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DruckenHeli-Highway
Bevor die Crew gemeinsam zu einem Rettungseinsatz abheben kann, durchläuft sie das umfassende Ausbildungsprogramm des AirRescueCollege – der Trainingsabteilung der ÖAMTC-Flugrettung.
Menschenleben zu retten ist die Mission der ÖAMTC-Flugrettung – und dafür heben die gelben Notarzthubschrauber über 20.000-mal pro Jahr ab. Mit Ausnahme der 24-Stunden-Stützpunkte Christophorus 2, 14 und 17 finden diese Einsätze in der Regel tagsüber statt. Doch auch das ist nicht immer möglich: Bei Schlechtwetter, z. B. bei Nebel oder Schneefall, kann es passieren, dass die Crews am Boden bleiben müssen.
Der Hintergrund: Hubschrauber dürfen laut Gesetz nur unter Sichtflugbedingungen betrieben werden. Liegt die Sichtweite unter dem vorgeschriebenen Minimum, ist ein Start ausgeschlossen. Diese Regelung dient der Sicherheit, denn im bodennahen und teilweise unkontrollierten Luftraum, in dem Hubschrauber unterwegs sind, besteht immer die Gefahr, auf Hindernisse zu treffen. Passiert das, sind Schäden am Fluggerät noch die glimpflichste Folge, im Extremfall könnte es sogar zum Absturz kommen.
Wetterproblematik
Die Vision der ÖAMTC-Flugrettung ist eine Erweiterung ihres grundsätzlichen Auftrags: Menschenleben sollen unabhängig von Einsatzort, Uhrzeit und Wetterbedingungen gerettet werden. Hinsichtlich örtlicher Unabhängigkeit spricht das Netz an Christophorus-Stützpunkten, das längst ganz Österreich abdeckt, für sich. In Bezug auf die Uhrzeit wurde mit den ersten Standorten im 24-Stunden-Betrieb der erste Schritt getan, für eine mögliche Ausweitung ist alles vorbereitet.
Bleibt also das Wetter – aber auch hier gibt es gute Nachrichten: Der technische Fortschritt ermöglicht es inzwischen, Einsätze auch bei Schlechtwetter durchzuführen. Ein Beispiel dafür ist das von Christophorus 11 (Klagenfurt) eingesetzte Nebeldurchstoßverfahren. Dabei handelt es sich um ein echtes Erfolgsmodell, mit dem bereits zahlreiche Leben gerettet werden konnten. Es gibt allerdings eine Einschränkung: Dieses Verfahren kann nur in der Nähe von Verkehrsflughäfen eingesetzt werden, weil es von deren Infrastruktur abhängig ist.
Sichere Korridore
Gemeinsam mit der Flugsicherungsbehörde Austro Control arbeitet die ÖAMTC-Flugrettung daher an einer Lösung, bei der es keine Einrichtungen am Boden für sichere Starts, Landungen und Flüge braucht. Die vielversprechendste Methode ist als „Point in Space“ (PinS) bekannt und beschreibt ein satellitengestütztes Verfahren für den Instrumentenflug. Vereinfacht ausgedrückt: Nach dem Start unter Sichtflugbedingungen folgen Pilot:innen, von den Bordinstrumenten gelotst, fixen Routen, auf denen der Hubschrauber weder durch Hindernisse noch durch andere Fluggeräte gefährdet ist. Der Anflug endet an einem virtuellen Navigationspunkt (dem „Point in Space“) in der Nähe des Landeplatzes.
Der Rest, also sowohl die Landung selbst als auch der neuerliche Start, muss aus Sicherheitsgründen wiederum unter Sichtflugbedingungen erfolgen.Im Endeffekt kann man sich PinS also wie einen Korridor vorstellen – oder wie eine Autobahn, auf der gerade nichts los ist: Solange man dort unterwegs ist, kann man sich darauf verlassen, dass es keinen Quer- oder Gegenverkehr, keine plötzlichen Kurven und keine überraschenden Hindernisse gibt. Während der Auf- und Abfahrt ist hingegen erhöhte Aufmerksamkeit gefordert – speziell, wenn die Wetterbedingungen schwierig sind. Der Vorteil: Ein solcher Heli-Highway benötigt keine zusätzliche Infrastruktur, weil die Navigation – im Gegensatz zu anderen Verfahren – komplett über Satelliten funktioniert.
Aktuelle Situation
Derzeit gibt es zwei Gebiete, in denen PinS von ÖAMTC-Notarzthubschraubern genutzt werden kann: Eines ist der Raum Oberwart (Burgenland) rund um den Stützpunkt von Christophorus 16, der aktuell eine Art „Insel“ darstellt und vor allem Schulungen und dem Sammeln neuer Erkenntnisse dient. Unter Realbedingungen zum Einsatz gekommen ist PinS hingegen in einem anderen Gebiet: Im Jänner 2024 flog Christophorus 17 (stationiert im steirischen St. Michael) einen Patienten zum LKH Graz, das als erstes Krankenhaus Österreichs über einen „Point in Space“ verfügt. Dieser Transport hätte ohne das neue Verfahren aufgrund der Wetterlage so nicht durchgeführt werden können.
Neben diesen beiden Punkten, die für die Flugrettung besonders relevant sind, verfügen auch Verteidigungs- und Innenministerium über die Möglichkeit, PinS an ausgewählten Orten einzusetzen. Auch diese Organisationen haben damit eine Option, Hubschrauber von A nach B zu bewegen, wenn kein Sichtflug möglich ist. Ein unschätzbarer Vorteil, wenn es z. B. um Assistenzeinsätze bei Naturkatastrophen wie dem Hochwasser im Sommer 2024 geht.
Was es noch braucht
In Kooperation mit den großen Flottenbetreibern ÖAMTC-Flugrettung, Bundesheer und Polizei hat die Austro Control vor einigen Jahren die ersten von der EU geförderten Pilotprojekte gestartet, aus denen sich lokale PinS-Lösungen wie am LKH Graz entwickelt haben. In einem nächsten Schritt sollen die derzeit noch relativ isolierten Standorte zu einem echten Netzwerk an Heli-Highways verbunden werden. Vorher braucht es Bedarfserhebungen, die zeigen, wo und unter welchen Voraussetzungen solche Korridore sinnvoll, effizient und möglichst breit nutzbar sind.
Davon abgesehen müssen selbstverständlich gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, darunter fällt auch eine Anpassung der Meldepflicht von Luftfahrthindernissen. Weiters muss in die technische Ausrüstung der Hubschrauber investiert werden, ebenso in die Ausbildung der Crews. Es bleibt also noch genug zu tun – dass es aber funktionieren kann und der richtige Weg ist, zeigt der Blick über die Grenzen hinaus: Sowohl die Schweiz als auch Norwegen verfügen bereits über umfangreiche PinS-Korridore, ohne die die Rettung Dutzender Menschenleben pro Jahr nicht möglich gewesen wäre.