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© Sebastian Weissinger
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Januar 2021

Anria Reicher und das Haydn-Pentagramm

In Anria Reichers Leben kam der Komponist Haydn bisher derart häufig vor, dass ihr bei seiner Namensnennung das Grauen kommen könnte. Tut es aber nicht. Sie überlässt das Grauen lieber den Lesern ihres Thrillers.

Wir drehen die Uhr ein wenig zurück, sind im Jahr 2018, es ist kurz vor Weihnachten. Anria Reicher erlebt soeben einen unerwarteten ­Moment riesengroßer Freude, ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, wenn man so will. Es ist die Zusage zur Veröffentlichung ihres Erstlingswerks, eines 416 Seiten starken Thrillers: "Das Haydn-Pentagramm" (erschienen im Aufbau-Verlag).

Worum geht's?

Es geht ganz viel um Musik, um Liebe, Romantik, um eine junge Cellistin, geheime alte Notenskizzen, um Verschwörungen, die Freimaurer – und ums Morden, blutiges Pentagramm inklusive. Und natürlich geht's um Joseph Haydn, den Komponisten.

Über ihn und die Lücken bzw. Mythen seiner Vita weiß Anria Reicher dank ihres Vaters nämlich bestens Bescheid. Er war jahrzehntelang Intendant der Haydn-Festspiele im Burgenland.

Deswegen finden sich Haydns im Burgenland hinterlassene Spuren intensiv in diesem Thriller wieder; die Haydnkirche in Eisenstadt beispielsweise als Schauplatz einer Verfolgungsjagd. Herrlich für all jene, die den Spuren eines Buches gerne auch in der Realität folgen. 

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Die Autorin: Anria Reicher.
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Der Debut-Thriller: "Das Haydn-Pentagramm".
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Ein Schauplatz: die Haydnkirche in Eisenstadt.

Wir beginnen von vorne

— Wie konnte dich dein Vater für die Welt der klassischen Musik begeistern?

anria reicher: Mit Geschichten. Es gibt ganz großartige Hörspiele und Bücher für Kinder, die die Lebensgeschichten von Haydn, Mozart, Strauß und vielen anderen in Dia­logen erzählen. Auf diese spielerische Art und Weise habe ich ganz früh die Klassik erlebt – und so kann man das auch den eigenen Kindern weitergeben.

—Welche Rolle spielt die klassische Musik heute in deinem täglichen Leben?

anria reicher: Musik spielt generell eine sehr große Rolle in meinem Leben. Ich mag Musik, die mich berührt. Meine Playlist ist ganz breit durchgemischt, konzentriert sich nicht nur auf ein Genre oder einen Musikstil. Außerdem tanze ich wahnsinnig gerne. Und zu Klassik kann man nicht so gut tanzen.  

— Haydn begleitet dich nun schon dein Leben lang. Gibt es noch diese eine, allererste Erinnerung in seinem Zusammenhang?

anria reicher: Woran ich mich erinnern kann, ist ein Auftritt als Statistin in einer Haydn-Oper, ich muss da sechs oder sieben Jahre alt ge­wesen sein. Als kleines Kind die Atmosphäre hinter der Bühne zu erleben, dann auf der Bühne zu stehen, die Aufregung der Erwachsenen zu spüren, die Musik des Orchesters zu hören und es beim Spielen aus der Nähe beobachten zu können – dieses Gefühl war super.

— Bleiben wir bitte noch kurz in deiner Kindheit. An welches Buch kannst du dich besonders gut erinnern?

anria reicher: Im Kindergartenalter wurde mir sehr oft aus der Odyssee vorgelesen, Odysseus’ Irrfahrten. Das Interesse für Geschichte, für Geschichten, für Abenteuer, das ist damals entstanden und hat sich bis heute gehalten.

In Summe habe ich jedenfalls fast vier Jahre lang geschrieben, immer wieder Pausen gemacht, es ruhen lassen, neu angegriffen.

Anria Reicher, Autorin

Wie schreibt man einen Thriller?

— Wie hast du "Das Haydn-Pentagramm" geschrieben? Mit der strengen Disziplin eines Thomas Brezina? Mit der auflockernden Glaserl-Wein-Methode eines Sven Regener?

anria reicher: Zu Beginn hat mich richtig die Schreibwut gepackt, ich habe alles niedergeschrieben, was mir eingefallen ist. Irgendwann hatte ich zwar viele tolle Szenen, die aber nicht wirklich in­einandergriffen. Erst ab diesem Zeitpunkt setzte ich mich intensiv mit dem Aufbau auseinander.

Als dann das Manuskript aus meiner Sicht fertig war, habe ich es an Testleser ausgesendet, die mir nichts schuldig waren. Also Leute, die ich kaum oder nicht kannte und die mir wirklich ehrliches Feedback geben konnten. Dann habe ich das Manuskript überarbeitet und es noch einmal ausgeschickt. An andere Testleser. Und so ging das mehrmals hin und her. Ich habe ewig lange daran geschliffen. Ein Satz, der sich sehr leicht liest, wurde manchmal ganz oft herumgeschlichtet, umgeschachtelt, bis er in meinen Augen perfekt war.

In Summe habe ich jedenfalls fast vier Jahre lang geschrieben, immer wieder Pausen gemacht, es ruhen lassen, neu angegriffen. Wenn ich schreibe, dann bin ich in meiner eigenen Welt. Da kann es schon passieren, dass ich beim Essen aufspringe, sage, ich muss nur kurz etwas notieren, und anschließend stundenlang verschollen bin.

