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S1-Lückenschluss
Ein Gesamtkonzept ist erforderlich, wobei der Lobautunnel ein integraler Bestandteil der Lösung ist.
Projektübersicht
© ASFINAG, UVE
Das Projekt der S1-Donauquerung sowie Lückenschluss des Regionenrings ist das Ergebnis eines langjährigen Planungs- und Entscheidungsprozesses. Die Planungen reichen bis in das Jahr 1994 zurück. 2004 wurden im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung (SUPer-NOW) erstmals Szenarien erstellt und Varianten verglichen. Bis zur Einreichung der UVE durch die ASFINAG im Jahr 2009 wurden mehr als 25 Trassenvarianten geprüft. 2018 wurde die UVP in zweiter und letzter Instanz positiv abgeschlossen. 2021 wurde das Projekt durch Bundesministerin Gewessler gestoppt, 2025 durch den nachfolgenden Bundesminister Hanke wieder freigegeben. Aktuell sind noch Verfahren, insb. beim EuGH, anhängig.
Verkehrspolitische Aspekte und Zielvorgaben
Politische Gegner:innen verweisen immer wieder auf Zielvorgaben der Stadt Wien, den Autoverkehr zu reduzieren – und ein Projekt wie der S1-Lückenschluss soll dies konterkarieren. Zu derartigen Zielen zählen bspw. die Inhalte der Smart-City-Rahmenstrategie, welche erst im November 2022 überarbeitet wurden. Darin enthalten sind u.a. folgende Ziele:
- CO2-Emissionen des Verkehrssektors sinken pro Kopf um 50% bis 2030 und um 100% bis 2040 (Ausgangsjahr 2005)
- Der Anteil der Fahrzeuge mit nicht-fossilen Antrieben an den Neuzulassungen steigt bis 2030 auf 100%.
- Motorisierungsgrad sinkt bis 2030 bei privaten Pkw auf 250 pro 1.000 Einwohner
- Pkw-Verkehrsstärke an der Stadtgrenze sinkt bis 2030 um 50% (Ausgangsjahr 2021).
- Modal Split: Anteil der in Wien im erweiterten Umweltverbund zurückgelegten Wege steigt bis 2030 auf 85% und auf deutlich über 85% bis 2050.
Die obigen Ziele zeigen auf einen Blick die überambitioniert anmutenden Vorgaben. Denn:
- Der Anteil der Fahrzeuge mit nicht-fossilen Antrieben an den Neuzulassungen lag österreichweit Ende 2024 bei nur 18% - somit weit weg vom unrealistisch hoch gesteckten Ziel.
- Der Motorisierungsgrad liegt in Wien aktuell bei 370 Pkw pro 1.000 Einwohner und hat sich zuletzt zwar geringfügig verringert, bleibt aber weitestgehend auf konstantem Niveau. Dies ist v.a. der steigenden Bevölkerungszahl Wiens geschuldet. Das gesteckte Ziel ist derzeit nicht mal in Wien-Margareten, dem Bezirk mit der geringsten Pkw-Dichte, erreicht.
- Der Pkw-Verkehr an den Stadtgrenzen ist nach wie vor hoch und steigend. Mit Ausnahme des Korridor West und der dortigen massiven, anreizbasierten Verbesserungen im ÖV (Lainzer Tunnel, …) sind keine Anzeichen für Reduktionen im MIV zu erkennen.
- Der Modal Split hat sich seit Jahren zugunsten des Umweltverbundes gedreht. Allerdings ist das 15%-Ziel für das Jahr 2030 außer Reichweite.
Medial wird insbesondere der Modal Split oft zitiert. Dazu sind zwei Aspekte wesentlich:
- Einerseits bezieht sich der Modal Split auf die von der Wiener Bevölkerung zurückgelegten Wege – Verkehr von „außen“ bleibt dabei unberücksichtigt. Von dem her ist die Aussagekraft solch eines Parameters, in Verbindung zu einem überregional relevanten Projekt wie dem Lobautunnel, zu hinterfragen.
