. Durch Bilder, die unvergessen bleiben: Arturo als Held vom Nürburgring, der am 1. August 1976 Niki Lauda aus dem Flammen-Inferno seines verunglückten Ferrari rettet.

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Arturo Merzario erhält Béla-Barényi-Preis

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— Vor 46 Jahren haben Sie Niki Lauda am Nürburgring aus seinem brennenden Ferrari gerettet. Welche Erinnerungen und Emotionen spüren sie, wenn Sie heute an diesen Unfall denken?

Arturo Merzario:Viele, sehr viele. Wo soll ich beginnen? Eigentlich muss ich schon mit dem Samstag, dem Tag der Qualifikation, beginnen. Es stimmt nämlich nicht, was damals in den Gazetten geschrieben wurde. Niki Lauda hat nie gesagt: Wir fahren nicht, wenn es regnet.

Aber lassen Sie mich erklären: Es war damals unter uns Fahrern üblich, nach jedem Training ein Briefing abzuhalten. Weil der Nürburgring so eine gefährliche und mit 22 Kilometern extrem lange Strecke ist, haben wir uns alle darauf geeinigt, dass wir bei Regen alle auf Regenreifen starten werden. Heute ist das anders, da entscheidet die Rennleitung darüber. Dazu muss man wissen, dass der Wechsel der Reifen damals noch einige Minuten gedauert hat. Es wurde noch mit klassischen Wagenhebern gearbeitet.

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— Und hat es dann geregnet?

Arturo Merzario:Ja. Tatsächlich hat es dann am Sonntag vor dem Start zu regnen begonnen. Nach drei Runden hat der Regen aufgehört und die ersten Autos kamen an die Box, um von Regenreifen auf Slicks zu wechseln. Der erste, der reinkam, war Jochen Mass.

— Wie kam es zum Unfall?

Arturo Merzario:Die Strecke war eigentlich schon trocken. Was ich heute sagen kann: Es ist kein Fahrfehler von Niki gewesen. Auch kein technisches Gebrechen. Aber in dem Bereich von Adenau hat die Strecke ein leichtes Gefälle, da ist auf der linken Seite noch Wasser gestanden.

Niki Lauda fuhr da durch und hatte Aquaplaning. Er krachte in die Leitschienen, das Auto fing sofort Flammen. Damals waren nach Reglement die Tanks der Autos links und rechts der Fahrer angebracht. Wir sind faktisch mitten im Benzin gesessen. Formel-1-Autos haben daher bei Unfällen fast immer zu brennen begonnen.

Nach Nikis Unfall wurde das Reglement von der FIA geändert. Die Tanks mussten von nun an hinter den Fahrern angebracht sein.

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— Das Auto hat gebrannt. Warum konnte sich Niki Lauda nicht selbst befreien?

Arturo Merzario:Einige Piloten sind – für mich unverständlich – an der Unfallstelle vorbeigefahren. Daher bin ich absichtlich so stehen geblieben, dass niemand mehr vorbei konnte. Warum Brett Lunger und Harald Ertl, die hinter mir kamen, in das brennende Auto hineingefahren sind, kann ich mir bis heute nicht erklären. Der Feuerball war weithin sichtbar und ich konnte ja auch problemlos stehen bleiben.

Ich wusste gar nicht, welches Auto, welcher Fahrer da verunglückt ist. Erst als ich das erste Mal ins Feuer stieg, erkannte ich, dass es Niki war. Niki war noch im Auto, er hat geschrien, wollte raus. Sein Körper hat sich aufgebäumt und dadurch waren die Gurten so gespannt, dass ich den Verschluss nicht öffnen konnte. Ich musste schnell raus, konnte nicht länger im Feuer bleiben. Ein Streckenposten kam mit einem kleinen Feuerlöscher angelaufen. Brett Lunger nahm den Feuerlöscher sprühte den Weg zum Cockpit frei, sodass ich nochmals ins Feuer hinein konnte.

— Woher schöpften Sie diese Kraft und den Mut?

Arturo Merzario:Bis heute kann ich mir nicht erklären, wie ich – ein Leichtgewicht – allein den Körper von Niki aus dem Auto ziehen konnte. Niki war in sich zusammengesackt und ich konnte diesmal den Gurt öffnen. Glück für Niki.

