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Wann kommt das bestellte Auto? Unsicher.

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Wann kommt das bestellte Auto? Unsicher.

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Juni 2022

In Verzug

Wer ein neues Auto kaufen möchte, braucht vor allem eins: viel Geduld. Die Lieferzeiten sind unberechenbar geworden.

Sie wartet schon seit 13 Monaten – und weiß nicht, wie lange noch: Clubmitglied Kerstin K. hat für ihren Installationsbetrieb im Bezirk Kufstein im April des letzten Jahres einen Citroën-Lieferwagen bestellt. Einen elektrischen, wegen der Umwelt und nicht zuletzt wegen der staatlichen Förderung. Er sollte im Oktober 2021 ausgeliefert werden.

"Es fehlen Teile für die Produktion", meinte der Händler im Dezember. Bis heute können weder er noch der Importeur einen neuen Termin nennen.

Die Folgen: Für Montagen bei Kunden muss das Privat­auto herangezogen werden – und die E-Auto-Förderung (für Private 5.400 Euro, für Firmen bis zu 12.500 Euro) soll nach heutigem Wissensstand im Februar 2023 nicht mehr abrufbar sein.

Kerstin K. ist verzweifelt: "Die Autofirmen verkaufen Autos, obwohl sie wissen, dass sie nicht liefern können!"

Aber sie ist nicht allein. So wie ihr geht es Zehntausenden. Nicht nur die Auslieferung von E-Autos, auch die von Benzin- und Diesel-Modellen läuft zurzeit mit angezogener Handbremse. 

Die Auftragsbücher sind so voll wie noch nie – nicht zuletzt auch getrieben von vielen Vorziehkäufen von Privaten und Firmen, die sich auf die geänderten Marktbedingungen eingestellt haben, wie Hermann Prax, Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Porsche Austria (Gesamt-Marktanteil 37 Prozent), einräumt. Bei Toyota ist der Auftragsbestand laut Sprecher Rudolf Glass sogar um 30 Prozent gewachsen.

Doch die Stückzahl der in Österreich ausgelieferten Autos aller Marken ist im Sinkflug. Im Vergleich zum Vorjahr lag das Minus im April bei 27 Prozent. Global soll der Markt für Neuwagen um ein Jahrzehnt zurückfallen, sagen Branchenexperten voraus.

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Spürbarer Rückgang bei den Auslieferungen. Die Grafik zeigt deutlich den Rückgang der Neuwagen-Zulassungszahlen: Zuerst kamen 2020 Pandemie und Lockdowns, dann 2021 Lieferschwierigkeiten bei Computerchips und Kabelbäumen. Und heuer dürfte es noch weiter bergab gehen. 

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Ein heute bestellter Tesla Model 3 wird voraussichtlich erst im ersten Quartal 2023 beim Kunden sein. Lediglich beim Topmodell geht es sich bis Jahresende aus.

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Was steckt dahinter, dass Hersteller wie BMW oder Mercedes Produktionsstopps einschieben und Kurzarbeit fahren? Und dass fast alle mit ihrer Produktion im Rückstand sind?

Zuerst war es Pandemie-bedingte Produktions-Pausen, dann schlug die Halbleiter-Krise zu: Die teureren Chips der neuesten Generation gingen zuerst an IT- und Smartphone-Hersteller. Jetzt dürften die Produktions­kapazitäten, vor allem in China, wieder aufgestockt sein, doch wegen der dortigen Lockdowns liegen Hunderte Container mit der gefragten Ware in chinesischen Häfen fest. 

Vollends außer Kontrolle geriet die Lage durch den Krieg in der Ukraine: Europas Auto­industrie bezieht von ukrainischen Herstellern ihre Kabelbäume. Die bestehen aus bis zu 1.200 einzelnen Drähten, die zusammen 2,5 km lang, 70 kg schwer und mit 2.800 weiteren Steckverbindungen und Befestigungs-Clips bestückt sind. 

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Kein Einzelfall: Verzweifelte Autokäufer berichten auf Facebook über ihre unliebsamen Erfahrungen.

Wie lange muss man jetzt auf Neuwagen warten? "Aufgrund der angespannten Ver­sorgungssituation einzelner Komponenten kommt es zu Anpassungen des Produktionsprogramms und damit verbundenen Auswirkungen auf die Lieferzeiten", sagt BMW-Sprecher Michael Ebner. Eine generelle Aussage über die Lieferzeiten pro Modell sei aber nicht möglich, da diese von Ausstattung und Motorisierung des jeweiligen Modells abhängen. 

Porsche-Holding-Pressesprecher Prax berichtet: "Wir haben eine Task Force eingesetzt, um die Produktionsausfälle zu reduzieren. Bei unseren Volumensmarken sind aktuell kleinere Fahrzeuge und Autos aus nicht-zentraleuropäischer Produktion schneller verfügbar – bei VW etwa Polo, T-Roc, T-Cross und Tiguan Allspace, bei Škoda der Kamiq und der Fabia." 

Derzeit etwas weniger betroffen sind Toyota (drei Monate Lieferzeit beim Yaris, vier bei C-HR und Corolla, fünf bei Yaris Cross und RAV4) sowie Kia. Pressesprecher Gilbert Haake, Kia: "Wir können aktuell noch recht gut auf Lagerfahrzeuge zurückgreifen, das kommt uns jetzt zugute. Bei speziellen Ausstattungswünschen können es aber auch schon 12 bis 18 Monate werden."

