Le Mans: Das 24h-Festival

Jedes Jahr wird in Le Mans geraced. Und das 24 Stunden lang. Das 24-Stunden-Rennen in Le Mans gilt als bekanntestes Rennen der Welt, Hunderte Geschichten ranken sich um das Event – und die wenigsten wissen, was dort wirklich abgeht. Wir waren vor Ort.

Es ist kurz nach Mitternacht. Aus mehreren Ecken dröhnt Musik. Ein Feuerwerk erhellt die Nacht. Es werden Bierdosen und Energydrinks weitergereicht. Oh, und Kool & the Gang hält ein Konzert.

Im Zentrum dieses Partygetümmels stehen nicht etwa zahlreiche Bühnen mit Lichtshows und Flammenwerfer. Es gibt die etwas andere akustische Untermalung: 186 Rennfahrer:innen fahren hier das herausforderndste Rennen der Welt.

Jeder kennt die 24 Stunden von Le Mans. Oder zumindest haben die meisten davon gehört. Aber irgendwie ist dieses Rennen, generell die WEC (World Endurance Championship), verglichen mit der Formel 1 ein wahrer Underdog. Übertragen wird das Rennen nur auf Nischensendern wie NITRO oder Eurosport, manchmal auf ServusTV. Auch auf Social Media erhält Le Mans nicht mal annähernd so viel Aufmerksamkeit wie die Königsklasse.

Was passiert also bei diesem weltbekannten und geschichtsträchtigen Rennen, das für Otto Normalverbraucher fast unbemerkt vorbeizieht?

Le Mans für Dummies

Noch nie ist mir eine Sportveranstaltung begegnet, die so viele kennen und von der so wenige eine Ahnung haben. Die erste Reaktion in meinem Freundeskreis war stets diese: "Boah, das ist ja voll cool! Aber ich kenn mich da null aus." Also hier mal ein paar Grundfakten.


1. Die WEC

Der Circuit des 24 Heures Du Mans ist, trotz seiner Bekanntheit, ein Rennen von vielen der World Endurance Championship. Es wird in der Saison 2025 außerdem über 1.812 Kilometer in Katar geraced, 6 Stunden in Imola, in Spa, in Sao Paulo, in Austin, in Fuji und 8 Stunden in Bahrain.

Warum ist Le Mans aber der Star der WEC? Erstens ist es eines der ältesten Rennen der Welt, hat Kultstatus und bringt in der Meisterschaft die doppelte Punktzahl ein. Zudem dauert dieses Rennen am längsten und birgt somit die größte Herausforderung der Saison.


2. Die Fahrzeuge

In Le Mans treten 62 Fahrzeuge an. Verglichen mit den 20 Autos in der Formel 1 eine beinahe absurde Zahl.

Das dürfen wir uns aber nicht als so ein direktes Kopf-an-Kopf-Rennen vorstellen, wie in der Königsklasse. Die 62 Fahrzeuge fahren zwar schon irgendwie alle gegeneinander, aber sind unterteilt in drei Leistungsklassen: Hypercar, LMP2 und LMGT3.

Am Ende gibt es immer einen Gesamtsieger, der aber meistens aus dem stärksten Segment der Hypercars kommt, und auch Klassensieger. So war etwa der Österreicher Ferdinand Habsburg 2021 Sieger der LMP2-Klasse.

Ergo: Innerhalb der Klassen geht es heiß her, aber ein LMGT3-Auto legt sich eher selten mit einem Hypercar an.

Die technische Regulation der Fahrzeuge wird vom BoP (Balance of Performance) bestimmt. Die wichtigsten Faktoren sind Mindestgewicht, maximale Motorleistung und die Energiemenge pro Stint, also wie viel Energie/Fuel ein Auto pro Stint nutzen darf.

Hinweis: Ein Stint ist der Zeitraum, in dem Fahrer:innen ohne Unterbrechung auf der Strecke fahren.

Viele Autos, noch mehr Fahrer:innen

24 Stunden geht dieses Rennen also. Eine schier unvorstellbare Zeitspanne. Auch auf Social Media kursiert immer wieder die Frage: Wie halten es die Fahrer:innen 24 Stunden ohne Pause hinterm Steuer aus?

Plot-Twist: Tun sie nicht. 2025 waren wie gesagt 62 Fahrzeuge mit insgesamt 186 Fahrer:innen unterwegs. Es fahren nämlich pro Auto drei Pilot:innen. Gewechselt wird nach ungefähr 3 bis 4 Stunden.

Das klingt ja fast entspannt – nur dass die drei Racer dazwischen kaum Zeit haben aufzutanken. Was die Fahrer:innen in den Pausen tun, haben mir drei der sechs Fahrer von Peugeot Sports, die in zwei Hypercars antreten, erzählt.