- Andererseits liegt aktuell der Anteil des MIV am Modal Split in Wien bei 27%. Der Zielwert für 2030 liegt bei 15% - das entspricht einer 40%-igen Verkehrsreduktion und damit schlicht weg einem Wunschdenken. Mit Parkraumbewirtschaftung, ÖV- und Radwegausbau wird das nicht ausreichen. Politik und Wissenschaft müssen unangenehme Wahrheiten dazusagen und demzufolge alle Konsequenzen, Rebound-Effekte, usw. aufzeigen. Das wird aber nicht gemacht. Es ist unseriös und unverantwortlich, überambitionierte Ziele, die bei weitem nicht erreicht werden können, als erreichbar zu verkaufen.
Fakt ist: Die Bevölkerungszahl wächst – und damit auch das Mobilitätsbedürfnis, was naturgemäß Neuverkehr generiert.
Die Bevölkerungszahl ist seit den ersten Planungen vor 20 Jahren deutlich angewachsen – stärker als in damaligen Prognosen, bspw. der UVE, erwartet wurde. Wien hat erst kürzlich die zwei Mio. Einwohner:innen-Marke geknackt – Prognosen gehen von weiteren 300.000 Menschen bis 2050 aus – über 100.000 davon allein in der Donaustadt. Der Schwerpunkt des Wachstums umfasst insbesondere die südöstlichen Außenbezirke – Donaustadt (+46%), Favoriten (+20%), Simmering (+19%), Floridsdorf (+17%) sowie Liesing (+13%).
Was haben alle diese Wiener Bezirke gemeinsam? Sie sind flächige Außenbezirke mit einem bereits heute hohen Verkehrsaufkommen und dringend notwendiger Verkehrsentlastung. Zudem sind alle direkte Anrainer:innenbezirke der Wiener Südosttangente – spüren die negativen Auswirkungen der täglichen Staus am stärksten.
Aber es ist nicht nur Wien, wo die Bevölkerung wächst. Auch das Wiener Umland weist deutliche Zunahmen auf, und da insbesondere im Bereich der Bezirke Gänserndorf sowie Bruck/Leitha – ebenfalls beide „Anrainer:innenbezirke“ der S1-Donauquerung.
Bevölkerungswachstum generiert Mobilitätsbedürfnisse, die gedeckt werden müssen – sei es im MIV, ÖV oder durch aktive Mobilität. Den Prognosen zur Folge wird der motorisierte Verkehr weiterhin mehr werden. Zwar hat die Corona-Pandemie den Trend der Verkehrszunahme etwas gedämpft, aber nicht verändert. Digitales Arbeiten und Home-Office wirken nach, dennoch zeigen Zahlen zum Verkehrsaufkommen, dass dieses wieder ansteigt.
Auf der Wiener Südosttangente (A23) fahren im Bereich Praterbrücke aktuell werktags rd. 205.000 Kfz – an Spitzentagen noch mehr. In den 60er und 70er Jahren wurde während den Planungen zur A23 mit einem maximalen Aufkommen von bis zu 70.000 Kfz gerechnet. Zur Eröffnung der gesamten A23 im Jahr 1978 wurden rd. 36.000 Kfz gezählt. 1988 wurden 100.000 Kfz erreicht, im Jahr 2000 bereits 143.000 Kfz und 2012 180.000 Kfz. Aktuell sind es 205.000 Kfz.
Zwei Aspekte stechen ins Auge: Zum einen kam es zu einer massiven Verkehrszunahme, zum anderen schwächte sich diese in den letzten zwei Jahrzehnten etwas ab. Aber allein in den 2010er Jahren hat der Verkehr auf der A23 und der S2 – trotz Pandemie – weiterhin durchwegs zugenommen. Nördlich der Donau im Bereich der S2 war die Verkehrszunahme mit mehr als 20% (+50% beim Lkw-Verkehr) am stärksten – ein Großteil ist dem Bevölkerungswachstum in der Donaustadt sowie dem angrenzenden Umland geschuldet. Ohne Effekte der Pandemie wären die Zunahmen deutlich höher. Irgendwann ist die Kapazitätsgrenze jedenfalls erreicht.
