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Oktober 2015

Volkswagen: Was am Ende rauskommt

Um die strengen Stickoxid-Grenzwerte in den USA zu erreichen, hat Volkswagen bei den Abgas-Messungen manipuliert. Der Betrug wird den gesamten Konzern noch jahrelang beschäftigen.

 

Einige Zeilen Software-Code erschüttern den gesamten Volkswagen-Konzern in seinen Grundfesten. Diese Motorsteuerungs-Software hat dafür gesorgt, dass Schadstoffgrenzwerte eingehalten wurden. Allerdings nur auf dem Labor-Prüfstand und bei genormten Fahrzyklen – im Fahrbetrieb waren die NOx-Werte viel höher.
Der Betrug kommt den Konzern nun teuer zu stehen. Insgesamt sind bis zu elf Millionen Fahrzeuge betroffen, in Österreich sind es knapp 364.000 Autos der Konzernmarken VW, Audi, Seat und Škoda.
VW-Konzernchef Martin Winterkorn musste seinen Hut nehmen, mehrere Vorstände sind beurlaubt. Alle betroffenen Fahrzeuge müssen nun in einer beispiellosen Aktion nachgebessert werden. Schon jetzt laufen weltweit Klagen gegen den Konzern, die besonders in den USA so richtig teuer werden können. VW hat bislang 6,5 Milliarden Euro reserviert, aber schon jetzt ist klar: Es wird noch viel teurer. Von bis zu 40 Milliarden Euro ist bereits die Rede.

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Das ist passiert:

Manipulation mit Software. Für die Typisierung eines neuen Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor dürfen bei den Abgas-Schadstoffen bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden. Dies wird bei speziell festgelegten Verfahren unter Laborbedingungen auf einem Prüfstand untersucht. In den USA, speziell in Kalifornien, gelten vor allem für Stickoxide (NOx) besonders strenge Grenzwerte.
2008: Um diese unterschreiten zu können, baut VW in die Motorsteuerung eines Dieselmotor-Typs (EA189, gebaut von 2008 bis 2015) eine spezielle Software ein. Diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand den vorgeschriebenen Fahrzyklus absolviert, und schaltet den Motor auf „abgasarm“. Damit schaffen die Fahrzeuge die strengen Vorgaben, obwohl sie im „Normalmodus“ mehr Stickoxide ausstoßen.
2014: Bei Messfahrten auf der Straße mit VW Passat und Jetta fallen erhöhte NOx-Werte auf, die die Grenzen bis zum 40-Fachen überschreiten. VW kalmiert.
18. September 2015: VW muss den Betrug schließlich eingestehen. Weltweit sind etwa elf Millionen Fahrzeuge betroffen.

Warum hat VW betrogen?

2007 war die Zeit des Pumpe-Düse-Dieselmotors von VW abgelaufen. Der Nachfolger, ein Commonrail-Diesel mit dem Entwicklungscode EA189, war fast fertig und sollte auch in den USA eingesetzt werden. Dort spielte der Pkw-Dieselmotor nur eine Statistenrolle. Problem: die strengen Grenzwerte für Stickoxide in den USA. Pro Kilometer dürfen nur 31 Milligramm den Auspuff verlassen. Zum Vergleich: Die damals gültige europäische Norm Euro 4 liegt bei 250 mg. Zwickmühle für die Motorentechniker bei VW: Die aufwendige Abgas-Nachbehandlung ist teuer und hätte den Preis der Fahrzeuge in die Höhe getrieben (siehe NOx-Reduzierung im Abgas). Die Zeit drängte und es musste rasch eine Lösung gefunden werden.

Wie ging der Betrug vor sich?