"Nach dem Wechsel gibt es erst mal ein kurzes Gespräch mit dem Ingenieur, wie es gelaufen ist. Das bleibt aber minimalistisch, weil das Rennen ja noch läuft und wir das Set-up des Autos sowieso nicht mehr ändern können. Es geht eher darum, dem nächsten Fahrer ein bisschen Feedback zu geben. Dann geht es kurz zu unserem Physiotherapeuten, bevor wir versuchen zu essen, zu trinken und ein wenig zu schlafen. Normalerweise hat man dafür so 2 bis 3 Stunden. Dann geht es wieder an die Vorbereitung für den nächsten Stint", erklärt der ehemalige McLaren-Formel-1-Pilot Stoffel Vandoorne.

Schlaf ist für alle drei Mangelware: "Ich schlafe nicht viel, insgesamt vielleicht 1 bis 2 Stunden. Ich versuche zu essen, aber da definitiv nichts Schweres", erzählt etwa der ehemalige F1-Fahrer Paul di Resta. Der Neuling Malthe Jakobsen gibt sich mehr Mühe Ruhe zu finden. "Ich versuche immer ein Nickerchen zu machen, sobald es geht. Das fällt mir aber auch leicht, ich kann wirklich überall einschlafen", erzählt der in Vorarlberg lebende Däne.

Der Fahrerwechsel, den wir am nächsten Tag beobachten dürfen, geht flott vonstatten: Das Auto fährt in die Box, der neue Fahrer steht schon eine Weile davor bereit. Der Fahrer steigt mitsamt Sitzbedeckung (und Hilfe eines Mechanikers) aus, der neue Fahrer mitsamt Sitzbedeckung ein und die Trinkflasche wird gewechselt. Nachdem getankt und vielleicht Reifen gewechselt wurden, geht es wieder auf die Strecke.

Die Sitzbedeckung dient zum Komfort, da die Fahrer:innen doch mehrere Stunden in einem Auto sitzen, das im Gegensatz zu Formel 1-Boliden nicht auf sie abgestimmt ist.

In der Box

Während die Fahrer auf der Strecke an ihre Grenzen gehen, wartet in der Box das restliche Team, das nicht nur einen Stint, sondern die ganzen 24 Stunden und länger pausenlos im Dienst ist. Ich durfte mich in der Peugeot-Box ein wenig umschauen und die Boxenstopps auch aus nächster Nähe beobachten.

Eine Sache, die mir gleich auffällt, ist die Länge der Stopps. Bei der Formel 1 dauert ein Routinestopp nur wenige Sekunden, hier steht das Auto schonmal 1 ½ Minuten herum. Eine Mechanikerin erklärt: "Wir haben aus Sicherheitsgründen eine Mindeststoppzeit von 45 Sekunden. Das liegt vor allem am Tankvorgang, der in der Formel 1 ja wegfällt. Während des Tankvorgangs dürfen auch keine Reparaturen oder Reifenwechsel passieren. Wir haben zudem deutlich weniger Mechaniker pro Auto, nur sechs Personen. In der Formel 1 sind es bis zu 27."

Fahrer Paul di Resta betont: "Es ist hart für uns Fahrer, aber noch härter ist es für die Mechaniker." Und ja: Das Team hat keine Pausen. Bei Boxenstopps oder bei Problemen müssen alle immer sofort startklar sein. Auch, wenn es vier Uhr früh ist.

"Wir können uns niemals wirklich ausruhen. Genau genommen sind wir von 9 Uhr früh am ersten Renntag bis 9 Uhr abends am zweiten Tag wach. Das sind 36 Stunden, die wir ohne Pause durcharbeiten", erklärt Olivier Jansonnie, der technische Direktor von Peugeot Sports. Dafür trainiert das Team im Vorhinein, aber leicht ist es für niemanden.

"Es macht auch Spaß, aber je älter ich werde, desto härter wird es", ergänzt der knapp 50-jährige Franzose schmunzelnd.

Kurz vor Start

Abgesehen von den spannenden Abläufen und der Challenge: Wie ist es, dieses Rennen live zu erleben?

Das Getümmel am Gelände startet am Tag vor dem Rennen und verteilt sich über das ganze Areal rund um den Circuit des 24 Heures. Aber um ca. 15 Uhr am Renntag findet sich die Masse an Fans brav an verschiedenen Stellen direkt an der Strecke wieder. Nach viel feierlichem Gerede und Rumgestehe geht es um kurz vor 16 Uhr in die Formation Lap. Das kannte ich schon aus der Formel 1, aber im Gegensatz zu Königsklasse wird in Le Mans fliegend gestartet.