Verkehr ist per se nicht gut oder böse, sondern hat Wirkungen – positive und negative. Das trifft auf jede Verkehrsart zu. Nur allzu oft kommen von Kritikern Phrasen wie „neue Straßen ziehen Verkehr an“ – dazu ist zu sagen: Das ist gut so. Umfahrungen wie der Lobautunnel haben das Ziel, Verkehr aus Wohngebieten und Städten anzuziehen und zu verlagern.
Und genau das ist der Punkt. Verlagerung von Verkehr führt zu Entlastung von Gebieten, wo man keinen oder weniger Verkehr haben will. Und hierbei spielt das Wort „Transit“ eine große Rolle. Gegner des Projektes verweisen oft darauf, dass Transitverkehr auf der A23 keine Rolle spielt. Studien der TU Wien (FVV) zeigten bspw. 2017 (und nochmals 2022) auf, dass es den Lobautunnel nicht braucht und nur mittels ÖV-Ausbaus und Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung zu einer nachhaltigen Reduktion des Verkehrs auf der A23 kommt. Die Parkraumbewirtschaftung wurde auf ganz Wien ausgedehnt, der ÖV wird nach wie vor ausgebaut. Und der Verkehr auf der A23? Dieser steigt dennoch weiterhin an. Allein mit solchen Maßnahmen geht es scheinbar doch nicht.
Der Großraum Wien wird von drei transeuropäischen Autobahnrouten durchquert. Österreich muss hierbei seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen und das TEN-Netz entsprechend umsetzen. Zudem umfasst der „klassische“ Transit nicht jene Fahrten, welche Quelle oder Ziel in oder um Wien herumhaben und dennoch verlagerbar wären. Und hier kommt eine Studie des ÖAMTC, zusammen mit der Firma Invenium – ein Spin-Up der TU-Graz – aus dem Jahr 2022 zum Schluss, dass zumindest 20% des Verkehrs der A23 verlagerbar wären – das entspricht rd. 15 Mio. Kfz-Fahrten pro Jahr.
Die Finanzierung erfolgt ausschließlich nutzerseitig – d.h. aus Mauteinahmen (Lkw-Maut sowie Vignettenverkauf) – und das über den entsprechenden Bauzeitraum von rd. 10 Jahren. Eine Belastung des Bundesbudget erfolgt nicht. Ebenso ist eine Umverteilung des Geldes bzw. eine Quersubventionierung (bspw. für den ÖV-Ausbau) aufgrund von EU-Vorgaben nicht möglich respektive verboten. Die Wegekostenrichtlinie der EU erlaubt der ASFINAG mit den Einnahmen die Vollkosten der Infrastruktur zu decken, aber keine Gewinne damit zu machen (d.h. höhere Gewinnausschüttungen für das Bundesbudget sind auch nicht möglich).
Nicht zu unterschätzen sind die sogenannten „sunk costs“. Diese sind im Falle des S1-Lückenschlusses enorm, da bisherige Investitionen für den bestehenden Teil des Regionenring sowie bisherige Tätigkeiten im Zuge des Projekts (Verfahren, Grundeinlöse, Planungskosten, …) mit mehreren 100 Mio. Euro bereits sehr hoch waren. Prof. Kummer, Ökonom an der WU Wien, führt dazu aus: „Das letzte Stück nicht zu bauen ist so, wie den Motor für eine Maschine nicht einzubauen – folglich aus ökonomischer Sicht sehr unwirtschaftlich".
Ein weiteres Hinauszögern führt unweigerlich dazu, dass die täglichen Staukosten unverändert bleiben. Der ÖAMTC hat bereits im Jahr 2021 eine Berechnung der jährlichen Staukosten durchgeführt. Für die Berechnung werden mit Zeitkosten, Energie(mehr)kosten sowie Umwelt- bzw. Emissionskosten drei Kostenbestandteile von Verkehrsstaus verwendet. Die Konsequenz der derzeitigen Situation sind demzufolge jährliche Staukosten in Höhe von 500 Mio. Euro. Dem zu Grunde gelegt sind folgende, bewusst defensiv getroffene Annahmen:
- Für 6,5 Stunden am Tag wird die zulässige Geschwindigkeit von 80 km/h für Pkw und Busse, sowie 60 km/h für Lkw nicht erreicht, und stattessen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h pro Stunde angenommen.
