Das endlose Staunen

Vietnam hat viele Gesichter. Die chaotischen Metropolen, das beschauliche Landleben, aber auch die imposante Natur ziehen Reisende unweigerlich in ihren Bann.

Schon die knapp einstündige Fahrt vom Flughafen Hanoi ins Herz der Stadt gleicht einem Kuriositätenkabinett. Wer hätte gedacht, dass auf einem klapprigen Roller eine Familie mit drei Kindern Platz findet? Der Vater fährt, hinter ihm sitzt die Mutter und drückt ein Baby an ihre Brust. Dazwischen ist ihre Tochter eingeklemmt – und schläft selig. Dem rund acht Jahre alten Sohn wird zugetraut, dass er sich bereits selbst festhalten kann. Er balanciert hinter seiner Mutter am Rand des abgewetzten Ledersitzes. Die dicht ge­stapelte Familie scheint entspannt, die einheimischen Verkehrsteilnehmer würdigen sie keines Blickes. Kein Wunder, schließlich sind sie damit beschäftigt, halbe Haushalte auf ihren eigenen Rollern zu balancieren.

Die Muttersprache der Vietnamesen scheint übrigens das Hupen zu sein. Auf den Straßen Hanois vergeht keine Sekunde, ohne dass grelles Tröten den allgegenwärtigen Motorenlärm durchbricht. Als Europäer fühlt man sich sofort angegriffen, doch in Vietnam hat Hupen nichts mit Aggression zu tun. Es geht lediglich darum, sich im chaotischen Gewusel bemerkbar zu machen. Wer sich um Fahrspuren und teils sogar Fahrtrichtungen nicht schert, muss seine Gegenwart akustisch kundtun, um nicht übersehen zu werden. Das Konzept funktioniert. Einen Unfall bekommen wir in den nächsten acht Tagen jedenfalls nicht zu Gesicht.

Vietnam in Zahlen

Vietnam erstreckt sich über 1.600 Kilometer von der Grenze zu China im Norden bis zum Golf von Thailand im Süden. An seiner schmalsten Stelle misst das Land gerade 50 Kilometer von Ost nach West. Unsere Reise beginnt in der Hauptstadt Hanoi im Norden. Acht Millionen Menschen leben hier. Größer ist nur Saigon ganz im Süden mit knapp neun Millionen Einwohnern. Gleich zur Aufklärung: Ho-Chi-Minh-Stadt ist zwar seit 1976 der offizielle Name der Stadt, hat sich im Sprachgebrauch der Vietnamesen aber nicht durchgesetzt.

Was Hanoi zu bieten hat

Reiseführer Hai nimmt uns Anfang März bei angenehmen Temperaturen von gut 20 Grad in Hanoi in Empfang. Zu den Highlights der Stadt zählen das gewaltige Ho-Chi-Minh-Mausoleum, der Literaturtempel, das ethnologische Museum und der Hoan-Kiem-See mitten in der Stadt. Doch in Hanoi ist vor allem das Alltagsleben eine Sehenswürdigkeit: Am Straßenrand werden Enten gerupft und Hochzeiten gefeiert – und Hunderte Roller stehen auf dem Gehsteig herum. „In Vietnam gibt es knapp 100 Millionen Menschen und circa 50 Millionen Roller“, merkt Hai augenzwinkernd an. Die Straße zu überqueren, will in Vietnam übrigens gelernt sein. Von sich aus wartet der motorisierte Verkehr nur selten auf Fußgänger, auch am Zebrastreifen. Daher heißt es Augenkontakt herstellen und mit konstanter Geschwindigkeit selbstbewusst voranschreiten. Der Rest ergibt sich. Noch enger geht es nur auf der Hanoi Train Street zu: Hier fahren die Züge durch eine schmale Gasse voller Bars. Absperrung? Fehlanzeige. Aber immerhin gibt es einen Sicherheitsabstand von knapp zwanzig Zentimetern zu den Tischen.

Ein Schmunzeln entlockt uns die Tatsache, dass der älteste Dönerstand Hanois ausgerechnet vor dem örtlichen Goethe-Institut steht. Apropos Essen: Lokale gibt es in ganz Vietnam wie Sand am Meer. Touristen sind gut beraten, sich dort zu verköstigen und das direkt am Gehsteig zubereitete Streetfood auszulassen. Ihr Magen wird es ihnen danken.

Unterwegs von Nord nach Süd

Am nächsten Tag fahren wir rund zweieinhalb Stunden bis zur Halong-Bucht, ihres Zeichens UNESCO-Weltnaturerbe. Das Wetter spielt leider nicht ganz mit, doch selbst in diesiger Trübheit schinden die 1.969 eigentümlich geformten Felsen und Inseln mächtig Eindruck. Unterm Strich ist es Glück im Unglück. Denn bei gutem Wetter platzt die Bucht vor Ausflugsbooten. Zwar schippern auch wir nicht alleine durch die Halong-Bucht, doch es ist vergleichsweise beschaulich.

Per Flugzeug geht es als Nächstes nach Hue, die einstige Kaiser­stadt Vietnams. Sie liegt in der Mitte des Landes und hat rund 1,2 Millionen Einwohner. Im Vergleich zu Hanoi ist es hier deutlich entspannter, vor allem rund um die riesige ­Zitadelle. Viele der historischen Gebäude wurden im Vietnam-Krieg zerstört, dennoch ist das Gelände sehenswert. Noch idyllischer ist nach 100 Kilometern Fahrt durch endlose Reisfelder und über den majestätischen Wolkenpass der Ort Hoi An mit seinen 150.000 Einwohnern. Die Altstadt liegt malerisch am Fluss Song Thu Bon. Nachts sorgen zahllose Lampions für ein märchenhaftes Feeling, während untertags die Geschäfte zum Schlendern einladen. Heißer Tipp: In Hoi An hat Schneiderei Tradition. Maßanzüge und Kleider in ­bester Qualität werden hier für vergleichsweise kleines Geld angefertigt.

