Mann mit Sonnenbrille sitzt gähnend im Auto.
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Mai 2025

Vollgas aus dem Schlaf

Müdigkeit sorgt jedes Jahr für Hunderte Unfälle im Straßenverkehr. Trotzdem unterschätzen viele die Gefahr. Tipps, technische Helfer und ein rechtlicher Überblick.

Die Musik dröhnt. Kühle Luft strömt durch das geöffnete Fenster ins Fahrzeug.
Zwei einsame Lichtkegel erhellen die Autobahn und die Augen werden schwer. Gleich zu Hause. Da kann nichts mehr passieren. Als Lisa G. die Augen das nächste Mal öffnet, ist sie nur Zentimeter von der Leitplanke entfernt. "Ich riss gerade noch das Lenkrad rum. Sonst wäre ich mit 130 km/h durch die Begrenzung gerast", erzählt die 25-Jährige von ihrem Beinahe-Unfall.

2023 wurden bei Unfällen, die durch Übermüdung ausgelöst wurden, 719 Menschen verletzt. 23 wachten nicht mehr auf.

Hauptverursacher dieser Unfälle sind laut Statistik Austria Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. "Unser chronobiologischer Rhythmus zeigt ein absolutes Leistungstief gegen 2.00 Uhr bis rund um 4.00 Uhr – eine Zeitspanne, in der vermehrt junge Fahrer:innen auf dem Heimweg sind", erklärt ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger. Auch Lisa war nach einer Feier spät nachts unterwegs.

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Gefahr Sekundenschlaf

Müdigkeit führt vor allem zu verringerter Aufmerksamkeit. Fahrer:innen legen bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h bei nur 5 Sekunden Unachtsamkeit knapp 139 Meter im Blindflug zurück. Noch gefährlicher wird es, wenn Sekundenschlaf eintritt. "Sobald die typischen Anzeichen für Müdigkeit eintreten, etwa Gähnen, Augenreiben oder schlechtere Laune, ist unbedingt eine Pause einzulegen. Das sind pure Alarmsignale des Körpers", betont Seidenberger.

Portraitfoto von Marion Seidenberger, ÖAMTC-Verkehrspsychologin. Sie hat schulterlanges braunes Haar und trägt eine Lederjacke und eine Bluse.

"Sobald die typischen Anzeichen für Müdigkeit eintreten, etwa Gähnen, Augenreiben oder schlechtere Laune, ist unbedingt eine Pause einzulegen. Das sind pure Alarmsignale des Körpers." 

ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger

Kleine Hilfsmittel

Hilfsmittel wie Energydrinks oder laute Musik helfen nicht oder nur für wenige Minuten. Das offene Fenster ist hingegen nicht nur Mythos. "Gähnen ist ein Zeichen von niedrigem Sauerstoff im Blut. Das Fenster zu öffnen, ist im ersten Moment auf jeden Fall sinnvoll", erklärt Prof. Harald Hertz, Vizepräsident des ÖAMTC, der auch Facharzt für Unfallchirurgie sowie Notarzt ist. Klar ist aber, dass langfristig nur eine ausgiebige Pause und Schlaf helfen.

Vorsicht bei Medikamenten & Alkohol

Nicht nur Schlafmangel, auch psychoaktive Substanzen können stark ermüden. Medikamente wirken allerdings bei jedem Körper anders, was eine Auflistung konkreter potenziell riskanter Produkte unmöglich macht. Ebenso kann die Kombination mehrerer Wirkstoffe zu Wechselwirkungen führen.

"Wenn jemand bereits Medikamente nimmt, sollte er diese bei weiteren Verschreibungen erwähnen", empfiehlt Prof. Hertz.

Tatsächlich gibt es Wirkstoffe, die tendenziell müde machen. Etwa Antiallergika, vor allem ältere Antihistaminika. Diese übertünchen die allergische Reaktion, was erschöpft. Auch manche Hustentropfen sind mit Opiaten wie Codein versetzt. Müdigkeit ist eine häufige Nebenwirkung. Zudem wird Codein im Körper zu Morphin umgewandelt und könnte ab einer gewissen Menge bei einem Drogentest aufscheinen. Auch Helfer gegen Reiseübelkeit kosten Energie.

Werden Schlafmittel spät oder in größeren Mengen eingenommen, ist die Wirkung am nächsten Tag oft noch vorhanden.

Prof. Harald Hertz, Vizepräsident des ÖAMTC

Alkohol macht übrigens auch müde, selbst wenn der Konsum unter der 0,5 Promille-Grenze liegt. Weiter verschlimmert wird die Situation bei einer Kombination mit Medikamenten, speziell wenn diese bereits eine einschläfernde Wirkung haben.

Prof. Harald Hertz warnt besonders vor Schlafhelfern: "Werden Schlafmittel spät oder in größeren Mengen eingenommen, ist die Wirkung am nächsten Tag oft noch vorhanden."