- Eine Geschwindigkeitsreduktion von 80 km/h auf 15k m/h entspricht auf einer Distanz von 6,5 km einem Zeitverlust von etwas mehr als 20 Minuten.
- Die durchschnittliche Staulänge beträgt in Summe 13 km.
- Der Schwerverkehrsanteil (Kfz >3,5t) wird ebenfalls konservativ auf 5% des gesamten Aufkommens gesetzt.
- Die im Modell verwendeten Zeitkostensätze wurden seit der Erstanwendung des Staukostenrechners nicht inflationsangepasst und sind somit ebenfalls eine sehr vorsichtige Annahme.
Die Ostregion ist ein wesentliches, prosperierendes Zentrum in Österreich. Die Donau ist dabei eine natürliche Barriere, welche die Dynamik der Region, insb. durch die Bündelung des Nord-Süd-Verkehrs über die A23 und deren Überlastung, hemmt. Die Ansiedlung von vielen Betrieben im Bereich der S1 erfolgten bereits im Glauben, dass der Lückenschluss kommen wird – v.a. im Hinblick dessen, dass es keine Alternative für den Güterverkehr gibt.
Ausgebaute Straßen verringern die ökonomische Distanz zwischen zwei Punkten, Regionen etc., d.h. sie erleichtern den ökonomischen Austausch, welcher generell wohlfahrtssteigernd ist. Hintergrund ist das sogenannte Axiom des konstanten Zeitbudgets. In ggst. Fall liegt zusätzlich eine besondere lokale Herausforderung vor: Ein überwiegender Teil der logistischen Umschlagplätze der Ostregion liegen südlich der Donau, somit im Südraum Wiens. Güter müssen feinlogistisch über die Donau gebracht werden. Dies mit ÖV zu bewerkstelligen, ist nicht umsetzbar. Im Zuge der Planungen zur S1 wurde der KV-Terminal Hafen Albern extra mit einer eigenen Auffahrt zur S1 vorgesehen. Das zweite Terminal, erst kürzlich in Inzersdorf neu geschaffen, liegt entsprechend ebenso direkt an der S1. Das Ziel ist klar: Bündelung des Lkw-Verkehrs über die S1. Aktuell ist das Gegenteil der Fall – mehr Belastung über die A23 im kombinierten Güterverkehr, was nicht zielführend sein kann.
Ebenso hängen Arbeitsplätze an der Umsetzung des Lückenschlusses. Die Region Wien steht in Standortkonkurrenz zu anderen Stadtregionen in Europa. Die Standortqualität ist dabei ein entscheidender Faktor für die Ansiedlung von Betrieben.
Der ÖAMTC hat im Zuge der Berechnungen der Staukosten auch näherungsweise berechnet, wie hoch die vermeidbaren CO2-Austöße jährlich wären. Eine Verzögerung beim Bau des Lobautunnels würde pro Jahr 75.000 Tonnen mehr CO2 verursachen – allein durch den werktäglichen Stau.
Eine unveröffentlichte Studie der WU Wien und Partnern im Auftrag der Stadt Wien kommt diesem Ergebnis erstaunlich nahe und belegt zudem, dass ein Lückenschluss des Regionenrings eine 16%-ige Verringerung des CO2-Austoßes – im Vergleich zum Status Quo – bewirkt. Warum diese Studie nicht veröffentlicht wurde, weiß nur die Auftraggeberin. Die Modellierungen basieren auf Annahmen, welche diverse Parameter berücksichtigen und nicht nur auf den reinen Tunnelbau eingehen.
Die Umweltbilanz ist – entgegen vielen Kritiken – positiv. Insbesondere die Tunnellösung wurde gewählt, um Belastungen des Nationalparks geringzuhalten. Dadurch, dass der Lobautunnel in bis zu 60m Tiefe überwiegend im tertiären, aus Ton und Schluff bestehenden Untergrund errichtet wird, kommt es zu keiner Beeinträchtigung der oberirdischen Naturschutzgüter. Boden, Fauna und Flora im Nationalpark Donau-Auen und im Natura 2000-Gebiet bleiben völlig intakt. Weder die Donau noch die angrenzenden Augebiete werden in ihrer natürlichen Entwicklung restringiert.
