Retro-Perspektive

Früher mag ja manches besser gewesen sein, aber sicher nicht die Technik. Denk an die Reifen, denk an die Motoren. Denk deswegen lieber an Moto Guzzi V9 Roamer und Triumph Street Twin.

Das ist jetzt eine sehr subjektiv eingefärbte Eröffnung, aber ich bilde mir ein, kein Einzelfall gewesen zu sein, daher: Als Jugendlicher lebst du im Hier und Jetzt. Neues wird neugierig aufgesogen, du wirst sozialisiert, egal von wem und wovon. Du wirst.

Spätestens rund um den Dreißiger holt dich dann deine Jugend zum ersten Mal so richtig ein. Plötzlich hörst du im Radio Cover-Versionen von Liedern aus deiner Schulzeit, kannst dir Kleidung neu kaufen, die du in ähnlicher Form schon vor rund einem Jahrzehnt getragen hast. Komisch ist das.

Aber dann erlaubst du dir vielleicht doch den einen oder anderen gedanklichen Sidestep an jene gute alte Zeit – und kaufst: die Cover-Version, die Lederjacke im 70er-Look und das Motorrad im Retro-Outfit.

Überhaupt: dieser Retro-Gedanke

Den haben die europäischen Hersteller perfekt kommerzialisiert – allen voran Triumph; Ducati und Moto Guzzi reiten die Retro-Welle spät, aber gut (wieder) mit. Kein Wunder, das Rezept ist relativ simpel, die Erfolgsaussichten derzeit sehr gut: klassische Design-Zitate gemixt mit einfacher, moderner, konfliktfreier Technik, fertig.

Die neue Street Twin von Triumph ist da keine Ausnahme. Sie spielt zwar nur eher peripher mit seinerzeitigem Design (und mixt dabei auch noch die Epochen), geht aber trotzdem als gelungene Neu-Interpretation durch. Ihr allergrößter Vorteil ist jedoch dieses absolut harmonische Gesamtkonzept, der optische Auftritt in Kombination mit dieser Reife in technischen Belangen, die makellose Verarbeitung, der dezente, sonore Klang. Sie wirkt wie aus einem Guss, ohne echte Ecken und Kanten, wirklich toll. Kann sein, dass diese Makellosigkeit gleichzeitig ihr größter emotionaler Nachteil ist. Entscheiden Sie das bitte selbst.

Unterwegs mit der Triumph Street Twin

Ähnliches gilt für die Moto Guzzi V9 Roamer, die wie früher das Hinterrad per Kardanwelle antreibt und die an der Vergangenheit optisch sogar einen Tick näher dran ist als die Triumph. Einzig die billig anmutenden Lenkerarmaturen (die noch dazu schlecht bedienbar sind) passen unserer Meinung nach da nicht so recht ins Bild.

Dafür liegt die Guzzi in diesem Motorrad-Vergleich uneinholbar vorne, wenn es um gefühlte Lebendigkeit geht. Wie die V9 nämlich tickert, surrt und singt, das macht ihr so schnell kein anderes Modell nach (die straffe Fahrwerksabstimmung allerdings auch nicht). Gang einlegen: klack. Herrliche mechanische Klangkulisse. Oder wenn du vor der Rot strahlenden Ampel stehst, im Leerlauf am Gasgriff drehst – amüsant, wie da die los marschierenden Kolben das ganze Eisen seitlich hin und her schupfen.

Unterwegs mit der Moto Guzzi V9 Roamer

55 Pferdestärken

Unisono 55 PS leisten die Motoren der beiden Neo-Klassiker, beim Drehmoment allerdings enteilt die Triumph der Guzzi mit 18 Newtonmetern Vorsprung (80 Newtonmeter hat sie insgesamt). Das Enteilen ist übrigens nicht nur so salopp dahingesagt, sondern durchaus wörtlich gemeint. Schon auch wegen der puren Leistung, aber eben nicht nur. Die Triumph ist ganz generell das kompaktere, fahraktivere, sportlicher zu bewegende Motorrad. Deutlich mehr Schräglagenfreiheit als die Guzzi hat sie außerdem, hängt besser am Gas, hat die besser dosierbare Bremserei.

Unser Fazit, schwarz auf weiß und via Video (in bunt), plus technische Daten

Was bleibt, ist die simple Erkenntnis: Wer Oldschool-like lieber über die Landstraßen wuselt, verliert sein Herz an die Triumph. Wer lieber gleitet, an die Guzzi. Und wer mehr Dynamik, mehr Windschutz, mehr Elektronik sucht, möge sich bitte ein in jeder Hinsicht neues Eisen kaufen. Danke.