Plötzlich Prinzessin

Die unglaubliche Lebensgeschichte der Inge Sargent – einer Försterstochter aus dem Kärntner Lavanttal, die einen burmesischen Studenten heiratet und dadurch völlig überraschend zur Prinzessin wird. Ihre Autobiografie "Dämmerung über Birma" gibt es nun auch als Film; zu sehen am 26. März um 20.15 Uhr auf ARD.

Seit mehr als fünfzig Jahren immer im März schreiben Inge Sargent und ihre Töchter Mayari und Kennari einen Brief an die Regierung Burmas. Sie verlangen, dass das Regime endlich Verantwortung übernimmt – für das Schicksal ihres Gatten und Vaters, Prinz Sao Kya Seng. Und seit mehr als fünfzig Jahren erhalten sie keine Antwort.

11. Mai 1963. Burmas Hauptstadt Rangun stöhnt auch abends noch unter der Hitze, als die Pan-Am-Maschine Flug 001 vom holprigen Flugfeld des Mingaladon-Airports abhebt. Zwei Stunden Flugzeit bis Kalkutta, der Pilot meldet: "Solange wir uns in burmesischen Luftraum befinden, sind wir an die Befehle der einheimischen Behörden gebunden." Die Dame mit dem zu einem Knoten gebundenen langen Haar erstarrt bei der Durchsage. Fürchtet, dass das Flugzeug noch zur Umkehr gezwungen und ihre Flucht damit verhindert werden könnte.

Während die Stewardess ihre Kinder mit Buntstiften und Spielkarten beschenkt, weilt die Dame in Gedanken noch unten am Boden in dem Land, das Heimat für sie war – in den Shan-Bergen. Das Land, in dem sie ein erfülltes, glückliches Leben geführt hat, zusammen mit ihrer großen Liebe, ihrem Traumprinzen und Ehemann Sao. Zwei Jahre sind vergangen, seit er von der Militärregierung verhaftet, verschleppt und vermutlich ermordet wurde. Die Dame spürt, dass ein Abschnitt ihres Lebens vorbei ist. Geblieben sind nur: der goldene Ehering, drei Koffer und das Allerwichtigste – ihre beiden Töchter.

Vorbei das Leben als Himmelsprinzessin, als Mahadevi. Von nun an war sie wieder Inge, auf dem Weg in ihre alte Heimat – nach Österreich. Als der Pilot das Verlassen des burmesischen Luftraums meldet, brandet Applaus durch die Kabine. Für Inge Sargent endet ein Albtraum, der Jahre zuvor als Märchen begann.

Es war einmal in Amerika

1954, an einem strahlenden Jännertag, läuft die SS Warwickshire im Hafen von Rangun ein. Alle Passagiere stehen an Deck, staunen. Denn Burma-Reisende – damals wie heute – sind fasziniert von der funkelnden Pracht der alles überragenden goldenen Shwe-Dagon-Pagode. Inge ist hingerissen: Dieser Hafen ist so anders als New York oder Genua: keine Skyline, nur einige niedrige weiße Häuschen, Palmen am Ufer. Und dann die vielen kleinen Boote mit Spruchbändern und mandeläugige, schwarzhaarige Schönheiten, die in bunten Gewändern Blüten aufs Wasser streuen. Das ist sie also, die Heimat von Sao, ihrem Ehemann, den sie während ihres Studiums in den Vereinigten Staaten kennen- und lieben gelernt hatte.

Inge ist fasziniert von dem exotischen Treiben, vermutet eine bedeutende Persönlichkeit an Bord. Sao wird verlegen, nimmt sie zur Seite. Gesteht, dass dieser Empfang ihm gilt. Ihm, dem Prinzen eines ganzen Shan-Staates, dem Saophalong von Hsipaw.

Inge ist geschockt. Tausend Fragen schwirren durch ihren Kopf. Warum hatte er ihr das verschwiegen? War sie, die Försterstocher, nun Prinzessin?

Und dann, beim Anblick des Empfangskomitees, typisch Frau: Bin ich richtig angezogen?

Nach dem zweiten Weltkrieg, noch während der Besatzungszeit Anfang der 1950er-Jahre, erhält die junge Kärntnerin Inge Eberhard als eine der ersten Österreicherinnen ein Fulbright-Stipendium und somit die Möglichkeit, in den Vereinigten Staaten englische Literatur zu studieren. Der Bruder, Gerd Eberhard, erinnert sich: "Ich war gerade beim Bundesheer, als die Nachricht kam. Die Familie war besorgt, dass die älteste Tochter nun so weit weg sein würde. Andererseits waren alle stolz. Ganz besonders ich, denn Amerika war auch mein Traum." Stolz ist er später auch auf die Cowboy-Hemden, die ihm die Schwester von drüben schickt.

