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© Julia Pachler
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Juli 2021

Die Zwei von der Tankstelle

Esther und Christoph wurden Mitte der 1990er-Jahre beim Autofahren dicke Freunde. Als sie einander vor 21 Jahren aus den Augen verloren, wussten beide nicht, dass sie ihren Traumjob später beim ÖAMTC finden würden. Jetzt gab's ein emotionales Wiedersehen.

Ich war jung und brauchte das Geld. Als ich 1996 direkt nach der Matura vom oberösterreichischen Mühlviertel ins ferne Innsbruck zog, um ein – im Endeffekt erfolgloses – Jus-Studium zu beginnen, ging es mir wie allen Studenten: Die finanziellen Mittel waren knapp, also musste ein Nebenjob her. 

Weil mich Autos schon seit meiner Kindheit begeistert hatten, tauchte die grandiose Idee in meinem Kopf auf, mich als Übersteller bei einer Mietwagenfirma zu bewerben. Ich dachte: Wo sonst habe ich als 18-Jähriger die Möglichkeit, jeden Tag mit den neuesten Automodellen unterwegs zu sein? 

Also blätterte ich im Innsbrucker Telefonbuch (ja, so machte man das damals!) und wählte die erstbeste Nummer, die ich fand. Am anderen Ende der Leitung meldete sich die Chefin der Flughafen-Dependance eines bekannten Mietauto-Unternehmens und lud mich ein, am nächsten Tag zu einem Gespräch vorbeizukommen.

Meine Vorstellung verlief erfolgreich, bereits tags darauf saß ich nämlich in einer Mercedes E-Klasse – mit dem Auftrag, das für mich unfassbar luxuriös anmutende Gefährt zu einem Kunden in ein Tiroler Nobelhotel zu bringen.

Es war der Tag, der meinen beruflichen Werdegang entscheidend prägen sollte…

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Tiroler Mietwagen-Alltag 1996

Gleich in der ersten Woche meines neuen Nebenjobs, der sich – zum Leidwesen meines Studiums – in kürzester Zeit zu einer so nicht geplanten Vollbeschäftigung entwickeln sollte, habe ich Esther kennengelernt. 

Sie war schon ein paar Wochen länger bei der Mietwagenfirma, gleich alt wie ich, hatte kurz zuvor die Schule abgebrochen und deshalb ebenso Bedarf an schnell verdientem Geld. 

Bis heute fasziniert mich, wie wir so schnell richtig dicke Freunde werden konnten. Immerhin waren wir zwei komplett konträre Typen Mensch: Sie hörte die mir damals so verhasste Rave-Musik, ich stand auf Beatles und Britpop. Ich kam aus dem oberösterreichischen Hügelland, sie war ein Kind der Tiroler Berge. 

Aber: Sie hatte das, was ich seit jeher an Menschen über alles schätze – eine ruhige Art samt der Angewohnheit, zuerst zu denken und dann zu reden. Plus diesen seltenen trockenen Humor, den nicht viele verstehen. Sprich: alle Zutaten, die es braucht, um über Jahre hinweg jeden Tag stundenlang gemeinsam in einem Auto zu sitzen, ohne den anderen während der Fahrt am liebsten rausschmeißen zu wollen.

Und genau das – täglich stundenlang Auto zu fahren – taten Esther und ich. Wenn ein bestelltes Fahrzeug etwa zu einem Kunden nach Bregenz geliefert werden musste, schnappten wir uns ein zweites, sogenanntes "Shuttle-Auto" vom Parkplatz der Flughafen-Filiale (meistens eines mit ordentlich Kraft) und fuhren los. 

Die Zustellungen waren dabei stets von Zeitnot geprägt, folglich waren wir durchgehend, nun ja, eher flott unterwegs. Bis heute bin ich der Ansicht, dass ich es meinen Jahren in Tirol zu verdanken habe, dass aus mir später ein guter Autofahrer und professioneller Test-Redakteur wurde.

Und Esther? Sie war und ist die Königin des kontrolliert flotten Fahrens. Bis auf meine Kollegen in der auto touring-Redaktion kenne ich niemanden sonst, der so "rund", konzentriert, fehlerlos und mit soviel Überblick hinter dem Lenkrad agiert wie sie. In all den Jahren des forcierten Unterwegsseins damals kann ich mich im Nachhinein an keine einzige brenzlige Situation in ihrer Obhut erinnern. 