Die Abgas-Schadstoffe sowie der Verbrauch von Autos werden für die Typisierung bei genormten Testzyklen auf Prüfständen ermittelt. Um dabei die NOx-Grenzwerte einzuhalten, erkennt die beim EA189-Motor eingesetzte Motor-Software, wenn das Fahrzeug einen Testzyklus auf einem Prüfstand durchläuft. Wie? Wenn sich etwa nur die Räder der Antriebsachse drehen und es gleichzeitig keine Lenkbewegungen gibt.
Erkennt die Software also die Prüfstand-Situation, schaltet sie den Motor in einen speziellen Modus, der die Stickoxide im Abgas reduziert. Vorteil: Die NOx-Werte sinken unter die gesetzlich erlaubte Grenze. Die vermuteten Nachteile dabei: Die Leistung wird geringer, das Ansprechverhalten schlechter.
ÖAMTC-Cheftechniker Max Lang: „In diesem Modus wären die Motor-Eigenschaften im Betrieb auf der Straße nicht vergleichbar mit dem, was man von einem modernen Dieselmotor erwartet.“ Übrigens: Die Schummel-Software erkennt sowohl den US-amerikanischen als auch den europäischen Test­zyklus NEFZ (siehe Fahrzyklus) und schaltet in den NOx-Sparmodus.

So selbstbewusst klang VW noch 2007: „Durch die neue Technologie gilt dieser Antrieb als der sauberste Diesel weltweit.“

Presseaussendung vom 18. Oktober 2007 zur Einführung des VW Jetta in den USA

Welche Methoden der NOx-Reduzierung gibt es?

Bei der Verbrennung im Dieselmotor entsteht NOx. Vereinfacht gesagt: Je sparsamer ein Diesel-Motor ist, umso mehr entstehen (aufgrund hoher Drücke und Luftüberschusses im Gemisch) Stickoxide im Abgas. Diese kann man in drei Stufen verringern.

Erstens: innermotorische Maßnahmen, etwa Abgasrückführung (AGR). Die Abgase werden teilweise wieder in den Brennraum geleitet und noch einmal verbrannt.

Zweitens: NOx-Speicherkatalysator. Die Stickoxide werden im Kat gesammelt; ist der Speicher voll, stellt die Motorsteuerung kurzfristig ein fetteres Gemisch her (erhöht den Verbrauch) und wandelt so die Stickoxide im Kat in Wasser und normalen Stickstoff (N2) um. Unsere Atemluft besteht zu 78 % aus Stickstoff.

Drittens: Reicht der NOx-Kat nicht aus, wird stattdessen oder zusätzlich ein SCR-System (Selective Catalytic Reduction) eingesetzt. Durch Einspritzung von Harnstoff (AdBlue) in den SCR-Kat wird das NOx in Wasser und Stickstoff umgewandelt. Der Harnstoff wird in einem eigenen Tank mitgeführt und muss immer wieder nachgefüllt werden. Ein BMW X5 hat in den USA bei den Tests, bei denen VW aufgeflogen ist, die strengen Labor-Grenzwerte eingehalten. Das Fahrzeug besitzt beide Katalysator-Systeme.

 

Welche Motoren sind betroffen?

Den EA189-Dieselmotor gibt es als Vierzylinder mit 1,6 und 2,0 Liter sowie als Dreizylinder mit 1,2 Liter Hubraum. Es handelt sich um einen Motor, der nach der Euro 5-Abgasnorm genehmigt worden war. Seit 2012 wurde er stufenweise vom Nachfolger EA288 abgelöst, der nach der strengeren Euro 6-Norm zugelassen ist. VW beteuert, dass dieser Motor ohne die betrügerische Software auskommt.
Seit 1. September 2015 dürfen bei uns nur noch Fahrzeuge erstmals angemeldet werden, die die Euro 6-Norm erfüllen. Aktuelle Neufahrzeuge von VW, Audi, Škoda und Seat seien nicht betroffen, sagt Volkswagen.

 

Mein Auto auch?

Auf extra eingerichteten Web-Seiten der Hersteller kann jeder überprüfen, ob sein Diesel-Auto aus dem VW-Konzern auch betroffen ist. Mit Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), die man auf dem Zulassungsschein findet, lässt sich herausfinden, ob man ein manipuliertes Fahrzeug besitzt. Die Internetadressen der vier Marken finden Sie auf www.oeamtc.at/abgasmanipulation.
Hier gibt es auch die aktuellsten Infos rund um den VW-Skandal: alle Entwicklungen, Merkblätter, technische Erklärungen sowie ein FAQ (Fragen und Antworten). Wenn Sie den extra eingerichteten ÖAMTC-Sondernewsletter abonnieren, bekommen Sie alle Infos in Ihre Mailbox.

