Augen der Nacht

Seit 1. Jänner hat der Kremser Notarzthubschrauber Christophorus 2 die Lizenz zur Lebensrettung in der Nacht.

Fast ein Jahr wurde trainiert. Am 1. Jänner war es soweit. Als erster Notarzthubschrauber Österreichs hat der am Flugplatz Gneixendorf bei Krems stationierte Hubschrauber die Lizenz zum primären Nachteinsatz bekommen – und schon der erste Einsatz am 3. Jänner war lebensrettend.

Lungeninfarkt im Gemeindegebiet von Schönberg am Kamp. Rasche Hilfe ist überlebenswichtig. Nach Überprüfung des Flugwetters gibt Pilot Günter Grassinger sein OK für den Rettungsflug.

Zehn Minuten später landet Christophorus 2 auf einer wenig befahrenen Landstraße in unmittelbarer Nähe des Notfallorts. Die Landestelle wird mit speziellen Blitzlichtern abgesichert. Der Patient wird in den Hubschrauber verladen. Nur 14 Minuten später übergibt die Christophorus-Crew den Mann an die St. Pöltener Krankenhausärzte. Mittlerweile befindet sich das Notfallopfer wieder auf dem Weg der Besserung. "Wir haben eine lange Testphase hinter uns, deswegen waren wir sehr gut vorbereitet. Alles ist reibungslos abgelaufen", sagt Grassinger. Er ist mit dem ersten Nachteinsatz zufrieden.

Passieren bei Dunkelheit lebensbedrohliche Verkehrsunfälle oder erkranken Personen schwer, dann ist besondere Eile geboten. Denn um eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten, sollte der Patient innerhalb von 60 Minuten (die sogenannte Goldene Stunde) in einer geeigneten Klinik versorgt werden. Der Einsatz der Night Vision Goggles (NVG) eröffnet dabei völlig neue Dimensionen in der Flugrettung.

Die auf Restlichtverstärkung basierenden Geräte bieten der Besatzung die Möglichkeit, auch bei vollständiger Dunkelheit Hindernisse wie Stromleitungen, Masten oder Windräder zu erkennen. Auch Wetteränderungen wie aufziehender Nebel oder Schlechtwetterfronten können frühzeitig erkannt und somit umflogen werden. Sogar bei einem Triebwerksausfall ist eine Landung ohne Risiken möglich. Neben der Ausrüstung mit Nachtsichtgeräten ist der Helikopter zusätzlich mit einem „Moving Map”-System ausgestattet werden. Dort werden tagesaktuell Daten eingepflegt, sodass die Piloten jederzeit auch über kurzfristig errichtete Hindernisse informiert sind.

Die Dunkelheit ist gerade über die kleine Gemeinde Sitzendorf bei Hollabrunn hereingebrochen, da hallt ein Schrei durch den nächtlichen Himmel. Am zweiten Sonntag im neuen Jahr stürzt ein achtjähriger Bub mit seiner Rodel bei seiner letzten Abfahrt. Schädel-Hirn-Trauma. Jetzt geht es um Minuten. Ein Notruf wird abgesetzt. Der Disponent in der Einsatzzentrale von Notruf Niederösterreich alarmiert Christophorus 2. Die Wetterverhältnisse erlauben den Nachteinsatz. Der Hubschrauber landet neben der Rodelbahn. Nach der Erstversorgung an der Unfallstelle wird der Schüler ins Krankenhaus St. Pölten geflogen. Er wird den Unfall ohne Folgen überstehen.

Ein ganz wesentlicher Bestandteil für einen erfolgreichen Nachteinsatz ist eine verlässliche Wetterinformation. Aus diesem Grund wurde in Kooperation mit Österreichs größtem privaten Wetterdienst UBIMET ein neuartiges Informationssystem entwickelt, welches es in dieser Form in Mitteleuropa noch nicht gibt. Spezielle Analyseverfahren erlaubten es bereits auch bisher – beinahe in Echtzeit –, die Wetterlage im Einsatzgebiet zu simulieren und den Piloten bereitzustellen. Für die ÖAMTC-Flugrettung kommt nun auch neueste Satelliten-Technologie zum Einsatz, die es ermöglicht, selbst bei Nacht Hochnebelfelder zu erkennen. Mit der zusätzlichen Einbindung eines genaueren Blitzortungssystems mit dreidimensionaler Erfassung von Blitzentladungen und der Registrierung auch schwacher elektrischer Entladungen in den Wolken sind zudem noch detailliertere und umfassendere Blitzinformationen verfügbar. Mit dem Weather Cockpit können die Christophorus-Piloten bei Bedarf auch unterwegs via Tablet rasch auf die aktuellsten Wetterdaten zugreifen. Dies ist vor allem wichtig, wenn der Hubschrauber zwischen mehreren Einsätzen nicht zum Stützpunkt zurückkehren kann.

