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Rund und schwarz

Ein persönlicher Rückblick auf 50 Jahre ÖAMTC-Reifentest.

ÖAMTC Reifentest ÖAMTC

2023 wird eine der renommiertesten und wichtigsten Untersuchungen im Programm des ÖAMTC 50 Jahre alt: Der Reifentest – und er hat nichts von seiner Relevanz eingebüßt. Gemeinsam mit unserem Technikexperten Steffan Kerbl lasse ich ein halbes Jahrhundert der technischen Entwicklung Revue passieren.

Die Fahrsicherheit bleibt zwar der wichtigste Faktor. Der Einfluss von Laufleistung, Spritverbrauch und Geräuschpegel sowie der neuen Kriterien Abrieb, Gewicht und Nachhaltigkeit liegt nun bei 30 Prozent.
Steffan Kerbl, ÖAMTC-Technik

Eine Wissenschaft für sich

Jubiläen sind ja immer so eine Sache: Sie sind eine schöne Gelegenheit, in Erinnerungen zu schwelgen, wovon Organisationen vor allem intern gerne Gebrauch machen. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen – für die Menschen "da draußen" sind vermutlich andere Fragen spannender: Was haben wir im Hier und Jetzt davon? Und: Wie geht es weiter, was sind künftige Herausforderungen? Beide Fragen sollten bei aller Wertschätzung für frühere Pionierarbeit keinesfalls zu kurz kommen.

Ich kann mich noch gut an "meinen" ersten Reifentest erinnern: Wenige Monate, nachdem ich in der Pressestelle des ÖAMTC begonnen hatte, hieß es: "Winterreifentest 2011, hier ist der Testbericht, mach' was daraus!" Das war eine echte Ansage, denn viel mehr als das damals oft im Haus gehörte Zitat "Rund und schwarz sind sie alle" wusste ich nicht über das Thema. Man kann sich vorstellen, wie erstaunt ich nach Lektüre des Testberichts war: 30 Reifen in zwei "Dimensionen", kryptische Zahlen- und Buchstabenkombinationen, eine kunterbunte Wertungstabelle, Schlagwörter wie "Nassbremsen" oder "Abrollgeräusch" – all das und noch viel mehr wurde auf zig Seiten dargestellt und beschrieben. Eine wissenschaftliche Arbeit also, bei deren Interpretation mich die Expert:innen unserer Testabteilung zum Glück nach Kräften und viel Geduld unterstützten.

Wie groß das allgemeine Interesse am Reifentest war, sollte ich ebenfalls schnell merken: Bereits Tage vor dem eigentlichen Veröffentlichungstermin landete eine Medienanfrage nach der anderen im Postfach. Daran hat sich bis heute, wo das Lesen und Verstehen von Testberichten für mich längst zur Routine geworden ist, nichts geändert. Und auch nach gut 20 Aussendungen zu diesem Thema ist jeder Test aufs Neue spannend: Es gibt immer wieder Details und Ergebnisse, die mich überraschen.

Wie alles begann

Ich habe eingangs bereits Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erwähnt. Eine temporale Dreiecksbeziehung, in der das Thema "50 Jahre Reifentest" auch für Steffan Kerbl, seit 2005 Leiter der Test-Abteilung beim ÖAMTC, steht: "Wir – also 'wir' als ÖAMTC, so lange bin ich dann auch noch nicht beim Club – haben 1973 mit systematischen Reifentests begonnen. Damals noch in Eigenregie, während unsere heutigen Partner von ADAC und TCS im selben Jahr bereits gemeinsam ihre ersten Untersuchungen durchführten. Die Bündelung der Kräfte – die Stiftung Warentest schloss sich den drei Clubs an – erfolgte 1977. Im Laufe der Jahrzehnte ist der Test, an dem mittlerweile ein Europa-umspannendes Netz an Partnerorganisationen beteiligt ist, dann zu jener Entscheidungshilfe für den Reifenkauf geworden, die wir heute kennen."

Warum man 1973 auf die Idee kam, Reifen zu testen, ist schnell erzählt: Die Anzahl verfügbarer Modelle wuchs stetig an, vor allem aber wurde immer deutlicher, dass "rund und schwarz sind sie alle" nicht mehr so richtig galt. Denn die Hersteller der Gummis versuchten, sich mit immer neuen Innovationen voneinander abzuheben. Welche davon wirklich sinnvoll waren und bei welchen es sich um – salopp formuliert – Marketing-Gags handelte, wusste niemand so genau. Der Gedanke, mit wissenschaftlichen Methoden zu analysieren, was die einzelnen Produkte wirklich konnten, war naheliegend – und dass diese Untersuchungen von unabhängigen Organisationen durchgeführt werden mussten, ein logischer Schluss.

