"Zurück an den Start" für kamerabasierte Zufahrtskontrolle
StVO-Novelle: Mobilitätsclub warnt vor Wildwuchs an Fahrverbotszonen und wird konstruktiven Alternativvorschlag einbringen.
Mit der 36. Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) sollen Gemeinden eine Möglichkeit erhalten, ihre Verkehrsflächen mit Kameras zu überwachen. In der Unbestimmtheit, wo eine Kameraüberwachung zulässig sein soll, ortet Österreichs größter Mobilitätsclub ein riesiges Problem.
Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung
"Die StVO-Novelle erlaubt den Gemeinden eine Kameraüberwachung fast aller Fahrverbote und weiterer Verkehrsbeschränkungen. Kommt dieses Gesetz, ist in ganz Österreich ein Wildwuchs an zusätzlichen und größeren Fahrverbotszonen zu erwarten. Schließlich geht es für die Gemeinden auch um Einnahmen."
Regel-Chaos vorprogrammiert
Zwar werden auch künftig Magistrate oder Bezirkshauptmannschaften prüfen müssen, ob die Errichtung eines neuen Fahrverbotes "dringend notwendig" ist, allerdings seien die Hürden für die antragstellende Gemeinde niedrig.
Hinzu komme, dass durch das Fehlen einheitlicher Vorgaben praktisch jeder Ort eigene Ideen zur Verkehrsberuhigung entwickeln kann. Wiesinger: "Bereits heute existieren ganz unterschiedliche Begründungen für Verkehrsbeschränkungen. Beim Parken werden in Wien und Graz teurere Gebühren für SUVs diskutiert. Im Ortskern von Laa an der Thaya sind beispielsweise nur E-Mopeds erlaubt. International verbieten Städte wie Madrid und Barcelona in bestimmten Bereichen die Einfahrt von Verbrenner-Autos. Im Grunde sind unterschiedliche Regel-Konzepte natürlich vorstellbar, aber wenn alles gleichzeitig kommt, dann ist Chaos vorprogrammiert."
Der ÖAMTC gibt zu bedenken: Wenn für die Einfahrt in eine Gemeinde andere Regeln gelten als für die Einfahrt in die Nachbar-Gemeinde, kennt sich niemand aus. Außerdem könnte der Aufwand für Behörden und Gerichte massiv ansteigen. Wiesinger: "Der Blick in andere Länder zeigt, dass es wegen technischer Probleme immer wieder zu ungerechtfertigten Strafen kommt - oder dass Ortsunkundige aufgrund unklarer Beschilderung schlicht nicht wissen, dass sie gegen ein Fahrverbot verstoßen. Das führt zu vielen Einsprüchen und zu einer noch höheren Belastung der zuständigen Stellen."
Keine Zwei-Klassen-Mobilität
Eine repräsentative Online-Befragung des ÖAMTC zeigt: 57 Prozent der Österreicher:innen lehnen kameraüberwachte Verkehrsbeschränkungen ab. Wobei Menschen, die in Innenstädten wohnen - und damit potenziell von Fahrverbotszonen im Zentrum profitieren - gegenteilig antworten: Sie begrüßen zu 57 Prozent kameraüberwachte Fahrverbotszonen. Ihre Begeisterung flacht jedoch deutlich ab, wenn auch sie - bei der Einfahrt in eine andere Stadt - nicht mehr zu den Privilegierten zählen. Wiesinger: "Zum einen sehen wir klar eine 'Not-in-my-Backyard'-Haltung. Zum anderen hat das Thema einen deutlichen sozialen Aspekt, weil, diejenigen, die es sich leisten können, im Zentrum zu wohnen, auch noch bei der Mobilität begünstigt werden. Als Mobilitätsclub wollen wir keine Zwei-Klassen-Mobilität!"
Die "ZTL" in Italien als Vorbild für Österreich?
In Italien wurden in 130 Gemeinden bereits über 370 "zona traffico limitato" (ZTL) eingeführt: Michele Germeno, Vertrauensanwalt des ÖAMTC in Italien, sieht eine großflächige Umsetzung kameraüberwachter Fahrverbotszonen in Österreich kritisch: "In Italien können Gemeinden in eigener Regie und nach eigenen Regeln verkehrsberuhigte Zonen erstellen und überwachen. Das durch die Ahndung von Verstößen lukrierte Geld bleibt in der Gemeinde."
Dem Vernehmen nach finanzieren sich viele Kommunen zu einem beachtlichen Teil durch diese Strafeinnahmen. Weiters nennt der Rechtsanwalt einen hohen Verwaltungsaufwand als häufig unterschätzte "Nebenwirkung" der ZTL: "Viele Menschen übersehen die Zonen aufgrund unzureichender Beschilderung oder tappen aus Unwissenheit in die Falle. Zu den Strafen gibt es später natürlich Rückfragen, häufig münden diese in gerichtliche Verfahren. Oft sind Strafen auch nicht rechtens, weil es Probleme bei der Zustellung oder Kennzeichenerkennung gibt. Ganze Städte sind in Italien mittlerweile videoüberwacht, das heißt: Der Aufwand für Gerichte und Behörden ist mancherorts enorm!"
Aufgrund mangelnder Transparenz und hoher Strafen beschäftigen sich bereits italienische Konsumentenschutz-Organisationen regelmäßig mit ZTL-Fällen und üben Kritik.
Club fordert einheitliche und klare Regeln
Der ÖAMTC berät derzeit jedes Jahr rund 300 Mitglieder, die ZTL-Strafen aus Italien bekommen haben. Daraus lässt sich ableiten, dass insgesamt jährlich etwa 7.000 bis 8.000 Österreicher:innen entsprechende Post aus Italien bekommen. Trotz der harschen Kritik lehnt der Mobilitätsclub ein kameraüberwachtes Zentrums-Zonenmodel nicht grundsätzlich ab. ÖAMTC-Vertreter Wiesinger plädiert allerdings vehement für einheitliche Regeln: "Es muss klar sein, wo und unter welchen Umständen eine Kameraüberwachung möglich ist. Außerdem braucht es einheitliche Ausnahmeregelungen. Alles andere untergräbt die Akzeptanz dieser Verkehrsregeln." Für den vorliegenden StVO-Entwurf fordert der ÖAMTC: "Zurück an den Start." Mit seiner Stellungnahme wird der ÖAMTC übrigens einen konstruktiven Vorschlag als Alternative zu den vorliegenden Plänen einbringen.