"Nachtflüge sind schon eine gewaltige Umstellung zum bisherigen Fliegen. Alleine die Brille wiegt um die 700 Gramm, das geht schon ziemlich aufs Genick. Und auf Dauer ist es auch sehr anstrengend für die Augen", erzählt der C2-Stützpunktleiter Günter Grassinger aus der Praxis. "Da kann man durchaus Kopfweh bekommen. Wobei das bei uns nicht der Fall ist, da die Flüge ja nur maximal 30 Minuten dauern.“

Mit Goggles ist das Blickfeld eingeschränkter als beim "freien" Fliegen. Man muss daher ständig seine Umgebung scannen und von rechts nach links schauen. Noch eine weitere Herausforderung wartet auf das Gehirn. Die Brille liefert zweidimensionale Bilder, man hat kein Geschwindigkeitsempfinden und auch die Höheneinschätzung leidet. Das Gehirn rechnet allerdings die Verhältnisse in 3D um, weil es ja weiß, dass ein Baum zum Beispiel nur wenige Meter hoch ist.

Bei Dunkelheit zu fliegen, ist immer eine Herausforderung – auch mit moderner Technik. Durch die Nachtsichtbrille sieht vieles ganz anders aus als bei Tageslicht.

Cpt. Günter Grassinger,  Stützpunktleiter Christophorus 2

Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Besatzung, die eine Stunde unter NVG geflogen ist, die gleiche Belastung erfährt, als wäre sie bei Tag 2,3 Stunden geflogen. Grassinger: "Zum Glück sind wir ja bei einer Nachtschicht nicht dauernd in der Luft. Durchschnittlich fliegen wir einen Einsatz pro Nacht."

Drei Fragen an Reinhard Kraxner, den Chef der ÖAMTC-Flugrettung

— Seit 1. Jänner fliegt die Crew des Kremser Notarzthubschraubers Christophorus 2 auch in der Nacht Primäreinsätze, also Rettungsflüge, bei denen der Hubschrauber direkt beim Notfallort landet. Wie funktioniert der Betrieb?Reinhard Kraxner: Nach intensiver Vorbereitung über mehr als neun Monate mit vielen speziellen Schulungen für die gesamte Crew am Simulator, am Hubschrauber selbst und vielen logistischen Herausforderungen können wir sagen, dass der Betrieb bisher ohne Probleme angelaufen ist. Wir sind in einer für uns neuen Flugrettungs-Dimension angelangt. Die bisherigen Einsätze zeigen auch, dass der Bedarf für dieses zusätzliche Service gegeben ist. Viele Dinge werden bei Dunkelheit schwieriger, die Crews bewältigen diese neuen Aufgaben bisher hervorragend.

— Wie geht’s weiter? Gibt es Überlegungen, den Nachtbetrieb auch auf andere Standorte auszudehnen?

Reinhard Kraxner: Aufgrund der während der Nacht deutlich reduzierten Aktivitäten der Bevölkerung ereignen sich auch weniger Notfälle. Dadurch muss ein Primärrettungs-Netz in der Nacht nicht so dicht sein wie untertags. Wir gehen in unserer Abschätzung davon aus, dass mit sechs bis sieben Standorten in Österreich eine Flächendeckung für Nachteinsätze erreicht werden kann. Unser Probebetrieb in Krems erweckt in fast allen Bundesländern Interesse und man wartet natürlich auch auf die ersten Analysen und Ergebnisse des 24/7-Betriebes in Krems. Sollte sich der Probebetrieb in Krems bewähren, wird es danach sicher rasch zu weiteren 24/7-Standorten in Österreich kommen. Aufgrund der nachts größeren Einsatzradien wird dann auch die Kooperation zwischen den einzelnen Bundesländern wichtiger werden.

