Prof Robert Trappl_CMS.jpeg Georg Hochmuth
© Georg Hochmuth
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August 2023

Zwischen Angst und Hoffnung

Braucht Künstliche Intelligenz (KI) Emotionen? Wo liegen ihre Grenzen und wie wird sie unsere Mobilität verändern? Ein Gespräch mit Prof. Trappl, dem österreichischen Doyen der KI.

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— Künstliche Intelligenz wird gerade vom Schlagwort zur Realität. Sie arbeiten bereits seit Jahrzehnten an dem Thema. Überrascht es Sie als Pionier, dass die Entwicklung so lange gedauert hat?

Robert Trappl: In den 50er- und 60er-Jahren war die Begeisterung in der Forschungsszene rund um das Thema sehr groß. Alle haben damals angenommen, dass es rasch spektakuläre Ergebnisse geben würde. Die sind allerdings ausgeblieben. Man ist damals fälschlich davon ausgegangen, dass zum Beispiel die US-Regierung das Thema finanziell massiv fördern würde.

— Ähnlich wie den Flug zum Mond?

Genau, das war aber nicht der Fall. In kleinen Instituten haben Wissenschaftler aber daran weitergearbeitet und schöne Ergebnisse erzielt – aber sehr lange keinen Durchbruch. Erst der Sieg eines Computerprogramms gegen den Schachweltmeister Gari Kasparow 1997 hat das Thema wieder stärker in die Öffentlichkeit gebracht und Interesse geweckt.

Das hat die Kenner allerdings nicht besonders verblüfft. Man wusste, dass es von der Rechengeschwindigkeit bald so weit sein würde. Der Sieg des IBM-Computers Watson in der Gameshow Jeopardy war dagegen überraschend, weil man dort die Frage zu einer Antwort finden muss. Das benötigt eine hohe Abstraktionsfähigkeit, Allgemeinwissen und Sprachverstehen. Das ist nichts, was rein logisch abzuarbeiten ist.

Noch mehr überrascht hat der Sieg eines Programms beim Spiel Go im Jahr 2016. Hier hat das Programm sogar Züge gesetzt, die als kreativ bezeichnet werden können.

— Mittlerweile erlebt KI einen echten Hype. Welche Durchbrüche haben dazu geführt?

Dieser Eindruck entsteht, weil in letzter Zeit viele Produkte herausgekommen sind. Die Dynamik war aber schon davor sehr hoch. Schließlich passiert die Forschung nicht über Nacht. An so einer Entwicklung arbeiten unzählige Leute jahrelang. Besonders viel Aufmerksamkeit haben nun Large Language Models wie ChatGPT bekommen, weil sie von einer breiten Masse an Menschen genutzt werden können.

— Welche Rolle spielt die zunehmende Rechenleistung bei der Entwicklung?

Anwendungen wie ChatGPT sind nur möglich, weil wir einen enormen Fortschritt in der Rechenkapazität verzeichnen, auch dadurch, dass heute andere Prozessoren verwendet werden. Mittlerweile kommen vielfach Grafikprozessoren zum Einsatz, die eine Parallelverarbeitung ermöglichen. Dadurch können Rechenprozesse viel schneller durchgeführt werden. Auch die Speicherkapazität hat zugenommen, genau wie die Verfügbarkeit von unfassbaren Datenmengen, mit denen KI-Systeme gefüttert und trainiert werden.

— Wenn das so weiter geht: Wo werden wir in 5 Jahren stehen?

Die Entwicklung ist schwer abzusehen. Der Nobelpreisträger Paul Krugman hat unlängst gesagt, dass KI tiefgreifende Veränderungen bringen wird, es werde aber deutlich länger dauern als wir annehmen. Er rechnet mit noch mindestens zehn Jahren.

— Mit welchen generellen Folgen für die Menschheit müssen wir rechnen?

Wir sehen einer massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstellung entgegen. Viele der Tätigkeiten, die heute noch von Menschen ausgeführt werden, werden schon bald von Robotern übernommen. Es wird Arbeiter, aber auch Akademiker treffen. Die Analyse eines Radiologen kann ein Programm genauso vornehmen. Es wird auch Juristen treffen. Viele Kanzleien in den USA setzen beispielsweise bereits heute künstliche Intelligenz ein.

— Es ist also niemand sicher?

Ich denke, dass zum Beispiel ein Installateur, den man ruft, wenn ein Rohr verstopft ist, noch länger unersetzlich ist. Bis ein Roboter ein Problem so gut analysieren und lösen kann, wird es noch dauern.