Die zurückgegebenen Mietwagen mussten natürlich auch geputzt werden – im Fachjargon als "aufbereitet" bezeichnet. Bis zu zehn Autos musste jeder von uns täglich tanken, waschen und saugen – da entwickelt man nach einiger Zeit ein irre schnelles Procedere. Im Falle starker Verschmutzungen (ich erinnere mich an einen schimmeligen Cheeseburger unter dem Beifahrersitz, der nach einer Langzeit-Miete schon mit der Bodentapezierung verwachsen war) durften wir dem Mieter in Eigenregie sogar Strafzahlungen aufbrummen.

Erledigt haben wir die ungeliebte Reinigungsarbeit immer an der selben Tankstelle am Innsbrucker Fürstenweg, nur etwa drei Minuten Fahrzeit von unserer Flughafen-Basis entfernt.

In meinem Papierfoto-Archiv habe ich leider nur ein einziges Bild aus diesen Tagen gefunden. Foto-Handys gab es schließlich noch nicht, und Zeit zum heutigen Instagram-Posieren hatten wir im Arbeitsstress auch nicht.

2021_07_esther_EM_1er_4.jpg Esther Marihart © Esther Marihart
Anno 1996: Der heutige auto touring-Redakteur Christoph Löger bei der "Aufbereitung" eines Volvo S40.

Ende zur Jahrtausendwende

Je mehr Esther und ich mit Hunderten von Mietwagen unterwegs waren, desto größer wurde unsere Liebe zu Autos. Sie entwickelte schließlich den Traum, eine der ersten Kfz-Mechanikerinnen Tirols zu werden, und ich traf die Entscheidung, früher oder später im Motorjournalismus Fuß zu fassen, um meine beiden liebsten Hobbies – das Auto und das Schreiben – zu vereinen.

Ab 1998 habe ich deshalb begonnen, von den tollsten Autos, die ich damals gefahren bin, Testberichte an die einschlägigen Motor-Redaktionen in Wien zu schicken. Unermüdlich, zwei Jahre lang – und immer mit der Konsequenz freundlicher Absagen.

Bis zum Frühling 2000, als mich die Chefredakteurin eines monatlich erscheinenden Automagazins fragte, ob ich mir vorstellen könnte, meine Zelte abzubrechen und zwecks Volontariat nach Wien zu ziehen. Meine damalige Freundin fühlte sich in Innsbruck auch nicht mehr wohl, also packten wir unsere Sachen und verließen Tirol. 

Ich sollte meine beste Freundin Esther danach 21 Jahre nicht mehr sehen.

Zeitraffer 2021: ein typischer Arbeitstag…

… im Leben von Esther Marihart, Kfz-Technikerin am ÖAMTC-Stützpunkt Innsbruck, und Christoph Löger, Redakteur beim auto touring.

Esther Marihart, Kfz-Technikerin

Vor ein paar Jahren, ich war schon längst Redakteur beim auto touring, sah ich auf dem Cover unseres Hefts dann ein Gesicht, das ich von irgendwoher kannte: Es war jenes von Esther.

Dazu erschien im Inneren ein Artikel über die junge Kfz-Technikerin, den ich an dieser Stelle gerne eins zu eins noch einmal veröffentlichen möchte:

Auch bei Esther Marihart war der Berufswunsch nicht von Anfang an klar. Ein sozialer Beruf oder einer mit Tieren wäre angedacht gewesen. Durch den Job bei einer Innsbrucker Autovermietung kam die Idee, Kfz-­Technikerin zu werden: "Mein Vater war begeistert, mein Onkel entgeistert und meine Mutter skeptisch. Auch die restlichen Verwandten und Freunde reagierten verständnislos und gaben mir keine Chance. Aber das war dann genau mein Antrieb, diese Lehre durchzuziehen."

Die zweite Hürde war die Suche nach einer Lehrstelle: "Auf meine Bewerbungen gab es viele Absagen oder überhaupt keine Rückmeldungen. Schließlich habe ich doch bei einer Innsbrucker Kfz­-Firma anfangen können. Der Senior­-Chef der Firma meinte, er probiert's mit mir.“

Ihre Ausbildung in dieser Werkstätte hat Esther dann als "zach" empfunden: "Das beruht aber sicher auf Gegenseitigkeit." In der Berufsschule gab es keine Schwierigkeiten, auch wenn sie damals die einzige Frau unter lauter Männern in der Schule war. Ihr Ziel war die Meisterprüfung, dieses Ziel hat sie erreicht.

