ZAVARSKY_Selbstverteidigung_er054_CMS.jpg Erich Reismann
© Erich Reismann
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November 2023

Verteidige dich klug!

Irene Zavarsky, Trainerin für Selbstverteidigung und Kampfsport, verrät Tipps und Tricks für den Ernstfall und wie man Konflikten am besten ausweicht.

Los, schlag zu!" Die kleine, drahtige Lena (Name von der Redaktion geändert) baut sich in Schrittstellung vor mir auf. Die Handpratzen, handschuhartige Schutzpolster aus Leder, sehen an ihr überdimensional aus. Trotzdem ist mein erster Schlag wackelig und zaghaft. Einen anderen Menschen körperlich zu attackieren ist nicht einfach.

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"Trau dich", lacht meine Sparringpartnerin. Bis zu fünf Mal in der Woche trainiert Lena im Kampfsportstudio KaiGym. "Frauen haben oft Hemmungen", sagt Head Trainerin Irene Zavarsky, die neben uns steht. "Aber Aggression kann auch etwas Gutes sein. Sie gibt uns Kraft und Energie, wir kommen 'ins Tun'. Das ist wichtig für die Gegenwehr in Gefahrensituationen."

2017 gründete die promovierte Sozialwissenschaftlerin das Studio mit drei Partnern. Frauen können dort lernen, was sie präventiv tun können, um im Auto größtmögliche ­Sicherheit zu haben – oder sich gegen einen Angreifer zu wehren.

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Training mit "Handpratzen".

Schwachstellen attackieren

Wir trainieren Krav Maga, eine einfache Form der Selbstverteidigung, die vielfältige Stile nutzt. Das Prinzip ist klar und schnörkellos: Komm schnell und möglichst unbeschadet aus brenzligen Situationen. Bei einem ernsten Angriff ist es wichtig, entschlossen zu sein. Es geht dar­um, Schwachstellen im Gesicht wie Nase, Mund, Augen oder den Genitalbereich zu attackieren, um den Gegner zu bremsen.

Das klingt hart und ist effektiv. "Es gilt Zeit zu gewinnen, um weglaufen zu können", erklärt Zavarsky. Dies kann z.B. in einer ­Si­tuation, bei der man alleine in einem dunklen Parkhaus ist und angegriffen wird, die ­nötigen rettenden Sekunden bringen.

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Es kommt zu einem Überfall, z.B. in einem Parkhaus. Das Opfer wird gewürgt.
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Zuerst versuchen, die Würgebedrohung zu neutralisieren, und danach sofort …
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… die Verteidigung starten.

Irene Zavarsky zeigt eine Schlagkombination im Studio und stellt für uns auch einen fiktiven Angriff im Parkhaus am Weg zum Auto nach. Dabei verwendet sie eine Technik, mit der sie beim Gegner ein unangenehmes Gefühl erzeugt, um ihn dazu zu bringen, den Würgegriff zu lockern. In dieser gestellten Gefahrensituation ist es ein Druck oder Schlag auf den Kehlkopf.

Verhalten bei Angriff im Parkhaus (gestellte Szene)

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Wesentlich ist die ständige Übung solcher Kombinationen, um einen gewissen Automatismus zu erlangen. "Im Training gilt: langsam, aber präzise. Am Anfang geht es um die Genauigkeit und die Technik. In einer heiklen Situation, wo du gestresst bist und das Adrenalin einschießt, verlierst du 50 Prozent davon. Es ist wie beim Autofahren-Lernen: Am Anfang ist man mit den Regeln, dem Verkehr, der Fahrtechnik überfordert, da fährt man besser langsam", erklärt sie.

Eine Grundregel lautet: Suche nie bewusst die Auseinandersetzung, aber sei aufmerksam. Ein Beispiel: Auf einem Bahnsteig oder auf der Straße entwickelt sich ein Streit. Wichtig ist, hinzusehen und wahrzunehmen, was passiert. Auf keinen Fall wegdrehen, denn dann nimmt man sich wertvolle Reaktionszeit.

