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November 2020

Mehr geht nicht

Seit Jahrzehnten ist die S-Klasse von Mercedes-Benz der Inbegriff mobilen Komforts. Aber auch beim technischen Fortschritt ist die "Sonder-Klasse" immer wieder Vorreiter.
 
 

Es ist und bleibt etwas Besonderes, wenn Mercedes eine neue Generation seiner Luxuslimousine auf den Markt bringt. Die Bezeichnung "S-Klasse" wurde 1972 mit der Baureihe W116 offiziell eingeführt – in den Prospekten war von der "Sonder-Klasse" die Rede. Zwischendurch gerieten Wachstum und Karosserie-Design etwas außer Kontrolle: Die wuchtige Baureihe W140 (ab 1991) wurde mit einem Panzer verglichen, die ausfahrbaren Peilstäbe auf den hinteren Kotflügeln (als Einparkhilfe, um die Übersicht zu bewahren) sorgten für Spott. Und führten zur Entwicklung der heute bekannten Parksensoren.

Seither wird das Design immer feiner, auch die neueste Auflage macht da keine Ausnahme. Obwohl rund zehn Zentimeter länger als die damalige Baureihe W140, erscheint die neue S-Klasse (W223) um Längen graziler – so dieser Ausdruck bei 5,18 Meter Außenlänge (5,29 m mit dem langen Randstand) noch passend ist. Die Front dominiert ein mächtiger Kühlergrill, die von schmäler gewordenen Scheinwerfern flankiert werden. Deutlich schlanker sind auch die Heckleuchten.

Die S-Klasse war schon immer Technologieträger im Bereich der aktiven und passiven Sicherheit. Viele Systeme, die zum ersten Mal in einer S-Klasse zum Einsatz kamen, sind heute allgemeiner Standard. Etwa das Antiblockiersystem ABS (1978), Airbag und Gurtstraffer (1981), ESP (1991) oder das präventive Sicherheitssystem Pre-Safe (1998).

Was bietet die neueste S-Klasse? Etwa Frontal-Airbags für die Rücksitze. Hier kann man nicht einfach die bekannte Airbag-Technik auf die Rückseite der Vordersitze transferieren – je nach Position der Vordersitze und Neigung der Lehnen ändert sich ja das Anforderungsprofil. Die Lösung: eine neue Bauart mit einer röhrenartigen Struktur, die im Fall des Falles blitzschnell gefüllt wird. Die ebenfalls abgedeckten Zwischenräume füllen sich mit Umgebungsluft. Und nach einem Aufprall bleibt der Airbag aufgeblasen, sinkt also nicht wie ein herkömmlicher Airbag nach einigen Hundertstelsekunden in sich zusammen.

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Ebenfalls eine Weltneuheit: Erkennt das Fahrzeug einen unmittelbar bevorstehenden Aufprall eines anderen Autos von der Seite (ja, das kann ein so hoch technisiertes Auto heutzutage), wird die Karosserie innerhalb von Zehntelsekunden um acht Zentimeter angehoben. Dadurch wird der Aufprall von den Türen auf widerstandsfähigere Strukturen im unteren Teil der S-Klasse gelenkt.

Optional gibt es eine Hinterachslenkung, die den Wendekreis um bis zu zwei Meter verringert. Dabei schlagen die Hinterräder mit einem Winkel von bis zu zehn Grad ein. Bei niedrigen Geschwindigkeiten gegengleich zu den Vorderrädern, bei höheren Geschwindigkeiten (ab 60 km/h) mit niedrigerem Winkel in die gleiche Richtung (für mehr Agilität).

Einen weiteren Schritt gibt es beim hochautomatisierten Fahren. Voraussichtlich ab dem zweiten Halbjahr 2021 wird die S-Klasse bei hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen auf Autobahnabschnitten hochautomatisiert fahren können, und zwar auf dem sogenannten Level 3 (vollkommen autonomes Fahren bezeichnet man als Level 5). Das entlastet den Fahrer, ermöglicht ihm Nebentätigkeiten wie im Internet surfen oder E-Mails abarbeiten. Zum diesem Thema haben wir mit Dr. Michael Hafner, Leiter Automatisiertes Fahren und Aktive Sicherheit bei Mercedes-Benz, gesprochen:

"Unterschätze nie die Komplexität der Technologien"

— Welche neuen Features bringt die neue S-Klasse in Bezug auf Autonomes Fahren?

Michael Hafner:Die neue S-Klasse bringt im Bereich der Assistenz-Systeme neue Funktionen, die in erster Linie im Bereich der Sicherheit angesiedelt sind, eine Kernkompetenz unserer Marke. Das Ziel ist in allen Bereichen ein unfallfreies Fahren. So haben wir den Notbremsassistenten verbessert, der nun einen Geschwindigkeitsbereich bis zu 130 km/h abdeckt. Oder wir nutzen die vorhandene Sensorik, etwa um vor dem Öffnen einer Tür von innen vor einem herannahenden Fahrradfahrer zu warnen.

