Wolfsburg: Oliver Blume, Chairman of the Board of Management of Volkswagen AG and Porsche AG
© picturedesk.com / Julian Stratenschulte
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Oktober 2025

„Wir brauchen mehr Zeit!“

Ein vollständiger Umstieg auf Elektrofahrzeuge ist bis 2035 nicht realistisch, meint Oliver Blume. Im Interview fordert der VW-Chef flexiblere Rahmenbedingungen anstatt Verbote und erklärt, wie E-Autos günstiger werden können.

Die USA erheben Zölle auf Autos aus Europa, China pusht eigene Automarken und die Klimaziele der EU sind hoch gesteckt. Wie wirkt sich dieses Umfeld auf die europäische Industrie aus?

Wir stehen inmitten globaler Spannungsfelder: in Europa zwischen Klimaschutz und industrieller Wettbewerbsfähigkeit, in China zwischen hoher Innovationsdynamik und Konsumzurückhaltung, in den USA zwischen Abschottung und industriellem Aufbruch. Die Autoindustrie erlebt dabei eine tiefgreifende technologische Transformation – alles verändert sich gleichzeitig und das rasant. Für eine langfristig planende und investierende Branche ist dies eine enorme Herausforderung. Und gleichzeitig eine große Chance, wenn wir entschlossen handeln.

Wie sieht Ihr Plan dafür aus?

Vor drei Jahren haben wir unsere Unternehmenslage schonungslos analysiert, ein 10-Punkte-Programm mit 75 Handlungsfeldern definiert und einen strukturierten Zukunftsplan ent­wickelt. Diesen setzen wir konsequent um. Wir haben Produkte und Design überarbeitet, die Qualität gesteigert, Strukturen gestrafft und Kosten gesenkt. Trotz anspruchsvollster Rahmenbedingungen kommen wir gut voran – auf dem Weg zu unserem Ziel, globaler Technologietreiber der Automobilindustrie zu werden.

Was bedeuten diese Maßnahmen für die Konsumenten?

In den vergangenen zwei Jahren haben wir weltweit 60 neue Modelle über alle Marken und Antriebsarten eingeführt – 2026 folgen weitere 20. Unser frisches Portfolio kommt bei Kundinnen und Kunden gut an: Das zeigen Absatz und Auftragseingänge des Volkswagen-Konzerns. Bei vollelektrischen Fahrzeugen sind wir nach drei Quartalen mit 27 % Marktanteil klar die Nummer eins in Europa.

Dennoch geht der Verkauf von E-Autos nicht so schnell voran, wie von der Politik gewünscht. Ein Grund sind auch die höheren Preise im Vergleich zu Verbrennern. Wie gelingt es, günstigere E-Autos anzubieten?

Darauf gibt es mehrere Antworten. Ein Beispiel: Wir haben unsere Batteriestrategie deutlich weiterentwickelt und uns technologisch sehr flexibel aufgestellt, damit wir auch für die nächsten Technologiesprünge bereit sind.

Ein zentraler Baustein ist unsere Einheits­zelle, die künftig in den meisten Fahrzeugen zum Einsatz kommt. Dadurch können wir Akkus deutlich effizienter und kostengünstiger produzieren. Neben attraktiven E-Autos sind besonders die Ladeinfrastruktur, Ladestrompreise und geeignete Fördermaßnahmen wie Steuererleichterungen ausschlaggebend für den Hochlauf der E-Mobilität.

Welche Rolle spielt Autonomes Fahren in der Strategie von VW?

Auch beim autonomen Fahren machen wir Tempo: Ab 2026 kommen in China unsere neuen Modelle mit Level 2+ und 2++ Systemen auf den Markt. (Anm.: Solche Systeme ermöglichen weitreichendes, teilautomatisiertes Fahren). Zudem bieten wir mit unserem Ridingpool-Dienst Moia ein Komplettpaket für Mobilitätsdienstleister: den ID.Buzz als hochautomatisiertes Level-4-Shuttle inklusive Flottenmanagement und ­Buchungssystem. Rund 70 Städte zeigen bereits großes Interesse. Und ab 2026 startet der Mobilitätsdienstleister Uber in Los Angeles mit unseren autonomen Fahrzeugen.

Was erwarten Sie für die kommenden Jahre?

Das Potenzial ist groß. Wir sprechen hier von ­einem Markt für Mobilitätsdienstleistungen mit einem prognostizierten Umsatz von weltweit mehr als 400 Milliarden Dollar in den 2030er- Jahren. Mit unserem Fahrzeugangebot, unserer Komplettlösung und unseren Partnern spielen wir hier in der Spitzengruppe mit. Große Entwicklungssprünge realisieren wir zudem über den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Sie beschleunigt die Entwicklung von Software.

Werden die Fahrzeuge so sicher sein wie menschliche Fahrer?

Definitiv. Wir haben den Anspruch, dass sie sogar deutlich besser sind als ein menschlicher Fahrer. Dann könnten wir auf den Sicherheitsfahrer verzichten.

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Entscheidend ist, was die Kundinnen und Kunden verlangen.

