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© Erich Reismann
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März 2024

"Hass macht blöd"

Die bekannte Psychoanalytikerin und Zeitzeugin Erika Padan Freeman praktiziert auch noch mit 96 und kennt trotz ihrer Erlebnisse als Jüdin im nationalsozialistischen Wien keinen Groll.

Mit nur 12 Jahren floh Erika Freeman vor dem Nationalsozialismus aus Wien in die USA, wo sie eine sehr erfolg­reiche und bekannte Psycho­analytikerin wurde. Heute ist sie wieder österreichische Staatsbürgerin und seit Februar 2024 auch Ehrenbürgerin Wiens. Doch obwohl sie am eigenen Leib erlebt hat, wie sehr Menschen hassen können, strahlt die Dame pure Lebens­freude aus.

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Superstars als Patienten

— Zuallererst: Gratulation zur Ehrenbürgerschaft!

Erika Freeman: Dankeschön. Man konnte mich nicht ermorden, also dekoriert man mich. (lacht)

— Ich habe gelesen, dass Sie eigentlich in den politischen Dienst wollten, sich dann aber für ein Psychologiestudium entschieden haben. Wie kam es dazu?

Erika Freeman: Ich habe damals zusehen dürfen, wie Israel entstanden ist. Dort habe ich die Botschafter und Poli­tiker beobachtet – die waren alle verrückt! Da kam mir der Gedanke, dass ich sie heilen muss. Wäre ich in die Politik gegangen, wären sie verrückt geblieben. Also habe ich mich entschlossen, ihnen zu helfen, damit sie die Welt nicht zerstören.

— Und wie sind Sie später von Politi­ker:in­nen zu Hollywood-Schauspieler:innen und anderen Superstars gekommen?

Erika Freeman:Das ist einfach passiert. Mir wurde gesagt, ich würde genau verstehen, was sie meinen, im Gegensatz zu manchen Kollegen. Hat man großes Talent, ist man immer ein bisschen meschugge. Damit meine ich nicht verrückt – die Menschen, die ein bisschen meschugge sind, machen ein Morgen möglich. Doch wenn du das nicht verstehst, hältst du die Person vermutlich für verrückt, obwohl sie es nicht ist. Ich habe sie jedenfalls einfach verstanden.

— Sie haben in Dirk Stermanns Buch gesagt, dass Schauspieler:innen unsichere Menschen sind. Wieso glauben Sie das?

Erika Freeman: Ich weiß das. Man weiß nicht, wer man ist. Und je mehr Talent du hast, desto weniger weißt du es. Denn die ganze Welt ist anders als du und das lässt dich glauben, dass du selbst blöd bist. Dabei hast du etwas Besonderes, dass dich ein neues Morgen erschaffen lässt.

— Was, wenn Freunde zu Patienten wurden?

Erika Freeman: Das ist ein Problem. Wenn Freunde zu Patienten werden und du weißt, dass du helfen kannst, willst du nicht ablehnen. Aber im Allgemeinen schicke ich sie zu jemand anderem – nur hat nicht jeder Therapeut dieses "je ne sais quoi", das die Patienten brauchen.

— Erwischen Sie sich manchmal dabei, wenn Sie neue Leute kennenlernen, dass Sie anfangen, sie zu analysieren?

Erika Freeman: Never. Warum soll ich arbeiten? Umsonst noch dazu? (lacht) Außerdem habe ich kein Recht, alles zu wissen, was ich wissen könnte, sobald jemand bei mir auf der Couch liegt. Das geht mich nichts an.

— Aber Sie praktizieren noch?

Erika Freeman: Natürlich. Ich habe Masel, ich muss nicht aufhören. In meinem Alter sagen die Leute eigentlich, dass man schlafen gehen soll. Aber ich darf noch arbeiten und man hört mir zu. Und heute weiß ich mehr, als ich vor zehn Jahren wusste.

— Haben Sie das Gefühl, dass sich die mentale Gesundheit verändert hat, seit Sie Ihre Karriere begonnen haben?

Erika Freeman: Es wird immer besser. Langsam, sehr langsam wird man gescheiter. Nur der Hass verschwindet nicht schnell genug. Hass macht blöd und krank.

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Zeitzeugin des Nationalsozialismus

— Haben Sie bei Ihrer Rückkehr nach Österreich Groll empfunden?

Erika Freeman: Ich habe niemals Groll empfunden. Schlechte Gedanken machen nur krank. Ich bin an den Judenhass gewöhnt, die ganze Welt hasst Juden. Aber als ich zurückgekommen bin, war Wien nicht mehr die selbe Stadt. Die Häuser waren gleich, aber die Menschen anders. Man könnte mich wieder raus­schmeißen, tut es aber nicht. Ich kann nützlich sein, man erlaubt das. Und ich bin dankbar, dass ich nützlich sein darf. Außerdem ist Wien eine schöne Stadt, egal ob man dich hasst oder nicht. (lacht)

— Sie hätten ja nach Palästina zu Ihrer Familie flüchten können, haben sich aber dagegen entschieden. Warum?