Die 77-jährige Frieda M. erlebte das am eigenen Leib. "Ich habe um Mitternacht eine natürliche Einschlafhilfe genommen, ausnahmsweise die doppelte Menge. Am nächsten Tag bin ich mittags einkaufen gefahren. Ich war nur ein wenig schläfrig. Meine Erinnerung endet kurz vor Ankunft beim Supermarkt. Ich habe seitlich ein Auto touchiert und gar nichts gemerkt. Erst der ausgelöste Airbag ließ mich wieder aufwachen."

Was das Gesetz vorsieht

Müdigkeit ist nur schwer objektiv messbar. Auch die Aufmerksamkeitsassistenten im Fahrzeug liefern nur Anhaltspunkte.

ÖAMTC-Chefjurist Martin Hoffer erklärt dazu: "Müde am Steuer zu sitzen, kostet Fahrer:innen in der Regel nicht den Führerschein."

Aber, so Hoffer weiter, "laut StVO gibt es den Paragraf 58, der besagt, dass der oder dieLisa, betroffene Autofahrerin jederzeit in einer solchen geistigen und körperlichen Verfassung sein muss, dass ein Fahrzeug sicher beherrscht und gelenkt werden kann. Ist das bei einer Routinekontrolle der Polizei nicht der Fall, droht eine Verwaltungsstrafe bis zu 726 Euro."

Besteht zusätzlicher Einfluss von Alkohol, auch wenn er sich in den vom Gesetz festgelegten "Grenzen" bewegt, kann das ebenso zu Sanktionen nach dem Führerscheinrecht führen.

Das gilt genauso für Suchtgifte, welche eben auch in manchen Medikamenten enthalten sein können. Ob das dann immer als "Lenken unter Suchtgifteinfluss" bestraft werden kann, wird gerade geklärt.

Weitere mögliche Folgen sind der Führerscheinentzug von einem Monat und teure Kurse. Zudem können Haftpflicht- und Kaskoversicherung bei Unfällen Schwierigkeiten bereiten. Geschieht in so einem Zustand ein Unfall mit Personenschaden (Tötung oder Verletzung), droht ein Gerichtsverfahren.

Auch Frieda M. stand vor dieser Situation. Die Gerichtsverhandlung konnte aber, da ihr Verschulden leicht war, mit einer Diversion abgewandt werden.

Ich riss gerade noch das Lenkrad herum, sonst wäre ich mit 130 km/h in die Leitplanke gerast.

Lisa G., 25. Betroffene von Sekundenschlaf

Wie Technik helfen kann

In der EU sind seit Juli 2024 Müdigkeitswarner in allen Neuwagen Pflicht. Sie machen – je nach eingebautem System – darauf aufmerksam, dass eine Pause eingelegt werden sollte.

Eine Variante ist z.B. das Aufleuchten eines Kaffeetassen- Symbols, sobald zu viel Zeit verstrichen ist.

Technisch ist aber laut ÖAMTC-Cheftechniker Steffan Kerbl mehr möglich.

Um Müdigkeit festzustellen, gibt es laut Kerbl große Unterschiede bei den angewendeten Systemen.

Der Gesetzgeber schreibt vor, dass es einen Müdigkeitswarner geben muss, aber nicht, wie er aussehen soll.

Steffan Kerbl, ÖAMTC-Cheftechniker

Neben dem einfachen Müdigkeitswarner, der sich z.B. nach einer gewissen Fahrzeit meldet, arbeiten Aufmerksamkeitssysteme zumeist genauer. Diese erkennen mittels Sensoren auffälliges Fahrverhalten und über Innenraumkameras etwa den Lidschlag oder ein Gähnen und lösen in Folge ein akustisches Signal oder eine Vibration aus.

Andere Assistenzsysteme aktivieren bei ausbleibender Reaktion oder Lenkaktivität sogar die Warnblinkanlage und steuern das Fahrzeug im Ernstfall an den Fahrbahnrand.

Müde Auto zu fahren, ist gefährlich. Pausen einzulegen, kann Leben retten. Auch wenn die Technik immer besser wird, die Endverantwortung liegt immer noch beim Fahrenden.

Fakten + Tipps

Müdigkeit während der Fahrt darf nicht unterschätzt werden. Jährlich kommt
es dadurch zu Hunderten Unfällen.


● Medikamente und Alkohol können die Müdigkeit verstärken.
● Herkömmliche Tipps wie Kaffee oder Energiedrinks bringen nur kurzfristig Energie, nach ein paar Minuten sind Fahrende gleich müde wie zuvor.
● Hilfreich sind hingegen ein kurzer Schlaf, Sauerstoff oder eine Pause, um den Kreislauf wieder zu aktivieren.
● Assistenzsysteme wie Müdigkeitswarner bzw. Aufmerksamkeitserkenner sollen dabei helfen, Sekundenschlaf-Unfälle zu verringern. Die Verantwortung bleibt jedoch immer beim Menschen.

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