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Projekt Ylvie - Gemeinsam in ein neues Leben

Ein Sommertag wie kein anderer. Ein einziger Moment und alles steht still - nichts ist mehr wie vorher. Aber er ist auch der Anfang für etwas Neues, ein Projekt der Hoffnung für viele.

Projekt Ylvie  Projekt Ylvie / H. Pfeifer
Projekt Ylvie - Urlaubs-, Therapie- und Beratungszentrum in NÖ entsteht © Projekt Ylvie / H. Pfeifer

An einem Samstagnachmittag im August 2016 verliert die 18-jährige Ylvie Pfeifer die Kontrolle über ihr Auto. Ein Reifenplatzer im linken Vorderrad wird ihr zum Verhängnis. Das Auto hebt von der Straße ab und Ylvie wird trotz Gurt seitlich aus dem Wagen geschleudert. Der Kampf ums Überleben beginnt. Sekunden entscheiden.

Die Rettungskette funktioniert

Viele Helfer sind vor Ort: Feuerwehr, Rettung, Notarzt und der ÖAMTC-Notarzthubschrauber Christophorus 9. Flugretter ist Harald Glück. „Wenn so ein schwieriger Einsatz reinkommt, bespricht sich die Crew kurz nach dem Start im Hubschrauber, wer wo tätig sein wird. Und dann wird es relativ still im Cockpit. Jeder konzentriert sich auf die Landung und bereitet sich vor“, beschreibt Glück die Minuten vor der Landung und schildert weiter: „Am Einsatzort wir dann ein Schalter umgelegt, der Ablauf in den 15 bis 20 Minuten funktioniert ganz automatisch. Wir sind ein eingespieltes Team, jeder Handgriff ist eintrainiert und sitzt.“

Als der Rettungshubschrauber am Unfallort landet, befindet sich Ylvie in einem sehr schlechten Zustand. „Sie hatte einen offenen Schädelbruch und musste aufgrund der beidseitig perforierten Lungenflügel beatmet werden. Erschwerend hinzu kam, dass die emotionalisierten Eltern zur Unfallstelle dazukamen, die Bergung mitansehen mussten und zuerst kein Bett im gewünschten Krankenhaus verfügbar war. Ein sehr tragischer und spezieller Einsatz“, kann sich Glück erinnern.

Die Eltern Harald und Sandra Pfeifer befinden sich auf einem Reitturnier, als sie der Anruf erreicht. Sie eilen sofort zur Unfallstelle. „Als wir dort ankamen und sahen, was mit Ylvie passiert ist, zog es uns sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Alles schien unwirklich“, denkt Ylvies Vater an den schicksalhaften Nachmittag zurück.

Die Christophorus-Crew entscheidet vor Ort, welches Krankenhaus angeflogen wird. „Wir teilen der Notrufleitstelle den Zustand der Patientin mit und welches Zielkrankenhaus wir bevorzugen würden. Die Leitstelle ruft dann dort an und erkundigt sich, ob ein Bett frei ist“, erklärt Flugretter Harald Glück den Ablauf.

An diesem lauen Sommerabend wird das schwer verletzte Mädchen in das Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus in Wien geflogen. „Ich kann mich noch genau an die Diskussion des Piloten mit der Leitstelle erinnern. Denn zu dem Zeitpunkt des Unfalls war im Lorenz Böhler Aufnahmesperre. Stattdessen sollte es Korneuburg werden. Die Crew ließ aber nicht locker und flog nach Wien“, schildert Ylvies Vater.

Warten, Verzweifeln, Bangen und Hoffen

Und dann: endloses Warten, Verzweifeln, Bangen, Hoffen. Mitten in der Nacht dürfen Harald und Sandra Pfeifer endlich zu ihrer Tochter.

Kahlgeschoren, mit unzähligen Schläuchen aus und in ihrem Körper. Tiefschlaf. Punkt für Punkt listet der diensthabende Arzt sämtliche Verletzungen auf: Fleischwunden, Rippen, Lungen, Brustwirbel, offener Schädelbasisbruch, Einblutungen. „Ich habe mich gefragt, ob die Liste ein Ende nimmt, und dann fiel ich erstmals in Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, habe ich mir geschworen, immer für meine Tochter da zu sein“, erzählt Harald Pfeifer.

Vier Wochen liegt Ylvie im künstlichen Tiefschlaf. Zehn Wochen schwebt sie in akuter Lebensgefahr. Die Prognose ist schlecht, die Hoffnung groß. Danach hängt sie für Monate an lebenserhaltenden Maschinen. Ylvie kann nicht selbstständig atmen, nicht sprechen, sich nicht bewegen, nicht essen, nicht schlucken, nichts sehen. „Familie und Freunde trugen und begleiteten uns in diesen ersten ferngesteuerten Tagen, Wochen, ja Monaten. Irgendwie haben wir funktioniert. Die Angst war ein ständiger Begleiter. Ich kann nicht mehr erklären, wie diese Zeit vorüberging, in jedem Fall hat sie uns verändert“, sagt Harald Pfeifer.

