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© Joachim Bergauer
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März 2019

Kumbh Mela: Das größte Fest der Welt

Eine Fotoreise nach Prayagraj in das spirituelle Herz des indischen Subkontinents. Von Iris Schweinöster, Fotos: Joachim Bergauer
 

Das Kumbh-Mela-Fest im indischen Prayagraj, dem ehemaligen Allahabad, ist ein begehrtes Reiseziel für Hinduisten. Für Nicht-Hinduisten bedeutet ein Besuch hingegen das Eintauchen in eine komplett andere Welt. In eine des tiefen Glaubens, in der Spiritualität und Meditation zum Leben gehören. In eine Welt der vielfältigen Farben und Gerüche – und eine Welt, in der Arm und Reich schmerzlich auseinanderdriften. 

Die Hoffnung auf ein besseres Leben nach diesem Leben – sie hält viele Menschen in Indien aufrecht, die kaum das Notwendigste haben. Dieser starke Glaube ist es auch, der Millionen auch heuer nach Prayagraj führte: zum hinduistischen Glaubensfest "Kumbh Mela", das auch zum "immateriellen Kulturerbe der Menschheit" der UNESCO zählt. 

Wir machten uns also auf die Reise: der Salzburger Fotograf und leidenschaftliche Globetrotter Joachim Bergauer, der die ganze Welt als "seine Heimat" sieht. Und ich, Iris Schweinöster, die Augen und Ohren offen hält für Neues. 

Etwa 120 Millionen Menschen nahmen auch heuer den weiten Weg für ein Bad im heiligen Fluss Ganges auf sich. Mit der Hoffnung, sich aus dem Teufelskreis der Wiedergeburten zu befreien. 

Als um fünf Uhr früh die ersten Sonnenstrahlen durch die von Staub und Abgasen getrübte Luft dringen, sind alle schon auf den Beinen. Auch wir, die sich in einem riesigen Menschenstrom von Attraktion zu Attraktion treiben lassen. Lautstark dröhnt Musik aus vielen Lautsprechern und den Zelten von Sadhus und Gurus. In den Lärm mischt sich das Hupen der Tuk-Tuks, die sich an Gemüsehändlern und Meditierenden vorbeischieben. 

Massen von Festgästen, soweit das Auge reicht. In Saris und Decken gehüllte Hindus schlürfen ihren so beliebten Milchkaffee. Am riesigen Festgelände werden heilige Requisiten wie Farben, Kerzen, Krüge, Gemüse und Dinge für den täglichen Bedarf verkauft. Alle paar Meter steigt ein neuer Geruch in die Nase. 

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Der Ursprung

"Kumbh Mela“ bedeutet soviel wie "Das Fest des Kruges". Der Legende nach entstand es aus einem Pakt zwischen den Göttern und den Dämonen. Gemeinsam wollten sie den Nektar der Unsterblichkeit schöpfen. Der Arzt der Götter überbrachte den kostbaren Trank in einem "Kumbh", einem Krug.

Die Dämonen jedoch wollten den Nektar für sich allein beanspruchen. Es kam zu einem Gefecht, das zwölf göttliche Nächte (oder auch zwölf menschliche Jahre) andauerte. Während des Streits fielen vier Tropfen aus dem Krug auf vier Orte in Indien. Diese, nämlich Prayagraj (Allahabad), Hadiwar, Ujjain und Nashik, gelten für die Hindus deshalb als heilig.

Es sind jene Orte, an denen das Kumbh Mela veranstaltet wird, so lange man sich zurückerinnern kann. Das Kumbh Mela soll auch an die Dauer des Kampfes erinnern, darum wird das größte, das Purna Kumbh Mela, nur alle zwölf Jahre gefeiert.

Kurz vor dem Fest erhielt die Stadt Allahabad ihren ursprünglichen Namen Prayagraj zurück. "Prayag" bedeutet so viel wie "Ort der Opfergabe" und "Raj" ist ein Herrschertitel, der die Wichtigkeit unterstreichen soll.

Bis 4. März reisten um die 120 Millionen Menschen nach Prayagraj, also fast so viele wie die Bevölkerung Großbritanniens und Frankreichs zusammen. Ein Rekordansturm, der auch mit den bevorstehenden Parlamentswahlen in Indien im Mai in Zusammenhang steht: Denn eigentlich gehörte das "Kumbh Mela 2019" zu einem der "kleineren" Feste. Die BJP, die hindu-nationalistische Partei Indiens, hatte das Fest im Vorfeld jedoch stark beworben, um Stimmung für ihre Sache zu machen.

Als exotische Besucher aus dem fernen Ausland kommen wir nur langsam voran. Immer wieder werden wir gebeten, für ein Selfie zu posen. Zuerst der Papa, dann die Mama, dann die fünf Kinder und abschließend ein Foto mit der gesamten Familie.

