Sicher durch die Nacht
Fliegen bei Nacht will gelernt sein: Flugretter Thomas Schrenk bricht zum Trainingsflug auf.

Nach seinem regulären Tagdienst am Christophorus 3 heißt es für Flugretter Thomas Schrenk: Nachtsichtbrillen auf und zurück in den Hubschrauber, denn um fit für den Nachtflug zu sein, braucht es theoretische und praktische Schulungen.
Fliegen bei Nacht will gelernt sein
Die untergehende Sonne verfärbt den Himmel über Wiener Neustadt orangerot. Ein einsatzreicher Tag neigt sich am C3-Stützpunkt dem Ende zu. Doch für Flugretter Thomas Schrenk läutet der Sonnenuntergang noch zwei intensive Stunden ein, denn für ihn geht es heute mit dem Hubschrauber hinaus in die Dunkelheit zum Advanced Flight Training.
Noch sitzt Thomas gemeinsam mit Pilot und Trainer Max Seidl im Aufenthaltsraum des Stützpunktes. "Die theoretische Grundschulung ist doch schon wieder ein paar Monate her", erzählt Thomas. "Daher gilt es, zunächst die Theorie zu wiederholen und zu vertiefen." Und an Theorie gibt es einiges zu lernen, unterscheidet sich das Fliegen bei Nacht in vielerlei Hinsicht vom Fliegen am Tag. Das betrifft nicht nur die Flugvorbereitung, sondern auch das Wetterbriefing oder die Tatsache, dass der menschliche Körper während der Nachtstunden anders tickt.
"Wir fliegen ja mittlerweile in ganz Österreich Einsätze bei Dunkelheit", erklärt Max, der auch schon Piloten der polnischen und der tschechischen Flugrettung fit für den Nachtflug gemacht hat. "Basis dafür ist jedoch, dass die Flugretter:innen ebenfalls mit der Materie vertraut sind." Denn ihnen kommt eine wichtige Rolle zu. Mehr noch als am Tag fungieren sie als Co-Pilot:innen. "Die Beurteilung der Wolkenlage, des Flugweges, des Landeplatzes und möglicher Gefahrenquellen wird von ihnen wesentlich unterstützt", beschreibt Max die Aufgaben. "Dafür benötigen sie aber auch eine intensive Ausbildung und ein spezielles Training mit den Nachtsichtbrillen."
Neben der Theorie hat Thomas auch bereits das Basic Flight Training absolviert. Dieses dient in erster Linie dazu, sich an das eingeschränkte Sichtfeld und an das zweidimensionale Sehen mit den Nachtsichtbrillen (NVG) zu gewöhnen. "Das heißt, dass ich eigentlich schon berechtigt bin, NVG-Flüge durchzuführen", erklärt der Flugretter. "Allerdings mit einer Einschränkung: Landungen dürfen dabei nur auf bekannten Landeplätzen, wie zum Beispiel am Stützpunkt oder bei einem Krankenhaus, erfolgen."
Damit sich unsere Crews in der Nacht wirklich sicher fühlen, sind unsere Trainings umfassender als vom Gesetzgeber vorgeschrieben.
Raus in die Dunkelheit
Mittlerweile ist die Sonne hinter dem Horizont verschwunden. Max und Thomas haben den Theorieteil abgeschlossen und montieren gerade die NVGs. Ein mitunter nicht einfaches Unterfangen, da man die Halterung nicht sieht und die Brille auf dem bereits aufgesetzten Helm vorne befestigt wird. Noch schnell den Abstand nach vorne zu den Augen eingestellt und schon geht es hinaus zum Hubschrauber. Zusammen diskutieren die beiden nun die Wetterlage für die kommende Nacht. Obwohl die vergangenen Tage vorwiegend nebelig waren, sieht es heute nach nahezu perfektem Flugwetter aus. Also kann das Advanced Flight Training wie geplant über die Bühne gehen. Im Zuge eines ca. zwei Stunden langen Fluges soll Thomas damit auf die Einsatzpraxis vorbereitet werden. Doch bevor es losgeht, muss die Sehschärfe der NVGs – ähnlich einem Fernglas – von ihren Trägern eingestellt werden.
Während Max die Turbinen anlässt, unternimmt Thomas den obligatorischen Check-Rundgang um den Hubschrauber. Daumen hoch und rein in den Helikopter. Langsam schraubt sich die H135 in den Nachthimmel und nimmt Kurs auf die Voralpen. Während des nun folgenden Fluges werden die beiden unter realistischen Bedingungen Landungen in unbekanntem Terrain üben. Aber auch sämtliche Notverfahren wie Spannungsabfall der Batterien, Ausfall der Cockpitbeleuchtung, des Landescheinwerfers oder der Turbine werden abgearbeitet. "Während des gesamten Fluges müssen wir intensiver als untertags die wichtigsten Instrumente wie Höhenmesser oder künstlichen Horizont beobachten", beschreibt Thomas seine Aufgaben. "Permanent tauschen wir bestimmte vordefinierte Grenzwerte untereinander aus, um so ein sicheres Vorankommen zu gewährleisten." Plötzlich kommt über Funk die Meldung "Off goggles". Jetzt wird es für den Flugretter richtig ernst, denn das heißt, dass die Nachtsichtbrillen des Piloten ausgefallen sind. Ab diesem Zeitpunkt ist er der Einzige, der noch uneingeschränkt Sicht nach draußen hat. Jetzt liegt es an ihm, den Piloten durch genaue Angaben zum heimatlichen Stützpunkt zurückzulotsen. "Fallen meine Goggles aus, bin ich de facto blind. Außer vagen Konturen kann ich kaum etwas wahrnehmen", schildert Max. "In diesem Augenblick muss ich mich voll und ganz auf meinen Flugretter und seine Kommandos verlassen können."
Nach rund 90 Minuten setzt der Hubschrauber wieder sicher in Wiener Neustadt auf. Max und Thomas hangarieren die Maschine und bereiten sie für die Crew des kommenden Tages vor – so viel Zeit muss sein. Dann sitzen sie noch zusammen. In einem kurzen Debriefing lassen sie den Flug Revue passieren und analysieren die Besonderheiten des Trainingsfluges.