Oliver Blume,Vorstandsvorsitzender Volkswagen AG und Porsche AG

Strategisch ebenfalls von großer Bedeutung ist das sogenannte Verbrennerverbot: Wie sieht Ihre Strategie für 2035 aus?

Entscheidend ist, was die Kundinnen und Kunden verlangen. Deshalb haben wir uns im Volkswagen-Konzern flexibel aufgestellt. Wir ent­wickeln nicht allein Elektroautos, sondern auch unsere Verbrenner-Plattformen weiter. Und wir erweitern sie über intelligente, effiziente Hybrid-Antriebe. Die Hybridisierung spielt für uns beim Erreichen der CO2-Ziele eine wichtige Rolle.

Können Sie so die politischen Ziele erreichen?

Ein vollständiger Umstieg auf Elektrofahrzeuge bis 2035 ist aus heutiger Sicht nicht realistisch, weil die Voraussetzungen noch nicht gegeben sind. Die überregionale Ladeinfrastruktur ist in vielen europäischen Ländern zwar gut ausgebaut – ich selbst bin im Urlaub über 4.000 Kilometer elektrisch gefahren. Doch gerade im städtischen und regionalen Bereich besteht noch erheblicher Handlungsbedarf, auch bei den Ladestrompreisen.

Welche Forderungen richten Sie in diesem Zusammenhang an die Politik?

Wir stehen zum gesellschaftlichen Ziel der Dekarbonisierung. Der Weg dorthin führt über die Elektromobilität. Wir brauchen aber mehr Zeit. Alle Prognosen für den Hochlauf der E-Mobilität waren zu optimistisch. Und es braucht flexible Rahmenbedingungen, die sich an den Realitäten orientieren – und keine Verbote. Dann ent­wickelt sich die Elektromobilität im positiven Sinne von ganz allein.

Welche Initiativen stellen Sie sich in diesem Zusammenhang vor?

Ein Beispiel: Eine höhere Beimischung synthetischer Kraftstoffe zu konventionellen Treibstoffen könnte den CO2-Ausstoß schnell senken. Mit klaren politischen Vorgaben würden Investitionen in die Produktion folgen. Wichtig ist, dass alle Maßnahmen zur Dekarbonisierung auch entsprechend anerkannt und gefördert werden.

Woran denken Sie dabei?

Wer als Hersteller zusätzlich – also über den Auspuff hinaus – zur Dekarbonisierung beiträgt, sollte ebenfalls entlastet werden. Wenn Automobilunternehmen zum Beispiel E-Fuels produzieren, besonders günstige E-Autos auf den Markt bringen, grünen Strom einsetzen, Wertstoffe recyclen oder auf CO2-arme Materialien setzen. Den Fortschritt bei der Reduktion müssen wir dann immer wieder bewerten und die Ziele entsprechend anpassen.

Schafft man damit nicht Unsicherheit bei Kunden?

Nein, denn die Kundinnen und Kunden können ja frei wählen. Wenn die jetzige Regelung so bestehen bliebe, würden wir 2033 und 2034 einen großen Andrang auf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren erleben – und anschließend ­einen Einbruch des Neuwagengeschäfts. Dies wäre aus industrieller Sicht nicht verkraftbar. Für die starken Produkte sind wir Hersteller verantwortlich – und wir liefern. Die Politik muss dafür wiederum die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Schauen Sie nach China: Dort entwickelt sich die Elektromobilität rasant, und zwar ohne Verbote. Dafür gibt es gezielte und konsequente Förderung.

Die Konkurrenz aus China wird immer ­stärker. Was hat sie den Europäern voraus?

Als leidenschaftlicher Sportler sehe ich es so: Je besser der Wettbewerb, desto besser muss ich selbst sein. Die Chinesen arbeiten effektiv und mit hohem Tempo. Sie sind pragmatisch, innovativ und konsequent. Wer dort erfolgreich ist, wird es auch woanders auf der Welt sein. Umso wichtiger, dass wir in China in den Liefermodus geschaltet haben: mit neuer Strategie, lokaler Entwicklung, starken Partnern und Produkten, die direkt auf die spezifischen Bedürfnisse der chinesischen Kundschaft zugeschnitten sind.

Bei all den Herausforderungen: Wie motivieren Sie sich und Ihre Tausenden Mitarbeiter:innen?

Wir denken in Chancen, übernehmen Verantwortung und packen selbst an. Europa hat ­alles, was es braucht, um die Mobilität der Zukunft zu gestalten: die Menschen, die Ideen, die Unternehmen. Wir haben es selbst in der Hand.

Zur Person

Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und der Porsche AG

  • Geboren: 6. Juni 1968 in Braunschweig
  • Ausbildung: Maschinenbau an der TU Braunschweig; Promotion zum Doctor of Engineering in Fahrzeugtechnik
  • Karriere-Stationen: Audi (Trainee, Karosseriebau/Fertigung, Vorstandsassistenz, Pilothallen), SEAT (Planung/Vorserie), Volkswagen (Leiter Produktionsplanung), Porsche (Vorstand Produktion & Logistik ab 2013; CEO seit 2015)
  • Seit 2022: zusätzlich CEO der Volkswagen AG. Er vereint damit die Konzern- und Markenspitze in Personalunion.

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