Als Inge Eberhard ein Jahr später Sao, einen burmesischen Bergbau-Studenten, auf einer Party in Denver kennenlernt, funkt es. Inge verliebt sich, vor allem in Saos Lächeln. Sie gehen zusammen aus, besuchen Theater, Museen, fahren spazieren in Saos einzigem Luxus: einem goldenen Nash Rambler Cabrio. Trotz des für einen Studenten ungewöhnlichen Gefährts schöpft Inge keinen Verdacht.

1952 an einem kalten Februartag macht Sao seiner Inge bei ihrem Lieblings-Italiener, völlig aufgelöst vor Nervosität, einen Heiratsantrag. Sie ist noch zwanzig, hat dem Vater versprochen, mit der Heirat bis zur Volljährigkeit (damals noch 21 Jahre) zu warten. Also wird erst 1953 geheiratet, ohne Familien, in einer schlichten Zeremonie. Schon bald danach spricht Sao erstmals davon, heim zu reisen. Und so brechen sie auf: zuerst nach Österreich, nach Bad St. Leonhard in Kärnten, wo Inge Sao ihrer Familie vorstellt. Und schließlich weiter nach Burma.

Hsipaw: Die neue, exotische Heimat

Eine Fahrzeugkolonne von fünfzig Wagen windet sich die Hauptstraße entlang durch Lashio, eine Stadt im Nordosten Burmas. Als die Wagen die Brücke über den Namtu River passieren, strahlt Sao, denn hier ist seine Heimat: Hsipaw. Das Prinzenpaar wird erwartet: Menschenmassen, Jubel, singende Mädchen in bunten Longyis (traditionelle Wickelkleider), Schwerttänzer und Trommler. Für ein Kärntner Mädl eine bis dato unbekannte, exotische Welt. Als hinter einer Straßenbiegung ein zweigeschoßiges weißes Herrenhaus auftaucht, weiß Inge sofort: Das ist es – East Haw, ihr neues Zuhause. Ein Dutzend Hausangestellter macht der neuen Herrin die Aufwartung. Aber Inge will nur eins: ins Bett, schlafen. Die unzähligen diplomatischen und familiären Empfänge nach der Ankunft in Ranguns mondänem Strand-Hotel und die lange Reise nach Hsipaw hatten sie erschöpft.

Sao will seine Prinzessin nicht länger mit Inge anreden, er beauftragt die Shan-Astrologen, einen neuen Namen zu suchen. Und so wird entschieden: Inge soll zukünftig Thusandi heißen. Und damit nicht genug. Sie wird feierlich zur Mahadevi, zur Himmlischen Regentin, erhoben.

Auch in ihrer Rolle als Hausherrin von East Haw fühlt sie sich wohl, wo sie Gäste empfängt, sich um Blumenschmuck kümmert, das Hauspersonal instruiert, dem Koch das Kuchenbacken beibringt, obwohl sie die würzige Shan-Küche liebt, sogar die streng riechende fermentierte Fischpaste "Ngapi".

Sao beginnt sein Land im Eiltempo zu reformieren: Er verschenkt seine Reisfelder an mittellose Bauern, importiert landwirtschaftliche Gerätschaft, darunter auch Sensen und Sicheln aus Wolfsberg. Er reaktiviert eine Salzmine, forciert den Anbau von Orangen und Ananas. Sein ehrgeiziges Ziel: eines Tages das Feudalsystem und damit auch sich selbst als Saophalong abzuschaffen. Irgendwann bittet er Thusandi, sich der Modernisierung der Entbindungsstation anzunehmen – die Säuglingssterblichkeit ist alarmierend hoch, liegt über 75 Prozent. Als die Prinzessin selbst schwanger wird, reist ihre Mutter Elfriede aus Kärnten an: als Unterstützung vor der Entbindung. Ein Mädchen wird geboren: Mayari. Drei Jahre später ein weiteres: Kennari. Das Glück scheint perfekt.

Film und Wirklichkeit

Aber die Stimmung im Land ist hochexplosiv. Die junge, nach der Unabhängigkeit von Englands Kolonialherrschaft gegründete burmesische Union steht politisch auf wackligen Beinen. Minderheiten wie die Shan, Karen und Kachin fühlen sich von den Burmesen benachteiligt, unterdrückt. Überfälle und Scharmützel von Separatisten mehren sich. Und nach der Ermordung des Volkshelden Aung San – Vater der späteren Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi – geht das burmesische Militär unter General Ne Win mehr und mehr auf Konfrontation mit den nach Autonomie strebenden Völkern. Ne Win ist machthungrig, gefährlich, auch leidet er unter einer bipolaren Störung, ist manisch-depressiv und paranoid; gefürchtet sind seine Wutausbrüche. Der General ist Professor Hans Hoff, einem Wiener Arzt, in psychiatrischer Behandlung. Ne Win und seine Militärs misstrauen Sao wegen seiner Reformen und demokratischen Pläne.

