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© MercedesAMGF1 Steve Etherington
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August 2022

Cooler Kronprinz

Handverlesen. George Russell gilt als Wunderkind im Formel-1-Zirkus. Und der Youngster weiß, was er will: den Thron der Königsklasse, die Weltmeisterschaft.

Blaugraue Augen, flaumiger Dreitagebart, ein Anflug von Lächeln und als Gruß das obligate Corona-Fausterl. Der 24-jährige George Russell, Mercedes-Pilot und Teamkollege von Formel-1-Ikone Lewis Hamilton, ist auch im Interview ein Vorbild – mehr noch, ein Gentleman: geduldig, hochprofessionell und überraschend empathisch.

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— Du springst in Silverstone aus dem Auto, um nach einem verunglückten Kollegen zu sehen. Wie hast du die Situation erlebt?

george russel: Es war eine natürliche Reaktion, denn der Unfall des Alfa-Romeo-Piloten Guanyu Zhou war schrecklich. Klar, Motorsport ist gefährlich, besonders bei hohen Geschwindigkeiten wie in der Formel 1. Silverstone hat uns erinnert, wie nah wir die ­Autos ans Limit bewegen. Schon ein kleiner Fehler kann in einer Katastrophe enden.

George Russell_HE_0140.jpg Helmut Eckler © Helmut Eckler
George Russell gibt sich im Gespräch mit auto touring eloquent und empathisch.

— Denkst du, dass unbedingt etwas geschehen muss in Bezug auf Sicherheit?

GEOROGE RUSSELL: Ich meine, in punkto Sicherheit gibt sowieso eine permanente Entwicklung. Aus jeder Katastrophe lernen wir, was in Zukunft verbessert werden muss; und wenn wir uns die Verbesserungen der letzten 30 Jahre ansehen, die waren doch beträchtlich. Ich bin auch sicher, wenn wir die Zeit um 30 Jahre nach vorspulen könnten, würden die Themen zur Sicherheit die gleichen sein. Und es wird auch da nicht möglich sein, die Geschwindigkeit, mit der wir unterwegs sind, zu kompensieren. Somit ist Sicherheit ein ewiger Lernprozess.

— Formel-1-Fahrer zu werden, ist der unerfüllte Traum vieler junger Motorsportler. Warum, glaubst du, hast du es geschafft?

george russell: Für einen Sitz in einem Formel-1-Auto müssen die Sterne günstig stehen (lacht). Damit ein junger Fahrer reinkommt, muss ein anderer großartiger Fahrer gehen. Ich hatte das Glück, mit 17 Jahren von Mercedes ausgewählt zu werden. Die haben mich unterstützt, mir vertraut und ich habe abgeliefert.

— Apropos Unterstützung: Wie sehr war die Familie in deine Karriere involviert?

george russell: Ohne die finanzielle und emotionale Unterstützung meiner Familie wäre ich heute nicht hier. Als Kind schätzt man das nicht, begreift nicht den Wert des Geldes. Denkt, es sei normal, dass der Vater von Montag bis Freitag von 7 bis 19 Uhr arbeitet. Immer freitagabends sind wir alle nach Schottland oder sonst wohin gereist, fuhren dort Kart-Rennen und gaben Vaters hart verdientes Geld aus.

Gestik mit George

George Russell_HE_0178.jpg Helmut Eckler © Helmut Eckler
Runter…
George Russell_HE_0177.jpg Helmut Eckler © Helmut Eckler
… rauf
George Russell_HE_0186.jpg Helmut Eckler © Helmut Eckler
… und was war noch?

— Erinnerst du dich noch an deine erste Wahrnehmung von Motorsport?

george russell: Ich denke, das war, als mein älterer Bruder Gokart-Rennen gefahren ist. Ich war drei Jahre alt und hatte einen Tret-Traktor. Ich erinnere mich genau: Mit diesem Traktor bin ich auch über die Kart-Strecke gefahren (grinst).