Selbst die Entlüftung erfolgt außerhalb des Nationalparkgebietes. Die Lüftungsbauwerke für den Tunnelbetrieb werden in großem Abstand zum Naturschutz- sowie Wohngebieten errichtet. Die Grenzwerte bei Lärm und Luftschadstoffen werden bei weitem unterschritten. Zudem entkräftet sich diese Thematik zusehends von selbst, da die Fahrzeugflotte – bis Fertigstellung des Tunnels – entsprechend den internationalen und nationalen Zielvorgaben deutlich mehr emissionsfreie Kfz aufweisen wird (müssen).
Hinsichtlich Schutzes von Flora und Fauna ist jedenfalls davon auszugehen, dass sowohl Bau als auch Betrieb des Lobautunnels weniger negative Auswirkungen auf das Naturschutzgebiet haben als das bestehende Zentraltanklager der OMV sowie der zugehörige Hafen. Wenn man es mit dem Schutz der Lobau ernst meint, müsste man sich mit einer Absiedlung sowie Revitalisierung dieses Areals beschäftigen.
Seit das Projekt im Jahr 2015 erstinstanzlich genehmigt wurde, wurden eine Reihe von Studien durchgeführt – überwiegend beauftragt von der grünen Landes- oder Bundespartei mit dem Ziel nachzuweisen, dass es den S1-Lückenschluss nicht braucht. Nachstehend in aller Kürze ein Überblick sowie wesentliche methodische bzw. inhaltliche Aussagen daraus.
- 2011: Umweltverträglichkeitsprüfung (UVE) – eingereicht durch die ASFINAG
- 2017: TU Wien (FVV; Auswirkung der Lobauautobahn auf die Stadt Wien)
- Ziel der Studie war es, die verkehrlichen Auswirkungen diverser Straßenbauszenarien im Nordosten Wiens zu modellieren, um für das nachfolgende Gremium aus Fachexpert:innen eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Im Rahmen der Studie wurde der Bestand im Jahr 2015 modelliert und anhand damals aktueller Verkehrszählungen kalibriert. Des Weiteren wurden sechs Szenarien/Planfälle für das Zieljahr 2030 definiert.
- Die Nordostumfahrung (S1-Lückenschluss; Szenario C) führte demnach zu keiner Entlastung der A23 im Vergleich zum Bestand. Entlastungen zum Bestand um ca. 20.000 Kfz/24h werden auf der A23 vorrangig durch die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung und ÖV-Ausbauten bewirkt (Sz B+).
- Anmerkung: Aufgrund des Umstandes, dass die Parkraumbewirtschaftung bereits flächendeckend umgesetzt, der ÖV-Ausbau voranschreitet und 2/3 der Prognosezeit vorüber sind – die A23 dennoch keine Entlastungseffekte aufweist – sind diese getroffenen Annahmen bereits als widerlegt anzusehen.
- 2017: Bericht der Expert:innengruppe
- Im Jahr 2017 wurden in der TU-Studie (Knoflacher et al., 2017) im Auftrag der Stadt Wien sechs unterschiedliche Szenarien untersucht. Die Ergebnisse der TU-Studie wurden anschließend in einem von der Stadt Wien eingesetzten Gremium aus Fachexpert:innen in mehreren Workshops diskutiert und interpretiert. Das Dokument „Bericht der Expert:innengruppe“ (Ahrens et al., 2017) stellt die Zusammenfassung dieses Prozesses dar.
- Im Bericht wird zwar anerkannt, dass die S1-Donauquerung eine Zunahme der Wiener Kfz-Verkehrsleistung bewirkt und im Gegensatz dazu durch eine ÖV-Ausbauoffensive und eine flächenhafte Parkraumbewirtschaftung eine Reduktion erzielt wird, jedoch wird insgesamt für den Bau der Donauquerung argumentiert.
- Anmerkung: Die Erkenntnisse des Berichts der Expert:innengruppe wurde in der öffentlichen Diskussion weitestgehend ignoriert, seitens der Ersteller der TU-Studie gar in Zweifel gestellt.