— Die größte Herausforderung beim Schreiben des Romans war…?

anria reicher: … die Schilderung der Protagonistin, diese Gratwanderung, sie einerseits als hochbegabte Frau, als Musikerin von Weltklasse zu beschreiben, die andererseits aber eine zutiefst unsichere Persönlichkeit ist, die mit ihren ­eigenen Dämonen, ihren Ticks und ihrer ­eigenen Vergangenheit zu kämpfen hat.

— Dein Thriller hat mehrere Schauplätze. Wien und Eisenstadt liegen ja quasi vor der Haustüre, aber wie hast du dir die anderen Orte erarbeitet, z.B. Mexico City?

anria reicher: (lacht) Also in Mexiko und London war ich ehrlich gesagt noch nie, da hat mir das ­In­ternet, da hat mir Google viel geholfen. Mein diesbezüglicher Browser-Suchverlauf ist sicherlich sehr interessant. Die anderen Orte habe ich tatsächlich aufgesucht, um das eine oder andere Detail noch wahrheitsgemäß einfließen zu lassen.

— Du arbeitest mit vielen kurzen Sätzen, verlierst dich selten in Details bzw. nur dort, wo sie notwendig sind…

anria reicher: Ja, mein deklariertes Ziel war es, einen "Pageturner" zu schreiben. In meiner Vorstellung setzt man sich in der Früh in U-Bahn, Bus, Bahn oder Bim, nimmt das Buch heraus, beginnt zu lesen, denkt sich "oh nein", weil die Zielstation schneller als erwartet erreicht wurde, und freut sich ab da auf jenen Moment, ab dem man wieder weiterlesen kann. Und am Abend kuschelt man sich daheim vielleicht auch noch ins Bett und liest dort bis vier in der Früh weiter.  

— In deinem Buch kommen häufig Symbole vor, ebenso die Freimaurer und Illuminati, es geht um Verschwörungen – woher kommt das Faible für Mystik und Mythologie?

anria reicher: Ich glaube, Menschen interessieren sich grundsätzlich einfach sehr für Verschwörungen, immer schon. Und derzeit natürlich ganz besonders. Verschwörungen bergen Geheimnisse und man kann unkontrolliert selbst so viel hineininterpretieren – dieser Mix und dieser Gestaltungsspielraum sind gewissermaßen Quintessenz und Triebfeder von Verschwörungen.

Ich habe das bei der Recherche ja selbst erlebt. In Haydns Leben gibt es einige ungeklärte Begebenheiten, einige lose Puzzleteile. Die Crux daran ist: Wenn man sich die Erklärungen selbst zurechtlegen kann, was warum so und so ist, lassen sich auch die Teile plötzlich zusammenfügen. Und das macht Spaß. Manches davon hat plötzlich so gut gepasst, und es waren so viele Teile, dass ich irgendwann gar nicht mehr aufhören konnte sie zusammenzusetzen.  

Weil Haydns Musik so lebhaft und fröhlich ist, glaube ich, dass er in Wirklichkeit auch ein ganz schöner Schelm war.

Anria Reicher, Autorin

— Wie gehst du mit Kritik an deinem Buch um, die ja in der Online-Welt rasch und meist anonym hinausposaunt werden kann?

anria reicher: Also prinzipiell freue ich mich über Feedback, über positives natürlich ganz besonders. Ich mag konstruktive Kritik, habe deswegen vor der Einreichung des Manuskripts auch mit vielen Testlesern gearbeitet. Negative, aus meiner Sicht ungerechtfertigte Kritik hin­gegen kann mich ungemein aufregen, da muss ich noch ein wenig an mir arbeiten und lernen, darüberzustehen.

— Das vergangene Jahr hast du dir sicherlich anders vorgestellt, mit Lesungen, Auftritten bei Buchmessen…

anria reicher: Wirklich auf das Buch bezogen war es natürlich schade, nicht mehr Lesungen halten zu können. Ich war auch bei einigen guten und für mich wichtigen Literaturfestivals eingeladen, hätte mich dort gerne mit anderen Autoren ausgetauscht, aber das wurde alles abgesagt.

Privat bin ich sehr gut und flexibel mit der Situation umgegangen, habe aber auch das Glück, am Land zu leben und ins Freie raus zu können. Außerdem habe ich einen guten Brotjob, der mich finanziell absichert.

—  Abschließend: Ein Aspekt an Haydn, der vielleicht weniger bekannt ist?

anria reicher: Haydn war ein sehr fröhlicher und positiver Mensch, der aber sehr zurückgezogen gelebt hat. Aber weil seine Musik so lebhaft und fröhlich ist, glaube ich, dass er in Wirklichkeit auch ein ganz schöner Schelm war.

Steckbrief Anria Reicher

Interview_AnriaReicher_Interview_1_CMS.jpg Sebastian Weissinger © Sebastian Weissinger
1987 in Wien geboren | Schule und Studium in Wien, Eisenstadt, Dublin und Kalifornien | Ihr Vater Walter war 30 Jahre lang Intendant der Haydn-Festspiele im Burgenland – daher ihr umfangreiches Wissen zu klassischer Musik und dem Komponisten Joseph Haydn im Speziellen | Tanzt gerne | Gartelt sehr gerne, Schwerpunkt: Gemüseanbau (erreicht in dieser Rolle Selbstversorger-Status) | Mutter zweier Kinder | Schreibt bereits an der Fortsetzung, ein dritter Teil ist in Planung

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