Der zweite Bereich betrifft das automatisierte Fahren. So haben wir große Fortschritte gemacht, was etwa das eigenständige Kurvenfahren betrifft. Die neue S-Klasse fährt auch auf kurvenreichen Strecken wie auf Schienen. Aber das kann man schwer schildern, das muss man selbst erlebt haben.

Und auch die aktiven Einparksysteme haben wir verbessert und vor allem vereinfacht. So reagiert die S-Klasse beim automatisierten Einparken jetzt auch auf Bodenlinien.

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Dr. Michael Hafner, Leiter Automatisiertes Fahren Mercedes-Benz

— Vor zwei Jahren hieß es, dass in fünf Jahren Level 5 erreicht sein wird. Wo stehen wir heute?

Michael Hafner:In den letzten Jahren wurde viel in Sachen Autonomes Fahren angekündigt. Ich denke, da haben viele Hersteller die Komplexität der Technologie ziemlich unterschätzt. Für Mercedes ist das Autonome Fahren ein Business Case – wann lässt sich damit Geld verdienen? Daher haben wir keinen fixen Zeitplan definiert, sondern die Entwicklung in unterschiedliche Phasen eingeteilt. Und je nach Technologie-Fortschritt passen wir die Terminschienen an.

Zuerst geht es um die Funktionsentwicklung und danach um die Industrialisierung, also es im großen Maßstab auf die Straße zu bringen.

Der nächste große Schritt erfolgt mit der S-Klasse. Etwa im zweiten Halbjahr 2021 werden Teile von Level 3 zur Verfügung stehen.

(Anmerkung: Das automatisierte Fahren wird in fünf Stufen eingeteilt. Bei Level 3 erkennt das System selbständig die Systemgrenzen. Der Fahrer muss die Längs- und Querführung des Fahrzeugs nicht mehr dauerhaft überwachen. Er muss jedoch dazu in der Lage sein, nach Aufforderung durch das System – mit einer gewissen Zeitreserve – die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. Erst bei Level 5 ist kein Fahrer mehr nötig.)

— Was ist aus der Sicht eines Herstellers eigentlich die größere Herausforderung: die Technik für das Autonome Fahren oder einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen, die dem autonomen Fahren Rechnung tragen?

Michael Hafner:Beide Bereiche sind gleich herausfordernd. Deutschland ist aber auf einem guten Weg und hat bereits 2017 automatisiertes Fahren ermöglicht. Das Gesetz schafft die Voraussetzungen für hoch- und vollautomatisierte Systeme. Anders als bei teilautomatisierten Systemen, die den Fahrer lediglich unterstützen, übernehmen solche Systeme die Fahrzeugsteuerung komplett. Allerdings sind wir hier derzeit noch von einem maximalen Tempo von 60 km/h limitiert. Aber der Gesetzgeber ist auch da schon auf einem guten Weg.

— Level 5, also das Fahren ohne Fahrer, benötigt eine gute und schnelle Online-Anbindung des Fahrzeugs. Was passiert, wenn diese ausfällt?

Michael Hafner:Wir brauchen hochauflösende Karten und detaillierte, topaktuelle Informationen über die Strecken vor dem Fahrzeug. Wir arbeiten mit einem System, das jeweils die Informationen für die nächsten ein bis fünf Kilometer herunterlädt. Damit können wir auch lokale Funklöcher autonom überwinden. Fällt die Verbindung für längere Strecken aus, muss das Fahrzeug wieder an den Fahrer übergeben.

— Welche zusätzlichen Kosten entstehen geschätzt für ein vollautonomes Fahrzeug?

Michael Hafner:Die heute zur Verfügung stehende Technologie ist fast so teuer wie das gesamte Fahrzeug. So sind die Preise für die Sensoren noch exorbitant hoch. Das wird sich aber – wie bei jedem technischen Fortschritt – mit der steigenden Anzahl der produzierten Sensoren drastisch ändern. Wir werden es alle noch erleben, aber das dauert noch.

— Stimmt der Eindruck, dass wir bei der Entwicklung der nötigen Hardware schon sehr weit sind, es aber bei der Rechenleistung noch große Schritte benötigt? Immerhin müssen Unmengen von Daten innerhalb kürzester Zeit miteinander verknüpft und analysiert werden.

Michael Hafner:Nein, in beiden Bereichen, sowohl bei der Hardware, bei der Rechenleistung, als auch bei der Software liegt noch viel an Entwicklung vor uns. Was etwa die Sensorik betrifft: Wir müssen etwa bei sehr hohem Tempo sehr kleine Gegenstände auch in großer Entfernung erkennen können, da sind wir noch nicht so weit. Dann geht es auch um die Haltbarkeit der Sensorik und dass sie sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Temperaturen absolut zuverlässig arbeiten. Wir haben also noch einen ziemlichen Weg vor uns.

