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Januar 2018

Meidling Vice

Einsatz in Matzleinsdorf: auto touring begleitete die Polizei bei einem Drogen-Planquadrat in Wien.

Wien 12, Hufelandgasse, 18 Uhr. Hektische Betriebsamkeit in der Polizeiinspektion. Seit zwei Stunden läuft das Drogen-Planquadrat, 20 Beamte sind im Einsatz. Die ersten Zweier-Teams kommen zurück, in ihrem Schlepptau dürre junge Männer in Kapuzen-Sweatern. Während sich einige Streifenbesatzungen noch auf ihre Ausfahrt vorbereiten, bringen andere Teams bereits vermeintlich beeinträchtigte Lenker zur Untersuchung in die Polizeiinspektion.

Vor der Toilette staut es sich bereits: Die ersten Probanden, die sich freiwillig zu einer Urinprobe entschlossen haben, verrichten ihr Geschäft – unter Beobachtung, damit es zu keinen Manipulationen kommt.

Wir vom auto touring sind nach Meidling gekommen, weil wir wissen wollen, ob bald wirklich so viele bekifft oder high hinterm Steuer sitzen wie unter Alkoholeinfluss, wie die Boulevardmedien berichten. Der Postenkommandant heißt uns willkommen. 

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Ein Viertel aller beeinträchtigten Autofahrer, die auf Wiens Straßen angehalten werden, sind mittlerweile Suchtgiftlenker. 

Johann Wöhrer, Chefinspektor Polizeiinspektion 12

Das Verhältnis Suchtgift zu Alkohol habe sich tatsächlich stark verschoben, sagt Chefinspektor Johann Wöhrer. "Ein Viertel aller beeinträchtigten Autofahrer, die auf Wiens Straßen angehalten werden, sind mittlerweile Suchtgiftlenker." Aber bei Drogenverdacht könne nur punktuell nach beeinträchtigten Lenkern Ausschau gehalten werden.

Wöhrer erklärt das Procedere: "Fällt uns jemand durch seine Fahrweise auf, halten wir ihn an. Erhärtet sich der Verdacht einer Beeinträchtigung durch Drogen, ist stets ein Amtsarzt nötig, der herbeigerufen werden muss." Im Normalfall seien in Wien stets zwei im Dienst, sie können in 20 Minuten – sofern sie nicht mit anderen Aufgaben beschäftigt sind – vor Ort sein. Aber weil das bei Planquadraten ineffizient wäre, machen heute in der von uns besuchten Inspektion gleich zwei Amtsärzte nur dafür Dienst.

18:30 Uhr. Wir werden gebrieft. Erfahren, dass wir im Fond einer Zivilstreife sitzen werden und es auch gleich losgeht.

"Meidling Vice" steht auf einem Kleber am Spind. Ist der Bezirk wirklich ein Drogen-Hotspot in der Bundeshauptstadt? Ja, sagt Wöhrer. Hier gibt es Umschlagplätze im Bereich der U-Bahn-Linien 4 und 6, viele holen sich ihren Stoff mit dem Auto. Nicht nur Wiener, auch Leute aus dem Umland bis
St. Pölten. Und hier im Bereich des Stadtpolizeikommandos (SPK) 12, das für die Bezirke 12 und 13 zuständig ist, werden fast doppelt so viele Drogenlenker angezeigt wie Alko-Lenker. Im Vorjahr waren es 152 von insgesamt 1.035 in ganz Wien. SPK 12 liegt damit an der Spitze in Wien, knapp dahinter im Ranking SPK 19 (Bezirke 18 und 19) mit 134 und SPK 8 (Bezirke 7, 8, 9) mit 116 Anzeigen.

19 Uhr. Genug der Theorie. Es geht los, wir fahren mit Revierinspektor Christoph L. und Inspektor Michael I. stadteinwärts. An der Ampel der Kreuzung mit der Längenfeldgasse sticht den beiden ein schwarzer Toyota Celica aus den 1990ern ins Auge. Sie verfolgen ihn zuerst unauffällig. Dann die Entscheidung: "Zugriff!" Das Kojak-Blaulicht auf dem Armaturenbrett geht an, dem Fahrer wird signalisiert, uns zu folgen.

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Wir halten an der Kreuzung am Gürtel. Die Beamten steigen aus. Christoph L. kon­trolliert den Führerschein, Michael I. leuchtet mit der Taschenlampe ins Auto. Dann muss der Fahrer, ein bärtiger Hipster-Typ um die dreißig, aussteigen.