Übrigens: Früher mussten die Fahrer nach dem Fallen der Startflagge über die Strecke rennen und in ihr Auto springen. Das hat 1968 aufgrund einer nicht verschlossenen Autotür zu einem schweren Unfall geführt, woraufhin Jacky Ickx im Jahr darauf aus Protest den Run verweigerte und gemütlich zu seinem Auto schlenderte.

1970 wurde der sogenannte "Le Mans Start" aufgegeben.

In die Autos, fertig, los

Bei der Ziellinie ist ein Countdown zu sehen. Alle stehen und versuchen einen Blick auf die Strecke zu erhaschen, die Handys sind gezückt. Die ganze Szenerie ist mit den dramatischen Klängen des Marche des 24 Heures unterlegt, die Spannung steigt. Auch ich beuge mich vor und versuche, den Moment per Video festzuhalten.

Langsam vergehen die Minuten, dann die letzten Sekunden. Schließlich steht der Countdown auf null. Es ist Punkt 16 Uhr. Ein Kommentator verkündet durch alle Lautsprecher den Start und die Musik wird plötzlich übertönt vom tiefen Dröhnen und ohrenbetäubendem Röhren der jetzt mit Vollgas an mir vorbeidonnernden Maschinen. Mein Herz vibriert mit den Motoren mit, über meinen ganzen Körper breitet sich eine Gänsehaut aus.

Bevor ich nicht selbst solche Fahrzeuge in voller Pracht zu Gesicht bekommen hatte, hatte ich nur eine vage Vorstellung, wie sich das anfühlt. Aber dieser Augenblick, das Knallen der Motoren, die jubelnde Menge – das ist etwas, das man zumindest ein Mal im Leben gespürt haben muss.

Rundherum

Von da an sitzen die wenigsten 24 Stunden am gleichen Platz und schauen vorbeirasenden Autos zu. Es gibt mehrere Örtlichkeiten, von denen Zuschauende die Strecke gut im Auge haben, ebenso sind vereinzelt große Bildschirme am Gelände verteilt.

Was schnell klar ist: Wer keinen Bildschirm oder einen Liveticker bei sich hat, verliert. In den ersten Runden sind die Klassen noch klar voneinander getrennt, aber nach spätestens einer Stunde vermischt sich das Feld und es ist kaum mitzuverfolgen, wer jetzt auf welchem Platz ist.

Obwohl ich so nah am Geschehen bin, verpasse ich ständig etwas. Unfälle passieren immer dort, wo ich gerade nicht stehe. Ich bin gefühlt ständig auf der Suche nach irgendeinem Bildschirm.

Davon gibt es meiner Meinung nach zu wenige, sie sind aber dafür teils an hübschen Orten platziert. Etwa auf einer künstlichen Wiese, wo die Fans es sich auf Liegen gemütlich machen, an einem Getränk nippen und entspannt das Rennen mitverfolgen.

Wer gerade keine Lust aufs Rennen hat, findet trotzdem was zu tun. Zwei Riesenräder bieten eine wunderbare Aussicht, auch wildere Freizeitpark-Attraktionen sind vor Ort. Es gibt eine Gaming Zone, in der sowohl die neue Le-Mans-Simulation sowie Mario Kart zum Spielen bereitstehen. In den Villages können historische, aktuelle und futuristische Autos bewundert werden. Die abendlichen Konzerte sowie die Musik, das vielseitige Essen und die Erfrischungen vervollständigen das Unterhaltungsprogramm.

Laut in die Nacht

Was treibe ich also nach dem Start in den kommenden 24 Stunden?

Erst mal sitze ich eine Weile bei der Zuschauertribüne über der Start-Ziel-Geraden, um mit großen Augen auf die rasenden Autos zu glotzen. Dann sitze ich im Hospitality Center von Peugeot Sports, um auf rasende Autos zu glotzen.

Und danach genau das, was die meisten hier tun: essen, in Bildschirme schauen, Riesenrad fahren und mich im Village rumtreiben, um coole Autos zu beäugeln und Merch zu shoppen. Dazwischen nutze ich noch die Möglichkeit, in den Paddock zu spazieren und ein bisschen in die Boxen hineinzuspähen.

Hier muss ich betonen, wie gigantisch die ganze Anlage ist. Diese in einem Satz genannten Aktivitäten kosten Stunden und Tausende Schritte. Mein Zeitgefühl verpufft, die Nacht bricht schneller herein als gedacht, plötzlich ist es schon Mitternacht. Die späte Stunde ist allerdings kaum spürbar, die Stimmung bleibt genauso ausgelassen wie ein paar Stunden davor. Kein Wunder – die Autos bei tiefster Nacht zu beobachten, hat einfach ein ganz eigenes Flair.