Die Ärzte tun, was sie können, machen der Familie Mut, schrauben aber die Hoffnungen auf ein normales Leben für Ylvie zurück. Und dann öffnet Ylvie plötzlich ihre Augen, sie ist „wach“. Die erschütternde Diagnose: apallisches Syndrom (Wachkoma), vegetativer Restzustand. „Vor dem Unfall hatten wir ein kerngesundes, sportliches Kind voller Lebenslust und Tatendrang, nun ein Bündel Fleisch. Uns wurde geraten, sie in ein Heim zu geben. Aber wir wollten unsere Tochter nicht im Stich lassen.“ 

Gemeinsam in ein neues Leben

Fast ein Jahr nach dem Unfall kehrt Ylvie nach Hause zurück. Ein neues Leben beginnt. Es wird ein steiniger Weg. Aber auch ein Weg mit vielen kleinen Erfolgen. Die Familie will es durchstehen. 

„Wir haben wunderbare Therapeuten im In- und Ausland gefunden, und plötzlich kam Ylvies erstes Lächeln. Ein riesiges Geschenk“, sagt Harald Pfeifer. Heute ist Ylvie motorisch auf dem Stand eines vier Monate alten Babys. Sie kennt ihr Geburtsdatum, kann einfache Sätze vervollständigen und sich mit ihren Eltern „unterhalten“. „Wir sind sehr stolz, was wir geschafft haben. Von meiner Tochter geht sehr viel Energie aus. Ich habe mein Kind verloren und ein neues geschenkt bekommen.“

Projekt Ylvie Projekt Ylvie / H. Pfeifer Harald und Ylvie
Ylvie und Papa Harald genießen die Sonnenstrahlen vor der Mühle, die schon bald ihr neues Zuhause sein wird.

Projekt YLVIEs Mühle - Urlaub und Therapie in Breitenwaida

Um ihre eigene Thematik aufzuarbeiten und betroffenen Familien zu helfen, hat Familie Pfeifer das Projekt YLVIE ins Leben gerufen. Im Sommer 2018 kauften die Pfeifers eine ehemalige Mühle in Breitenwaida bei Hollabrunn in Niederösterreich. 

Seither wird saniert

Diesen Dezember möchte die Familie einziehen und zu Ostern 2021 ist die Eröffnung der privat geführten Urlaubs- und Therapiemühle YLVIE geplant. Hier sollen Familien mit schwerst beeinträchtigten Kindern mit Schädel-Hirn-Trauma oder anderen schweren neurologischen Erkrankungen Urlaub machen können. Patienten und Angehörige sollen Hilfe, Ansprache, Entlastung, Lebenslust, neue Hoffnung, Kraft und Motivation finden. Und das in familiärer Atmosphäre mit professioneller Hilfe.

Es entstehen zwei Gästeappartements, vier Therapieräume, ein Therapie-Aquabecken, Pferde für Therapiezwecke sollen ihren Platz finden, ein Gemüse- und Obstgarten, eine kleine Parkanlage, Platz für Feste, Selbsthilfegruppen, Vorträge zum Thema und noch mehr.

Für die Betroffenen wird es ein intensives Bewegungsprogramm mit fünf bis sechs Stunden täglich, von Therapeuten begleitet, geben. Während der Zeit bei YLVIE sollen Familien wieder Kraft für den Alltag tanken, Neues versuchen und danach gut erholt und trainiert wieder abreisen und gerne wiederkommen. „Wir heilen nicht, wir möchten einen agilen, therapeutisch sinnvollen Vitalurlaub ermöglichen“, betont Harald Pfeifer.

Die Kosten sollen gedrittelt werden. „Effektiv stell ich mir vor, dass die Gastfamilie ein Drittel selbst trägt, ein Drittel wollen wir uns von den Servicevereinen aus dem Ort holen, aus dem die Familie kommt, und ein Drittel soll der Verein YLVIE übernehmen“, erklärt Harald Pfeifer.

Über die Auslastung macht er sich keine Sorgen. „Es gibt wahnsinnig viele wie uns. Innerhalb der Community wird das sehnsüchtig erwartet. Wir brauchen allerdings Sponsoren, die diese Idee gut finden und den laufenden Betrieb unterstützen.“

Autorin: Antonia Lang

Ylvies Mühle

Projekt Ylvie Projekt Ylvie / H. Pfeifer

Projekt Ylvie

Noch laufen die Umbauarbeiten auf Hochtouren.

Projekt Ylvie Projekt Ylvie / H. Pfeifer

Projekt Ylvie

Ylvie ist so oft wie möglich dabei.

Projekt Ylvie Projekt Ylvie / H. Pfeifer

Projekt Ylvie

Im niederösterreichischen Breitenwaida entsteht aus einer alten Mühle ein modernes Urlaubs-, Therapie- und Beratungszentrum.

Projekt Ylvie  Projekt Ylvie / H. Pfeifer

Projekt Ylvie

Ylvies Mühle wird zur ersten Urlaub-Therapie-Einrichtung für Menschen mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und deren pflegende Angehörige in  Österreich.

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Die ÖAMTC-Flugrettung fliegt jährlich über 20.000 Einsätze. Das Ziel: Menschen, die in Not geraten sind, zu helfen. Tausende Menschen verdanken der schnellen Hilfe aus der Luft ihr Leben und noch eine viel größere Zahl hat sich lange Aufenthalte in Krankenhäusern erspart.

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