Mit Demut an die Spitze

Marlies Czerny erklomm als erste Österreicherin alle 82 Viertausender der Alpen. Wie aus einer Journalistin eine begeisterte Bergsteigerin wurde, worauf es am Berg ankommt und was eine gute Seilschaft ausmacht, erzählt sie hier.

Warum begannen Sie mit dem Bergsteigen?

Ich arbeitete als Journalistin und musste viele Urlaubstage abbauen. In diesem „Zwangsurlaub“ begann ich mit dem Wandern auf einem kleinen Berg in den oberösterreichischen Voralpen. Bei meiner ersten Wanderung mit rund 400 Höhenmetern schnaufte ich ordentlich (lacht). Aber mit jedem Mal wurde es leichter. Ich bin richtig hineingerutscht und wollte mehr. Das war wie eine neue Welt, in die ich eintauchen durfte. Da war nur die Natur und ich – der Stress war weg.

Wann bestiegen Sie den ersten 4.000er?

Ziemlich genau drei Jahre danach, also 2011. Mein erster Viertausender war der Dom in der Schweiz – ein sehr erhabener Berg, der einem nichts schenkt. Die Tour war unvergesslich – ­allerdings nicht nur im positiven Sinne. Die Hütte war überfüllt und man lag fast übereinander im Matratzenlager. Ziemlich unausgeschlafen brachen wir mitten in der Nacht auf. Obwohl Mitte Juli, schneite es. Doch dann kam der magische Moment: Wir passierten die Nebelgrenze und blickten über das Wolkenmeer. Als die Sonne aufging und sich die Bergspitzen orange färbten, dachte ich: „Wow! So schön ist diese Welt?“

Wie lange dauerte es, um alle 82 Viertausender der Alpen zu erklimmen?

Sechs Jahre, wobei das anfangs gar nicht mein Plan war. Die ersten 62 Gipfel habe ich neben meinem Vollzeitjob in vier Jahren bestiegen. Da hatte ich den Vorteil, dass ich ein halbes Jahr für eine Schweizer Zeitung arbeitete und die 4.000er vor der Haustüre waren. Erst als mich später einmal mein Mann Andi fragte, auf wie vielen Gipfeln ich nun schon gewesen sei, wurde mir das Ausmaß bewusst. Da waren nur noch 20 übrig! Erst ab diesem Moment hatte ich das Ziel, alle 4.000er zu besteigen. Zwei Jahre später ist es geglückt.

Was war Ihre bisher größte Herausforderung?

Ich denke, es war mein Versuch am Manaslu mit über 8.000 Metern in Nepal. Wir erwischten eine denkbar schwierige Saison mit vielen Niederschlägen und Lawinen, von denen eine unsere gesamte Ausrüstung im Lager 3 wegriss. Glücklicherweise waren wir noch im Basislager. Später wagten wir den Aufstieg. Als wir das Lager 3 erreichten, der Schock: Alles war weg. Mit geliehener Ausrüstung stiegen wir weiter, aber auf 7.500 Metern traf ich die schwere Entscheidung, umzukehren. Mein Mann erreichte den Gipfel und brauchte im Abstieg mehr Glück, als uns lieb war. Diese Expedition zeigte mir, wie wichtig es ist, seine Grenzen zu erkennen, aber vor allem sie zu akzeptieren.

Wie hat sich Ihr Leben durch das Bergsteigen verändert, was fasziniert Sie daran?

Die Berge sind mittlerweile zu einem gewissen Teil mein Beruf geworden – und das bedeutet Glück für mich. Ich wagte den Schritt in die Selbstständigkeit – mit Geschichten über den Berg. Auf den Touren erlebe ich einzigartige Momente. Ich mag dieses Gefühl, exponiert zu sein und zu wissen: „Ich nehme nicht nur das Seil, sondern auch mein Leben selbst in der Hand.“ Es ist weniger Adrenalin als intensives Erleben.



Wie finanzieren Sie Ihre Reisen?

Ich arbeite selbstständig als freie Autorin und Journalistin, mein Mann ist Fotograf. Wir schreiben Geschichten für Magazine, Partner, die uns unterstützen, und andere Auftraggeber. Immer wieder setzen wir spezielle Projekte um, zum Beispiel begleiten wir den Alpinkader der Naturfreunde medial. Ein weiteres Standbein sind Vorträge über unsere Reisen und Abenteuer. Während unserer fünf Jahre, die wir ausschließlich in einem Wohnmobil lebten, waren die Fixkosten natürlich sehr überschaubar.

