F1-GP_A_Red Bull-Ring_2015-06_HE_0901_CMS.jpg Helmut Eckler
© Helmut Eckler
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August 2015

Das neue Brems-Packl

Seit dieser Saison sind Bernd Mayländer und das neue FIA-Safety Car, ein Mercedes-AMG GT S, die aktuelle Einbrems-Einheit der Formel 1. Sie geben das Tempo vor, wenn es gekracht hat oder das Wetter wieder einmal verrückt spielt.

Sie kennen einander schon länger, aber erst seit einem halben Jahr sind sie fix zusammen: FIA-Safety-Car-Pilot Bernd Mayländer und sein neues Dienstfahrzeug, der Mercedes-AMG GT S. Geschwindigkeit ist Teil ihrer Beziehung, ihre Job-Description: Entschleunigung. Zweifellos ein Paradoxon: Denn die beiden fahren im Bedarfsfall mit Höchstgeschwindigkeit, um die Formel 1 einzubremsen.

Erste Begegnungen der neuen Brems-Einheit fanden bereits in der Studienphase auf dem Reißbrett statt. Weitere sollten folgen, auf diversen Automobil-Ausstellungen. Im Februar dieses Jahres dann das sehnlichst erwartete erste Date, erste Intimitäten in Bella Italia auf der Rennstrecke von Nardo.

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Das erste Date

Bernd Mayländer erinnert sich: "Die erste Begegnung war geprägt von Neugier, Abtasten und stetigem Vergleich. Immerhin hatte ich das Vorgänger-Modell, den SLS AMG, fünf lange Jahre unterm Hintern." Das Geradeausfahren hat den erfahrenen Safety Car-Piloten nicht sonderlich beeindruckt. Aber einmal losgelassen, auf der Rennstrecke, kam er aus dem Staunen nicht heraus. Das Bremsen, Einlenken und Beschleunigen geschieht beim GT S viel direkter, deutlich effizienter. Und dank der neuen Gewichtsverteilung im Verhältnis 47 zu 53 Prozent von Vorder- zu Hinterachse ist das Heck des Autos gutmütiger, vorhersehbarer, bricht nicht mehr so abrupt aus. Bernd Mayländer: "Es war für mich nicht vorstellbar, dass beim heutigen Stand der Fahrzeugtechnik überhaupt noch ein so großer Unterschied in punkto Performance und Handling zum Vorgängermodell möglich ist."

Und dann der Motor, der sich so ganz anders anfühlt als früher im SLS. Statt des 6,3-Liter-Saugmotors des SLS arbeitet im GT S ein 4-Liter-V8-Biturbo. Ex-Rennfahrer Mayländer, der sein Handwerk in der Eifel auf der berüchtigten Nordschleife erlernt hat, liebt Turbos, allein schon wegen des brachialen Drehmoments. Das Drehmoment ist – trotz weniger Leistung im Vergleich zum Vorgänger – mit 650 Nm gleich geblieben, dazu kommt noch das geringere Gewicht des neuen Safety Cars. Der SLS hatte noch 571 PS, während der GT S nur mehr 510 PS auf die Strecke bringt. Aber Mayländer schwärmt: "Dieser Motor erlaubt mir eine viel flexiblere Fahrweise, angepasst an die jeweilige Rennstrecke und Witterung." Bei Nässe im Sportmodus fährt er mit den Standard-Assistenzsystemen. Bei trockener Piste schaltet Bernd Mayländer das ESP aus, um noch näher ans Limit gehen zu können. Es ist auch nicht mehr nötig, die Gänge voll auszudrehen. "Ich fahre 'short shift', schalte schon früher hoch." Der Topspeed ist dennoch geringer: Auf der Start-Ziel-Geraden von Monza schaffte der SLS im Vorjahr noch 284 km/h, während der GT S es gerade mal auf 275 km/h bringt. Der raue Sound suggeriert Racing, ist eine Hommage, quasi ein akustisches Zuckerl für die Formel-1-Fans. Und es gibt das Soundpaket gegen Aufpreis auch für die Serie.

In meiner sportlichen Karriereplanung hab’ ich auf die Formel 1 total vergessen – zu faszinierend waren die Sportwagen.

Bernd Mayländer, FIA-Safety-Car-Pilot

Rückblick

Blicken wir zurück. Wie wurde Bernd Mayländer eigentlich Safety Car-Pilot? "Zufall, eine Notsituation", grinst er. Oliver Gavin, damals im Sicherheits-Auto, spricht den Deutschen 1999 in Imola darauf an. Als der Brite nach Amerika geht, fragt FIA-Renndirektor Charlie Whiting: "Bernd, glaubst du, du kannst diesen Job machen?" Bernd Mayländer glaubt, will, und er kann. Das Arbeitsgerät, damals ein Mercedes-Benz CL 55 AMG, kennt er gut – als Mercedes-Pilot in der DTM. Beim Saisonauftakt 2000 in Australien ist er extrem nervös. Gleich ein Einsatz: Rot, blau, orange! Das Lichtsignal für schweren Unfall: Jacques Villeneuve crasht in Turn 3, ein Streckenposten stirbt. 16 Jahre sind seither vergangen, nur viermal wurde Bernd verletzungsbedingt von Marc Fässler vertreten.