Ich habe meinen Militärdienst bei den Sanitätern abgeleistet und wusste, wie Erste Hilfe zu leisten war. Niki war eigentlich schon tot. Meine Herzmassage und die Mund-zu-Mund-Beatmung bis zum Eintreffen der Rettung war sicher lebensrettend. Mir war bewusst, dass das Problem die Gase sein würden, die Niki eingeatmet hat: Plastik, Magnesium, Titanium… Erst als Ronnie Peterson 1978 nach Fahrzeugbrand in Monza verstorben ist, wurden alle diese Materialien verboten.

— Was haben Sie damals empfunden?

Arturo Merzario:Nichts, absolut nichts. Mein einziger Fokus war: Da ist ein Kollege und den will ich herausholen.

— Hatte Ihr Eingreifen in dieser Situation psychische Folgen für Sie? Hatten Sie danach Alpträume?

Arturo Merzario:Nein. Eine halbe Stunde später bin ich wieder in meinem Rennwagen gesessen und das Rennen weitergefahren. Wir Rennfahrer glauben immer: Mir kann nichts passieren! Vielleicht dem Teamkollegen, aber nicht mir. Anders könnten wir diesen Sport gar nicht ausüben.

Oft wurde ich gefragt, ob ich Angst hätte. Die Wahrheit ist: Wir alle haben Angst. Nicht vor dem Tod. Sondern viel mehr vor Beeinträchtigungen, sprich den körperlichen Folgen eines Unfalls.

Niki Lauda ist in Monza wortlos an mir vorüber gegangen. Er hat mich nicht gegrüßt, nicht einmal angeschaut. Das hat mich tief getroffen.

Arturo Merzario, 1976 Laudas Lebensretter

— Es ist bekannt, dass sich Niki Lauda erst gar nicht und dann erst viel später bedankt hat. Wie war Ihr persönliches Verhältnis, auch in den Jahren nach euren Rennsport-Karrieren?

Arturo Merzario:Niki Lauda war, Verzeihung, ein selbstgefälliger Egoist. Schon 40 Tage nach dem Unfall war er zum Rennen in Monza wieder zurück. Ich bin damals für Walter Wolf gefahren. Das Fahrerlager bestand aus vielen offenen Zelten. Niki Lauda ist wortlos an mir vorüber gegangen. Er hat mich nicht gegrüßt, nicht einmal angeschaut. Das hat mich tief getroffen.

Es hat dreißig Jahre gedauert. Da hat Niki in einem Interview erklärt, wie leid ihm sein Verhalten von damals tut. Bernie Ecclestone hat dann ein Treffen zwischen uns beiden organisiert. Seit damals waren wir so etwas wie Freunde. Alle zwei Wochen haben wir telefoniert, aber nie auch nur ein einziges Wort über den Unfall gesprochen.

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1 Arturio Merzario erinnert sich… © Erich Reismann

2 … beim Interview im ÖAMTC-Mobilitätszentrum… © Erich Reismann

3 … an die prägenden Momente in seinem Leben. © Erich Reismann

— Wenn Sie heute jung wären: Wäre die Formel 1 da ein Ziel für Sie? Oder würden Sie ganz etwas anderes anstreben?

Arturo Merzario:Die heutige Formel 1 gefällt mir gar nicht. Alle Nachwuchsformeln sind schon wie die Formel 1 aufgebaut. Zu meiner Zeit haben junge Sportler den Wettbewerb gesucht. Jeder wollte der Bessere sein. Heute gibt es schon früh in der Karriere strategische Überlegungen. Und Geld spielt eine viel zu große Rolle.

— Wo wären Sie dann heute?

Arturo Merzario:Ich wäre wahrscheinlich irgendwo ein ganz normaler Angestellter, aber ganz sicher kein Rennfahrer.

— Wie denken sie über die heutige Formel 1, über die Autos und die Fahrer? Gibt es einen Piloten, der Ihnen besonders gefällt?

Arturo Merzario:Gilles Villeneuve war talentiert, aber er ist gestorben. Alain Prost war weniger talentiert, aber hoch intelligent.