50 Jahre Reifentest  ÖAMTC
Winterreifentest anno 1973, © ÖAMTC

Grip auch ohne Zähne?

Besondere Relevanz in Hinblick auf die Sicherheit erfuhr das Thema Reifentest übrigens kurze Zeit nach der Premiere: Bis Anfang der 1970er Jahre hatten Winterreifen ihren Grip vor allem dem Einsatz von Spikes zu verdanken. Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers spätestens 1975 Schluss sein. Österreich und die Schweiz erlaubten Spikes nur mehr unter gewissen Voraussetzungen, Deutschland schickte sich an, die spitzen Metallstifte komplett zu verbieten. Angesichts katastrophaler Auswirkungen auf den Straßenbelag war es eine nachvollziehbare Maßnahme, den Reifen die Zähne zu ziehen – vor allem in Hinblick auf die im Gleichschritt mit dem zunehmenden Kfz-Verkehr steigenden Kosten für die Sanierung der verwüsteten Fahrbahnen. In dieser Hinsicht war die Politik durchaus erfolgreich – man stelle sich die Folgen für die Straßen vor, wäre der aktuelle Pkw-Bestand in Österreich, der ca. fünf Millionen Fahrzeuge umfasst, im Winter mit Spikes unterwegs.

Gleichzeitig galt es allerdings ein neues Problem zu lösen: Wie sollte man die Verkehrssicherheit bei winterlichen Verhältnissen gewährleisten? Die Bewältigung dieser Aufgabe fiel den Reifenherstellern zu, neue Gummimischungen und Profilkonzepte mussten her, keinesfalls durfte der Wegfall der Spikes zum Anstieg der Unfallzahlen führen. Und damit erhielten auch die Tests neue Brisanz: Es ging nicht mehr nur darum, welche Reifen grundsätzlich hielten, was sie versprachen – eine schlechte Note deutete vielmehr darauf hin, dass mitunter Menschenleben auf dem Spiel standen, würde nicht nachgebessert.

Wo wir stehen

Der Sprung, der in Sachen Sicherheit in relativ kurzer Zeit gelungen ist, ist enorm – und auch wenn die Innovationskurve heute nicht mehr so steil ist, kitzeln die Unternehmen nach wie vor ein Euzerl Grip aus ihren Pneus heraus. Gut so – aber für den ÖAMTC noch lange kein Grund, die Industrie in Ruhe zu lassen. Steffan Kerbl weiß nur zu gut, dass der Druck, den die Tests ausüben, hilft: "Wir haben im Laufe der Jahre immer wieder nachgebessert und sind strenger geworden, was unsere Tests betrifft." So ist ein heutiger Reifen – abgesehen von der Farbe – nicht mehr mit dem vergleichbar, was vor 15, 30 oder gar 50 Jahren an den Autos montiert war. "Wir sehen natürlich, dass auch schwächere Reifen im Test in Sachen Fahrsicherheit besser sind als das Meiste, was es früher gab – was freilich nichts daran ändert, dass es weiterhin Unterschiede gibt und immer geben wird."

Steffan Kerbl beim Reifentest  ÖAMTC/Essl
Steffan Kerbl in seinem Element, © ÖAMTC/Essl
50 Jahre Reifentest  ÖAMTC
Reifentest auf winterlicher Fahrbahn, © ÖAMTC
50 Jahre Reifentest  ÖAMTC
Die Pneus werden in Finnland getestet, © ÖAMTC

Nachhaltigkeit im Fokus

Die generell gestiegene Sicherheit erlaubt es aber, den Fokus zu erweitern. Und was sind bestimmende Themen unserer Zeit? Ganz klar: Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz. "Für den ÖAMTC steht außer Frage, dass der Verkehr seinen Beitrag leisten muss und wird. Nun mag man auf den ersten Blick meinen, dass die Reifen nur einen kleinen Teil der CO2-Bilanz eines Kfz ausmachen. In Wirklichkeit hängt aber doch einiges dran, kann doch ein entsprechend gestalteter Reifen beispielsweise enorm zur Senkung des Spritverbrauchs beitragen. Darum haben wir dem Reifentest anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums ein entsprechendes Update verpasst: Die Bewertung fußt nun auf zwei Säulen und berücksichtigt den Umweltaspekt deutlich stärker als früher. Die Fahrsicherheit bleibt zwar der wichtigste Faktor – sie macht 70 Prozent der Gesamtwertung aus. Der Einfluss von Laufleistung, Spritverbrauch und Geräuschpegel sowie der neuen Kriterien Abrieb, Gewicht und Nachhaltigkeit liegt nun bei 30 Prozent."

