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DruckenÖAMTC zu Helmpflicht: StVO-Entwurf geht an realem Unfallgeschehen vorbei
Mobilitätsclub fordert Nachbesserung bei E-Bikes und E-Scootern.
Die Zahlen sind alarmierend: 2024 verunglückten in Österreich 2.721 E-Bike- und 2.102 E-Scooter-Fahrende, 27 Personen kamen dabei ums Leben. Für 2025 sind sogar noch höhere Werte zu befürchten: Im ersten Halbjahr verunglückten 1.127 E-Scooter-Nutzer:innen – um 31 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2024. Bei den Radfahrenden waren es 4.729 Verletzte und 30 Tote, jede:r zweite Getötete davon war mit einem E-Bike unterwegs (Quelle: Statistik Austria). Diese Entwicklung ist seit einigen Jahren zu beobachten, Tendenz steigend.
Entwurf zur 36. StVO-Novelle: Wenig treffsicher und an der Realität vorbei
Besserung soll laut Regierung die 36. Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) bringen, die u. a. eine Helmpflicht für E-Biker:innen bis 14, für E-Scooter-Fahrende bis 16 Jahre vorsieht. Der Entwurf lässt allerdings an Treffsicherheit vermissen, wie ÖAMTC-Verkehrstechniker und Unfallforscher David Nosé erklärt:
"Bei den E-Scooter-Unfällen sind nur 14 Prozent aller Verunglückten 13 bis 16 Jahre alt. Bei den E-Bikes ist der StVO-Vorschlag sogar noch weiter vom realen Unfallgeschehen entfernt: Nur zwei Prozent der Verunglückten waren 13 bis 14 Jahre alt – hier sehen wir die mit Abstand höchsten Zahlen in der Altersgruppe von 55 bis 67 Jahren."
ÖAMTC-Erhebung zeigt große Unterschiede bei Helmtragequote
So vergleichbar E-Scooter und E-Bikes hinsichtlich des Anstiegs der Unfallzahlen und der überschaubaren Treffsicherheit einer Helmpflicht für Jugendliche sind, so unterschiedlich ist die Situation hinsichtlich aktueller Helmtragequote. Das ergab eine Erhebung des ÖAMTC im März und April dieses Jahres in den Landeshauptstädten mit fast 15.000 Einzelbeobachtungen: Während sich beim E-Bike innerstädtisch über 52 Prozent und an Freizeitrouten beinahe 80 Prozent aller Nutzer:innen mit einem Helm schützen, sind es nur knapp über zehn Prozent der E-Scooter-Fahrer:innen. Eine Analyse der Unfallstatistik der Jahre 2023 und 2024 bestätigt diesen signifikanten Unterschied in der Helmtragequote.
Video: Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung
ÖAMTC: Helmpflicht bei E-Scootern, Helmpflicht ohne Strafandrohung bei E-Bikes
Der ÖAMTC fordert daher Anpassungen in der Novelle. "Der Entwurf reflektiert das Unfallgeschehen unzureichend und stellt allenfalls eine Diskriminierung von Jugendlichen dar", stellt Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung, klar. Für E-Scooter hält der Klub angesichts der dramatisch steigende Unfallzahlen, der niedrigen Helmtragequote und schlechter fahrdynamischer Eigenschaften eine Helmpflicht ohne Alterseinschränkung für unumgänglich.
Anders beurteilt Österreichs größter Mobilitätsclub die Situation bei E-Bikes. Wiesinger: "Der OGH hat im April 2025 entschieden, dass etwaige Schadenersatzforderungen unabhängig von der Schuldfrage deutlich gemindert werden, wenn kein Helm getragen wurde – das kommt einer 'Helmpflicht light' gleich. Unsere Erhebung zeigt außerdem, dass sich bereits jetzt die Mehrheit der E-Bike-Fahrenden mit einem Helm schützt."
Zur Erhöhung dieser Quote schlägt der ÖAMTC daher eine "gesetzliche Gedächtnisstütze" in Form einer Helmpflicht ohne Strafandrohung vor. Als Vorbild nennt Wiesinger die Radhelmpflicht für Kinder, wo ebenfalls nicht gestraft werde, aber die Helm-Tragequote dennoch bei fast 100 Prozent liegt. "Ziel sollte es sein, möglichst viele E-Biker:innen zum Tragen eines Helms zu motivieren. Dafür braucht es nicht zwangsläufig Strafen, wie uns auch das Beispiel 'Skihelm' zeigt", hält Bernhard Wiesinger fest.
ÖAMTC-Flugrettung: "Helm kann Unfall nicht verhindern, Verletzungen aber mindern!"
Ein Blick in die Praxis durch den erfahrenen Notfallmediziner und leitenden Notarzt der ÖAMTC-Flugrettung, Wolfgang Voelckel: "Auch in der Flugrettung sind wir seit einigen Jahren mit einem Anstieg der Einsatzzahlen nach E-Bike- und E-Scooter-Unfällen konfrontiert und beobachten deutlich schwerere Verletzungen, wenn kein Helm getragen wurde. Bei diesen Patient:innen ist eine unmittelbare Erstversorgung und die schnellstmögliche Behandlung in einer Spezialklinik entscheidend – hier sind wir als Notfallmediziner:innen gefordert."
Daher plädiert auch der Notarzt für das Tragen eines Helms, der zwar keinen Unfall verhindern, wohl aber das Risiko schwerster Verletzungen mindern könne. Das, so Voelckel, erhöhe die Überlebenschancen, verkürze Rehabilitationszeiten und erleichtere die spätere Genesung erheblich. Insgesamt versorgen die Notarzthubschrauber der ÖAMTC-Flugrettung jedes Jahr rund 900 Patient:innen mit Schädel-Hirn-Verletzung.