In der Praxis hat sich für sie in den Jahren einiges geändert. Esther: "Frauen werden in diesen Berufen immer mehr, langsam wird es normal. Die Reaktionen der Mitglieder auf mich als Technikerin lagen anfangs zwischen Verwirrung und Erstaunen, waren aber durchwegs positiv. Bei den Kollegen war und ist die Akzeptanz immer da. Wir sind einfach ein Team und das ist genau das, was mir an meiner Arbeit gefällt. Zum tollen Arbeitsklima kommen noch die Abwechslung und der Kontakt zu den Menschen sowie die Arbeitszeiten hinzu."

Beim Lesen dieses Artikels hatte ich Tränen in den Augen, weil ich dadurch erfahren habe: Esther konnte ihren Traum – so wie ich  – auch verwirklichen.

Sommer 2021. Unser Wiedersehen.

Dann ging alles recht schnell: Esther und ich fanden als nunmehrige ÖAMTC-Mitarbeiter endlich wieder Kontakt zueinander – und haben vor einem persönlichen Treffen trotzdem zuerst einmal sehr lange miteinander telefoniert. Vermutlich, um zu eruieren, ob wir uns nach so langer Zeit überhaupt noch mögen. Das ist nämlich die Hauptproblematik in solchen Situationen: Menschen ändern sich, wenn sie älter werden und sind naturgemäß ganz anders als "damals". Das führt regelmäßig zu bitteren Enttäuschungen.

In diesem Fall nicht: Allein unser erstes Telefonat nach 21 Jahren klang so, als ob wir einander vorgestern zum letzten Mal gesehen hätten. Logische Folge: 

Ich: "Esther, wollen wir uns demnächst bei unserer Tankstelle treffen?" 
Sie: "Klar, ich würde mich so freuen!"
Ich: "Und wollen wir unsere Kurve noch einmal fahren?"
Sie: "Klar!" (ihr hartes Tiroler "k" müssen Sie sich lautmalerisch vorstellen) 

Gesagt, getan: Der alten Zeiten Willen habe ich für die Reise nach Tirol ein Auto gewählt, das uns beiden damals sehr gefallen hätte (einen 204 PS starken Hyundai i20N), habe meine Frau und meinen Sohn eingepackt – und los ging's…

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Redakteur Löger auf dem Weg in seine Vergangenheit.

Hallo, Innsbruck!

Die Fahrt zum Wirken meiner Wanderjahre gestaltet sich nostalgisch. Als jemand, der starken Gefühlen gerne nachhängt, ist es für mich unterwegs gar nicht so einfach, manche Stellen ohne emotionales Schlucken zu passieren…

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1 A12, Abfahrt Wattens: Hier sind wir jeden Tag mehrmals runtergefahren, um Mietwagen zum größten ansässigen Unternehmen zu bringen. © Julia Pachler

2 Der Innsbrucker Bezirk Saggen: Im Dachgeschoß dieses Hauses befand sich mein erstes Studentenzimmer. 1996 parkte mein Zweier-Golf davor, heute ist es ein Hyundai i20N-Testwagen. © Julia Pachler

3 Alpenzoo Innsbruck: Damals habe ich zum vermutlich schönsten (und ökologisch nachhaltigsten) Tierpark Europas Mietwagen für Touristen geliefert. Heute zeige ich meinem kleinen Sohn meine Jugendgeschichte. © Julia Pachler

Treffen mit Esther

Unser erstes "Hallo!" nach so langer Zeit sehen Sie oben am Aufmacher-Foto. Wie von "unserer" alten Tankstelle gewohnt, verbringen wir dort aber so wenig Zeit wie möglich. Schließlich ging's bei uns immer um Geschwindigkeit und die kürzestmögliche Zeitspanne, um Dinge zu erledigen.

Esther und ich entscheiden also, dass wir zuerst einmal – wie früher – mit zwei Autos jene Strecke fahren, die wir, inklusive antizipierter Ampelphasen, wohl beide auf ewig blind fahren können.

Es ist die lange Gerade von der Tankstelle zum Innsbrucker Flughafen.

Während ich die Straße entlang fahre, erinnere ich mich an mein interessantestes Erlebnis dort: An einer der drei Kreuzungen ist mir einmal ein Kunde aus Italien, dem ich fünf Minuten zuvor einen roten Fiat Bravo vermietet hatte, ungebremst ins Heck meines Dienstfahrzeugs (ein Mitsubishi Galant Kombi) geknallt, weil er während der Fahrt die Papierkarte der Umgebung studierte, die ich ihm zuvor ausgehändigt hatte.