Nun geht es darum, dass er die Beamten überzeugt, fahrtüchtig zu sein. Seine Pupillen werden gecheckt und er muss ein paar Übungen bestehen, etwa: Kopf nach oben, Augen zu, Zeigefinger zur Nasenspitze. Der Revierinspektor macht inzwischen eine Abfrage im Elektronischen Kriminalpolizeilichen Auskunftssystem (EKIS): "Wenn jemand behauptet, er hätte noch nie etwas mit Drogen zu tun gehabt, und in seinem Akt sind drei Übertretungen nach dem Suchtmittelgesetz registriert, ist klar, dass er lügt und sich dadurch verdächtigt macht." Die Anfrage ergibt nichts, die Beamten verabschieden sich.

20 Uhr. Weiter auf der Schönbrunner Straße durch den fünften Wiener Gemeindebezirk. Plötzlich wechselt ein älterer VW Golf mit Kennzeichen aus Bruck an der Leitha unvermittelt vor uns die Spur. Wir stoppen ihn am Verbindungsstück zur Rechten Wienzeile.

"Manchmal kommt einem, wenn der Lenker das Fenster öffnet, schon der Geruch von Marihuana entgegen", erzählt Christoph L. Ob das bei dem Golf auch der Fall sein wird? Der Fahrer, ein schmächtiger Bursch Anfang 20 mit Undercut-Haarschnitt und Baseball-Kappe, hat keine Angst vor den Koordinations-Tests, die seine Freunde vom Auto aus eher verängstigt verfolgen. Doch er besteht alle. "Danke schön, gute Fahrt!"

Hält die Funkstreifen-Besatzung nach ganz bestimmten Typen Ausschau? "Diesen Vorwurf hören wir immer wieder", meint Revierinspektor L., "wir können ihn aber nicht gelten lassen. Wir haben da unsere Erfahrungen."

20:30 Uhr. Die Zivilstreifen-Besatzung entscheidet, nun erst einmal in einer Bushaltestelle zwischen den beiden Richtungsfahrbahnen des Gaudenzdorfer Gürtels in Lauer-Position zu gehen. Vier Ampelphasen vergehen völlig unauffällig. Dann plötzlich – wir haben Rot – eine Blitzreaktion: Folgetonhorn an, Kojak-Licht aufs Dach, wir schießen aus unserem Versteck. Beschleunigen auf 80 km/h, um ja nicht den Anschluss auf jenen Škoda-Kombi zu verlieren, den die geschulten Polizistenaugen – unsere nicht – als auffällig fahrend ausgemacht haben. An der Ampel bei der Tankstelle heißt es: "Verkehrskontrolle, bitte folgen Sie uns."

Wir stoppen an der Bushaltestelle beim Matzleinsdorfer Platz. Der Škoda-Fahrer steigt aus. Er ist blass, Ende 30, trägt einen Kurzhaarschnitt mit Rastazöpfen im Nacken. Wild gestikuliert er während der obligaten Tests, er habe vor zwei Jahren zum letzten Mal Cannabis geraucht. Der Beamte glaubt ihm das nicht – die geröteten Augen sprechen eine andere Sprache.

Prompt wird in die Hufelandgasse gemeldet: "Wir bringen jemanden zum Amtsarzt." Der Verdächtige muss in die Polizeiinspektion mitkommen und sich einer amtsärztlichen Untersuchung unterziehen. Verweigert er dies, wird ihm die Weiterfahrt untersagt und der Führerschein abgenommen. Verweigerung gilt als Schuldeingeständnis.

21 Uhr. Kreidebleich steht der Škoda-Lenker vor dem Amtsarzt. Der Revierinspektor schildert, was ihn verdächtig erscheinen ließ: Neben der Fahrweise waren es seine zittrigen Hände und die roten Augen. Denn die gelten als auffälligste äußerliche Wirkung nach dem Konsum THC-haltiger Drogen und sind Folge des begleitenden Blutdruck-Abfalls. Einschlägige Szene-Websites empfehlen Sonnenbrillen oder gefäßverengende koffeinhaltige Getränke dagegen. Außerdem hatte der Verdächtige die Aussage vom Zeitpunkt seines letzten Cannabis-Konsums inzwischen relativiert – es sei erst gestern gewesen.

Er stimmt einer Urinprobe zu. Ein Beamter beobachtet ihn dabei, um Manipulationen auszuschließen. Zuvor wurde noch ein Alkotest mit dem Vortest-Gerät durchgeführt (der verlief negativ) und geklärt, ob der Mann Medikamente einnimmt (nein, keine), denn auch diese können im Test nachgewiesen werden. Dann taucht der Amtsarzt die "Drug Control Multitest"-Einheit zehn Sekunden lang in den Probebecher.

21:30 Uhr. Das Ergebnis: THC-positiv. Die Aussage vom gestern gerauchten Joint dürfte stimmen. Der Test sagt aber noch gar nichts über seinen momentanen Zustand aus. Deshalb folgt nun die genaue Untersuchung – eigentlich ein Check, ob er seinen Körper im Griff hat. Wenn er diesen besteht, darf er gehen, wenn nicht, ist er seinen Führerschein erst einmal los.