 

Die Nachbesserung

Für jedes einzelne betroffene Fahrzeug-Modell aller vier Marken und die zahlreichen Motor-, Getriebe- und Ausstattungsvarianten muss von VW ein individuelles Maßnahmenpaket erarbeitet werden. Nach Informationsstand bei Redaktionsschluss könnte bei den 2,0-l- und 1,2-l-Motoren ein Software-Update ausreichen, bei den 1,6-Liter-Motoren müssen auch Teile ausgetauscht werden.

Erst wenn alle Maßnahmen mit dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt KBA abgestimmt und von diesem genehmigt sind (voraussichtlich Ende November), kann die Nachbesserung starten. Aufgrund der großen Menge an Fahrzeugen werden die Nachbesserungen das gesamte Jahr 2016 in Anspruch nehmen, wobei die 1,6-l-Motoren erst ab September drankommen sollen. Volkswagen hat bereits mehrfach versichert, dass auf die Kunden keine Kosten zukommen.

VW wollte diese Aktion eigentlich als freiwillige Nachbesserung durchführen, mittlerweile haben die Behörden aber einen zwingenden Rückruf vor­geschrieben. Der Volkswagen-Konzern muss also aktiv auf seine Kunden zugehen.

 

Vorher-Nachher-Tests durch den Club

Der ÖAMTC wird stichprobenartig Fahrzeuge von betroffenen Clubmitgliedern testen. Bevor eine neue Software eingespielt und/oder Teile ausgetauscht werden, misst der Club die Schadstoffwerte sowohl auf der Straße als auch auf dem Prüfstand. Das gleiche Procedere erfolgt nach dem Werkstattaufenthalt des Autos, dann werden die Werte verglichen. So wird festgestellt, ob die Nachbesserung der Fahrzeuge zu Änderungen bei Leistung oder Verbrauch führt. In diesem Fall würde der Club die rechtlichen Möglichkeiten prüfen.

 

Ist mein betroffenes Auto jetzt weniger wert?

Das lässt sich derzeit noch nicht festmachen. ÖAMTC-Experte Thomas Stix: „Wichtig ist, dass die Kunden rasch und transparent informiert und die Maßnahmen schnell umgesetzt werden. Solange noch Unsicherheiten bestehen, kann es zu einer kleinen Delle im Restwertverlauf kommen.“ Wenn die Nachbesserungen erfolgreich und vor allem ohne Nachteil für die Autobesitzer sind, sollte der Wert­erhalt der Fahrzeuge nicht nachhaltig leiden – vor allem, weil die Funktionalität der Fahrzeuge ja in vollem Ausmaß gegeben ist.

 

Muss ich Angst um die Zulassung meines Autos haben?

Es gibt in Österreich keine Betriebserlaubnis, die automatisch erlöschen kann. Insofern besteht diese Gefahr vorerst nicht. Wenn man sich jedoch weigert, die Nachbesserungen vornehmen zu lassen, könnten Garantieverlust oder verwaltungsrechtliche Konsequenzen drohen, wenn das Fahrzeug nicht den Vorgaben entspricht.
ÖAMTC-Jurist Martin Hoffer: „Im Extrem­fall könnte die EU-Typgenehmigung, die in Deutschland erteilt wurde, annulliert werden. Dann wäre es denkbar, dass damit die Grundlage für die Zulassung eines Fahrzeugs in Österreich erlischt. Aber das ist juristisch vollkommenes Neuland. Der Club wird sich auf jeden Fall voll für seine betroffenen Mitglieder einsetzen.“

