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Trockenübung für den Ernstfall Boxenstopp: In einer Formel-1-Fabrik ist Simulation alles.

© Renault Sport

Trockenübung für den Ernstfall Boxenstopp: In einer Formel-1-Fabrik ist Simulation alles.

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November 2018

In der Formel-1-Manufaktur

Nahe dem englischen Örtchen Enstone geht es hinter verschlossenen Pforten zu wie in der Nikolo-Werkstatt: Emsig wird gebastelt, geschneidert, gebacken, gezeichnet und gemalt. 

Die diesjährige Formel-1-Saison ist quasi Vergangenheit. Lewis Hamilton hat sich zum fünften Mal die Weltmeister-Krone aufgesetzt und wieder ist ein Jahr vergangen, in dem ausschließlich Fahrer der drei etablierten Top-Teams Mercedes, Ferrari und Red Bull alle Rennen gewonnen haben. 

Viele Fans verbrachten die Renn-Sonntage auf der Couch deshalb mit gelangweiltem Seufzen (oder wahlweise gepflegtem Schnarchen), schlimmer empfinden die Situation naturgemäß aber die Mitarbeiter jener "Best of the rest"-Teams, die Wochenende für Wochenende hinterher fahren. Dies ist nämlich die Formel 1, und da geht es neben sportlichen Erfolgen vor allem um eins: Geld.

Eines dieser Teams, das den Anschluss an die Spitze wieder finden möchte, ist Renault Sport F1. Der historisch erfolgsverwöhnte Rennstall ist mit der aktuellen Performance nicht zufrieden und arbeitet hart daran, endlich auf die Champagner-Herumspritz-Ebene zurückzukehren. 

Wieviel Manpower hinter diesem Vorhaben steckt, durften wir nun hautnah selbst beobachten – direkt im Herzen der Renault'schen Formel-1-Fabrik. Sie sind herzlich eingeladen, uns zu begleiten…

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Enstone, Oxfordshire, 1.103 Einwohner

Die Grafschaft Oxfordshire liegt im Süden Englands, mitten in der traumhaft schönen "Cotswolds"-Gegend, nur eine gute Autostunde vom Londoner Flughafen Heathrow entfernt. Wer hier über die schmalen, oft nur einspurigen Landstraßen kurvt, erntet Streicheleinheiten fürs Auge: sanfte Hügel, grüne Wiesen samt weißer Schafs-Besprenkelung, dichte Wälder. Die purste Natur, die man sich nur vorstellen kann. Nichts deutet darauf hin, dass mitten in dieser verschlafenen Pampa eines der höchstgezüchteten technischen Wunderwerke überhaupt entsteht – ein Formel-1-Auto. 

Umso mehr sind wir überrascht, als wir heute von einer dieser winzigen Landstraßen plötzlich abbiegen und vor einem Fabriks-Tor halten. Es ist der gut versteckte Eingang zum Werksgelände des Renault Sport F1 Teams.

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125 Kilometer nordwestlich von London: die versteckte Einfahrt zum Firmengelände.

