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© Karolina Ciecholewska
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April 2024

Das Auge fährt mit

Laut dem Star-Designer Stefan Sagmeister spielt die Schönheit gerade im Mobilitätsbereich eine enorme Rolle. Im Interview erklärt er, warum auch Bus-Stationen gut aussehen müssen, insgesamt alles besser wird und wieso er selbst gerne zu Fuß oder mit einem fahrbaren Sofa unterwegs ist.
 

Welche Bedeutung haben Design und Ästhetik für unsere heutige Mobilität?

Stefan Sagmeister:Eine sehr große, wobei das viele Leute nicht zugeben wollen. Er klingt immer ein wenig dämlich, wenn jemand sagt: „Ich habe das Auto gekauft, weil es am schönsten ist.“ Ich weiß aber vom Chefdesigner von Jaguar, dass sich in ihren Umfragen gezeigt hat, dass zwar die meisten Menschen als Kaufgründe alle möglichen praktischen Aspekte, etwa Qualität oder Verbrauch, angeben. Der wahre Grund ist aber, dass ihnen das Auto tatsächlich am besten gefallen hat.

Warum sind dann nicht alle Autos stärker auf Ästhetik oder einen außergewöhnlichen Look hingetrimmt?

Das Problem bei der Autogestaltung liegt in den enormen Werkzeugkosten für die Produktion eines neuen Fahrzeugs. Bevor ein Auto gebaut werden kann, müssen enorme Summen investiert werden. Dadurch trauen sich die meisten Autofirmen nicht, irgendwas Mutiges oder Neues zu probieren. Denn wenn das Modell nicht funktioniert, wäre es ein sehr teurer Flop. Deswegen finde ich es auch gut, dass sich Tesla in eine komplett andere Richtung zu gehen traut und ein Auto wie den Cybertruck baut. Wenn das Experiment gut ausgeht – was ich sehr hoffe – werden vielleicht auch mehrere andere Autofirmen diesen Weg beschreiten.

Sie vertreten die Überzeugung, dass Schönheit kein reiner Selbstzweck ist, sondern auch die Wertigkeit der Dinge beeinflusst. Wie ist das bei Autos?

Das lässt sich sehr einfach beantworten. Nur schöne Autos werden zu Oldtimern, die Jahrzehnte lang repariert und gepflegt werden. Schönheit kann also zum Beispiel auf die Nachhaltigkeit einzahlen. Ein schönes Auto, das lange genutzt wird, ist viel umweltfreundlicher als eines, das nach ein paar Jahren eingestampft werden muss, weil es niemand mehr sehen kann.

Kann gutes bzw. schönes Design auch zu einer besseren Funktionalität beitragen?

Nur weil ein Auto schön ist, wird es nicht besser in der Kurve liegen. Aber wenn wir an den Innenraum denken, gehen gutes Design und Bedienungsfreundlichkeit sehr häufig Hand in Hand. Das Thema der User Experience (UX) wird immer wichtiger, da wir es mit fahrenden Computern mit riesigen Displays zu tun haben. Hier muss gutes Design zum Zug kommen.

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Ganz selbsterklärend ist die Bedienung allerdings noch nicht bei allen Herstellern. Woran liegt es, dass viele Autobauer bei der UX den Tech-Firmen so hinterherhinken?

Viele der Auto-Designer stammen ursprünglich aus dem Ingenieurwesen. Ihr zentrales Ziel ist deswegen meistens die Funktionalität und weniger Eleganz oder Schönheit. Wer zufriedene Kunden haben will, kommt um die Ästhetik allerdings nicht herum. Das mit Abstand erfolgreichste UX-Design, nämlich das des iPhone-Betriebssystems, ist ganz stark im Hinblick auf Schönheit gestaltet worden. Und der Erfolg gibt ihm recht.

Wird die Autoindustrie noch mehr Anleihen an Digitalunternehmen wie Apple oder Google nehmen müssen?

Der Wandel ist bereits im Gang. Doch das dauert natürlich. UX-Design ist ja noch nicht so lange ein professionelles Berufsfeld, das Tausende Menschen beschäftigt. Das Thema wird sich also immer stärker etablieren. Damit gerät dann nicht nur die Eleganz in den Fokus, sondern auch die Usability: Muss man zweimal klicken, oder hat jemand wirklich hart gearbeitet und das Ganze auf einmal klicken reduziert? Ich glaube auch, dass Aspekte wie Spaß oder Freude eine viel größere Bedeutung bei der Gestaltung von Autos bekommen werden. Und damit meine ich nicht nur Fahrspaß.

