Harley dämmert's

Nach der vollelektrischen LiveWire bringt Harley Davidson nun ein Reise-Eisen auf den Markt: die Pan America. Kann gut sein, dass die Hochbeinige der Tiefsitzer-Kultmarke den Weg ins Morgen ebnet.

Wie lautet die beliebteste reflex­artig intonierte Killerphrase Alteingesessener, wenn unter Umständen eine Veränderung vor der noch geschlossenen Türe steht? "Das haben wir immer schon so gemacht." Dreimal Hurra und ein Yippieyeah hinterher – so wird das nix mit zukunftsfit, modern und begehrt.

Und nun sitze ich auf der rund 19.000 Euro teuren Pan America von Harley-Davidson und denke mir einfach nur: Wow, was für ein Manöver. Dass eine Firma, die beinahe ihr ganzes Leben lang auf Cruiser, Chopper, Chrom und Riemenantrieb gesetzt hat, auf Anhieb eine derart gute Reise-Enduro auf die Räder stellen kann, ist schon gewaltig.

Wenn ich mir außerdem eine persönliche Randnotiz erlauben darf: Dass die Company mit der Pan America auch optisch gleich ein derart einprägsames Statement setzt, finde ich wunderbar. Man kann sie schön finden, man kann sich vor Grauen abwenden, aber man kann sie nicht nicht erkennen. Wer ihrer ansichtig wird, weiß sofort: Harley.

Mission erfüllt, täte ich meinen (zumindest aus Sicht der Marketingabteilung). 

Ich bin ehrlich überrascht – und angetan. Die Pan America hat einen kräftigen drehfreudigen 60°-V2-Motor (mit 152 PS ist es der bisher stärkste in der Geschichte von Harley-Davidson), verfügt über ein gut abgestimmtes Fahrwerk, das uns vom ersten Meter an Vertrauen bis in tiefe Schräglagen hinein vermittelt, ein serienmäßiges Touchscreen-Display und praktische Details (leicht verstellbare Windschutzscheibe, ebenso simple Sitzhöhenverstellung); mit anderen Worten: eine absolut überlegenswerte Alternative zu BMW R1250 GS, Honda Africa Twin, KTM Super Adventure und Triumph Tiger 1200.

Nun ist es nicht so, dass sie dieser Konkurrenz auf und davon fährt, aber mit Anstand behaupten und auf Augenhöhe mitfahren, das geht sich schon aus.

Auch cool: Sie bewahrt sich dabei sogar noch ein Stück Unverwechselbarkeit – sowohl optisch, dank des Glasziegel-ähnlichen Frontscheinwerfers, als auch charakterlich.

Ja, da und dort fehlt ihr spürbar noch der Feinschliff. Ein breiterer Lenker etwa würde das Handling ein wenig verbessern. Der simple Revolvergriff-Mechanismus zur Höhenverstellung der Windschutzscheibe ist zwar auch während der Fahrt gut bedienbar, aber so richtig ruckfrei geht das Ganze nie vonstatten.

Auch bei der Wahl der Schrift­größen im Display könnte noch nachgebessert werden: Mittig sind Buchstaben und Ziffern groß genug und jederzeit gut ablesbar, am Rand hingegen (Tageskilometer) sind sie klein und benötigen mehr Aufmerksamkeit als notwendig.

Und: Der Motor mag innerstädtisches Bummeln nicht so recht, bei vorschriftsmäßiger Wahl der Geschwindigkeit wähnt man sich stets im falschen Gang (was uns wiederum ein wenig an KTM-Motoren älterer Bauart erinnert).

Detailverliebte Amerikaner

Was es noch zu sagen gibt

Von der Pan America sind gewissermaßen zwei Versionen im Umlauf – die Basisvariante (mit HD-Initialen am Tank), die uns als Testmotorrad zur Verfügung stand und vom Stand weg vergnügte, sowie eine Special-Variante (erkennbar am großflächig aufgetragenen Wappen-Logo am Tank).

Die Special kostet fair be­messene 2.700 Euro mehr, verfügt dafür aber auch über mehr Ausstattung, unter anderem ein semi-aktives Fahrwerk, Hauptständer, Heizgriffe, Motorschutz etc. 

Cruiser und Chopper hätten die Company nicht am Leben erhalten. Neues musste her – die Pan America. Sie ist das richtige Eisen zur richtigen Zeit. Vermutlich.

Alexander Fischer, Redakteur

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