20 rare Einblicke in die F1-Fabrik von Renault

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Markentreue Vor dem Eintritt ins Allerheiligste eine kurze Umschau auf dem Firmen-Parkplatz: Die Angestellten fahren offenbar ausnahmslos Konzernprodukte. Erste Fragen tauchen auf: Wie gut sind wohl die Rabatte? Und ist man den Job los, wenn man im alten Mini zum Dienst erscheint?
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Hall of Fame Im Empfangsbereich wird einem die Erfolgsgeschichte des Formel-1-Engagements von Renault gleich einmal ordentlich unter die Nase gerieben. Völlig okay, denn: 12 Konstrukteurs- und 11 Fahrertitel mit 174 Siegen und 215 Pole-Positions in 40 Jahren brauchen kein Understatement.
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Mein erster Eindruck Ich schlendere durch einen Bürotrakt und denke: Noch klinisch sauberer, farblich kälter und ungemütlicher kann man einen Arbeitsplatz fast nicht gestalten. Aber das ist wohl die Formel 1: eine Annäherung an die Perfektion.
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Der Reinraum Nein, das ist kein Chirurg, der soeben eine OP am offenen Herzen eines Patienten durchführt, sondern wir befinden uns im "clean room" der Fabrik. Solche "Reinräume" werden dort benötigt, wo die Struktur der Werkstoffe durch Partikel in der normalen Umgebungsluft gestört werden würden.
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Tapfere Schneiderlein Kohlefaser ist einer der allerliebsten Werkstoffe der Formel-1-Gurus. Das Material hat drei herausragende Eigenschaften: Es wiegt fast nichts, ist in jede erdenkliche Form zu bringen und nahezu unkaputtbar. Sauteuer auch, aber das tut hier halt überhaupt nichts zur Sache.
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Backe, backe Kuchen Blick aus einem "Autoclave", wo gerade ein Teil des Monocoques für einen F1-Renault "gebacken" wird (ja, der Vorgang heißt wirklich so). Diese Öfen sind große Druckbehälter, die für die thermische Behandlung von Stoffen im Überdruckbereich eingesetzt werden. Sie haben vermutlich sogar selbst etwas Ähnliches zu Hause: den Schnellkochtopf.
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Zeichenwerkstatt Ich lege den Harry-Potter-Unsichtbarkeits-Umhang an und blicke den Mitarbeitern in der Design-Abteilung über die Schulter. Hier entstehen am Bildschirm schon die Teile für das 2019er-Auto! (Okay, das war gelogen. Während meines Besuchs wurde natürlich penibelst aufgepasst, dass ich nichts sehe, was auch sonst niemand sehen soll).
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In der Sprayer-Szene Dieser Herr zählt vermutlich zu den bestbezahlten Graffiti-Künstlern der Welt. In hauchdünnen Schichten bestäubt er die einzelnen Teile der F1-Boliden mit Lack, ums Erwischtwerden muss er sich dabei keine Sorgen machen – außer natürlich, er vermasselt ein Werkstück. Jedes von ihnen…
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Kleinod … könnte nämlich mitunter mehr kosten als er im Jahr verdient. Im konkreten Foto-Beispiel verorten wir das Ding mutmaßlich als kleines, aber feines Teilstück der filigranen Frontflügel-Aerodynamik, die von den Fahrern in der ersten Kurve eines Rennens gern stiefmütterlich behandelt wird.
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Dritte Dimension Stichwort Teile-Produktion: Ein durchaus erklecklicher Anteil der Zutaten eines Formel-1-Autos entspringt mittlerweile diesen Geräten. Es handelt sich um mannsgroße 3D-Drucker, die in ein paar Stunden allem greifbare Form geben, was man ihnen als digitales Bild schickt. Was einer von ihnen, die hier doch recht zahlreich herumstehen, denn kostet, frage ich nett – und ernte mildes Lächeln.
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Formula World Ich spaziere weiter, entdecke von oben in einer Halle unter mir dieses lebensgroße Ding. Durften das die intern Klassenbesten der Design-Abteilung basteln? Ich frage bewusst nicht nach. Zu schön ist die Vorstellung, dass genau so (und nicht anders!) in ein paar Jahren die Verschmelzung aus Formel 1 und Formel E aussehen könnte. 