IMG_1196_CMS.jpg Lydia Silberknoll/auto touring © Lydia Silberknoll/auto touring
Hinter den Kulissen: Fotoshooting im Parkhaus.

"Achte darauf, Hände und Beine frei zu haben, um beweglich zu sein, zum Beispiel um zur Seite springen zu können", führt Zavars­ky aus. Intuition ist ein wichtiger Ratgeber: Bei einem unguten Gefühl lieber den Bahnsteig oder das Lokal verlassen und das nächste Taxi nehmen.

In Österreich war 2022 jede dritte Frau über 18 von körperlicher und/oder sexueller Gewalt außerhalb einer intimen Beziehung betroffen, das sind unglaubliche 1,1 Millionen Frauen. Hier können Schulungen in Selbstverteidigung und Durchsetzungskraft viel bewirken.

Konflikte vermeiden

Meist sind Übergriffe oder Konflikte nicht von langer Hand geplant und daher oft chaotisch, überraschend und unberechenbar.

Der klügste Krieger ist der, der niemals kämpfen muss.

Sunzi, Philosoph und Militärstratege vor 2500 Jahren

Es gelten keine Regeln. Selbst eine mit allen Wassern gewaschene Kämpferin, die alle Wettkämpfe gewinnt, hat gegen einen Gegner außerhalb ihrer Gewichtsklasse oder gegen eine Gruppe kaum eine Chance. Und natür­lich besteht immer Verletzungsgefahr. "Wir sind alle keine Geheimagentinnen im Dienst", lacht Lena.

Sie muss es wissen, schließlich kommt sie seit zwei Jahren ins Studio. Lena erzählt später offen, dass sie früh Missbrauch erfahren hat, Scham verspürte und sich nicht zu wehren wusste. "Es hat sich viel verändert. Mein Selbst­bewusstsein ist gewachsen. Ich erlaube mir, meine Wut zu spüren. Meine Stimme ist lauter geworden und ich traue mich inzwischen zuzuschlagen. Das ist ein wichtiger Prozess, den ich hier im geschützten Rahmen lernte."

Es geht darum, wenige Sekunden zu gewinnen, die das Weglaufen ermöglichen.

Irene Zavarsky, Selbstverteidigungs-Instruktorin

Einfache Sicherheitsnetze

Zavarsky empfiehlt, einfache Sicherheitsnetze zu bauen. So ist es klug, in einer dunklen Straße die Freundin anzurufen oder schon im Vorhinein eine Notfallnummer einzutippen.

Bei einem Übergriff ist schreien sinnvoll. "Aber bitte nicht einfach losbrüllen, das wird oft nicht ernst genommen. Gut sind kurze, knappe Kommandos: 'Gehen Sie weg! Lassen Sie mich in Ruhe!' Immer per Sie, das zeigt Menschen in der Nähe, dass die Situation kein Spaß ist", empfiehlt die Trainerin.

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In heiklen Situationen hilft Selbstverteidigungstraining.

Grundsätzlich heißt die Devise Deeskalation. Nimmt jemand im Straßenverkehr die Vorfahrt, zeigt den Finger oder drängelt: "So what, dann bin ich eben eine Autolänge weiter hinten", sagt Zavarsky und weiß: "Oft ist die vermutete Aggression beim Gegenüber höher als die tatsächliche."

Sich bei ernsteren Vorfällen Gesichter, Kleidung, Nummernschilder zu merken und zur Polizei zu gehen, ist eine unbedingte Empfehlung der engagierten Frauenunterstützerin. Wer sich ärgert, soll Erlebtes auch lieber einer Freundin erzählen oder 30 Minuten Sandsacktraining machen. "Es ist gut zu wissen, wo ich meine Wut aus­lebe, bitte nie im Straßenverkehr."