Lewis Hamilton wäre nie so weit gekommen, wenn er nicht unter die Fittiche von Niki Lauda gekommen wäre. Niki hat ihm vermittelt, dass es nicht immer notwendig ist zu gewinnen. Manchmal ergeben ein zweiter oder dritter Platz auch wichtige Punkte für die Weltmeisterschaft.

Max Verstappen hätte auch so einen Coach wie Niki Lauda gebraucht, dann wäre er noch früher Weltmeister geworden.

Bildschirmfoto1_CMS.jpg Archiv Steinbacher © Archiv Steinbacher
Merzario 1971 in einem Abarth 2000.
Bildschirmfoto3_CMS.jpg Archiv Steinbacher © Archiv Steinbacher
Arturio oder Arturo? Arturio ist sein Kosename, übersetzt etwa "Arthurchen".
Bildschirmfoto2_CMS.jpg Archiv Steinbacher © Archiv Steinbacher
Merzario 1965 im Abarth 1000 SP.

— Sie sind für legendäre Chefs wie Enzo Ferrari und Carlo Abarth gefahren. Was waren diese Männer für für Charaktere, wie war die Arbeit mit ihnen?

Arturo Merzario:Enzo Ferrari war ein Diktator, ein Despot. Sein Credo war: Rennfahrer kommen, Rennfahrer gehen. Nur die Fabrik bleibt für immer bestehen – basta!

Ferrari als Rennteam sieht sich auch heute noch als etwas Besonderes. Das ist geblieben von der Geisteshaltung des Commendatore. Und bis heute ist es auch noch so, dass alle gegen Ferrari fahren. Ferrari ist der ultimative Gegner, den es zu schlagen gilt. Obwohl sich Enzo Ferrari fast nie aus Maranello wegbewegt hat, wurden von der FIA in Paris die Regularien immer so ausgelegt, dass sie zu Gunsten von Ferrari waren.

Was Carlo Abarth (Anm.: im Bild unten mit Merzario) betrifft: Auch wenn viele etwas anderes sagen, Carlo war genau das Gegenteil. Wenn nur die geringste Gefahr bestanden hätte, dass ein Rennfahrer wegen technischer Probleme verunfallen und sich verletzen konnte, dann hat er das Auto zurückgezogen und ist nicht gestartet.

5-mit CA aeroporto_0002.jpg Archiv Steinbacher © Archiv Steinbacher

— … und wie kam es zu ihrem heutigen Trademark, dem Cowboy-Hut?

Arturo Merzario:Die Idee des weißen Cowboy-Huts kam von mir – also ursprünglich gar nicht von Marlboro. Vor Ende 1972 war ja die deutsche Zigarettenmarke Astor mein Sponsor. Erst später unterschrieb ich bei Philip Morris, also Marlboro. Heute trage ich nur ein neutrales, weißes Exemplar.

— Rauchen Sie eigentlich?

Arturo Merzario:Früher wie ein Schlot. Bereits in der Volksschule hab ich damit begonnen, dann steigerte ich mich auf drei bis vier Schachteln pro Tag. Heute rauche ich nicht mehr. Vor 14 Jahren hab ich damit aufgehört.

Vielen Dank!

auto touring-Motorsport-Insider August Kargl (im Bild rechts) und Kurt Zeillinger (links) erlebten als Schüler vor dem Fernsehgerät, wie Arturo Merzario 1976 Niki Lauda das Leben rettete. Deshalb war es ihnen ein Bedürfnis, den Helden ihrer Jugend zu interviewen.

MERZARIO Arturo_er313_CMS.jpg Erich Reismann © Erich Reismann

Sie bedanken sich bei Franz Steinbacher, der Merzarios Antworten simultan übersetzte. Steinbacher ist Sachverständiger für historische Kraftfahrzeuge und war von 1963 bis 1969 in der Rennabteilung von Abarth beschäftigt. Als Mechaniker betreute er unter anderem auch Arturo Merzario.

Der Béla-Barényi-Preis, mit dem heuer Arturo Merzario ausgezeichnet wurde, wird seit 2005 jährlich im Rahmen einer feierlichen Ehrung verliehen. Die Auszeichnung steht unter der Patronanz der Robert Bosch AG und des ÖAMTC und wird von der AMV (Arbeitsgemeinschaft für Motorveteranen) an Persönlichkeiten vergeben, die sich im Besonderen um die historische Kraftfahrt verdient gemacht haben.

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