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Alle Jahre wieder Zum Zeitpunkt meines Besuchs beschäftigt die F1-Fabrik in Enstone knapp 700 Mitarbeiter. Es ist ein Traditionsbetrieb in Sachen Motorsport: Hier wurden in den 1990ern schon die ersten Weltmeisterautos von Michael Schumacher (damals noch Benetton) zusammengeschraubt. Viele der "Schrauber" von damals sind noch immer hier, mit der Technik mitgewachsen und -gealtert.
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Der X-Large-PC Intern wird er hier "Supercomputer" genannt, für mich sieht er aus wie eine überwutzelte Server-Farm, die man so nur beim amazonierten, pardon, ambitionierten Online-Händler erwartet. Aber: Das ist "Mistral", einer der 100 stärksten Rechner der Welt. Er ist 52 Meter lang, wiegt 10 Tonnen und schafft 38.000.000.000.000 Rechenoperationen pro Sekunde. Seine primäre Aufgabe? Die Aerodynamik des F1-Renault besser zu berechnen.
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Play Station Sie spielen so wie ich gern Rennsimulationen daheim auf der Konsole? Nun, dann sehen Sie hier die Mutter dessen, was wir gern tun. Dies ist der Kontrollraum in Enstone, von dem aus dem Fahrer jede erdenkliche Renn-Situation ins virtuelle Cockpit eingespielt werden kann. Er sitzt dabei, getrennt durch eine Glaswand, in…
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Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer … einem eigenen Raum mit 270-Grad-Videowand vor ihm – und zwar in einer exakten Nachbildung seines echten Renn-Cockpits. Die Szenerie ist gut vergleichbar mit einem Musikstudio. Am Foto: Schulterblick seiner Perspektive am Strecken-Beispiel Monaco. Interessant: Wie Flugzeug-Piloten leiden manche F1-Fahrer im Simulator an sogenannter "motion sickness" – sprich: Ihnen wird übel. Michael Schumacher ist das prominenteste Beispiel.
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Echtzeit Schon mal gewundert, wie die faszinierenden Boxenstopp-Zeiten während eines Rennens zustande kommen, wo in unter drei Sekunden alle Räder gewechselt werden? Nun, das Renault-F1-Team hat in der Fabrik zum Beispiel einen eigenen Bereich, der in Form und Größe dem nachempfunden ist, was vor Ort passiert. Und hier wird trainiert, trainiert, trainiert und trainiert. Und trainiert.
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Windkanal Das Reglement der FIA verbietet den Teams, lebensgroße Modelle in den (unfassbar teuren) Windkanal zu stellen. Das erlaubte Maximum lautet: 60 Prozent. Sie sehen hier also eine entsprechend kleinere (aber bis aufs allerletzte Millimeter-Detail akkurate) Version des Renn-Geräts, über das – simpel formuliert – sehr, sehr flott Luft geblasen wird, um Werte über die Aerodynamik hochrechnen zu können. 
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Im Gespräch Ich plaudere kurz mit Rob White (li.) und Nick Chester (re.), beide Masterminds in der Teamführung. Rob ist der "operations director" für Renault Sport F1 und ein Benzinkopf, der sich vor allem in der US-Motorsport-Szene einen Namen gemacht hat. Nick ist technischer Direktor des Teams, seit 1994 in der Formel 1, damals hautnah involviert in der Legendenbildung von Damon Hill.
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Das Seven-Post-Rig Diese Vorrichtung könnte man als "Sieben-Pfosten-Schüttler" ins Deutsche übersetzen. Das Original-Auto wird darauf gestellt, danach spielt man die exakten Daten der nächsten Rennstrecke ein. Jede Bodenwelle und jede Unebenheit kann darauf überprüft werden, wie sie sich im Rennen konkret auf die Aerodynamik des Fahrzeugs auswirkt.
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Enstone, wir haben ein Problem Zum Schluss ein Blick in das Hirn der Fabrik während der Trainings-, Qualifikations- und Renn-Sessions. Das Team ist hier, mitten in der englischen Pampa, jederzeit mit der oft tausende Kilometer entfernten Boxen-Crew vor Ort vernetzt – und zwar in Echtzeit. Per Funk kann mit den Fahrern gesprochen werden, sogar die Telemetrie-Daten sind immer im Blick des "Mutterschiffs".