Der Vorteil des Autos, so die Selbstverteidigungsexpertin, ist die Schutzhülle. "Ich kann mir Raum nehmen und bin schnell weg", meint sie. "Außerdem lässt sich die Tür verriegeln." Auch mit dem Motorrad kann man abhauen.

"Es geht immer um Kommunikation"

"Meine Jobs ergänzen einander", findet Zavarsky. So ließen sich die Prinzipien aus dem Kampfsport für Verhandlungen nutzen und bei Konflikten in Unternehmen anwenden: "In jedem Konflikt, ob im Büro oder in der Freizeit, auf der Matte oder auch auf gesellschaftlicher Ebene, geht es um Kommunikation. Im Kampfsport trainiere ich gute Beinarbeit und eine stabile Basis. Wenn ich das in die Kommunikation übersetze: eine gute Verhandlungsposition braucht eine inhaltlich stabile Argumentation, auf die ich mich stützen kann. Auf diese Weise bringt einen so schnell nichts aus dem Gleichgewicht."

Trainingsbeispiel im Gym

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Auf dem T-Shirt von Irene Zavarsky prangt der Slogan des KaiGym: Be your hero – sei deine eigene Heldin, dein eigener Held. "Selbstverteidigung und Kampfkunst sind wie eine Rückversicherung, auf die man bei Bedarf zugreifen kann. Und man lernt viel für und über sich selbst", findet sie.

Selbstverteidigung gibt Sicherheit und Selbstbewusstsein – und macht richtig Spaß.

Workshop: "Selbstverteidigung für Frauen": 9./10. März 2024 (Internationaler Frauentag am 8.3.).

www.kaigym.at

IMG_5794_CMS.jpg Birgit Schaller © Birgit Schaller
Redakteurin Birgit Schaller mit Irene Zavarsky beim Training.

Starke Tipps für Sie

  • Achtsam sein, auf die Intuition achten! Geschehnisse im Umfeld im Blick be­halten, um sofort reagieren zu können.
  • Schreien ist gut, knappe Kommandos sind besser! Bei Gefahr laute, kurze Sätze wiederholen, immer per Sie: "Gehen Sie weg! Lassen Sie uns in Ruhe!"
  • Auseinandersetzungen vermeiden! Wichtige Methoden der Selbstverteidigung sind Rückzug und Deeskalation. 
  • Schlagkraftverstärker nutzen. Im Ernstfall den Autoschlüssel in die Hand nehmen und eine Faust darum bilden. Keinesfalls Schlüssel zwischen die Finger stecken, das kann zu schweren Verletzungen der eigenen Hand führen.
ZAVARSKY_Selbstverteidigung_er112_CMS.jpg Erich Reismann

Zur Person

Irene Zavarsky entdeckte vor 20 Jahren die Selbstverteidigung. Mit drei Partnern gründete sie 2017 das KaiGym, ein Studio für Kampfsport und Kampfkunst, ist Geschäftsführerin und Head Trainerin. Sie ist außerdem Doktorin der Politikwissenschaften, Beraterin für Führungskräfte und in der Organisationsentwicklung tätig. Die Frau "mit dem Überblick" besitzt einen Schwarzgurt im philippinischen Messerkampf Kali Knife, einen Braungurt in der Kampfkunst Panantukan und einen blauen Gurt im brasilianischen Grappling Luta Livre. Als Allrounderin ist die 44-Jährige u.a. Instruktorin für diverse Martial Arts wie auch Expert Instructor des Selbstverteidigungssystems Krav Maga.

Weitere Angebote zur Selbstverteidigung in Österreich

Doch nicht nur in Wien gibt es die Möglichkeit Selbstverteidigungskurse zu besuchen. Wir haben noch ein paar weitere Tipps in den Bundesländern. Hier können Sie sich über Selbstverteidigung informieren und Kurse buchen: 

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