Doch eine aktuelle Studie der US-Bank Goldman Sachs geht davon aus, dass bis zu 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätze weltweit durch KI ersetzt werden – mit stärkeren Auswirkungen in Industrieländern als in Schwellen- oder Entwicklungsländern. In den Vereinigten Staaten und Europa könnten laut der Analyse bis zu einem Viertel aller Arbeiten vollständig von KI übernommen werden. Trotzdem glaube ich, dass die positiven Ergebnisse von Artificial Intelligence (AI) überwiegen werden.

— Wie definiert sich Intelligenz in Bezug auf Maschinen?

Eine Definition der Psychologie lautet: Intelligenz ist der Leistungsgrad der psychischen Funktionen beim Bewältigen neuer Situationen unter normalen emotionalen Bedingungen.

— Maschinen haben aber keine emotionalen Zustände.

An genau diesem Punkt steht die Weiterentwicklung der AI jetzt. Denn in dem Moment, in dem wir mit solchen Systemen am Arbeitsplatz oder z.B. bei der Betreuung behinderter Menschen interagieren, werden Roboter Emotionen erkennen müssen. Die Frage ist, ob sie auch welche äußern sollen.

— Was spricht dagegen?

Gegner lehnen es als Täuschung ab, weil Roboter keine Emotionen haben. Es könnte zu Bindungen führen, die nicht gesund wären. Andere finden es gut. Die Leute streicheln ja auch ihr Auto.

In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen Emotionen eine große Rolle. Wir erkennen Emotionen auf einen Blick. Warum soll das ein Roboter nicht auch können und darauf eingehen? Es ist aber eine ideologische Frage. Wie die Angst davor, dass Roboter die Weltherrschaft übernehmen könnten.

— Halten Sie das für möglich?

Nein, denn oft wird außer Acht gelassen, dass Intelligenz eine Zielsetzung braucht. Maschinen haben im Allgemeinen keine Zielsetzung, die haben wir Menschen aufgrund unserer Motive und Triebe. Auch eine Superintelligenz ist nicht ehrgeizig. Sie will niemanden beherrschen, das ist ihr kein Anliegen.

Trotzdem müssen Emotionen eine größere Rolle spielen. Wir müssen Persönlichkeitsmodelle entwickeln, damit die Systeme nicht nur emotional und gescheit sind, sondern auch Ziele verfolgen können.

— Aber steckt da nicht genau die Gefahr drin?

Nein, weil Emotionen unabhängig von Trieben sein können. Erst wenn Maschinen Triebe entwickeln würden, sollten wir uns Sorgen machen.

— Warum brauchen aber die Systeme Emotionen?

Zum Beispiel, um in einem Speicher rascher relevante Informationen für eine Entscheidung zu finden. Man erinnert sich schneller an Informationen, die mit Emotionen verknüpft sind. Wir Menschen verwenden Emotionen für viele Funktionen.

— Was kann man aus der Funktionsweise der menschlichen Intelligenz auf AI übertragen?

Logische Schlussfolgerungen, Formalisierungen und Planungsstrategien kann man recht gut übertragen. Es gibt aber auch Aspekte, die man vom Menschen übernommen hat, aber nicht weiß, ob es wirklich im Menschen so abläuft. Das ist zum Beispiel Deep Learning.

— Haben Sie ein Beispiel dafür?

Man legt einem System mit Kamera eine Auswahl von Bildern vor, und es soll daraus diejenigen mit Katzen heraussuchen. Früher hätte man die Katze anhand gewisser Merkmale definiert, aber wenn etwas gefehlt hat, wurde sie nicht erkannt. Jetzt zeigt man dem System Bilder mit und ohne Katzen, das Programm vergleicht und kann nachher Katzen erkennen. Man weiß aber nicht, aufgrund welcher Parameter das Programm auswählt.

Ein anderes Beispiel sind selbstfahrende Autos. Sie sollen akustisch erkennen, ob ein Einsatzfahrzeug kommt. Auch das geht mit Deep Learning. Man spielt Aufnahmen mit tausenden Beispielen vor und irgendwann erkennt das System eine Sirene zweifelsfrei auch im Verkehrslärm. Wir wissen nicht so genau, wie, aber es geht.

Die Leute streicheln ja auch ihr Auto.

Prof. Robert Trappl, Leiter des Forschungsinstitutes für Artificial Intelligence

— Ist es intelligent von uns, künstliche Intelligenz zu schaffen?

Wissenschafter machen oft Dinge aus Neugier, die schlecht im Ergebnis sind. Ich glaube aber, dass es uns weiterbringen kann. Der Fortschritt hat ja auch dazu geführt, dass wir nicht mehr 80 Stunden arbeiten müssen. Auch die Anzahl der hungernden Menschen ist zurückgegangen. Klar, manche Dinge könnten natürlich noch besser funktionieren, aber die AI könnte noch einmal eine deutliche Entlastung bringen.

