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© Kurt Zeillinger
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August 2020

Mein Triest

Triest, die ehemals österreichische Adria-Hafenstadt: ein Sehnsuchtsziel für viele. Für Kurt Zeillinger erst im zweiten Anlauf.

Ist es dort so richtig italienisch – so mit Palmen?" Über diese Frage konnte ich mich nur wundern. Noch dazu weil sie mir von einer erfahrenen Reisejournalistin aus Deutschland gestellt wurde, die wahrlich schon weit in der Welt herumgekommen war. Ich hatte ihr einen Trip nach Triest empfohlen und konstatierte nun: Sie hat keine Ahnung.

So wie sehr viele Deutsche, wenn es um die Stadt ganz im Nordosten am Rand der Adria geht. Denn die allermeisten ihrer Landsleute biegen, wenn sie schon mit dem Auto kommen, hinter Udine nach rechts ab und nehmen die Autostrada in Richtung Venedig. Über die erreichen sie, sofern sie nicht nach Venedig selbst wollen, alle ihre Sehnsuchtsziele in Italien. Triest gehört da nicht wirklich dazu.

Sehr viele Österreicher hingegen biegen bei Palmanova links ab. Ich tat es das erste Mal 1986 als junger Mitarbeiter dieses Magazins. Es war im November, ich sollte einen Testbericht über einen neuen Mazda schreiben und musste Kilometer machen, um Erfahrungen mit ihm zu sammeln. Weil ich ans Meer wollte und in eine Stadt (die Badeorte waren schon winterfest gemacht), wählte ich Triest und fuhr – so wie die meisten damals – über Udine.

Dort angekommen konnte ich die Schwärmereien in meinem Freundeskreis über das "Wien am Meer" absolut nicht nachvollziehen. Triest empfand ich grau, langweilig, am Samstagabend fast menschenleer und verregnet (zumindest dafür konnte die Stadt nichts). Ich war froh, nach dem Kauf eines (daheim) illegalen Schnurlostelefons und einer Übernachtung in einer versifft anmutenden Zwei-Sterne-Pension im Bahnhofsviertel heimwärts aufzubrechen.

Zehn Jahre dauerte mein privater Bann. Während dieser Zeit passierte ich Triest mehrmals auf dem Weg nach Istrien – auf der Stelzen-Autobahn mit Blick auf die rauchenden Schlote der Industrieanlagen am Hafen. Kein schöner Anblick. Also Augen stur auf die Straße und durch.

Nach diesen zehn Jahren schickte mich unser damaliger Verlagsleiter nach Triest: Ich solle doch bitte eine Städte-Reportage machen. Als Quartier reservierte er mir gleich ein Zimmer an der ersten Adresse der Stadt, dem Grand Hotel Duchi d'Aosta auf der Piazza Unità, das damals mit dem ÖAMTC kooperierte.

Und alles war auf einmal anders: Aus dem Zimmerfenster schaute ich über Triests eigentlichen Hauptplatz hinaus zum Meer.

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Triest2020_DSC_0009_Zeill_CMS.jpg Kurt Zeillinger © Kurt Zeillinger
Das Grand Hotel an der Piazza Unità stammt aus dem Jahr 1873.
Triest2020_DSC_0006_Zeill_CMS.jpg Kurt Zeillinger © Kurt Zeillinger
Seit meinem ersten Aufenthalt 1996 wurde das Haus im Ringstraßen-Stil mehrmals restauriert, dabei wurden die Zimmer erneuert.
Triest2020_DSC06486_Zeill_CMS.jpg Kurt Zeillinger © Kurt Zeillinger
Das war und ist der Blick aus dem Zimmerfenster, der mich so fasziniert.

Am Morgen strahlte die Sonne, es war Frühling und das Frühstück wurde im Schanigarten serviert, mit Blick auf all die geschäftigen Leute, die an mir vorbei ihren Büros zueilten.

Damals begann ich, mich umzuschauen. Animiert durch die dicken Bildbände, die in der Lobby herumlagen und Triest in alten Ansichten zeigten, suchte ich vor allem nach Überbleibseln aus der Kaiserzeit. Ich sollte viele finden.

Doch ein Stück Wien am Meer

Zwar unterwarfen sich die Stadtherren bereits 1382 den Habsburgern, aber wirklich Bedeutung erlangte die Stadt erst 1719 durch den genialen Coup von Maria Theresias Vater Karl VI., Triest zu Österreichs Freihafen zu erklären.