- 2021: TU Wien (FVV; Erreichbarkeit der Wiener Stadterweiterungsgebiete in Aspern bei Verzicht auf die Donauquerung der S1)
- Gem. Studie wurden Szenarien definiert, welche nach Modellierung zu unterschiedlichen Wirkungen kamen. Das, gem. Autoren, „beste“ Szenario (B++) zielt rein auf ÖV-Ausbau sowie Parkraumbewirtschaftung ab und wäre am geeignetsten.
- Anhand nachstehender Ergebnistabelle ist aber eindeutig erkennbar, dass die nachhaltigste Wirkung zur Entlastung der A23 die Variante D mit Bau der S1-Querung sowie Maßnahmen im Bereich der Parkraumbewirtschaftung und im ÖV-Ausbau ist.
- Die Einführung der flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung in Wien und die Einführung des Klimatickets sollten gem. Studie dazu führen, dass die Umsetzung dieser Maßnahmen zu einer erheblichen Reduktion des MIV bis 2030 im betrachteten Gebiet führen wird.
- Anmerkung: Wie bereits erwähnt, zeigen die Trends – trotz umgesetzter bzw. in Umsetzung befindlicher Maßnahmen – keine Entlastungseffekte. Bisherige Dämpfungen beruhen fast ausnahmslos auf Effekte der Corona-Pandemie.
- 2021: BMK (Evaluierung des Bauprogramms der Zukunft in Umsetzung des Regierungsprogramms)
- Das Umweltbundesamt (UBA) wurde im Frühsommer 2020 durch das damalige BMK beauftragt, den Prozess zur Evaluierung der in Planung befindlichen Projekte hochrangiger Straßenverkehrsinfrastruktur zu begleiten. Seitens BMK und ASFINAG wurde eine Evaluierungsgruppe eingerichtet, welche die Planungsvorhaben nach einem entwickelten Bewertungsschema beurteilt.
- Allen Projekten gemein war jedenfalls, dass keine Alternativen genannt wurden (außer lediglich ein allgemein gehaltener Verweis auf verstärkten ÖV-Ausbau).
- Anmerkungen
- Das UBA wurde ersucht, diese Bewertungsmethodik mit Fokus auf die Umweltkriterien zu begutachten. Im Rahmen des Prozesses wurden neue „Kriterien“ eingeführt, deren Bewertung respektive Gewichtung im Vergleich zu den bestehenden nicht nachvollziehbar ist.
- Neben Kriterien wie der Verkehrssicherheit, der Verkehrsplanung sowie wirtschaftlichen und regionalen Bedürfnissen standen bei der Evaluierung vor allem der Schutz von Klima und Umwelt im Zentrum. So wurden etwa unter dem Aspekt der „Sozialverträglichkeit“ sowohl die Themen Verkehrssicherheit und Erreichbarkeit geführt als auch die Wirkung auf die Raumqualität und Immissionsschutz Siedlungsgebiete – zwei Themengebiete die grundsätzlich nicht in einer Kategorie geführt werden können. Warum dementgegen das Thema Netzwirkung ein eigenständiges darstellt, lässt ebenso Fragen offen. Durch diese Vorgehensweise wird dem Thema Verkehrssicherheit (sowie Erreichbarkeit) ein viel zu geringer Stellenwert eingeräumt. Letztlich ist auch völlig unklar, was hierbei evaluiert wurde.
- 2022: WU Wien und Partner (unveröffentlicht)
- Im Auftrag der Stadt Wien wurden die Wirtschaftsuniversität Wien sowie weitere Forschungseinrichtungen damit betraut zu berechnen, welche ökonomischen sowie ökologischen Effekte das Projekt „Lückenschluss S1“ mit sich bringt. Kernaussage war, dass die CO2-Emissionen um 16% sowie die Staukosten um hunderte Mio. Euro zurück gehen werden – insb. durch Verflüssigung und Verlagerung des Verkehrs.
- Anmerkung: Diese Studie wurde nicht veröffentlicht. Eine Begründung dazu gibt es nicht.
