Der Froschkönig
Selten zuvor war ein Modellwechsel ein derart harter Bruch. Fazit nach einem Jahr Dauertest der fünften Generation des Hybrid-Pioniers Toyota Prius.
Seit vielen Jahren zählt der Toyota Prius zum typischen Bild in den Innenstädten Europas. Was vor allem daran liegt, dass Taxi-Unternehmen heute seltener nach den Sternen greifen (bzw. Limousinen mit einem solchen auf der Motorhaube), sondern lieber eine Prius-Flotte unterhalten.
Die Gründe dafür sind nachvollziehbar: Der Hybrid-Japaner ist kaum anfällig für Pannen, im städtischen Bereich sehr sparsam, außerdem hat er viel Platz für Gepäck. Er ist – oder besser war – als wirtschaftliches Taxi demnach perfekt.
Seit zwei Jahren ist alles anders: Die Sache mit dem großen Kofferraum gilt nur für die Modelle bis 2023. Der aktuelle Prius hingegen ist als Taxi kaum mehr zu gebrauchen. Denn: Was bisher ein praktisches, optisch aber legendär langweiliges Auto war, ist vom Froschkönig zum schönen Prinzen mutiert. Toyota hat den Prius zum jüngsten Modellwechsel gänzlich neu gedacht und lässt ihn samt erstaunlich kräftiger Motorisierung nun als sportliche Limousine mit Coupé-Charakter vom Band laufen.
Die Verwandlung ist so eklatant, dass wir während unseres einjährigen Dauertests nicht nur von Kindern gefragt wurden, ob das ein neuer Sportwagen italienischer Herkunft sei. Aber hat sich diese durchaus riskante Entscheidung von Toyota ausgezahlt? Und ist der Prius noch immer alltagstauglich?
Die vergangenen vier Jahreszeiten, in denen unsere Test-Redaktion damit quer durch Europa fuhr, gibt Antworten.
Der Toyota Prius ist ein spannender Kompromiss aus zwei Welten.
Christoph Löger, Redakteur
Dauertest zwischen London und Monaco
Gleich vorweg: Die Themen Platzangebot und Kofferraum sollten sich auch während unserer Langstrecken-Touren als vielleicht größtes Problem des neuen Prius erweisen. Das Gepäckabteil ist mit nur 284 Litern Fassungsvermögen für längere Reisen nur dann geeignet, wenn man maximal zu dritt unterwegs ist und alle Passagiere beim Packen vorab Verzicht üben – vor allem, was große Reisekoffer angeht. Der Laderaum ist, dem Hybrid-Akku im Unterboden und der abfallenden Dachlinie geschuldet, nämlich sehr flach.
Diese Dach-Architektur ist auch der Grund, warum Großgewachsene trotz passabler Beinfreiheit auf der Rückbank nicht wirklich bequem reisen. Und auch vorne gilt: Der neue Prius ist überraschend niedrig gebaut. Menschen mit Rückenbeschwerden sind mit einer Einstiegshöhe konfrontiert, die an Supersportwagen erinnert, mit denen man in der Regel halt selten 1.000 Kilometer an einem Tag fährt.
Unterwegs
Wer mit diesen Einschränkungen leben kann, bekommt mit dem Prius aber ein hervorragendes und komfortables Langstrecken-Auto. Die einzige Motorisierung (Plug-in-Hybrid, 223 PS Systemleistung) hat in jeder Situation mehr Kraftreserven als notwendig, bleibt aber systemtypisch sparsam. Lädt man den Akku an der Steckdose voll auf, sind rund 60 Kilometer rein elektrisch möglich.
Auf unserer auto touring-Verbrauchsrunde genehmigte sich der Prius 3,4 Liter Benzin plus 7,5 kWh Strom für 100 Kilometer – ein wirklich respektabler Wert. Und selbst bei flottem Autobahn-Tempo kletterte der Spritkonsum kaum über die 7-Liter-Marke.
Schrullen & Skurriles
Toyota-typisch sind auch beim Prius die Assistenz-Systeme hyper-vorsichtig. Das betrifft vor allem die elektronischen Helferlein für den Querverkehr und das Einparken: In Lücken im Fließverkehr kann man sich kaum "flott einordnen", weil das Auto dann schlicht die Gas-Annahme verweigert (und zwar gleich zwei Sekunden lang).
Enges Längsparken mit wenigen Zentimetern Abstand nach vorne und hinten wiederum erlaubt der Prius gleich gar nicht, sondern bleibt laut piepsend stur stehen, selbst wenn das Manöver für geübte Lenker:innen kein Problem wäre.
Dazu passend: Wer wie der Autor dieser Zeilen ein Schulkind hat, das nach dem Einsteigen auf der Beifahrerseite gerne den Rucksack auf die Rückbank wirft, sei gewarnt. Der Sensor für die hintere Sitzbelegung mag dort nämlich selbst leichte Gewichte nicht und quittiert auch das mit – erraten! – hysterischem Gepiepse.
Innen & außen
Finaler ÖAMTC-Check
Zum Ende der Testzeit geht es wie üblich auf die Hebebühne der ÖAMTC-Techniker:innen, deren Augen kein Mangel entgeht. Wenig überraschende Diagnose nach einem intensiven Dauertest-Jahr: keine besonderen Vorkommnisse beim Toyota Prius. Auf den hinteren Bremsscheiben zeigt sich Flugrost, was wegen des selteneren Brems-Einsatzes bei elektrifizierten Autos aber normal ist.
Technische Daten
Unser Fazit
Das Risiko von Toyota, den erfolgreichen, aber bisher immer langweiligen Prius ganz neu zu positionieren, könnte sich auszahlen – sofern man Taxi-Unternehmen ausklammert.
Das Auto ist ein spannender Kompromiss aus zwei Welten. Auf der einen Seite das überraschend moderne Design samt Sportwagen-Chic, gepaart mit toller Langstrecken-Tauglichkeit, andererseits bleiben die klassischen "oldschool" Toyota-Meriten trotzdem erhalten: ausgereifte Hybrid-Technik mit wenig Verbrauch, völlig problemloses Fahrverhalten, dazu die legendäre Langlebigkeit (10 Jahre Garantie gewährt Toyota nicht aus Lust und Laune).
Was bei der Prius-(R)evolution vielleicht vergessen wurde, sind aber einige Punkte, wegen denen Konsument:innen das Auto bisher gekauft haben. Allen voran das Thema Platz: Speziell, was Rückbank und Kofferraum betrifft, dürfte sich die kreative Design-Abteilung in Japan nach dem internen Sieg über die strengen Kolleg:innen, die die Verkaufszahlen verantworten, vermutlich ein Extra-Stamperl Sake genehmigt haben.