Endlich ohne Angst fliegen
Die Panik vor der Flugreise: Woher kommt sie und was können Betroffene tun? Pilot und Coach Harry Gruber beantwortet acht Fragen zum Thema Flugangst.
Was genau versteht man unter Flugangst und wie äußert sie sich?
Ungefähr 30 % der Menschen haben beim Fliegen ein ungutes Gefühl, davon empfinden 10 % echte Angst. Aber Flugangst ist meiner Meinung nach das falsche Wort. Die meisten haben Angst vor dem Absturz, nicht vor dem Fliegen. Diese Angst äußert sich in Form einer extremen Stressreaktion des Körpers. Sie führt etwa zu Bauchweh oder Übelkeit, Druck in der Herzgegend, Schwitzen bis zu Panikattacken.
Was kann Flugangst auslösen?
Der klassische Auslöser ist ein unangenehmes Erlebnis im Flugzeug, etwa eine Notlandung. Weiters kann die Angst auch von anderen Phobien herrühren, etwa Kontrollverlust, Klaustrophobie oder Höhenangst. Es kommt ebenso vor, dass sich Vielflieger von einem Tag auf den anderen nicht mehr in die Maschine trauen. Berufliche Flüge sind nicht selten von Stress begleitet. Dieser Stress kann sich zu Flugangst umformen. Und manche Menschen haben einfach eine ängstliche Natur. Aber es gibt immer einen gemeinsamen Nenner: Die Angst ist nicht rational. Ein Blick auf die Statistiken bestätigt, dass Flugzeuge das sicherste Verkehrsmittel sind. Aber diese Tatsache nimmt die Angst nicht, weil sie im Unterbewusstsein liegt.
Kann also Wissen der Angst gar nichts entgegensetzen?
Nicht ganz. Es hilft enorm, wenn die Betroffenen sich über Flugzeuge informieren. Was die Geräusche bei Start oder Landung bedeuten, warum etwas ruckelt, wie Turbulenzen entstehen und so weiter. Ich fände es auch sinnvoll, wenn die Fluggesellschaften zusätzlich zu den Sicherheitsanweisungen solche Infos in den Taschen bei den Sitzen platzieren würden.
Gibt es Tricks für Betroffene, die sie kurzfristig umsetzen können?
Zuallererst: Rechtzeitig am Flughafen sein. Wer zu knapp dran ist, hat schon vor dem Flug Stress. Auch bei der Sitzplatzbuchung macht sich eine gute Planung bezahlt. Der beste Sitzplatz befindet sich am Gang in der Mitte des Flugzeugs. Dort ist der Schwerpunkt der Maschine, wodurch es weniger wackelt. Ebenso kann Ablenkung helfen, also ein Buch zu lesen oder Musik zu hören. Und zuletzt: kein Alkohol und dafür nur leichtes Essen.
Wieso das?
Die Gedärme blasen sich beim Start und bei der Landung auf. Schweres Essen, Kohlensäure oder Alkohol blähen noch extra und das Unwohlsein wird verstärkt. Was wiederum für zusätzlichen Stress sorgt. Die Angst mit Alkohol wegzutrinken, macht die Situation also nicht besser. Was wirklich hilft ist ein beruhigender Tee vorab und leichte Snacks für unterwegs.
Helfen Medikamente?
Medikamente oder Alkohol sind ein Problem. Ja, sie stellen eine schnelle „Lösung“ dar. Aber sie lösen in Wahrheit gar nichts und können zudem abhängig machen. Nur Menschen, die selten fliegen, können Medikamente als einmalige Notlösung benützen. Aber auch hier würde ich eher natürliche Mittel empfehlen.
Flugangst kann von anderen Ängsten kommen, etwa Klaustrophobie oder Höhenangst.
Harry Gruber, Flugkapitän, Keynote-Speaker und Mentaltrainer
Was hilft langfristig gegen Flugangst?
Langfristig hilft nur eine Therapie bzw. intensive Beschäftigung. Ich arbeite in meinen Seminaren etwa mit mentalem Training. Das muss aber nicht kompliziert sein. Ich kann zwei Übungen empfehlen, die schnell gehen und zusätzlich im Sitzen möglich sind. Einmal eine Atemübung, bei der tief durch die Nase ein- und durch den Mund ausgeatmet wird. Und während des Ausatmens sagt man sich selbst: „Ich bin ruhig und gelassen.“ Die zweite ist eine Muskelübung. Man atmet ein und spannt gleichzeitig jeden Muskel so stark wie möglich an. Beim Ausatmen dann langsam den ganzen Körper entspannen. Klingt simpel, aber nach ein paar Wiederholungen fühlt man sich deutlich entspannter.
Haben Sie eine Geschichte aus der Praxis?
Da fallen mir zwei Geschichten ein: Ich bin oft mit Udo Jürgens geflogen, der furchtbare Flugangst hatte. Ich habe ihm mit einigen Techniken geholfen. Danach ist er immer, wenn er mit mir geflogen ist, hinter dem Cockpit gesessen und wir haben uns unterhalten können. Wir sind durch seine Flugangst quasi Freunde geworden.
Die zweite Erinnerung war beim Coaching. Der Klient war durch seinen Beruf Vielflieger und hat daher sehr unter seiner Flugangst gelitten. Ich habe lange mit ihm gearbeitet. Er hat die Techniken wirklich gut verinnerlicht – aber nur in der Theorie. Ich musste sehr auf ihn einreden, damit er wieder ins Flugzeug steigt. Dann hat er mich völlig überrascht: Er hat kurzerhand beschlossen, den Privatpilotenschein zu machen. Heute macht ihm das Fliegen sogar Spaß. Das war wirklich ein einzigartiges Erlebnis.
Zur Person:
Harry Gruber ist Flugkapitän, Keynote-Speaker und Mentaltrainer. Er gründete den Verein "Kuratorium für Sicherheit zu Lande und in der Luft" und hilft Menschen dabei, ihre Flugangst zu überwinden.