Der daraus resultierende Wohlstand zog Menschen aus allen Teilen Europas an. Als die Stadt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ein Teil Italiens wurde, sah sie wirklich aus wie Wien am Meer: Denn als sich die Kaiserstadt für die Weltausstellung 1873 in Schale warf und die Ringstraße eröffnet wurde, wollte man hier nicht nachstehen, räumte direkt an der Mole, an der die großen Passagierschiffe des Lloyd Austriaco anlandeten, den Platz frei, verpasste dem wenig attraktiven Rathaus eine bombastische Fassade und errichtete für die wohlhabenden Gäste, die mit der 1857 errichteten Südbahn weiter nach Wien wollten, erstmals ein großes, vornehmes  Hotel – richtig, meins.

Bahnline-Wiener-Neustadt-Triest-(1841)_klein_CMS.jpg Franz Xaver Wilhelm von Hlubek (1841)
© Franz Xaver Wilhelm von Hlubek (1841)

Später pendelten Architekten aus dem Umfeld Otto Wagners wie Max Fabiani oder Josef Plecnik zwischen den beiden Städten Wien und Triest und schufen Häuser von Bestand, in denen nicht selten Geschäfte Wiener Unternehmen aufmachten.

So gab es bis in die 1990er-Jahre eine Filiale von Giulio Meinl, und das Bier der ehemaligen Schwechater-Eigentümerfamilie Dreher lebt zumindest dem Namen nach noch heute. Die dazugehörige Brauerei gehört übrigens ebenfalls zum Heineken-Konzern.

Das alles ist wahrscheinlich der Grund, warum Triest für viele Österreicher Sehnsuchtsziel ist: Alles wirkt irgendwie vertraut, man ist – verzeihen Sie mir die Plattitüde – nicht daheim und doch zu Hause. Aber weil ich Sie nicht mit geschichtlichen Details langweilen möchte, verweise ich nur auf den Wikipedia-Eintrag. Und auf die Bildergalerie unten. Klicken Sie sich doch durch!

"Wir fahren nach Italien"

Dass Triest um Jahrhunderte länger von Wien aus regiert wurde als von Rom, manifestiert sich schon allein darin, dass die Bewohner der Stadt, wenn sie jenseits des Isonzo (also in Udine, Venedig oder noch weiter im Westen) zu tun haben, beim Aufbruch dorthin sagen: "Ich fahre nach Italien". Denn gleich hinter Monfalcone markierte der Fluss einst die Grenze. Die Menschen, die das sagen, sind sich bewusst, dass ihre Familien zumeist erst seit ein paar Generationen in Triest leben. Sie fühlen sich als "Triestiner".

Ihre Wurzeln aus der Zeit der Monarchie liegen oft, aber bei weitem nicht nur in Slowenien (rund um die Stadt wird praktisch überall, auch im zu Italien gehörigen Umland, slowenisch gesprochen).

Vieles, was mit den unterschiedlichsten Ethnien zu tun hat, die Triest bevölkern, lässt sich locker in einem Rundgang von der Piazza Unità aus entdecken. Etwa die Orte der aus Griechenland gekommenen Menschen – die große Community hat ihre orthodoxe Kirche direkt an der Uferpromenade.

Die serbischen Wurzeln lassen sich perfekt in der goldglänzenden Opulenz im Inneren der serbisch-orthodoxen Kirche San Spiridione bewundern (trauen Sie sich ruhig hinein), die ungarischen hingegen in jedem zweiten Kaffeehaus: die namensgebende Besitzer-Familie der in Triest ansässigen Rösterei Illy kommt von dort. Von den Wurzeln der großen jüdischen Gemeinschaft, die einst die Stadt mit prägte, sind nach dem Holocaust eigentlich nur die große Synagoge hinter dem berühmten Caffé San Marco an der Piazza Virgilio Giotti und das "Ghetto", hinter dem Rathaus, heute das Antiquitätenviertel.

Und die "echten" Italiener? Die meisten derer, die bei allen möglichen Gelegenheiten stets ihre Italianità betonen, stehen politisch fast immer recht weit rechts.