Sondern?

Es wird auch immer öfter darum gehen, was der vierjährigen Tochter Freude an einem Auto bereitet. Auch sie hat eine Meinung, die beim nächsten Autokauf eine große Rolle spielen kann. Die Frage, wo Frauen eine Ablage für ihre Handtaschen finden, wurde über Jahrzehnte ignoriert. Obwohl wir wissen, dass Frauen die Nummer-eins-Entscheidungsträger sind beim Autokauf. Das ist doch verrückt.

Wie verändert sich die Bedeutung von Design bei einem Objekt, das man so intensiv nützt wie ein Fahrzeug?

Wenn ich mir zum Beispiel einen Zementlastwagen anschaue, dann steht seine Funktion im Vordergrund. Die Schönheit wird eher geringer bewertet, aber auch dort ist sie unglaublich wichtig. Ich habe einmal mit einem deutschen Großindustriellen gesprochen, der gesagt hat, die Schönheit seiner Gabelstapler war am Schluss der Grund, wieso er 200 Stück von genau diesem Modell gekauft hat. Es war am schönsten. Selbst im vermeintlich nüchternen Business-Bereich spielt das eine Rolle, aber natürlich nicht so eine große Rolle wie bei einem Ferrari oder Porsche.

Was ist es, das uns manche Autos ganz besonders schön finden lässt?

Wir wissen aus Studien zum Beispiel, dass uns allen das Runde lieber ist als das Eckige. Wenn man Menschen geometrische Grundformen zeigt, dann gewinnt immer der Kreis. Auf dem letzten Platz landet immer das Viereck. Bei den Farben ist es ähnlich, da ist immer Blau Erster und immer Braun Letzter. Pi mal Daumen kann man sagen, dass wir das schön finden, was wir schon kennen, plus eine Prise Neues dazu, damit es nicht zu langweilig ist. Wie groß die Prise Neues sein darf, hat auch damit zu tun, wie sicher wir uns fühlen. Wenn wir uns sehr sicher fühlen wollen, darf sie größer sein. Wenn wir uns unsicher fühlen, dann bleiben wir lieber ganz nahe an dem, was wir schon kennen.

Gutes Design und Bedienungsfreundlichkeit gehen häufig Hand in Hand.

Stefan Sagmeister

Wie steht es um unsere Umgebung im mobilen Kontext: Sollen auch Wartehäuschen, Bahnhofshallen, Bus-Stationen, Schnellstraßen und Züge über ihrer Funktionalität hinaus schön sein?

Sie müssen sogar schön sein. Wenn wir zum Beispiel die Flughäfen JFK New York und Zürich vergleichen, dann können wir beobachten, dass sich die Leute in Zürich viel besser benehmen. Sie sind viel weniger aggressiv, die Atmosphäre ist viel angenehmer. Das hat etwas mit der Architektur zu tun. Zürich wurde mit mehr Liebe und Sorgfalt gestaltet. In ansprechenden Umgebungen wie zum Beispiel auf der New Yorker High Line benehmen wir uns anders. Die Menschen werfen ihren Müll nicht einfach weg, sie sind höflicher. Nur wenige Meter entfernt, im Meatpacking District, wo die Umgebung nicht schön ist, verändert sich ihr Verhalten zum Negativen.

Es ist genau das gleiche Publikum, das sich 100 Meter weiter ganz anders benimmt. Und das Gleiche gilt auch für Bushaltestellen und Bahnhöfe.

Sehen Sie, dass dieser Gedanke auch tatsächlich zur Umsetzung gelangt?

Die Denke der 70er- und 80er-Jahre, dass alles einfach nur funktionieren muss, damit es automatisch schön wird, ist glücklicherweise passé. Heute ist man sich einig, dass Schönheit aktiv als Ziel in den Designprozess eingebaut werden muss, da sie sonst nicht erreicht wird. Es besteht auch Einigkeit, dass Menschen, egal, ob sie arm oder reich, gebildet oder ungebildet sind, die Schönheit im Leben brauchen und sie das Wohlbefinden positiv beeinflusst.

Wie sind Sie selbst unterwegs?