Nachhaltigkeit? Ja, richtig gelesen: Seit dem Sommerreifentest 2023 befassen sich unsere Untersuchungen u. a. auch mit Produktionsstätten und Zertifikaten. Ein Novum, das entsprechenden Aufwand nach sich zieht, letztlich aber dem Wunsch vieler Konsument:innen entspricht, sich für ein möglichst nachhaltiges Produkt entscheiden zu können.

Ein Blick in die Glaskugel

Abschließend lassen wir Steffan Kerbl noch einen kurzen Blick in die Glaskugel werfen: "Auch wenn Reifen auf absehbare Zeit schwarz und rund bleiben werden, wird es definitiv nicht langweilig. Vor allem der Umweltaspekt wird noch mehr an Bedeutung gewinnen, sowohl fahrzeug- als auch reifenseitig. Und hier hat die Industrie tatsächlich noch viel Raum für Verbesserungen. Einige Beispiele für Fragen, die in nächster Zeit beantwortet werden müssen: Wie kann der Gummi-Anteil reduziert werden? Wie kann die Laufleistung erhöht werden, ohne dass der Grip sinkt? Gibt es eine Möglichkeit, den Rollwiderstand zu reduzieren und damit mehr Sprit zu sparen?"

Ein ganz großes Thema nennt der ÖAMTC-Experte abschließend: "Es muss ein Weg gefunden werden, runderneuerte Reifen auch im Pkw-Bereich salonfähig zu machen – so wie es bei Lkw längst der Fall ist. Denn momentan wird ein Großteil der abgefahrenen Reifen entsorgt, was das Gegenteil von nachhaltig ist. Hier gäbe es derzeit das größte Potenzial, die Umweltbilanz der schwarzen Gummis zu verbessern."

Fazit: Es bleibt spannend – der ÖAMTC wird weiterhin genau hinsehen und aufzeigen, was gut funktioniert und wo es Probleme gibt. Und wer weiß: Vielleicht ist bei einem meiner nächsten Testberichte schon ein Reifen dabei, der nicht mehr schwarz ist?

50 Jahre Reifentest  ÖAMTC
50-Jahre Jubiläum des ÖAMTC-Reifentest, © ÖAMTC

Über den ÖAMTC-Reifentest

Jedes Jahr werden ein Sommer- und ein Winterreifentest veröffentlicht. Der ÖAMTC und seine Partnerorganisationen – insgesamt sind zwölf Institutionen beteiligt – untersuchen dabei in der Regel insgesamt um die 30 Modelle in zwei Dimensionen (oder, vereinfacht gesagt: Größen). Die Auswahl wird nach verschiedenen Kriterien getroffen, beispielsweise werden stets Dimensionen ausgewählt, die häufig verkauft und genutzt werden. Wichtig ist aber auch das Abdecken einer möglichst breiten Preisspanne. Die Reifen, die getestet werden, werden nicht in Bausch und Bogen, sondern anonym bei verschiedenen Händlern gekauft. Im Sommer wird hauptsächlich in Italien und Deutschland getestet, im Winter musste man mangels Schnee- und Eissicherheit vor einigen Jahren von der Schweiz und Österreich nach Skandinavien ausweichen.

Weitere Infos sowie einen kompakten Rückblick auf 50 Jahre ÖAMTC-Reifentest findest du auf unserer Serviceseite.

Stefan Tschernutter Sandra Schmid

Autor:in

Stefan Tschernutter (he/his) arbeitet seit April 2011 beim ÖAMTC im Team der Öffentlichkeitsarbeit. Er ist unter anderem für die Medienarbeit zu Tests, Technik und Sicherheit sowie die Flugrettung zuständig. Im Job die Ruhe in Person, lässt er es in seiner Freizeit gerne beim Besuch von Heavy Metal-Konzerten krachen, läuft jedes Wochenende ein paar Kilometer, hört auch dabei Musik (und den einen oder anderen Podcast) und liest abends gerne mal ein gutes Buch.

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