— Was, glaubst du, ist deine besondere Stärke?

george russell: Ich bin extrem dynamisch und fokussiert. Bei jedem Rennen sind die Szenarien anders: Wetterbedingungen, Grip-Niveau, Windrichtung, Temperaturen plus unterschiedliche Reifen. Also muss ich mich vorbereiten. Aber es passiert immer etwas, womit du nicht rechnest. Daher ver­suche ich alle möglichen Ereignisse zu visualisieren. Darin bin ich wirklich gut.

Ruhm ist nichts, dem ich nachjage. Mein Ziel ist, Formel-1-Champion zu werden.

George Russell, Formel-1-Fahrer

— Als Formel-1-Pilot bist du eine öffentliche Person. Was bedeutet das für dein Privatleben?

george russell: Ruhm ist nichts, dem ich nachjage. Mein Ziel ist, Formel-1-Champion zu werden. Ich weiß aber, dass Ruhm und Formel 1 einhergehen. Das hat auch massive Auswirkungen auf mein persönliches Leben. Es ist kein normales Leben mehr, beim Abendessen im Lokal angesprochen oder für ein Selfie angehalten zu werden. Daran gewöhne ich mich nur langsam.

— In Bahrain 2021 bist du als Ersatzmann für Lewis Hamilton sofort vorne weggefahren. Das Team hat deinen ersten Grand-Prix-Sieg vermasselt. Ärgert dich das noch?

george russell: Ob ich dieses Rennen gewonnen hätte oder nicht, das ändert für mich nichts. Klar will ich gewinnen, weiß auch, dass dieser Sieg irgendwann kommen wird. Bin daher nicht verärgert. So ist das Leben, so ist Motorsport.

Ich werde mich nicht von der Vergangenheit aufregen oder frustrieren lassen. Dasselbe gilt für Silverstone heuer. Es war mein Heimrennen, das Rennen, bei dem mein Auto am konkurrenzfähigsten war. Und dieses Wochenende verlief absolut nicht so, wie ich es wollte. Aber ich lasse mich davon nicht innerlich auffressen. Das ist Geschichte, abzuhaken. Ich muss auf die Zukunft schauen.

George Russell_HE_0140.jpg MercedesAMGF1 Steve Etherington © MercedesAMGF1 Steve Etherington
Spritzig: George Russell feiert ausgelassen den 3. Platz im Rennen von Barcelona. Auf den ersten Grand-Prix-Sieg muss der Youngster allerdings noch warten.

— Stichwort Silverstone: Wenn du die Strecken Silverstone und Österreich vergleichst, was ist der Hauptunterschied aus der Sicht des Fahrers?

GEORGE RUSSELL: Silverstone ist extrem schnell und flüssig zu fahren. Der Red-Bull-Ring hingegen ist sehr wellig. Aber eine großartige Strecke, die uns Fahrern großen Spaß macht. Die Kurven sind anspruchsvoll. Durch das Bergab und Bergauf ergibt es eine tolle Dynamik. Wir bremsen stark in Kurve 3, die bergauf führt, und bremsen hart vor Kurve 4, wo es bergab geht. Und es gibt Passagen, die abfallend sind wie Kurve 6. Kurve 7 ist dann wieder etwas holpriger. Einzigartig sind die letzten beiden Kurven. Alles in allem eine Strecke, die ich sehr mag.

— Du bist jetzt fix bei Mercedes, im erfolgreichsten Team des letzten Jahrzehnts. Ihr seid im Moment nicht siegfähig. Nervt das?

george russell: Das sind Dinge außerhalb meiner Kontrolle, die ich schwer ändern kann. Meine Aufgabe ist, das Auto so schnell wie möglich zu bewegen. Leider sind wir im Moment nicht dort, wo wir sein wollen, aber ich habe keine Zweifel, dass wir schon sehr bald mit Red Bull und Ferrari um Siege kämpfen werden.