Am 2. März 1962 werden Thusandis düstere Vorahnungen wahr. Das Militär putscht, Ne Win kommt an die Macht. East Haw wird von Soldaten umstellt, das Haus durchsucht, sie suchen den Prinzen. Die Mahadevi wird unter Hausarrest gestellt. Aber wo ist der Prinz?

Voller Sorge um seine Familie sitzt Sao seit Tagen verzweifelt in einem Bambusgefängnis, blickt auf die unterbrochene Lebenslinie seiner rechten Hand. Denkt immerzu an den Wahrsager der Sule-Pagode von Rangun, der ihn wiederholt gewarnt hatte, dass ihm in seinen Dreißigern Schlimmes passieren würde. Sao spürt, dass seine Zeit gekommen war. Durch einen loyalen Shan-Wachposten gelingt es ihm, eine Nachricht an seine Frau zu schicken. Es sollte die letzte sein.

Thusandi bedrängt die Machthaber, will ihren Ehemann im Gefängnis besuchen, aber die Militärs bestreiten, den Prinzen verhaftet zu haben. Nach elf Monaten Ungewissheit werden Thusandi und ihre Kinder von Freunden gewarnt. Man erlaubt ihnen, aus Hsipaw abzureisen – nach Rangun, wo sie in ein Haus im Diplomaten- und Ausländer-Viertel am Inya Lake ziehen. Mittlerweile interveniert sogar der österreichische Außenminister Bruno Kreisky persönlich bei seinem burmesischen Amtskollegen, bietet Exil für die Prinzenfamilie an. Aber Thusandi will noch zuwarten, hat die Hoffnung noch nicht aufgeben.

Burma, das bis zu dieser Zeit als die Reisschale Asiens galt, verarmt zusehends, versinkt mehr und mehr im Sumpf willkürlicher Verstaatlichungen der Militärjunta Ne Wins. Indische Geschäftsleute werden enteignet und deportiert, immer mehr Menschen verschwinden spurlos. Für Thusandi ist nun klar: Sie und die Kinder sind in Lebensgefahr. Es ist an der Zeit, das Land zu verlassen.

Der Film: Dämmerung über Burma

Die Ausreise der Prinzessin nach Österreich wäre kein Problem, sie besitzt noch immer ihren österreichischen Pass. Nicht aber die Kinder, sie sind in Burma geboren. Thusandi versucht es mit einer List, schickt eine Freundin mit ihrem Pass zur österreichischen Botschaft nach Bangkok. Nach einigem Zögern trägt der Botschafts-Sekretär Mayari und Kennari in den Pass der Mutter ein. Das ist illegal, sogar gefährlich, würde der Schwindel von den Grenzbehörden erkannt werden. Aber die Flucht gelingt.

Inge kehrt mit ihren Kindern heim zu den Eltern nach Bad St. Leonhard. Später übersiedelt sie nach Wien, wo sie als Dolmetsch für die thailändische Botschaft arbeitet, bevor sie wieder in die Berge von Colorado zurückgeht. Jahre später, 1968, heiratet Inge wieder. Tad Sargent, ihr zweiter Ehemann, unterstützt sie bei der Gründung der Flüchtlings-Hilfsorganisation "Burma Lifeline". Als Therapie gegen quälende Albträume beginnt sie zu schreiben, veröffentlicht 1994 ihre Autobiografie "Dämmerung über Birma".  2015 wird ihr Leben verfilmt. Eine Co-Produktion von DOR-Film, ORF und ARD.

Heute, im Alter von 84 Jahren, lebt die ehemalige Shan-Prinzessin aus Österreich zurückgezogen in Boulder, Colorado. Sie hat nie wieder burmesischen Boden betreten.

Zeitreise

Und auch wenn gerade dieser Tage Burma, das sich nun Myanmar nennt, einen scheinbar friedlichen Machtwechsel von der Militärdiktatur zur Demokratie vollzieht, werden Inge und ihre Töchter auch heuer wieder einen Brief an die Regierung schreiben. Mit dem Verlangen, endlich Verantwortung zu übernehmen für den Tod ihres Gatten und Vaters, Sao Kya Seng, Saophalong von Hsipaw.

Blick hinter den Vorhang

Das Buch: "Dämmerung über Birma"

Inge Sargent erzählt auf einfache, bildliche Weise über ihr märchenhaftes Leben als Shan-Prinzessin im Burma der Nachkriegsjahre. Erzählt, wie ihr Glück tragisch zerbricht. Ein Buch, das einen authentischen Blick hinter den Bambusvorhang wirft, auf ein grausames Regime in einem der schönsten Länder Asiens. 

Taschenbuch Jubiläumsausgabe. Broschiert, 384 Seiten, ISBN 978-3-293-20691-5, Unionsverlag.