Der Morgen danach

Unsere Truppe wird schließlich um 0.30 Uhr für ein paar wenige Stunden Schlaf ins Hotel gebracht. Zu dem Zeitpunkt sind wir alle noch voller Spannung, überlegen sogar die Nacht vor Ort zu verbringen. Bis ich einschlafe, spukt in meinem Kopf die Frage, ob ich es nicht doch hätte durchziehen sollen.

Am nächsten Tag bereue ich die kurze Pause allerdings nicht mehr so sehr. Die Stimmung war spürbar ruhiger, zahlreich lümmelten die Fans auf den Tischen, riesige Energydrinkdosen vor der Nase und starrten lethargisch in die Ferne.

Auch ich kämpfte ein bisschen mit der Energie. Das ist dann der Punkt, an dem die Zusehenden stoisch auf die Strecke starren und wie die Geier auf die Erfüllung eines etwas schmutzigen Wunsches warten: Dass es irgendein Auto spektakulär von der Strecke wirft.

Dieses Tief löste sich aber spätestens kurz vor Schluss. Fahrer:innen, Teammitglieder, Securitys, Journalist:innen und Fans sammelten noch ein letztes Mal ihre geballten Kräfte, um das Finale ordentlich mitzufeiern.

Motorsport für alle

Ja, es dreht sich hier alles um Motorsport. Nein, hier sind sicher nicht alle Vollblut-Autofans.

Während ich mit gezückter Kamera durch die Menge gewuselt bin, konnte ich mir problemlos vorstellen mit Freunden, Bier und Pommes vor den Bildschirmen zu versumpern und gemeinsam in der Nacht gegen die Müdigkeit anzutreten. Und noch wichtiger: Ich konnte mich mit Freunden hier sehen, die von Le Mans keine Ahnung haben.

So komplex das Regelwerk ist – Le Mans ist ein Event für alle, für Kinder, Motorsportfans und auch eher desinteressierte Anhängsel.

Als nach 24 Stunden Rennen, 4 Stunden Schlaf und ein paar Energydrinks der Countdown also erneut auf null steht und der AF-Corse Ferrari mit Kubica, Ye und Hanson als Erster über die Ziellinie fährt, ist wieder diese Gänsehaut da. Die Teammitglieder strömen aus den Boxen und jubeln, Fahnen wehen, der gelbe Ferrari blinkt fröhlich mit den Scheinwerfen – und ich grinse trotz Erschöpfung wie ein Honigkuchenpferd.

Zum Schluss: Ein Stück Geschichte

Die Historie von Le Mans ist vielseitig, dramatisch und zieht sich bereits über hundert Jahre. Wer nicht so tief im Motorsport-Game ist, ist hier schnell mal überfordert. Also hier zum Abschluss noch eine Handvoll Hard Facts zu den letzten 102 Jahren Le Mans.

Das Rennen fand zum ersten Mal 1923 statt und blieb bis auf wenige Ausnahmen im Zweiten Weltkrieg jährlich erhalten. Seitdem haben sich die Strecke, die Regeln, die Fahrzeuge und überhaupt so ziemlich alles bis auf die Zeitspanne mehrfach verändert.

Der erste Österreicher, der in Le Mans gewann, war Jochen Rindt 1965. Das war auch der letzte Ferrari-Sieg, bevor Ford einige Jahre an der Spitze unterwegs war. Weitere österreichische Sieger: Helmut Marko und Alexander Wurtz. Wurtz’ letzter Sieg war 2009 in einem Peugeot.

Der Knatsch zwischen Ferrari und Ford wurde übrigens 2019 mit Matt Damon und Christian Bale verfilmt. Es gab sogar im echten Rennen einen Hollywood-Schauspieler, der es auf die bekannte Strecke geschafft hat: Michael Fassbender (X-Men, Inglourious Basterds) fuhr 2022 und 2023 mit Proton Competition.

Ferrari ist seit 2023 übrigens wieder bei den Hypercars dabei, auch Ford soll ab 2027 wieder in der höchsten Klasse fahren.

Le Mans hat aber, wie wohl jede große Motorsportrennserie, nicht nur fröhliche Geschichten zu erzählen. Die größte Tragödie in der Geschichte des Motorsports spielte sich etwa 1955 dort ab. Aufgrund eines Unfalls und mangelnder Sicherheitsvorkehrungen starben 84 Menschen, rund 180 erlitten Verletzungen.

Letzter Fakt: Frauen waren in Le Mans von Anfang an zugelassen. Bereits 1930 startete ein reines Frauenteam und landete am 7. Platz. Es gab zwar aufgrund des tödlichen Unfalls der französischen Rennfahrerin Annie Bousquet eine Pause von 1957 bis 1970. Aber heute sind Frauen wieder fix dabei. Dieses Jahr waren die Iron Dames im pinken Porsche 911 GT3 R als reines Frauenteam am Start.