F1-GP_A_Red Bull-Ring_2015-06_HE_0964_CMS.jpg Helmut Eckler © Helmut Eckler
Fahrzeug
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Farbenspiel
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Funkanlage

Der Einsatz-Code

"SC deploy" – der Einsatzcode kommt über Funk. Das ist der Moment, in dem Bernd Mayländer das Adrenalin spürt. Vorbei das Warten in der Boxengasse, unter der prallen Sonne, mit laufendem Motor, voll aufgedrehter Air Condition, angeschnallt, in voller Rennmontur, den Helm festgezurrt. Er beschleunigt voll: raus auf die Strecke, den Führenden einfangen und das Feld sicher durch die Gelb-Phase führen. Mayländer und sein Beifahrer Peter Tibbetts kommentieren permanent, was sie sehen, an die Race Control. Bernd spricht mit Herbie Blash, Peter mit Charlie Whiting: Jeder Carbonteil auf der Fahrbahn, Streckenbeschaffenheit, Regenmengen, alles wird reportiert. Bernd Mayländer bewegt das Safety Car im Grenzbereich. Wenn notwendig, wie vor kurzem beim Grand Prix von Ungarn, führt er das Feld durch die Boxengasse. "Ich lass mir aber einen Sicherheitspolster, vor allem auf der Bremse", sagt der Ex-Rennfahrer, der heute rückblickend über seine sportliche Karriere sagt: "Ich habe auf die Formel 1 total vergessen. Die Sportwagen waren zu faszinierend!"

Hamilton, Vettel & Co. wird inzwischen fad. Sie fahren Zick-Zack, funken viel, machen "Lobbying", einer sagt "alles super", der andere "unfahrbar", die FIA hört ja mit. Hat Bernd Mayländer Angst vor einem Abflug? "Daran denke ich nie! 2010, in Shanghai, bin ich als erster in eine Riesenpfütze gefahren, hatte Aquaplaning, der Wagen wäre fast ausgebrochen. Vor Millionen Fernsehzuschauern abzufliegen, das wäre schon peinlich gewesen", grinst Mayländer. Regenreifen gibt es für das Safety Car nicht, nur eine Pirelli All-Weather-Sonderedition, ein Reifenwechsel würde zu lange dauern. Co-Pilot Peter Tibbetts, der Chemiker, der nebenbei auch die Spritproben untersucht, bedient die Lichter: die Flashlights (blinkende Scheinwerfer) und die orangen Einsatzleuchten. Grün zeigt er nur den Piloten, die sich zurückrunden dürfen.

Alles wird aufgezeichnet. Auch beim GT S befinden sich die Funkanlagen hinten, im Koffer­raum: digital und analog. Dazu die Fernseh-Einheit und alle Sicherungen. Und es gibt immer zwei identische Safety Cars an der Strecke. Das ist wichtig, vor allem dann, wenn es sehr viele oder sehr lange Einsatz-Phasen gibt und der Sprit knapp wird. Wie 2010, im ersten Rennen in Korea, wo Sebastian Vettel einen Motorbrand in seinem Red Bull eigenhändig löschte. Oder 2011 in Montreal. "Da bringen die Mechaniker das zweite Auto in Stellung und wir steigen nur um."

Gibt’s knifflige Strecken? "Klar, alle Stadtkurse, wo es kaum Auslaufzonen gibt." Ein Simulator-Training, wie es die Formel 1-Stars paktizieren, ist für Bernd Mayländer kein Thema. "Ich kenne ja alle Strecken. Donnerstags vorm Rennen wird trainiert und jeden Morgen werden die Systeme neu angepasst."

Technik im Safety Car der Formel 1

Der Mercedes-AMG GT S ist seit heuer das offizielle FIA Safety Car für die  Formel 1 und alle Serien des Rahmenprogramms. Der Antriebsstrang, ein 4-Liter-V8-Biturbo mit 7-Gang-DCT (Doppelkupplungsgetriebe), ist der gleiche wie in der Straßenversion: mit einer Höchstleistung von 375 kW (510 PS) und einem maximalem Drehmoment von 650 Nm. Der GT S braucht 3,8 Sekunden von Null auf Hundert.  Die Höchstgeschwindigkeit beträgt auf der Start-Zielgeraden von Monza 275 km/h. Mit an Bord: das "Speedshift"-Sportgetriebe und eine Keramik-Bremsanlage. Die sorgt für weniger Gewicht und längere Lebensdauer. Noch markanter als früher: der Motorsound der modifizierten Abgasanlage. Die es gegen Aufpreis auch für die Serie gibt.

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