Körperlich herausfordernd
"Generell sind Nachtflüge schon eine gewaltige Umstellung zum bisherigen Fliegen", lautet das Resümee von Thomas. "Allein die Brille wiegt um die 700 Gramm, das geht ziemlich aufs Genick. Und auf Dauer ist es auch sehr anstrengend für die Augen, sodass es durchaus vorkommen kann, dass man Kopfweh bekommt." Zudem ist das Blickfeld mit den Nachtsichtbrillen eingeschränkter als ohne. Man muss daher ständig seine Umgebung scannen und von rechts nach links schauen. "Es ist, als würde man durch zwei Klopapierrollen schauen", beschreibt er es zum besseren Verständnis. Darüber hinaus wartet noch eine weitere Herausforderung auf das Gehirn. "Die Brille liefert lediglich ein zweidimensionales elektronisches Bild auf einem Bildschirm. Man hat kein Geschwindigkeitsempfinden und auch die Höheneinschätzung leidet", erläutert Max die besonderen Herausforderungen. "Das Gehirn rechnet allerdings die Verhältnisse um, weil es ja weiß, dass ein Baum zum Beispiel nur wenige Meter hoch ist."
Langsam kehrt jetzt Ruhe ein am C3Stützpunkt in Wiener Neustadt. Max verstaut seinen Helm im Auto und macht sich auf den Weg nach Hause. Thomas bleibt, denn er hat auch am nächsten Tag wieder Dienst. Er hat seine Aufgaben in dieser Nacht perfekt gemeistert und ist jetzt auch bereit, Notfalleinsätze bei Dunkelheit zu fliegen.




Autor:in
Ralph Schüller mag Hubschrauber – zumindest im beruflichen Kontext als Teil des Teams der ÖAMTC-Öffentlichkeitsarbeit. Im privaten Bereich geht er es etwas leiser an, mit dem Rad oder gerne auch per pedes. Laut nur dann, wenn er zur Posaune greift.
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