Woess_cLindaWoess.jpg Linda Wöss
© Linda Wöss
© Linda Wöss
März 2020

Es muss brennen

„Ich bin ein schüchterner Mensch“, sagt Schauspieler Rainer Wöss im Interview mit Birgit Schaller von sich selbst. So schüchtern man als Schauspieler auf der Bühne eben sein kann. Letzten Endes geht’s um tiefe Emotionen.

Er ist einer dieser Schauspieler, die man oft sieht, ohne ihre Namen gleich parat zu haben. Zu Unrecht. Der in Berlin lebende Oberösterreicher Rainer Wöss ist viel beschäftigt – der früher ausschließlich auf Bühnen auftretende Schauspieler hat sich seit einigen Jahren ganz dem Film und dem Fernsehspiel verschrieben.

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— Sie waren im ORF vor Kurzem in zwei sehr unterschiedlichen Rollen zu sehen: als sensibler und nahezu schmerzhaft selbstloser Ehemann der herzkranken Caroline in "Herz­jagen" und als fieser mordender Stahl-Baron Bruckmüller im Krimi-Dreiteiler "Vienna Blood", einer Koproduktion von ORF und BBC. Wie vielfältig kann ein Schauspieler sein?

Rainer Wöss: Sehr. Das ist das Spannende an dem Beruf, dass man ganz tief eintaucht in Charaktere, die einem selbst völlig fremd sind. Für Bruckmüller habe ich eine eigene Biografie dieses Menschen entworfen, um zu verstehen, wie er böse wurde. Bei Sebastian in "Herzjagen" hab ich mich und auch die Regisseurin ständig gefragt: Wann darf er endlich laut losschreien, davonlaufen oder einfach weinen? Die Selbstlosigkeit des Charakters war für mich kaum auszuhalten.

Wie du zur Emotion kommst, ist vollkommen egal, aber sie muss echt sein und beim Gegenüber ankommen.

Rainer Wöss, Schauspieler

— Der Bösewicht lag Ihnen mehr?

Rainer Wöss:In den letzten Jahren haben sich viele Böser-Bube-Rollen ergeben. Das ist fein, denn so wurden die Rollen besser, intensiver und tiefgehender. Sebastian in "Herzjagen" war eine wunderbar feinfühlige Rolle, die mich gefordert hat. Als junger Schauspieler musste ich oft den Liebhaber, den Prinzen spielen. Man könnte sagen: die unaufgeregte Staffage. Ich war damals wohl der Typ dafür: blond, groß, dünn wie ein Strich. Wobei – Letzteres ist ­lustig, denn mit 16 war ich klein, hatte 75 Kilo und sah aus wie eine Tonne. Die anderen haben mich aber anders wahrgenommen.

— Schauspiel ist ja eine sehr psychologische Arbeit…

Rainer Wöss:Ja. Es geht um die ganz tiefen Beweggründe, warum ein Charakter etwas sagt, wie er handelt und ist. Wie man dieses Innerste herausfindet, ist egal – ob mit der Stanislawski-­Methode, die tief in den eigenen Gefühlen gräbt, mit psycho-physischen Übungen von Mi­chael Tschechow, einem Neffen des berühmten Anton Tschechow, ob mit Lee Strasbergs "Method Acting", das mit der Erinnerung arbei­tet, oder mit Meisners Zugang, der die Fantasie und das Jetzt nutzt. Egal, ob man in eigene alte Gefühle geht oder sie nur spielt. Wie du zur Emotion kommst, ist vollkommen egal, aber sie muss echt sein und beim Gegenüber ankommen.

woess_a.jpg ORF/MR Film/Endor Productions/Petro Domenigg

Rainer Wöss (links) und Juergen Maurer im britisch-österreichischen TV-Dreiteiler "Vienna Blood".

© ORF/MR Film/Endor Productions/Petro Domenigg

— Sie haben mit dem Theaterspielen ganz aufgehört, obwohl Sie viele Jahrzehnte auf der Bühne standen. Warum?

Rainer Wöss:Ich habe gefühlt alle Rollen gespielt, das ist einer der Gründe. Und im Theater gibt es zu wenig Geld für zu viel Arbeit. Im Film ist alles anders. Das ist ein neuer Beruf. Ich bin inzwischen seit zehn Jahren Filmschauspieler. Da geht es nicht um große Gesten. Alles findet im Kopf statt, im Denken. Man muss schnell auf den Punkt kommen und zu 150 Prozent präsent sein. Beim Drehen muss du alles heiß kochen, es muss brennen. Das gefällt mir.

Alles findet im Kopf statt, im Denken. Man muss schnell auf den Punkt kommen und zu 150 Prozent präsent sein.

Rainer Wöss, Filmschauspieler

— Was sind Ihre Beweggründe, überhaupt auf die Bühne zu gehen, ins Rampenlicht?

Rainer Wöss:Ich bin ein sehr schüchterner Mensch. Vielleicht ist das ein Grund. Und ich komme aus einer musischen Familie: Meine Mutter spie­lte drei Instrumente, mein ältester Bruder war ein genialer Dirigent und Konzertpianist, eine Schwester ist Chorleiterin. Im Internat war ich im Freifach Bühnenspiel und mein Schulkollege und ich sollten Emotionen darstellen. Wir prügelten uns, zuerst spielerisch, aber die Wut in mir wurde echt, und dann hat man mich rausgeworfen (lacht).

— Ihre Eltern waren die Inhaber des ADEG-Supermarktes im Dorf?

Rainer Wöss:Ja, das stimmt, übrigens des ersten mit Einkaufswagerl im Mühlviertel. Sie haben rund um die Uhr gearbeitet, um uns fünf Kindern alles zu bieten. Ich ging dann aufs Bruckner Konservatorium und bald nach Deutschland.

In Berlin habe ich mich sehr schnell heimisch gefühlt. Ich liebe Österreich, reise oft nach Wien oder wie zuletzt für einen "Landkrimi" in meine Heimat, da versuche ich dann meinen Kindheitsdialekt wiederzu­beleben.

Früher sind wir oft mit dem Auto gefahren. Der Weg führte von Berlin über Tschechien nach Wien oder die Nibelungenstraße entlang, manchmal übernachteten wir am Unterer See. Leider hat sich mein CO2-Fußabdruck nicht ganz wunschgemäß ent­wickelt, heute fliege ich beruflich viel. Innerhalb Deutschlands nehme ich gern auch den Zug. Im Film und Fernsehen muss es schnell gehen, man wechselt die Orte, ist heute da und morgen schon dort.

Rainer Wöss, österreichischer Theater- und Filmschauspieler:

  • Geboren 1962 in St. Martin im Mühlviertel
  • Anton Bruckner Universität
  • Lebt seit 30 Jahren in Berlin
  • Verheiratet mit Schauspielerin Verena Berger, Tochter Lina
  • Nominierung als bester Hauptdarsteller beim Österreichischen Filmpreis 2016 ("Superwelt")
  • Auszeichnung im Ensemble beim Deutschen Schauspielpreis 2019 ("Murer – Anatomie eines Prozesses")
  • Bekannt aus "Die Migrantigen", "Herzjagen"“, "Der Wächter" und dem britisch-österreichischen TV-Dreiteiler "Vienna Blood"

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