Fahrzyklus auf dem Prüfstand – Heute und morgen

Der Verbrauch und die Schadstoffe werden in genormten Fahrzyklen auf dem Prüfstand gemessen. In Europa ist dies der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ). Damit werden Fahrzeuge untereinander vergleichbar. Der NEFZ steht schon länger in der Kritik: Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 34 km/h, nur kurz werden 120 km/h erreicht. Damit liegen die ermittelten Verbrauchswerte niedriger als bei vielen Autofahrern in der Praxis.
Am Nachfolger dieses Messverfahrens wird schon gearbeitet, und die Abgasmanipulation auf dem Prüfstand durch VW wird seine Einführung beschleunigen – schon 2017 soll er den NEFZ ablösen. Der WLTP (World Harmonized Light Duty Test Procedure) ist realitätsnäher und dynamischer, das getestete Fahrzeug erreicht eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 46,6 km/h und beschleunigt bis zu 131 km/h. Zusätzlich sollen die Ergebnisse mit Messungen auf der Straße auf Plausibilität überprüft werden. Der festgelegte maximale Flottenverbrauch eines Autoherstellers (95 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer im Jahr 2020 auf Basis des NEFZ) wird dann entsprechend angepasst.
Die Experten des ÖAMTC stellen klar, dass es durch den neuen Fahrzyklus zu keiner Erhöhung der Normverbrauchsabgabe (NoVA) kommen darf. Diese wird ja auch nach dem CO2-Ausstoß berechnet.

6-tuz-pfungstadt-rollenprufstand_CMS.jpg TÜV Süd © TÜV Süd

NOx : CO2 ­– Luftschadstoffe versus Treibhausgas

Stickoxide – insbesondere Stickstoffdioxid (NO2) – sind giftig, stark schleimhautreizend und können in hoher Konzentration zu Lungenschäden führen. NO2 ist außerdem eine Quelle für die Entstehung von bodennahem Ozon. Kohlenstoffdioxid (CO2) ist kein Luftschadstoff und natürlicher Bestandteil der Luft. Allerdings trägt es als Treibhausgas zur globalen Erwärmung bei. NO2 ist also unmittelbar schädlich, zu viel CO2 beeinflusst unser Klima in der Zukunft.

Lang_Max_4c CMS.jpg auto touring Max Lang, ÖAMTC Cheftechniker

Kommentar: Gut für die Umwelt

In aller Deutlichkeit: Der Volkswagen-Konzern hat betrogen. Und betrügerische Tricks zur Reduktion der Emissionen nur auf dem Prüfstand gehören geahndet und sanktioniert. Der Schaden für VW ist riesig. Abgesehen von den enormen Kosten und dem Aufwand für die Nachbesserung der weltweit bis zu elf Millionen Fahrzeuge kann der Schaden für das bislang gute Image des Konzerns in Euro gar nicht ausgedrückt werden.
Trotzdem darf man jetzt nicht vergessen, dass das europäische System zur Reduktion der Kfz-Emissionen eine Erfolgsgeschichte ist. Mit den Euro-Abgasvorschriften gibt es laufend verschärfte Grenzwerte. So stoßen Dieselfahrzeuge heute rund 95 Prozent weniger Partikel aus als noch 1992. Die Stickstoffoxid-Emissionen liegen bei einem modernen Selbstzünder weit unter dem Wert vom Anfang der 1990er-Jahre. Lag der zulässige Grenzwert für NOx bei einem Dieselfahrzeug zur Jahrtausendwende (Euro-3-Abgasnorm) noch bei 500 Milligramm pro Kilometer, liegt er jetzt bei der aktuellen Euro-6-Norm bei 80 Milligramm.
Und zu einer fairen Bewertung des Dieselmotors gehört auch die CO2-Bilanz: Beim Treibhausgas Kohlendioxid schneiden Dieselfahrzeuge um 20 bis 25 Prozent besser ab als Autos mit Benzinmotor. Gemeinsam mit den Bemühungen im Bereich der alternativen Antriebe wie Elektroautos, Plug-in-Hybride oder auch Erdgas-Antriebe befinden uns wir auf dem richtigen Weg.
Wie moderne Technik für eine bessere Luft sorgt, zeigt die Erfolgsgeschichte des Partikelfilters. Beim Feinstaub, also den Partikelemissionen, war der Pkw 1990 noch für 7,8 Prozent oder 2.600 Tonnen der Gesamtemissionen in Österreich verantwortlich. Heute sind es nur noch 3,6 Prozent oder 950 Tonnen, obwohl heute 30 Mal mehr Diesel-Pkw auf unseren Straßen unterwegs sind.
Einen positiven Aspekt hat der Skandal um die Abgasmanipulationen auf jeden Fall: Nach VW wird in Zukunft kein anderer Autohersteller auch nur eine Millisekunde daran denken, in diesem Bereich zu tricksen.

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