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DruckenAls Beschuldigte:r darf man lügen
ÖAMTC-Rechtsberatung: Aus der Praxis - Als Beschuldigte:r darf man lügen, allerdings nie Beweise manipulieren.
Ihr Recht von Dr. Martin Stichlberger, ÖAMTC-Jurist
Die Abwärtsspirale
Hätten Kafka oder Dürrenmatt das Verhängnis von Helmut S., 73, noch erlebt, wäre er längst Hauptfigur einer Kurzgeschichte – dermaßen Abstruses ist ihm widerfahren. Vorweg: Wir glauben unseren Mitgliedern grundsätzlich. Ebenso sind wir überzeugt, dass die Behörde stets nach bestem Wissen und Gewissen agiert.
Stopptafel
Nach seinem Urlaub im Süden Österreichs erhält Herr S. eine Strafe über 40 Euro – er habe an einer Stopptafel nicht angehalten. Er erinnert sich daran, doch laut den Timeline-Aufzeichnungen seines Handys fuhr er dort einen Tag später als vorgeworfen. Am angeblichen Tattag hatte er einen Servicetermin, den die Werkstatt bestätigt. Damit erhebt er Einspruch; das Verfahren wird eingestellt.
Wutbrief
Dann tut Herr S. etwas, das er nun bitter bereut: Er schreibt eine geharnischte Beschwerde wegen des unzutreffenden Tatvorwurfs an die Landespolizeidirektion, vergreift sich im Ton. Die Behörde sieht sich den Fall nun offenbar genauer an. Das Verfahren wird wieder aufgenommen, was sehr unüblich ist. Die Werkstatt präzisiert die Zeitangabe: Das Delikt hätte sich knapp ausgehen können. Monate später der Albtraum: Zwei Kriminalbeamte läuten an der Tür – ein gerichtliches Strafverfahren wegen Beweismittelfälschung wurde eingeleitet! Herr S. habe seine Timeline manipuliert und den Werkstattleiter zu einer Falschaussage veranlasst. „Absurd“, meint Herr S., „ich riskiere doch nicht wegen 40 Euro eine Vorstrafe.“
Gericht
Alle Klärungsversuche scheitern, Herr S. muss zur Strafverhandlung am Ort der Tat. Und das kostet: Anreise, Hotel, Anwalt, Gericht. Gleich zu Beginn handelt sein Anwalt eine Diversion aus, eine Abschlagszahlung ohne Verurteilung. Herr S., schon gezeichnet, stimmt zu. Denn selbst ein Freispruch, der keineswegs sicher war, wäre ihn teurer gekommen, da im Strafverfahren zumeist nur ein Bruchteil der Kosten vergütet wird. Die traurige Bilanz: Eineinhalb Jahre Mühe und Ärger sowie gut 4.000 Euro Kosten.
Hinweis
Als Beschuldigte:r darf man lügen, allerdings nie Beweise manipulieren. Zeug:innen hingegen stehen unter strenger Wahrheitspflicht. Und: Nie zu emotional werden, besser sachlich bleiben.
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