Bubendummheiten

Nico Hülkenberg und Carlos Sainz junior, die 2018er-Fahrerpaarung des Renault'schen F1-Teams, hatten in der heurigen Saison zwar eher selten viel zu lachen – den Spaß an der Freud' dürfte das für die beiden trotzdem nicht getrübt haben. So sieht's zumindest aus, wenn man sie dabei beobachtet, wie sie gemeinsam einen serienmäßigen (und mit 300 PS für sie wohl eher untermotorisierten) Renault Mégane R.S. über die Rennstrecke in Barcelona prügeln. Anschnallen und mitlachen!

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Exkurs: das Formel-1-Lenkrad

Es ist – neben dem Motor – das Herzstück jedes Formel-1-Wagens: das Lenkrad. Mit dem Volant eines konventionellen Autos, wie Sie es im Alltag bewegen, hat es freilich nicht mehr viel gemein (außer vielleicht, dass es gedreht wird). Am meisten sorgt wohl der Preis für Staunen: sportliche 45.000 Euro kostet ein Exemplar nämlich. Was es sonst noch tut und kann, sehen wir uns jetzt genauer an…

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1 Kritisches Element: Das Formel-1-Lenkrad ist die wichtigste Verbindung zwischen Fahrer und Technik. Dementsprechend viel Augenmerk wird auf seine möglichst reibungslose Funktionalität gelegt. © Renault Sport

2 Komplizierte Funktionen, die ein modernes F1-Lenkrad zum Beispiel meistern muss: Differential-Einstellung, Management des Energie-Rückgewinnungssystems ERS, Bremsbalance und vieles mehr. © Renault Sport

3 Der Fahrer muss während des Rennens bis zu 20 Knöpfe, Drehräder und Schalter auf dem Lenkrad bedienen und dabei auch noch die Informationen auf dem Display ablesen und richtig interpretieren. Um alles aus dem Auto herauszuholen, stehen ihm rund 100 verschiedene Kombinationen aus den diversen Funktionen zur Verfügung. © Renault Sport

Die "Bucket-List" für 2019

Im Moment befindet sich das Renault-F1-Team im dritten Jahr eines ausgeklügelten Sechs-Jahres-Masterplans, dessen simples Ziel lautet: Den Anschluss an die Spitze wieder zu finden. 

Für die Saison 2019 lauten die gesteckten Aufgaben und Ziele:

1) Top-Fahrer Daniel Ricciardo ersetzt Carlos Sainz junior
2) Sukzessive Verbesserung des Autos
3) Schließen der Zeitlücke zu den drei Top-Teams Mercedes, Ferrari und Red Bull
4) Regelmäßige Podium-Platzierungen
5) Entwicklungsbeginn in Hinblick auf die großen Regeländerungen im Jahr 2021
6) Parallel dazu intensive Talenteförderung 
 

Epilog: Wunderwaffe "Disco Dan"?

Red Bull-Strahlemann Daniel Ricciardo hat in seiner letzten Saison bei seinem langjährigen Stamm-Team heuer ein mehr als durchwachsenes Jahr hinter sich, das vor allem durch zwei Hindernisse geprägt war: einerseits die unzähligen Ausfälle durch technischen Defekt, andererseits das nicht immer astreine, aber durchaus erstaunliche Talent seines jungen holländischen Teamkollegen Max Verstappen.

Allzu verständlich also, dass es dem sympathischen Australier mit dem Zahnpasta-Werbungs-Lächeln nun gereicht hat. Dass er 2019 ausgerechnet ins jüngst nur mäßig erfolgreiche Renault-Team wechselt, hat viele überrascht, sogar seine neuen Bosse, wie wir vor Ort in Enstone hören. Rob White, Leiter der Motorenabteilung: "In der Formel 1 gibt es gute Fahrer und es gibt 'Superfahrer'. Zu denen zählen Leute wie Alonso, Hamilton oder Vettel. Und eben Daniel Ricciardo".

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1 Am Ende der Saison 2018 steigt Daniel Ricciardo zum letzten Mal aus seinem Red Bull. © Helmut Eckler

2 Ein Blick, der Bände spricht: "Disco Dans" mimische Zusammenfassung des heurigen Jahres. © Helmut Eckler

3 Ob wir den charakteristischen Ricciardo-Lacher demnächst wieder öfter sehen? © Helmut Eckler

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