Der Test besteht unter anderem darin, zuerst einmal eine Linie nachzuzeichnen, dann stehend die Augen zu schließen und still im Sekundentakt bis 30 zählen. Darauf mit geschlossenen Augen auf Zuruf das linke oder das rechte Bein heben und nach vorne strecken. Sich mit dem Zeigefinger an die Nase fassen. Beide Zeigefinger in Gesichtshöhe zusammenfinden lassen. Wir dürfen dabei nicht zusehen, erfahren aber vom Polizeiarzt das Ergebnis: nicht bestanden. Der Škoda-Fahrer begann, als er die Augen schloss, zu wanken, zeigte massive Koordinationsstörungen und hatte seine Motorik nicht im Griff. Und: Der Patient habe zugegeben, täglich einen Joint zu rauchen, weil er sonst nicht schlafen könne.

Die Folgen: Eine Blutprobe muss vorgenommen werden, um noch genauere Erkenntnisse zu erlangen. Den Führerschein ist er erst einmal los. Für vier Wochen, weil es sich um einen Ersttäter handelt, die Wartezeit für die Blutprobe wird dabei angerechnet. Zudem wird er zumindest 800 Euro bezahlen müssen – das ist die Mindeststrafe.

22 Uhr. Die Beamten in unserer Zivilstreife sind längst wieder im Einsatz, der über zwölf Stunden anberaumt ist.

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Am Tag danach zieht die Polizei Wien den Medien gegenüber Bilanz: 26 durch Drogen beeinträchtigte Lenker sind gestoppt, zwei wegen Alkohol angezeigt worden. 16 Personen wurde der Führerschein abgenommen. Einem davon zum zweiten Mal – der Wiederholungstäter muss jetzt mindestens ein halbes Jahr auf sein Auto verzichten, Coaching und Nachschulung besuchen und bis zu 3.700 Euro Strafe zahlen. Vielleicht fährt er aber auch sofort weiter: Insgesamt wurden 18 Fahrer ohne Lenkerberechtigung angehalten.

Ein Blick in die Statistik: 2016 gab es 27.896 Alkoholanzeigen, das Verhältnis Drogen/Alkohol betrug also österreichweit 1:18. In Wien gab es im gesamten Jahr 2017 4.365 Alkoholanzeigen und 1.035 wegen Drogen am Steuer, das Verhältnis beträgt also fast 1:4. Als Hotspot in Wien gilt der Bereich des Stadtpolizeikommandos 12, das für die Bezirke Meidling und Hietzing zuständig ist – hier werden fast doppelt so viele Drogenlenker angezeigt wie Alkolenker.

Das Innenministerium schätzt die Dunkelziffer sowohl für Fahren unter Alkohol- als auch unter Drogeneinfluss höher ein.

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Drei Fragen an den Polizeiarzt

Viele Ertappte sagen, Auto- oder Radfahren unter Drogen sei weniger gefährlich als unter Alkohol. Ist da was dran?

Nein, das ist ein Irrglaube! Es mag stimmen, dass sich die Betroffenen gar nicht beeinträchtigt fühlen. So sagen viele Cannabis-Konsumenten, sie hätten ja nicht beim Fahren geraucht. Das Hauptproblem aber ist die Selbstüberschätzung: Man denkt, man könne problemlos fahren. Und viele fühlen sich auch keiner Schuld bewusst, wenn sie drei Stunden oder länger zuvor einen Joint geraucht haben und dann aufgehalten wurden.

Welche Probleme bringt Fahren unter Cannabis-Einfluss?

Die Wirkung ist eine verzögerte Wahrnehmung, manchmal eine Realitätsverzerrung. Glaubt man, die gefühlte Wirkung habe nachgelassen und man könne schon fahren, ist das unbewusste, vegetative Nervensystem immer noch irritiert. Die Zeitwahrnehmung ist verlangsamt, das räumliche Gefühl ist verändert, die motorische Koordination eingeschränkt. Die geweiteten Pupillen reagieren empfindlicher auf Blendung. Dazu kommt eine Verlangsamung des Reaktionsvermögens.

Ist Fahren unter Einfluss von Amphetaminen wie etwa Kokain auch gefährlich?

Ja, obwohl die Droge ja anfangs aufmerksamkeitssteigernd wirkt und mehr Reize wahrgenommen werden. Weil der Körper mit über hundert Prozent läuft, ermüdet er auch rascher, es kommt zur Erschöpfung, man ist dann nicht aufmerksam. Aufputschende Substanzen werden auch konsumiert, um nach Cannabiskonsum wieder wacher zu werden. Und umgekehrt. Oft wird aber auch THC, etwa aus Cannabis, als Bei-Konsum festgestellt, um diese Überreizung zu dämpfen.

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