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© Erich Reismann
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Mai 2023

"Le Mans ist ein Prüfstein"

Zweimal gewann er Le Mans, dreimal stand er am Formel-1-Podium. Er ist BMX-Weltmeister und eine Romy hat er auch: Alexander Wurz über den 24-Stunden-Klassiker, dessen 100-Jahr-Jubiläumsrennen – und E-Scooter.

Ja, bitte? Ich renn' grad von einem Debriefing zum anderen." Als auto touring Alexander Wurz zum Terminausmachen am Telefon erreicht, heulen im Hintergrund die Motoren und Schlagschrauber. Es ist Freitag, der 28.4., Wurz ist beim 6-Stunden-Rennen in Spa-Francorchamps.

Wenn der zweifache (und immer noch jüngste) Le-Mans-Sieger nicht gerade Strecken designt, Rennen kommentiert oder als Vorsitzender der GPDA (das ist die Fahrer-Gewerkschaft der Formel-1-Piloten) tätig ist, berät er nämlich das erfolgreiche WEC-Team von Toyota.

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— Alex, wie bekommt du das eigentlich alles unter einen Hut?

Alexander Wurz: Gute Frage. Mit einem tollen Team, in dem die Leute Freiheiten haben und wissen, was sie tun. Beim Racetrack-Design haben wir ein Auftragsvolumen von über 1,5 Milliarden US-Dollar. Bei Toyota habe ich etwa 72, 73 Einsatztage im Jahr. Ähnlich ist es beim Fernsehen.

Und ich arbeite genauso im Taxi oder am Flughafen sitzend und auf den Flieger wartend. Aber eigentlich sehe ich das auch nicht als Arbeit. Ich sag' immer: Ich bin viel beschäftigt, aber nicht gestresst, sondern mach' das gern, um was weiterzubringen. Weil's Spaß macht.

— Und was machst du, wenn du einmal nicht beschäftigt bist?

Alexander Wurz: Eine Beschäftigung finden (lacht). Nein: Ich hab' auch noch, als Start-up mit einem Freund zusammen, die Electric Scooter World Championship.

— Da seh' ich immer Kurzvideos auf Instagram.

Alexander Wurz: Ja, wir haben, obwohl wir aktuell bis Dezember eine kleine Pause machen, mehr Social-Media-Traffic als die Formel E. Das Produkt ist lässig, wir sind ja nicht nur Rennserie, sondern haben Sicherheitsexperten – hohe Kaliber, teilweise aus der Formel 1 – und beraten Regierungen, Hersteller, Clubs, Polizei.

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— Wie bist du privat unterwegs? E-Scooter?

Alexander Wurz: Hab' ich schon, aber eigentlich viel zu Fuß. Und wenn ich nach Fontvieille rüberfahr', das ist ein bisserl weiter, fahr' ich mit dem Radl. Weil ich hab' kein Problem, auch ein bisserl zu schwitzen.

— Stichwort Rad: Du bist BMX-Weltmeister. Wie ist es dazu gekommen?

Alexander Wurz: Bei den Reisekosten hat mich damals der ÖAMTC unterstützt. Dazu gekommen bin ich, weil ich erst den Film "E.T. – Der Außerirdische" und dann meinen Cousin auf einem BMX-Rad gesehen habe. Der hat erzählt: "Da gibt’s Rennen auch." Und ich hab' gesagt: "Da will ich mitmachen."

Beim ersten Rennen bin ich gleich Zweiter geworden, knapp hinterm damaligen österreichischen Meister. So hab' ich angefangen.

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Red Bull Ring_2015-06_HE_4844_CMS.JPG Helmut Eckler 2
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1 Seit fast 15 Jahren co-kommentiert Alexander Wurz… © Helmut Eckler

2 … die meisten Formel-1-Rennen an der Seite von Ernst Hausleitner (rechts). © Helmut Eckler

3 Für ihre Arbeit erhielten sie 2014 eine Romy in der Kategorie "Beliebteste:r Moderator:in – Information". © Helmut Eckler

— Auf Anhieb Zweiter beim BMX-Rennen, auf Anhieb Erster beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1996. Wie bist du in den Langstrecken-Motorsport reingerutscht?

Alexander Wurz: Im Grunde durch den Goodwill des Teamchefs Reinhold Joest. Damals bin ich im Team Joest in der ITC, der Internationalen Touring Championship, gefahren. Irgendwann hat er einmal gesagt: "Ich zeig' dir unser Geheimprojekt." Dann sind wir in eine Werkstatt und dort hat er dann einen offenen Spyder mit Porsche-Motor enthüllt.

Da hab' ich gesagt: "Boah, ich würde alles geben, um mit diesem Auto zu fahren." Er hat zum Lachen angefangen und gemeint: "Jo, du bist noch ein bissl z’jung für Le Mans." Und ich habe geantwortet: "Die Stoppuhr weiß nicht, wie alt ich bin."