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1 Casa Morpurgo: Die ehemalige Wohnung der Nachfahren der Gründer der Generali-Versicherung ist heute ein Museum, das Einblicke in das Leben des jüdischen Großbürgertums gibt. © Kurt Zeillinger

2 Spuren jüdischen Lebens in Triest: die Synagoge ist eine der größten in Europa. © Kurt Zeillinger

3 Hinter dem Rathaus und der Piazza de la Borsa liegt das ehemalige Ghetto mit seinen Antiquitätengeschäften und Lokalen. © Kurt Zeillinger

Mein Freund Veit

Weil vorhin auch vom Kaffee die Rede war: Vor 16 Jahren begegnete ich zum ersten Mal Veit Heinichen, einen deutschen Autor, der Triest seit über 20 Jahren verfallen ist. Ich traf ihn, der sich gerade mit einem der ersten seiner Krimis um den in der Hafenstadt ermittelnden Commissario Proteo Laurenti in die Bestseller-Listen geschrieben hatte, zu einem Interview. Danach schauten wir noch in seinem Lieblingscafé vorbei, der Gran Malabar an der Piazza San Giovanni – eigentlich eher eine exzellente Weinbar.

Sich durch die Kulturen schmecken

Im Rahmen meiner vier bis fünf Triest-Trips pro Jahr treffe ich Veit öfters, und jedes Mal bringt er mir Dinge nahe, die mir bis dahin nicht so geläufig waren. Als ich ihm etwa erzählte, dass ich auf der nahen Piazza Hortis ein Gebäude mit der Aufschrift "K.K. Staatsgymnasium" entdeckt hatte, meinte er nur: "Pass auf, dass du die ganze Habsburger-Sache nicht überbewertest. Triest ist mehr. Es ist die Stadt am Schnittpunkt dreier Kulturkreise: des romanischen, des slawischen und des germanischen. Hier teilt sich die Welt in Butter und Olivenöl – oder besser gesagt: Sie vereint sie."

In Triest ist es ganz alltäglich, sich in einem einzigen Tagesablauf durch die drei Kulturen zu essen: Frühstück wie ein Italiener (also alles andere als opulent) mit einem Croissant (ital. "Cornetto") in einer Bar (so nennen sich die vielen kleinen Lokale mit vorwiegend Stehplätzen), mittags wie ein Österreicher auf Geselchtes mit Kraut und Knödel in einem der für Triest so typischen Buffets, nachmittags wie ein Slowene mit Mehlspeisen Presnitz, Putizza oder Pinze, Aperitif wie  ein echter Triestiner (zum Glas Wein "Sardoni in Saor", in Mehl getauchte, in Olivenöl knusprig gebratene und mit Essig abgelöschte Filets von Sardellen mit gedünsteten Zwiebeln, Pinienkernen und Rosinen) und abends dann Fisch wie ein Italiener: Vongole, Cozze, Gamberi, Seppie (im Triestiner Dialekt "Folpi"), Orata, Branzino, Rombo chiodato (Steinbutt), Baccalà (Stockfisch) in allen Varianten und viel anderes schwimmendes Getier.

Klar, in Triest lässt sich ziemlich gut schlemmen. Aber die Stadt auf Essen und Trinken, auf ihre Geschichte und die Lage an der Adria zu reduzieren, wird ihrem Potenzial wirklich nicht gerecht. Ja, und eines möchte ich hier auch noch erwähnen: Triest hat speziell in den letzten 15 Jahren viel an Attraktivität dazu gewonnen – obwohl die Einwohnerzahl (zur Zeit 203.000) etwas abgenommen hat. Sie hat sich gewaltig herausgeputzt und spürbar verjüngt.

Deshalb noch zum Schluss noch ein paar Impressionen – quasi meine ganz persönlichen Tipps als Ideen, wenn auch Sie einmal hin reisen wollen. 

Wenn Sie ein paar Tage in Triest verbringen möchten, empfehle ich Ihnen, mit dem Auto anzureisen. Die Bahnstrecke von Wien in die Adria-Hafenstadt hat zwar eine ruhmreiche Vergangenheit, doch mit dem Zug brauchen Sie heute fast genauso lang wie vor 120 Jahren – und das mit weniger Komfort: Damals gab es eine direkte Verbindung, sogar mit Schlafwagen, heute müssen Sie ein paar Mal umsteigen.

Aber vielleicht schaffen es die Bahnverwaltungen in Österreich, Slowenien und Italien doch einmal, sich auf eine zeitgemäße Schnellverbindung zu einigen. Dann wäre es für viele noch bequemer, die Hafenstadt Triest als Sehnsuchtsort zu entdecken.

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© Friaul-Julisch-Venetien-Tourismus

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