— Als junger Mann zu einem 7-fachen Champion wie Lewis Hamilton ins Team zu kommen, das muss einschüchternd sein, oder?

george russell: Wenn du im Auto sitzt, bist du eins mit dir und deinem Selbst. Da spielt es keine Rolle, ob dein Teamkollege ein 7-facher Champion ist oder du ein absoluter Neuling bist. Wenn der Helm auf ist, bin ich allein. Und es kümmert mich nicht, wer da um mich herum ist.

Winke, winke…

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1 Der 24-jährige George Russell gilt als Wunderkind des britischen Automobil-Rennsports. © MercedesAMGF1 Steve Etherington

2 Er liebt seine Heimstrecke Silverstone und die britischen Fans lieben ihn, aber… © MercedesAMGF1 Jiri Krenek

3 … es ist kein normales Leben. Als Formel-1-Pilot wird er immer wieder für Selfies angehalten. © LAT Images

— Du sieht immer so gefasst aus. Ich erinnere mich an deine ersten Punkte, damals noch bei Williams. Du hattest Tränen in den Augen. Bist du doch ein emotionaler Mensch?

GEORGE RUSSELL: Es war großartig! Ein ganz besonderer und wichtiger Moment für mich. Und ich wusste, wieviel diese Punkte für das das Williams-Team bedeuteten. Wir hatten gerade eine sehr schwierige Zeit durchgemacht: Die Leute kämpften um ihre Zukunft, ihre Jobs und darum endlich Punkte einzufahren. Somit war es enorm wichtig für die Konstrukteurswertung und für das Selbstvertrauen im Team. Also, ja… Niemand sollte immer cool oder kaltherzig sein. Manche Gefühle muss man einfach rauslassen.

Mich interessieren Top-Athleten. Ihre Mentalität und die Frage: Was macht den Besten zum Allerbesten?

George Russell, Formel-1-Fahrer

— Die Formel 1 ist extrem intensiv und fordernd. Wie entspannst du dich, um deinen Kopf frei zu bekommen?

GEORGE RUSSELL: Entspannung, ja. Das brauchen wir alle. Ich verbringe gerne Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden. Ich habe kein bestimmtes Ritual, auch keine Hobbys, um den Kopf freizubekommen. Okay, ich hab’s mit Golf probiert. Sagen wir, das wäre mein Hobby (lächelt). Aber Ich hab einfach viel zu wenig Zeit dafür.

— Aber falls du nicht im Motorsport oder der Formel 1 gelandet wärst – gab es eine andere Sportart, die du heute ausüben würdest?

GEORGE RUSSELL: Ich habe Fußball gespielt, als ich jünger war. Im Moment verfolge ich alle möglichen Sportarten, allesamt auf Top-Niveau, darunter auch Tennis. Ich bin deswegen heuer sogar nach Wimbledon gefahren und ich habe die Spiele so sehr genossen.

— Tennis, Fußball, Golf: Scheint als hättest du das, was man schlicht Ballgefühl nennt?

GEORGE RUSSELL: Ich denke schon. Aber im Grunde faszinieren mich die besten Athleten der Welt. Ihre Mentalität, ihr Fokus, ihre Ausdauer. Immer wieder frage ich mich: Was macht den Besten zum Allerbesten? Zum Beispiel ein Roger Federer oder Lewis Hamilton. Aber auch Ronaldo, Tom Brady, Michael Jordan, David Beckham. Wenn du mit diesen Leuten sprichst, verstehst und spürst du, warum sie die Besten sind.

— Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, auch in der Formel 1. Wie denkst du darüber?

george russell: Zweifellos ein wichtiges Thema, zu dem ich zugegeben mehr Aufklärung brauche. Ich denke, wir alle wollen positiven Einfluss auf die Welt nehmen. Ich bin stolz, wie sich die Formel 1 diesbezüglich weiterentwickelt. Im Moment ist es aber nichts, worüber ich zu viel nachdenke. Natürlich habe ich es im Hinterkopf, versuche so nachhaltig wie möglich zu leben.

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