In New York bin ich sehr viel zu Fuß unterwegs und habe kein eigenes Auto. Es würde keinen Sinn ergeben. Zudem ist überall etwas los, es macht einfach mehr Spaß. Doch während der Pandemie habe ich in Palm Beach ein Apartment gekauft. Dort brauchst du ein Auto, weswegen ich mir einen 1962er Cadillac Convertible zugelegt habe: ein sehr schönes Auto aus der Hochzeit des amerikanischen Autodesigns. Ich habe es nur wegen seiner Form gekauft. Das Auto selbst ist Mist. Es ist mehr Sofa als Auto, es geht nicht schnell, ist wahnsinnig behäbig, aber Cruisen macht damit richtig Freude.

In Ihrem aktuellen Projekt präsentieren Sie Belege dafür, dass im Großen und Ganzen alles besser wird. Welche positiven Entwicklungen haben Sie entdeckt?

Das ganze Projekt hängt mit der Einsicht zusammen, dass sich die Menschheitsentwicklung, über einen langen Zeitraum betrachtet, sehr positiv gestaltet. Wenn wir dagegen eine kurzzeitige Betrachtung anstellen, scheint es, also ob alles den Bach hinuntergeht. Das hat auch wahnsinnig viel damit zu tun, dass wir alle das Negative lieben. Wir mögen das Drama. Das spiegelt sich auch in unseren Medien wider. Aber die wichtigen Dinge in unserem Leben, etwa Lebenserwartung, Gesundheit, Ernährung, Demokratie, Frieden: Sie alle haben sich in den letzten 100 oder 200 Jahren radikal verbessert.

Dafür sind allerdings auch neue Probleme entstanden.

Stimmt, Ausnahmen sind neue Herausforderungen, die es vor 200 Jahren nicht gab. Die Klimakatastrophe, das Aussterben von Arten. Ich glaube aber auch, dass wir aus der Vergangenheit ableiten können, dass die Menschheit erstaunlich flexibel ist, solche Probleme zu bekämpfen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

In meiner Jugend war die Überbevölkerung ein Riesenthema. Damals gab es ordentliche Wissenschaftler, die gedacht haben, dass es im Jahr 2000 Dutzende Millionen Tote pro Jahr geben wird, weil wir diese Anzahl von Menschen nicht ernähren können. Heute wissen wir aus Prognosen der Vereinten Nationen, dass sich die Weltbevölkerung bis zum Jahre 2070 auf ungefähr zehn Milliarden einpendeln wird. Und dann geht sie zurück. Wir haben jetzt schon in vielen reichen Ländern das gegenteilige Problem. Dadurch, dass China und Indien in der Armutsbekämpfung sehr erfolgreich sind, ist die extreme Armut auf der gesamten Welt von 90% vor 100 Jahren auf 9% zurückgegangen. Dadurch hat sich auch die Überbevölkerung eingebremst, weil Menschen, die nicht extrem arm sind, viel weniger Kinder haben. Mir ist diese positive Perspektive wichtig, weil wir dadurch bei der Bekämpfung der aktuellen großen Herausforderungen nicht in Resignation verfallen.

Sie hoffen also auf den Einfallsreichtum der Menschheit?

Bei meinen Recherchen zur technischen Entwicklung für das aktuelle Projekt habe ich herausgefunden, dass bei der Weltausstellung in Chicago 1896 die ausstellenden Experten gefragt wurden, was denn im 20. Jahrhundert die dominanten Technologien sein würden. Niemand hat die Bedeutung von Autos oder Telefonen vorhergesehen.

Nun sind wir 120 Jahre später in einer Situation, in der sich die Technologie noch viel schneller entwickelt. Jetzt anzunehmen, dass es keine weiteren Entwicklungen geben wird, die uns weiterhelfen können, ist realitätsfremd, um es freundlich auszudrücken.

Sagmeister_jamesbraund_CMS.jpg James Braund

„Menschen brauchen Schönheit im Leben.“
Stefan Sagmeister
 

© James Braund

Zur Person:

Stefan Sagmeister ist ein international renommierter Grafikdesigner, der für seine Albumcover für die Rolling Stones, Lou Reed und Aerosmith, aber auch für seine Arbeit im Buch-Design, Poster und seine Installationen und Ausstellungen bekannt ist. Zur Bekanntheit trugen auch seine Ausstellungen „The Happy Show“ und „Beauty“ bei, in denen er sich mit psychologischen Aspekten des Glücks und der Ästhetik auseinandersetzt. Sagmeister hat zahlreiche Designpreise gewonnen, darunter zwei Grammys. Der gebürtige Vorarlberger lebt und arbeitet in New York.

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