Eine Stunde Fahrt ins Landesinnere bringt uns zur hinduistischen Tempelstadt My Son. Mitten in dicht bewucherter Berglandschaft sind hier über 70 Tempel mehr oder weniger erhalten, die zwischen dem vierten und 13. Jahrhundert errichtet wurden. Erst 1885 wurde My Son nach langer Vergessenheit von französischen Archäologen wiederentdeckt, seit 1999 zählt es zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Ein Stück Europa in Saigon

30 Kilometer nördlich von Hoi An geht es von Da Nang aus per Flugzeug weiter nach Saigon. Zwar erkennt man Trubel und Roller-Armadas aus Hanoi wieder, doch hat die südliche Metropole ein eigenes Flair. Die ab 1859 knapp 100 Jahre andauernde Kolonialherrschaft über Südvietnam der Franzosen hat hier deutliche Spuren hinterlassen. Das pittoreske Postamt aus 1891 spricht ebenso eine deutliche Sprache wie das Rathaus aus 1908. Beide Gebäude würden auch hervorragend an die Côte d’Azur passen. Ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte Saigons und ganz Vietnams ist auch der Vietnamkrieg. Das Kriegsmuseum ist zwar nichts für schwache Nerven, aber dennoch ein Pflichtbesuch.

Insgesamt ist Saigon luftiger als Hanoi. Die Straßen sind breiter, die Gehsteige sind Fußgängern vorbehalten und die Häuser stehen nicht so gedrängt. Umso lauter und schriller ist aber die Bui Vien Street. An beiden Enden der Vergnügungsstraße spielen Livebands in voller Lautstärke, dazwischen reihen sich Dutzende Lokalitäten aneinander – samt Lautsprechern auf der Straße. Zahllose grell beleuchtete Schilder komplettieren den Traum aller Partyfreunde und Nachteulen.

Kreuzfahrt im Mekong-Delta

Der krasse Gegensatz dazu findet sich gute zwei Autostunden westlich von Saigon. Das Mekong-Delta mit seinen neun Flussmündungen ist beinahe halb so groß wie Österreich. Hier werden jährlich 21 Millionen Tonnen Reis angebaut. 1.300 Tierarten sind hier zu Hause. Mangos, Papayas, Kokosnüsse und riesige Wasserkokosnüsse hängen an den Bäumen. Auf den großen Flussarmen ist viel los: Ausflugs- und Frachtboote sind hier unterwegs und die Ziegelbrennereien am Ufer sind voll in Betrieb. Doch unser Reiseführer Duan bringt uns mit einer wackeligen Motorrikscha an einen versteckten ­Seitenarm, wenige Meter breit und völlig überwuchert. Hier kommt man ausschließlich mit Kanus voran und es herrscht absolute Stille – ein magischer Ort.

Das trifft auf Vietnam insgesamt zu. Aus dem Staunen kommen wir während der ganzen Reise nicht heraus. Das Land ist beeindruckend, idyllisch und chaotisch zugleich, aber definitiv eine Reise wert.

Tipps für die Reise


Bauchgefühl: Inzwischen verwenden viele Lokale industriell hergestellte Eiswürfel, die unbedenklich sind. Bei rohen Speisen, die mit Leitungswasser gewaschen wurden, gilt es aufzupassen. Medikamente gegen Durchfall gehören ins Gepäck.



Reisezeit: Die empfohlene Reisezeit für Vietnam ist November bis April, mit leichten regionalen Abweichungen. Von Mai bis Oktober kann es einerseits extrem heiß sein, andererseits herrscht auch noch Regenzeit.



Fahrtendienst: Was bei uns Uber ist, heißt in Vietnam Grab. Die Fahrten werden per App gebucht. In den Städten bietet Grab vor allem Roller an. Fahrgäste bekommen einen Helm in die Hand gedrückt und nehmen hinter dem Fahrer Platz. Authentischer kann man den vietnamesischen Verkehr nicht miterleben. Die Preise sind obendrein im Vergleich zu Österreich spottbillig. Das gilt auch bei Fahrten mit Grab-Autos, etwa zum Flughafen.



Feilschen: Auf den touristischen Märkten Vietnams darf gerne verhandelt werden. Nur nicht schüchtern sein: Mindestens 50 % Nachlass auf den Ausgangspreis sind locker drin, je nach Artikel und Geschick lassen sich auch 70 bis 80 % Rabatt erzielen.

Vietnam

Lage: in Südostasien, Vietnam bildet die gesamte Festlandküste Südostasiens direkt südlich von China.

Fläche: 331.690 km2 (etwas kleiner als Deutschland).

Bevölkerung: 98,86 Millionen, 54 verschiedene Volksgruppen. Eigenständige vietnamesische Schrift auf Basis des lateinischen Alphabets.

Sicherheit: Das österreichische Außenministerium gibt Sicherheitsstufe 2 (Sicherheitsrisiko) für Vietnam an. Wer sich an die Touristenpfade hält, kann jedenfalls beruhigt unterwegs sein.

Information & Buchung

Mehr Infos unter der Hotline Tel. 01 711 99 34000 und in den Filialen von ÖAMTC Reisen.

ÖAMTC-Länderinformationen: Vietnam.