— Hat Mercedes-Benz Untersuchungen, welche Akzeptanz voll-autonome Fahrzeuge bei den potenziellen Autokäufern haben? Gibt es dafür überhaupt eine ausreichende Nachfrage? Oder würde vielen nicht einfach autonomes Fahren auf der Autobahn reichen, von der Auffahrt bis zur Abfahrt, und dann wieder selber fahren?

Michael Hafner:Wir haben da schon einiges an Befragungen gemacht, und bei einem gar nicht so kleinen Teil der Autofahrer herrscht schon großes Interesse. Natürlich kommt es auch auf die Kosten an. Aber ich würde diese Frage gar nicht im Sinne von Ja/Nein sehen. Wenn ich zum Beispiel mich selber nehme: Es kommt etwa auch auf die Tagesverfassung an. Habe ich einen anstrengenden Tag hinter mir, würde ich manche Fahrt sehr gerne an das Fahrzeug übergeben und mich währenddessen erholen oder mit etwas anderem beschäftigen. An anderen Tagen fahre ich lieber selber, weil es einfach Spaß macht. Aber einfach die Möglichkeit zu haben, sich nicht mit dem Fahren beschäftigen zu müssen, ist schon faszinierend.

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Revolutionär wirkt der futuristisch anmutende Innenraum mit seinem riesigen Touchscreen in der Mittelkonsole. Weitere Highlights: Das 3-D-Fahrer-Display ermöglicht eine räumliche Szenenwahrnehmung mit echter Tiefenwirkung durch Eye-Tracking, das große Head-up-Display bietet Augmented-Reality-Inhalte und die neue Scheinwerfertechnologie ermöglicht die Projektion von Hilfsmarkierungen oder Warnsymbolen auf die Fahrbahn.

Zum Start der neuen S-Klasse sind Reihensechszylinder mit drei Liter Hubraum als Benziner (435 PS) und Diesel (286 und 330 PS) verfügbar, ein V8-Motor mit integriertem Starter-Generator (ISG) und 48-Volt-Bordnetz ergänzt bald danach die Auswahl. 2021 folgt ein Plug-in-Hybrid mit einer rein elektrischen Reichweite von rund 100 km.

Die Preise: Die S-Klasse mit dem schwächeren Diesel gibt es um 112.420 Euro, mit Allradantrieb um 117.530 Euro. Beim stärkeren Diesel (125.200 Euro) und beim Benziner (137.040 Euro) ist Allrad serienmäßig. Jedes Modell gibt es auch mit verlängertem Radstand (Aufpreis: zwischen 3.560 und 4.650 Euro).

Zum Abschluss noch einige interessante Zahlen

  •  Die Sprachbedienung, die man mit "Hey Mercedes" startet, unterstützt 27 Sprachen.
  • 31 Lautsprecher und acht Körperschallwandler (Exciter) umfasst das Burmester-Soundsystem.
  • Zum bequemen Sitzen verhelfen im Beifahrersitz bis zu 19 Motoren (acht für die Verstellung, vier für Massage und fünf für die Lüftung, einer für die Lordosenstütze und einer bewegt den Monitor auf der Rückseite).
  • In der neuen S-Klasse gibt es zehn verschiedene Massageprogramme.
  • Die Anzeigefläche des Augmented-Reality-Head-up-Displays entspricht einem Monitor mit einer Diagonalen von 77 Zoll.
  • Über 2,6 Millionen Pixel beträgt die Auflösung von "Digital Light" pro Fahrzeug.
  • 17 Schrittverstellmotoren regeln bei der Thermotronic Temperatur und Luftverteilung. Die 4-Zonen-Klimatisierung Thermotronic Fond hat sogar 20 Schrittverstellmotoren. Diese elektrischen Motoren betätigen die Luftklappen.
  • Rund 16 Liter Volumen hat die Röhrenstruktur des neuartigen Fondairbags, das Gesamt-Volumen des aufgespannten Bags umfasst bis zu 70 Liter.
  • 1.000 Mal pro Sekunde analysieren die Steuergeräte der "E-Active Body Control" die Fahrsituation und passen das Fahrwerk an.
  • Von der letzten Generation der S-Klasse (Baureihe W222; Debüt 2013) ging mehr als ein Drittel aller Limousinen nach China. Dort sind die S-Klasse-Kunden mit einem Durchschnittsalter von rund 40 Jahren am jüngsten.
  • Die S-Klasse Limousine wird weltweit überwiegend mit langem Radstand verkauft: Etwa 9 von 10 Kunden entscheiden sich für die Langversion der S-Klasse Limousine. Insgesamt sind seit der Einführung der jetzt auslaufenden Generation mehr als 500.000 S-Klasse Limousinen verkauft worden. 
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