Wolfgang Wurm, Porsche Austria- und Seat/Cupra-Österreich-Geschäftsführer, ist da schon konkreter: Die meisten Seats und Cupras seien noch heuer lieferbar, der Leon aber erst nächstes Jahr. Wurm gibt auch Einblick in eine gängige Praxis der Autoindustrie: "Zu Anfang der Halbleiterkrise gab es Lieferschwierigkeiten bei Ibiza und Arona, weil margenstärkere Modelle in der Produktion bevorzugt wurden. Aber weil eine stehende Produktion das Schlechteste für alle Beteiligten ist, können diese kleineren Einstiegs­modelle nun wieder ein paar Monate nach der Bestellung ausgeliefert werden."

Wurm nimmt auch in einem Interview ausführlich zu den Lieferproblemen Stellung.

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Bei sehr langen Lieferzeiten wird die Autobranche in Zukunft die Preise bis zur Auslieferung anpassen müssen.

Wolfgang Wurm, Geschäftsführer Porsche Austria, Seat und Cupra

Und wie sieht es bei Elektroautos aus? Renault sagt, der neue Megane E-Tech Electric sowie Zoe können bei ­aktueller Bestellung (Stand Ende Mai) im Oktober ausgeliefert werden.

Weniger rosig hingegen die Lage bei Seat: "Für E-Autos werden viel mehr Chips und Kabel benötigt", so Wolfgang Wurm. "Es wird sich aber vieles verbessern, sobald unsere geplanten Batteriefabriken in Europa mit der Produktion beginnen." Deren Produktionsstart ist allerdings erst für 2026 geplant. Und sein Kollege Hermann Prax meint: "Wegen der weltweit ­hohen Nachfrage kann die Lieferzeit bei einzelnen Modellen der VW-Konzernmarken abhängig von der Konfiguration weit über ein Jahr dauern."

Salopp formuliertes Fazit: Der Kunde ist König – wenn er nimmt, was kommt.

Und was ist mit Gebrauchtwagen und Tageszulassungen?

Was Gebrauchtwagen betrifft, so stehen weniger Autos zur Auswahl – aktuell um 15 % im April im Vergleich zum Vorjahresmonat. "Die Nachfrage übersteigt das Angebot, deshalb steigen die Preise", konstatiert Robert Madas von Eurotax Österreich. So hat ein drei Jahre alter Gebrauchtwagen derzeit einen durchschnittlichen Restwert vom Neupreis von 50 %. Das ist ein Plus von 15,8 % gegenüber April 2021.

Die Restwerte werden heuer noch weiter steigen, bei einem drei ­Jahre alten Auto erwartet Eurotax für heuer zusätzlich sieben Prozent. 

Der Gebrauchtwagen als Wertanlage – das ist gar nicht soweit hergeholt: Eine Blitz-Recherche zeigte, dass es sogar Modelle gibt, deren Preis nach einem Jahr Gebrauch noch exakt dem Neupreis entspricht. Wolfgang Wurm: "Den letzten beißen die Hunde. Wer keinen Eintauschwagen hat, spürt die Situa­tion am deutlichsten."

Auch bei den sogenannten Tageszulassungen (Neuwagen werden von Händlern kurz angemeldet und dann als Gebrauchte günstiger verkauft) zeigen sich die Auswirkungen der Lieferverzögerungen. Lag ihr Anteil bei den Neuwagenverkäufen über die letzten Jahre bei rund sieben Prozent, hat sich das heuer in den ersten Monaten mehr als halbiert: auf aktuell drei Prozent.

Auch Firmen-Fuhrparks sind betroffen

In eine Zwickmühle kommen auch Firmen und Körperschaften. Die Gemeinde Langenzersdorf etwa hatte Im Juli 2021 einen Mercedes Sprinter bestellt, weil beim aktuellen Fahrzeug im heurigen Jänner das Pickerl ablief und weitere Reparaturen wirtschaftlich unrentabel waren. Dieser Monat wurde als Liefertermin zugesichert. Der Jänner kam, der Sprinter nicht.

Doch Amtsleiter Helmut Haider hatte noch Glück: Im April ­wurde das neue Fahrzeug geliefert. 

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Wir haben uns auf die Lieferzusage verlassen – wie soll man da noch planen können?

Helmut Haider, Gemeindeamtsdirektor Langenzersdorf

Fuhrparkmanager großer Unternehmen haben es zur Zeit noch schwerer. Arnold S., der eine Flotte von 200 Fahrzeugen für einen bundesweit tätigen Dienstleister managt: "Die Lage ist katastrophal." Im Juli 2021 waren 100 Dienstwagen bestellt worden, die heuer im April ge­liefert werden sollten. "Bislang sind zehn Stück angekommen." Der Flottenverantwortliche räumt auch gleich mit der Vermutung auf, dass Kunden, die große Stückzahlen abnehmen, bevorzugt beliefert würden. "Ganz im Gegenteil." Er hat den Eindruck, dass Importeure gerade ihr Geschäftsmodell "Geld verdienen mit großen Stückzahlen günstiger Fahrzeuge" auf eine möglichst hohe Verdienstspanne bei teureren Modellen umstellen – also weniger Autos verkaufen und dabei in Summe gleich viel verdienen.

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