— Wer treibt diese Entwicklung aktuell am stärksten an?

In den USA sind es natürlich Firmen wie Google, Apple, Amazon und OpenAI, aber auch das Militär, die sich damit intensiv befassen. China hat aufgrund auf seiner wirtschaftlichen Entwicklung bei AI den Anschluss verloren. Auf EU-Ebene passiert nach wie vor viel zu wenig. Es gibt wohl einzelne Forschungszentren, aber eine wirklich große Förderung habe ich bislang nicht gesehen. Bei uns diskutiert man leider lieber über die ethischen Fragen, die sich dazu auftun. Vielleicht wird das dazu führen, dass manche Anwendung aus den USA bei uns nicht angeboten werden kann.

— Kürzlich haben mehrere Entwicklerfirmen US-Präsident Biden mehr Umsicht mit KI versprochen haben. Welche Gefahren gehen von der Technologie aus?

Die Leistungsfähigkeit vieler Anwendungen ist beeindruckend. KI kann menschliche Sprache perfekt imitieren und Videos sowie Bilder generieren, die unglaublich realistisch sind. Mittels KI können Figuren virtuell erschaffen werden, die beeindruckend sind. Darin steckt ein hohes Potenzial zur Manipulation. Die Befürchtungen rund um Deepfake und Desinformation sind also keineswegs unberechtigt. Ob sich die Entwicklerfirmen aber selbst in Zaum halten werden, wage ich zu bezweifeln. Schließlich geht es um ein Milliarden-Business.

— Wer kann KI realistischerweise regulieren? Staaten, Firmen, Algorithmen?

Das ist nicht ganz einfach, aber durch die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind dem Einsatz von KI bereits gewisse Grenzen gesetzt. Zudem arbeitet die EU an dem so genannten AI Act, der die Sicherheit und die Grundrechte der Bürger absichern will. In den USA wird ebenfalls bereits juristisch darum gerungen, dass Menschen Auskunft darüber verlangen können müssen, wie Algorithmen Entscheidung über sie treffen.

— Haben Sie ein Beispiel für so einen Fall?

Denken wir an das Thema Kreditvergabe, über das KI-Systeme entscheiden können. Oder an die Frage, wem eine Verlängerung von Arbeitslosenunterstützung gewährt wird. Hier sollten Menschen erfahren können, welche Algorithmen hinter den Entscheidungen stehen und wie sie funktionieren. Aufgrund der DSGVO besteht bei uns bereits ein Rechtsanspruch auf diese Informationen.

— Wo sehen Sie Anwendungsmöglichkeiten in der Mobilität, die unser Leben erleichtern werden?

Es gibt einige Anwendungen, die zweifellos sinnvoll sind. Etwa die optimierte Steuerung von Verkehrsanlagen und speziellen Fahrzeugen. KI kann auch die Genauigkeit von Verkehrsprognosen und Wettervorhersagen steigern, die Effizienz von Logistikprozessen verbessern und Störfälle und Abnützungserscheinungen voraussagen.

— Eine zentrale Vision im Mobilitätsbereich sind selbstfahrende Autos. Wann werden Sie Realität?

Der Optimismus hinsichtlich bald einsatzfähiger selbstfahrender Autos hat einen Rückschlag erfahren. Viele Autofirmen haben auch ihre Budgets rund um das Thema reduziert. Das Versprechen, dass bereits im Jahr 2025 selbstfahrende Autos ausgeliefert werden können, wird nicht eingehalten werden. Es gibt zwar einzelne Autos, die autonom in kleinen Bereichen fahren dürfen. Doch die Systeme funktionieren noch nicht optimal.

— Woran scheitert die Technik?

Zum Beispiel daran, dass der Gründer einer bekannten Automarke meint, Kameras wären ausreichend und Lidar-Laserscanner wären unnötig. Wenn dann aber ein Laster eine ähnliche Farbe wie der Himmel hat und die Straße quert, gibt es einen Unfall. Doch die Systeme entwickeln sich rasch weiter und sie könnten in Zukunft beispielsweise immer älter werdenden Menschen dazu verhelfen, länger mobil zu bleiben. Vor allem überall dort, wo der öffentliche Verkehr nur unzureichend ausgebaut ist beziehungsweise ausgebaut werden kann.

Zur Person

Prof. Robert Trappl steht dem Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (OFAI) als Leiter vor. 2012 wurde er zum Präsidenten der International Academy for Systems and Cybernetic Sciences gewählt. Als Berater war er für Organisationen wie die EU, OECD, UNIDO und WHO tätig.

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