Dann ruft er mich zwei Monate später an und fragt, ob ich Zeit hätte, weil einer der Fahrer, der Pierluigi Martini, krank geworden ist und er jemanden zum Aushelfen bei den Tests in Paul Ricard braucht.

Ich bin in der sechsten Runde schneller gefahren als alle anderen. Das Lustige war: Es waren meine ersten Runden auf der Strecke – und dann noch in der Nacht! Da meinte er: "Das war jetzt irgendwie nicht schlecht." Er hat mich recht gern gehabt und es hat ihm getaugt, dass ich so emotional verbunden war mit Le Mans.

Die Stoppuhr weiß nicht, wie alt ich bin.

Alexander Wurz, jüngster Le Mans-Sieger aller Zeiten

— Emotional verbunden seit der Kindheit?

Alexander Wurz: Ja. Bei einer Motorshow hab' ich mich einmal in das Auto vom Walter Lechner hineingesetzt. Er hat die Tür zugemacht. Und dann auf einmal… das war sowas wie ein Magic Moment. Wennst die Tür zumachst, dann bist du in dieser Kapsel drinnen und du weißt, mit dieser Kapsel reist du durch das Leben und durch die Zeitgeschichte mit über 350 km/h. Du bist da drinnen in deiner eigenen Welt. Das hat mich in dieser Splitsekunde so infiziert.

Auch jetzt, wenn ich mich in ein Auto setze, hab' ich noch immer dieses Gefühl – und wenn's nur zum Sitzchecken mit Toyota ist.

— Der erste Sieg war aber in einem Porsche WSC-95, der ja offen ist.

Alexander Wurz: Ja, der ist offen, aber i hab' liaba die geschlossenen Autos. Viel lieber. Aber natürlich hab' ich nicht Nein gesagt, nur weil's Dachl fehlt.

— Was ist intensiver?

Alexander Wurz: Beides hat Plus- und Minus-Seiten. Einerseits ist es geschlossen ein bisschen geschützter. Dafür hast du wesentlich weniger Gefühl zur Außenwelt. Und das ist so wichtig. Offen hörst und spürst du die Windböen. Du hast also einen Extra-Sensor, der dir hilft, die letzten Zehntel rauszuholen. Das ist ein Vorteil.

Im geschlossenen Auto spürst du das alles nicht. Du bist weniger Teil des "Environments". Bist aber natürlich auch ausgeruhter, weil das ganze "wind buffeting" am Kopf, das macht auch sehr müde.

WSC Porsche AG.jpg Porsche AG © Porsche AG
In einem Porsche WSC-95 gewinnt Alexander Wurz 1996 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

— Wie ist das grundsätzlich mit der Müdigkeit?

Alexander Wurz: Aktuell fährt ein Fahrer teilweise vier Stunden am Stück, das ist das erlaubte Maximum. 1996 waren's noch zwei. Von der Fitness her ist das natürlich anstrengend, wobei das nie mein Problem war. Schwierig wird's in der Nacht und in den Morgenstunden, wenn du gegen die Gewohnheit fährst, gegen deinen eigenen Hormonzyklus. Irgendwann kommt das Melatonin raus – und du wirst müde.

Als ich damals in Le Mans angetreten bin, habe ich überhaupt keine Ahnung gehabt, mich einfach reingesetzt – und bin aus meiner hohen Fitness und Ungestümheit heraus gefahren. Aber ich hab' das ganze Rennen keinen einzigen Fehler gemacht, bin nicht einmal fünf Zentimeter neben die Strecke gerutscht. Das war irgendwie wie ein Schweizer Uhrwerk.

— Dein zweiter Sieg 2009, dein letzter Antritt 2015: Was hat sich da seit dem ersten Sieg alles verändert?

Alexander Wurz: Natürlich der Speed. 1996 war eines der Jahre, die nach der Gruppe C verlangsamt worden sind. Da sind wir zehn Sekunden langsamer als 2008, 2009 gefahren.

Und noch etwas: Als ich beim ersten Mal angetreten bin, da gab's eigentlich nur Auto, Benzin, Reifen, schnelles Fahren. Das hat sich nicht geändert, aber Le Mans ist zusätzlich zur Technologiestudie geworden.

Als ich zurückgekommen bin, haben Audi und Peugeot gezeigt, dass ein Diesel ein äußerst sportliches Auto sein kann. Wir haben da Rundenzeiten rausgequetscht, das war sensationell. Natürlich ist dann Dieselgate gekommen. Aber schon davor gab's die nächste Technologie: Hybrid.

Wir fahren verglichen zu früher mit der Hälfte des Sprits, mit der halben Anzahl Reifen – und schneller. Deshalb hat die WEC für Konzernchef Akio Toyoda zu 100 % Berechtigung. Weil er dieses Know-how, die Technologien und die Werkstoffe auf der Straße wiederverwenden kann. Das ist Le Mans: ein Prüfstein.