Am Haupt-Badetag werden die Hindus am Zusammenfluss von Ganges, Yamuna und Saraswati, ihrem Glauben gemäß, symbolisch von ihren Sünden reingewaschen. An diesem und anderen besonderen Tagen sind von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Verkehrsmittel aller Art verboten. Auch für uns heißt es daher: zu Fuß!

Um die Gesundheitsgefahren so gering als möglich zu halten, hatte die indische Regierung rund 35 Millionen Euro in Vorkehrungen investiert, mit denen die Abwasserkanäle in den Ganges und den Yamuna blockiert bzw. das Abwasser geklärt werden sollte. Auch wurden mehr als 120.000 mobile Toiletten installiert, 20.000 Mülltonnen aufgestellt und etwa 20.000 Sanitäter in Dienst gestellt.

Trotz alldem ist die vielversprechende Reinigung im Ganges auch an diesem Tag eine schmutzige Angelegenheit. Was für die Hindus als reinigendes Wasser gilt, ist für Menschen des Westens Abwasser von Haushalten, gemischt mit giftigen Chemikalien aus Fabriken sowie Abfall und Bauschutt. All das nimmt der Ganges auf, der als sauberer Gletschertropfen im westlichen Himalaja entspringt.

Für die Hindus hingegen gilt Mutter Ganga, wie sie den Fluss liebevoll bezeichnen, trotzdem als heiliger Fluss. Sie baden darin, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen, verstreuen die Asche ihrer Verstorbenen und trinken sogar sein Wasser. Aus Angst vor den gesundheitlichen Risiken nehmen wir selbst während des Festes kein Vollbad im Ganges. Wir benetzten nur unsere Hände und Füße, was ja schließlich auch als Bad zählen kann.

 

Bei Sadhus und Gurus

Neben dem Bad im Ganges nehmen die Besucher an verschiedenen Vorträgen von Sadhus und Gurus teil. Sadhus sind Indiens heilige Männer, die ihr weltliches Leben aufgeben und ein Leben im Zölibat führen. Losgelöst von allen Bindungen – materiell, familiär, sexuell – führen sie im Streben nach Befreiung ein einfaches Leben im Tempeln oder in Höhlen.

Auffallend ist ihre in Safran-Tönen gehaltene Kleidung. Die Farbe Safran steht im Hinduismus für die "Flamme des Wissens und das Feuer der Gegenwart", die alle Anhaftung an das Leben verbrennt. Sie zielt auf die "Dritte Auge Meditation" auf der Stirn ab. Durch diese Art der Meditation kann man sich, so der Hinduismus, von seiner Vergangenheit und allem Materiellen lösen und sich von Zukunftsängsten befreien. Wie die Flüsse beim Kumbh Mela zusammenfließen, so fließen auch linke und rechte Gehirnströme zusammen. Sie sollen das innere Licht erwecken.

Während Sadhus meist in diesen Gewändern erscheinen, trägt die Untergruppe der Naga-Sadhus keine Kleidung. Sie beschmieren ihren Körper mit Asche, zum Teil aus verbrannten menschlichen Körpern, tragen verfilztes Haar und leben abgeschottet von der restlichen Gesellschaft in Höhlen.

Beide Gruppen nehmen in der indischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein und werden hoch verehrt. Da sie weder über Einkommen noch Besitz verfügen, leben sie in völliger Armut und sind auf Spenden angewiesen. Außerdem suchen die Hindus während des Fests Kontakt zu ihrem Guru, einem Wissenden.

Der letzte Tag am Fest übertrifft noch einmal unsere Erwartungen. Im Lichtermeer Prayagrajs leben – in wundervolle Saris gehüllt – stolze Transgender ihre Freiheit aus. Denn zum ersten Mal dürfen auch Mitglieder der (geschätzt) zwei Millionen umfassenden Transgender-Gemeinschaft in Indien einen Platz am Kumbh Mela einnehmen.

Für die "Kinners", wie sie in Indien genannt werden, geht es darum, Akzeptanz in der Gesellschaft zu erlangen. Denn obwohl Eunuchen, Androgyne und Transgender ein fester Bestandteil der alten hinduistischen Gesellschaft waren und sogar in den heiligen Vedas-Schriften Erwähnung fanden, werden sie im modernen Indien häufig an den Rand der Gesellschaft gedrängt, schon als Kinder oftmals aus dem Elternhaus vertrieben oder als Sexsklaven verkauft.

Im Laufe der Jahrhunderte nahmen die Transgender unterschiedlichste Rollen in der Gesellschaft ein, zum Beispiel die der königlichen Kurtisanen. Der Kampf um eine Entdiskriminierung ist lang. Der oberste Gerichtshof hat sie 2014 als drittes Geschlecht anerkannt.

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