Wie kam es dazu?

Der Grund war simpel: Wir mussten aus unserer Wohnung ausziehen! Da traf uns ein Geistesblitz – und sechs Wochen später zogen wir in ­einen sechs Meter langen, ausgebauten Kastenwagen. Damit waren wir von 2019 bis 2024 vorwiegend im Alpenraum unterwegs. Diese Flexibilität war sowohl für den Beruf als auch für das Bergsteigen Gold wert. Bei gutem Wetter waren wir am liebsten auf Tour, ansonsten am Laptop. Wir reisten auch nach Norwegen und Marokko.



Lernten Sie Andi bei Ihren Touren kennen?

Ja, auf einer Berghütte bei uns in Oberösterreich. Nach einigen Jahren wurde uns klar, dass wir uns nicht nur am Berg, sondern auch im Tal sehr gut verstehen (lacht). Seit über zehn Jahren sind wir zusammen und haben 2024 auf dem Gipfel der Spitzmauer, unserem Herzensberg, geheiratet.

Wie gehen Sie mit alpinen Gefahren um?

Als Bergsteigerin akzeptiere ich ein gewisses ­Risiko. Ich versuche natürlich, es mit Erfahrung, Training und Können so gut es geht zu minimieren – und damit, immer wachsam zu sein. Besonders wichtig ist das Vertrauen zum Seilpartner. Mit Andi bin ich so eingespielt, dass wir uns fast blind verstehen – und uns somit auch an ganz große Bergtouren wagen können.

Hatten Sie auch einen unguten Seilpartner?

Ja, aber nur für eine einzige Tour. In meiner Schweiz-Zeit unternahm ich manche 4.000er-Touren mit Bergsteigern, die ich erst kurz davor übers Internet kennenlernte. Mein Partner schrieb mir vorab, wie erfahren er sei, doch am Gletscher konnte er nicht einmal seinen Knoten ins Seil binden. Heute zählt für mich viel mehr das "Mit wem" als das "Wohin".

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Über den Winter arbeite ich an einem Buch über eine 94-jährige Frau, die noch immer klettert und mit ihrer unglaublichen Lebensgeschichte viele Menschen inspirieren kann. Im Frühling sind wir wieder auf Vortragstour, und davor möchten wir den Oman kletternd erkunden. Bergsteigerisch habe ich im Alpenraum so viele Ziele und Träume im Kopf, da versteife ich mich nicht gerne auf eines – einfach los von der Haus- oder Bustür, wenn die Verhältnisse stimmen.

Nach fast 20 Jahren Erfahrung im Bergsteigen: Was bedeutet es Ihnen heute?

Ein Tag am Berg wirkt bei mir immer noch
Wunder – einfach raufkommen, um runterzukommen. Draußen in der Natur fühle ich mich wohl. Ich spüre mich und meinen Körper, kann dem Alltag entfliehen, ausatmen und frisches Leben einatmen.

Was würden Sie Hobby-Alpinist:innen raten?

Die wichtigste Entscheidung trifft man bereits zu Hause: Ziele suchen, die zu einem passen und Freude bereiten – mit den richtigen Wegbegleiter:innen. Für alles, was über das Wandern hinausgeht, bilden Ausbildungen die Basis.

Was lehrte Sie die Erfahrung am Berg?

Die Balance zu finden zwischen Mut und Demut. Wobei der Übermut meist nicht weit weg ist. Genau das ist das Spannende: den richtigen Weg zu finden – am Berg genauso wie im Tal. Denn eines steht fest: Mit Mut fangen die schönsten Geschichten an.

Zur Person

Marlies Czerny, geb. 1986 in OÖ. Lebt mit ihrem Mann Andi in Windischgarsten/OÖ.

Leben: Seit 2002 Bergsteigerin; (ich begann 2008 mit dem Wandern) staatl. Instruktorenaus-bildung für Hoch- und Skitouren; 2006-2017 Journalistin bei den OÖ Nachrichten; Schweizer Tageszeitung, seit 2017 freie Journalistin/Alpinautorin (4000erLeben, Biographie Peter Habeler „Mein nächster Berg); 2011–2017: alle 82 4.000er der Alpen bestiegen

Infos und Termine zum aktuellen Vortrag „Von Marokko bis Norwegen – Fünf Jahre auf vier Räder“ auf www.hochzwei.media