— Wenn ja, welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Ist der Christophorus Flugrettungsverein schon fit für einen flächendeckenden "Rund-um die Uhr"-Betrieb?

Reinhard Kraxner: Wenn sich weitere Bundesländer für einen 24/7-Betrieb entscheiden, braucht man pro Standort sicher sechs bis neun Monate Vorbereitungszeit, um die zusätzlich notwendigen Personalressourcen zu schaffen, die Infrastruktur zu adaptieren und die notwendigen Vorbereitungen (Schulungen etc.) abzuschließen.

Durchblick garantiert: halbjährlich zum Service

Die Wartung von Nachtsichtbrillen ist hochkomplex und braucht eine Genehmigung des US State Departments.

Bei Flügen während der Nachtstunden sind Nachtsichtbrillen (NVGs) ein unerlässliches Hilfsmittel für die ÖAMTC-Piloten. Doch diese Brillen sind Hightech-Geräte, die eine regelmäßige Pflege und Wartung benötigen, um optimal zu funktionieren. In der HeliAir gibt es nun vier eigens durch den amerikanischen Hersteller ausgebildete und zertifizierte Spezialisten für diese Präzisionsarbeit.

Ablauf. Schon bei der Beschaffung kommen diese erstmals ins Spiel. Beim sogenannten Eingangscheck wird nicht nur die Vollständigkeit aller Zubehörteile überprüft, sondern auch, ob die gelieferten Brillen einwandfrei funktionieren. Nach 180 Einsatztagen gehen dann die NVGs erneut durch die versierten Hände der Techniker. Die gesamte ­Wartung erfolgt gemäß einem Manual, in dem alle Schritte genau ­beschrieben sind.

Mechanik. Zunächst erfolgt ein rein mechanischer Check. Dabei wird die Brille auf fehlende Schrauben untersucht und auch die Leichtgängigkeit der optischen Einstellungsmöglichkeiten – Dioptrien und Scharfstellung – sowie des Mechanismus zur Augenabstands­einstellung wird überprüft. Darüber hinaus werden die Linsen mit einem Spezialmittel gereinigt. Danach geht es für die weitere Wartung in einen Dunkelraum.

Technik. Dort wird mithilfe ­eines speziellen Gerätes die Güte der Optik und der Restlichtverstärkung ausgetestet. Da die NVGs einem Alterungsprozess unterliegen, kann die Bildqualität abnehmen. Mit dem Testgerät ist es möglich, den Verstärkungsfaktor zu messen, der Auskunft darüber gibt, ob die Restlichtverstärker­röhren weiter verwendet werden können oder ersetzt werden müssen. Auch wenn die Linsen beschlagen oder die Röhren zu viele "black spots" oder "bright spots" aufweisen, ist ein Austausch unumgänglich. Bei der Überprüfung wird auch ganz genau darauf geachtet, dass die beiden Röhren zu hundert Prozent parallel ausgerichtet sind, denn nur so liefern sie ein perfektes Bild.

Energie. Damit die Restlichtverstärkung auch funktioniert, ist eine externe Stromver­sorgung nötig. Diese erfolgt durch ein "Battery Pack", das auf der Rückseite des Helms befestigt wird und gleichzeitig auch als Gegengewicht zu den relativ schweren Nachtsichtbrillen fungiert. Bei der Wartung wird darauf geachtet, dass die Halterung keine Risse aufweist und dass die Verkabelung, der Verriegelungsmechanismus sowie die Warnlampe funktionieren. Diese erinnert den Piloten daran, rechtzeitig auf die zweite Batterie umzuschalten.

Betrieb. Nach Beendigung der Wartung und umfassender Dokumentation werden die Brillen wieder in den Flug­betrieb eingeschleust. Der gesamte Ablauf wiederholt sich alle 180 Tage – ganz egal wie lange die Brillen tatsächlich im Einsatz waren.

Bewilligung. Da die Brillen weltweit vorwiegend im militärischen Bereich zum Einsatz kommen, war es nicht selbstverständlich, dass die HeliAir die Wartungsarbeiten eigenständig durchführen darf – dafür brauchen Unternehmen außerhalb der Vereinigten Staaten nämlich eine Autorisation vom US State Department.

Am Stützpunkt von Christophorus 2 am Flugplatz Gneixendorf bei Krems gibt es den ersten 24-Stunden-Betrieb eines Notarzthubschraubers in Österrreich.