Passiert ist uns beiden nichts. Ihm nicht, weil der kompakte Fiat damals schon einen Fahrer-Airbag hatte. Und mir nicht, weil der formidable große Mitsubishi so sicher gebaut war, dass die Rückbank nach dem heftigen Crash fünf Zentimeter hinter meiner Kopfstütze endete.

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Follow her (if you can): Esther leitet mich in ihrem Audi-Kombi zurück an die Stätte unseres Teenie-Schaffens – den Flughafen Innsbruck.
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Unsere Aldrans-Kurve

Wie gewohnt halten wir uns am Flughafen gar nicht lange auf, sondern wollen ein spannendes Revival starten: Südlich von Innsbruck gab es damals nämlich eine IT-Firma, zu der wir sehr, sehr oft Autos bringen mussten.

Und unterwegs war die "Aldrans-Kurve". Eine lang gezogene 180-Grad-Haarnadel, die bis heute legal mit Landstraßen-Tempo durchfahren werden darf – also Tempo 100.

Für Esther und mich war diese Kurve jedesmal eine willkommene Abwechslung im Tiroler Straßenverkehr, der speziell in den Tourismus-Saisonen gespickt war mit Hindernissen: holländischen Wohnwagen-Gespannen etwa. Oder deutschen Touristen, die im Winter in Schrittgeschwindigkeit – und mit Sommerreifen – verzweifelt die Abfahrt vom Zirler Berg angingen, um sich im Tal über tatsächlich brennende Bremsen zu wundern.

Unsere "Aldrans-Kurve" lag (und liegt) aber nicht auf ausgetretenen Touristenpfaden. Dort ist stets wenig Verkehr. Was wir immer zum Anlass nahmen, ausnahmslos jedes Fahrwerk unserer Mietautos auf seine Kurventauglichkeit zu testen. Mehr dazu möchte und darf ich nicht schreiben :-)

Aber: Über 20 Jahre später sind wir jetzt nochmal raufgefahren. Esther mit ihrem Audi A4 Kombi, ich mit dem Hyundai-"Hot Hatch"… 

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1 Die Aldrans-Kurve. Vielleicht die schönste Haarnadel-Kehre Österreichs. © Julia Pachler

2 Esther und ich fahren sie im Zwiegespann noch einmal – wie üblich sehr motiviert. © Julia Pachler

3 Unser Fazit: Die Fahrwerke moderner Autos sind in den letzten 20 Jahren besser geworden. Nicht einmal die Reifen quietschen mehr. © Julia Pachler

Happy End

Esther und ich haben seit 1996 übrigens unabhängig voneinander verblüffende Parallelen erfahren: 

* Wir sind wieder beim selben Arbeitgeber tätig – nun beim ÖAMTC.
* Wir haben damit endlich unsere damals ersehnten Traumjobs gefunden.
* Unsere Lebenspartner arbeiten ebenso beim Club: "meine" Julia in der Wiener Zentrale, "ihr" Robert als Gelber Engel auf Tirols Straßen.
* Wir sind beide mittlerweile Eltern von gleichaltrigen Söhnen.
* Wir fahren unverändert gern – und mit Genuss – Auto.

Nur in einem Punkt sind wir uns heute nicht mehr einig: Ich bin vom ehemals benzingetriebenen Verbrenner-Bruder zum Elektroauto-Fan mutiert. Esther nicht. Sie scheint nämlich ganz happy zu sein mit ihrer jüngsten Pkw-Anschaffung: Den Audi, den Sie auf den Fotos sehen, hat sie nämlich kürzlich gegen ein SUV bayerischer Provenienz getauscht. 

Es ist die einzige persönliche Divergenz, die wir momentan haben. 

Aber für uns natürlich kein Grund, unsere Freundschaft ab sofort nicht weiter zu pflegen. Diese 21 Jahre haben uns nämlich richtig gefehlt. Diesen blöden Fehler machen wir nicht noch einmal.

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Esther Marihart & Christoph Löger nach 21 Jahren Freundschafts-Pause: Wir haben nach einem Abend genau so weitergemacht, wie wir damals aufgehört haben – einfach einander drücken, miteinander plaudern und natürlich: gemeinsam lustig Autofahren :-)

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