Und das wird mit Wasserstoff genauso sein, Ende dieses Jahrzehnts. Dann werden wir umrüsten – und werden auch dort mit alternativen Energien und Treibstoffen neue "Boundaries" schaffen.

— Was sind denn eigentlich deine konkreten Aufgabenbereiche bei Toyota?

Alexander Wurz: Am Rennwochenende: Mitdenken bei Set-up und Strategie. Zwischen den Rennwochenenden mit den Fahrern arbeiten. Da sein, wenn sie etwas brauchen. Und ich bin mit meiner Erfahrung in den Langzeitentwicklungen involviert. Also eine klassische "overarching" ­– sprich umfangreiche ­­­– Beratungstätigkeit.

— Es läuft auf jeden Fall wie geschmiert bei euch.

Alexander Wurz: Auf Holz klopfen.

— Kamui Kobayashi ist Teamchef und gleichzeitig einer der Fahrer. Wie funktioniert das? In der Formel 1 wäre das undenkbar.

Alexander Wurz: Formel 1 sind 24 Rennen und die Teamchefs sind dort extrem eingebunden, weil es ein sehr politischer Motorsport ist. Teams und Teamchefs arbeiten stärker am Reglement mit.

Außerdem erlaubt es unser Gefüge, dass Kamui am Rennwochenende unser Fahrer ist. Er repräsentiert natürlich unser Team, aber es ist keine zugespitzte Rolle auf eine Einzelperson, so wie zum Beispiel Toto Wolff bei Mercedes, sondern eine breit gestreute Aufteilung der Aktivitäten. Und das funktioniert recht gut. Wenn der WEC-Kalender wachsen würde und sich die Rennen verdoppeln auf zwölf oder 14…

— Ist sowas in die Richtung geplant?

Alexander Wurz: Ich glaube, wir werden über die nächsten zwei Jahre um zwei Rennen wachsen, aber jetzt nicht dramatisch explodieren.

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Für auto touring testete Wurz 2021 im neuen…
Wurz_Toyota Yaris_ER_0774_CMS.jpg Erich Reismann © Erich Reismann
… im neuen Experience Center des ÖAMTC Fahrtechnikzentrums Saalfelden…
Wurz_Toyota Yaris_ER_0882_CMS.jpg Erich Reismann © Erich Reismann
… den neuen Toyota GR Yaris.

— Nachdem Toyota die letzten Jahre nicht mehr viel Konkurrenz hatte, gibt es mittlerweile wieder sehr viele Teams: Was ist da richtig gemacht worden?

Alexander Wurz: Also: Die LMP1-Ära, wo Porsche, Toyota und Audi gegeneinander gefahren sind – und ein paar kleinere Teams auch – das war mega. Die Autos waren technologisch am Limit, aber dementsprechend aufwendig und teuer.

Wir sind in diesem Sport als Toyota hineingegangen, um uns an der Konkurrenz zu messen. Ich salutiere immer noch vor Akio Toyoda, der gesagt hat: "Okay, wir wollten Konkurrenz, jetzt ist sie weg", und sich dann mit Le Mans Gedanken gemacht hat, wie man diesem ganzen Highend-Segment eine Plattform bieten könnte.

Mit dem Ergebnis, das Reglement kostengünstiger zu machen. Ich würde sagen: um mehr als die Hälfte, vielleicht sogar ein Drittel. Das hat gefruchtet, schon bei der Präsentation haben sich sehr viele Hersteller angemeldet. Der Motorsport fasziniert, kann Kunden und den Endverbraucher emotional an die Marke binden.

— Also overall ist die Zukunft vielversprechend?

Alexander Wurz: Die Zukunft ist vielversprechend. Die Formel 1 boomt ja auch. Ich bin immer der Meinung, dass der Motorsport zusammenarbeiten muss. Zwar leben wir in einer Gesellschaft, in der die Freizeit größer wird. Aber der Kampf um sie ist beinhart. Social Media, Hollywood, Computerspiele, physisch Ausgehen – es gibt viel Konkurrenz. Dennoch: Es ist fast unmöglich, dass wir als Le Mans und FIA WEC jetzt nicht wachsen. Und das find' ich lässig, weil für mich ist das so ein heroisch-cooler Sport.

— Und worauf können wir uns beim 100-Jahr-Jubiläum am 10. und 11. Juni freuen?

Alexander Wurz: Auf viel! Le Mans betreibt einen riesigen Aufwand, etwa mit einer Jahrhundert-Ausstellung und -show. Die Tickets waren in kürzester Zeit ausverkauft, das platzt da aus allen Nähten. Wird sicher super-lässig.

— Letzte, sehr gemeine Frage: Formel 1 oder Le Mans?

Alexander Wurz: Füa wos?

— Gemeine Gegenfrage. Sagen wir: Wofür schlägt das Herz höher?

Alexander Wurz: Uh, schwierig. Fast nicht beantwortbar. Aber im Zweifelsfall: Le Mans.

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