- 2025: Strategische Prüfung Verkehr (SP-V)
- Die seitens BM Gewessler 2024 beauftragte und seitens TU Wien (FVV) sowie TU Graz SP-V kam zum Schluss, dass der Lobautunnel samt Auswirkungen kontraproduktiv für eine weitere positive Entwicklung der Stadt Wien sowie Ostregion ist und dieser als letzten Schritt aus dem Bundesstraßengesetz zu entfernen sei.
- Anmerkungen:
- Die Methodik der SP-V weist schwere Mängel auf. Zunächst wurden 11 bezüglich der Verkehrsnachfrage untersuchte Alternativen erläutert. Allerdings wurden ohne transparente Begründung nur 4 Alternativen für den weiteren Vergleich ausgewählt.
- Die wesentliche Fragestellung der SP-V, nämlich was die Unterschiede der Auswirkungen mit und ohne S1-Vollausbau sind, wird mit dem vorliegenden Umweltbericht nicht beantwortet. Es wurden nur Szenarien verglichen, wo ÖV- und Radwegausbau berücksichtigt wurden und diese verglichen mit dem S1-Vollausbau ohne ÖV-Ausbau. Ein völlig unrealistischer Zugang.
- In den technischen Richtlinien RVS 02.01.22 (Nutzen-Kosten-Untersuchung im Verkehrswesen) findet sich seit 2010 ein anerkanntes Bewertungsverfahren zur Erfassung der Umweltbedingungen. Dennoch wurde auf ein vereinfachtes Verfahren zurückgegriffen, welches große subjektive Einflussmöglichkeit hat. Die Begründung dafür weicht in nicht nachvollziehbarer Weise vom Stand der Technik sowie Wissenschaft ab.
- Bereits am Beginn des Umweltberichtes wird im Zuge der nicht-technischen Zusammenfassung auf die „Ergebnisoffenheit“ verwiesen. Allerdings erwecken Auswahl und Darstellung der Alternativen den Anschein, dass sie bereits eine Präferenz für die Streichung des Vollausbaus der S1 aus dem Bundesstraßengesetz nahelegen.
- Es ist festzuhalten, dass es der SP-V zum S1-Vollausbau an folgendem mangelt:
- einer korrekten Auswahl der untersuchten Alternativen, die die Unterschiede der Fragestellung laut SP-V-Gesetz abbilden.
- Transparenz bezüglich der Annahmen in der Verkehrsmodellierung.
- einer korrekten richtlinienmäßigen (bei Bundesstraßen sogar verpflichtet vorgeschriebenen) Durchführung eines anerkannten Bewertungsverfahrens.
- einer kritischen Auseinandersetzung mit Unsicherheiten sowie einer detaillierten Darstellung der begleitenden Maßnahmen.
Video: „Lobautunnel: Bauen oder nicht?“
Es braucht ein Gesamtkonzept
Die Finanzierung des Lückenschlusses der S1 allein durch Nutzungsgelder, d.h. ohne zusätzliche Budgetbelastung, ist längst fixiert. Das Projekt ist zwar teuer, aber – auch wenn es nicht den Anschein hat – nachhaltig. Zudem ist es essenziell, nicht nur die Kosten zu sehen, sondern auch den langfristigen und hohen Nutzen. Der Naturschutzraum Lobau wird aufgrund des weit unterirdischen Verlaufes nicht berührt. Zwei wesentliche Aspekte, die in der öffentlichen Diskussion oft falsch dargestellt und dazu verwendet werden, Stimmung gegen das Projekt zu machen.
Die Verkehrsproblematik lässt sich mit ÖV- und Radwegausbau allein nicht lösen. Das bestätigen die aktuellen Entwicklungen, welche die gestellten Prognosen – dass der motorisierte Verkehr ohne S1-Vollausbau, aber mit ÖV- Ausbau und Parkraumbewirtschaftung die nachhaltigsten Effekte hat, bereits widerlegen.
Der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs ist unstrittig und wichtig – und wird sukzessive Jahr für Jahr auch gemacht. Es braucht jedoch ein Gesamtkonzept. Die Signale vor dem drohenden Verkehrsinfarkt sind offenkundiger denn je.