Erika Freeman: Für Palästina brauchte man ein Zertifikat, für Amerika ein Affidavit. Auf dem Affidavit stand ein Name drauf, auf dem Zertifikat für Palästina nicht. Daher habe ich meiner Mutti gesagt, ich fahre nach Amerika und sie soll mit dem Zertifikat für Palästina ein anderes Kind retten. Und so hat sie es gemacht.

— In New York haben Sie ganz zufällig ihren totgeglaubten Vater wiedergetroffen. Wie war das?

Erika Freeman: Es war Jom Kippur, der heilige Tag, an Schabbat. Also das Heiligste, was es gibt. Und mein Onkel war nicht im Tempel, sondern am Broadway spazieren. Dort ist ein Mann aus einem Hotel spaziert und hat ihn gefragt, warum er auch nicht im Tempel ist. Das war mein Vater. Mein Onkel fragte ihn, was er da macht, er sei doch tot. Sagte mein Vater: Nein, ich bin nicht tot, aber das Kind ist tot. Sagte mein Onkel: Nein, das Kind lebt. Und so haben wir uns wieder getroffen. Am heiligsten Tag, niemand ist im Tempel, stell dir das vor. Der liebe Herrgott ist ein netter Kerl.

— Ihre Mutter Rachel Polesiuk ist auch eine sehr beeindruckende Frau gewesen. Hat es Sie in ihrem Glauben erschüttert, sie so kurz vor Kriegsende zu verlieren?

Erika Freeman: Meine Mutter war herrlich. Sie hat alles überlebt und ist am 12. März 1945, beim letzten Bombenangriff, gestorben. Ihr Tod tut mir leid. Es tut mir um mich leid, da ich meine Mutter nicht mehr hatte. Auch weil die Menschen, bei denen ich in Amerika gelebt hatte, mich nicht mochten. Aber wenn dir etwas nicht gefällt, kannst du es richten. Es ist ja kein Gesetz, dass die Dinge schlecht sein müssen. Ich verstehe den lieben Herrgott zwar nicht, aber ich denke, er wollte sie einfach schneller haben.

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Erika Freeman mit ihrem Fremdenpass des Deutschen Reiches. 

Antisemitismus heute

— Haben Sie das Gefühl, dass der Antisemitismus in Österreich wieder etwas stärker wird?

Erika Freeman: Er wird auf der ganzen Welt stärker. Es gibt immer Menschen, die den Hass lieben und auch jene lieben, die den Hass erlauben. Da­rum haben sie Hitler so geliebt. Doch wer Juden hasst, wird es mit dem lieben Herrgott zu tun bekommen. Er wird sagen: "Das ist mein Volk und das hasst du?"

— Sie haben bei der Entstehung Israels sehr viel miterlebt und die ehemalige Ministerpräsidentin Israels Golda Meir beraten.

Erika Freeman: Das war ein großes Glück und eine große Ehre. Sie hat mich auch einmal um Mitternacht angerufen, sie war nervös wegen eines Treffens mit Nixon. Aber es war Golda, natürlich rede ich mit ihr, auch wenn es Mitternacht ist. Sie war eine herrliche Person.

— War es für Sie damals schon absehbar, dass solche Konflikte entstehen würden?

Erika Freeman:Es war ein Versprechen, dass es schwierig wird. Du kannst leicht ein Land vergeben, das dir nicht gehört. Aber es wurde versprochen, also war man es den Juden schuldig. Trotzdem mussten wir dafür kämpfen.

— Es gibt es immer noch Menschen, die den Holocaust leugnen. Warum glauben Sie, ist das so?

Erika Freeman:Die müssen den Holocaust leugnen. Erstens, weil sie sich schämen. Zweitens, weil sie hassen. Drittens, weil sie den Hass lieben. Und viertens, weil es die Juden sind. Das, was uns passiert ist, ist niemand anderem passiert.

In Wien unterwegs

— Fliegen Sie oft in die USA?

Erika Freeman:Eigentlich schon, aber seit der Pandemie war ich nicht mehr dort. Ich glaube, ich bleibe hier, bis ich 127 bin. (lacht) Ich muss ja noch was schaffen. Was genau, weiß ich noch nicht, aber sobald jemand sagt, dass etwas unmöglich ist, habe ich mein Stichwort.

— Wie sind Sie in Wien mobil?

Erika Freeman:In Wien fahre ich mit dem Taxi oder mit Freunden, die ein Auto haben. Der Autobus ist auch sehr nett, nur die Subway mag ich nicht, auch in Manhattan nicht. Wien ist ­eigentlich eine Spazierstadt.

— Unser Magazin heißt ja auto touring. Was halten Sie von Autos?

Erika Freeman:Ich würde gerne Auto fahren, aber in Manhattan zahlt sich das nicht aus. Da fährt man Taxi, mit dem Auto verlierst du nur Zeit. Also habe ich leider keinen Führerschein. Aber es gibt ein paar Autos, die mir gut gefallen, Aston Martin zum Beispiel. Und Oldtimer, die sind so herzig.

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