Das Ende des "Dusika"

Es war einmal ein Radstadion mit gewaltiger Holzbahn und respekteinflößenden Steilkurven. Aber: Es war einmal. Wehmütige Erinnerungen von Martin Granadia.

Wer dieser Tage den Handelskai in Wien entlang fährt, wird nicht drum herumkommen, die offenen Flanken des Ferry Dusika Stadions zu bemerken. Hinter einem hohen Bauzaun brechen Baumaschinen nach und nach und Stück für Stück ein Gebäude auseinander, das für den einen vielleicht immer nur ein seltsames, silbernes Ufo am Straßenrand war, für viele andere aber ein wesentlicher Ort, an dem über Jahrzehnte Sport betrieben wurde und auch der Lebenslauf so mancher Sportlerin oder Sportler geprägt wurde (und damit auch Teile der österreichischen Sportgeschichte).

Doch auch für Hobby- und Freizeitsportlerinnen und -sportler war das Dusika-Stadion ein Refugium der besonderen Art. Während sich einem Außenstehenden kaum erschließen konnte, was die Faszination des Bahnradfahrens ausmachte, war den "Wissenden" die Besonderheit immer klar.

Auch wenn die Rahmenbedingungen nicht die einladendsten waren: Die Schönheit des Amalgams aus abgestandener heißer Luft, Sportstätten-Mief und der Patina vergangener Zeiten musste man sich erst erarbeiten. Die Spinde und Aufbewahrungsmöglichkeiten für Räder hatten den Charme einer Gepäckaufbewahrungshalle, die an anderen Stellen schon vor Jahrzehnten abgerissen worden wäre. Und die Duschen, naja...

Aber jede und jeder, die im Dusika ihre Runden abspulten, wussten und schätzten zu einem gewissen Grad diese Umgebung. Schließlich war sie Teil eines Gesamterlebnisses – einer Geschwindigkeit, einer Zentrifuge, einer Direktheit und auch Intensität eines Sports, den andere mit gemütlichem Dahinrollen auf der Donauinsel assoziieren.

Im Innenfeld reihten sich auf unbequemen Plastikstühlen jene auf, die gerade von ein paar Runden auf der Bahn heruntergerollt waren. Kein Vergleich zu stundenlangen Fahrten auf der Straße oder am Donauradweg, um die Grundlagenausdauer zu verbessern.

Martin Granadia, Fahrrad-Blogger

Und dann war da natürlich noch der soziale Aspekt

Im Innenfeld reihten sich auf unbequemen Plastikstühlen jene auf, die gerade von ein paar Runden auf der Bahn heruntergerollt waren. Um zu trinken, durchzuschnaufen, über Räder und Technik fachzusimpeln oder das nächste Event zu besprechen. Kein Vergleich zu stundenlangen Fahrten auf der Straße oder am Donauradweg, um die Grundlagenausdauer zu verbessern.

Das Stadion

Das Dusika-Stadion in seiner bekannten Form wurde 1977 eröffnet und war bis zur endgültigen Sperre Anfang August 2021 die einzige Radbahn Österreichs. Und wer an dieser Stelle nur an Radfahren und Leichtahtletik denkt, wird überrascht sein, dass im Dusika-Stadion eine Handball-B-WM (1977), eine Volleyball-EM (1999), eine Judo-EM (2010), eine Short Track WM (2009), Leichtathletik EM (2002) und sechs Mal der Tennis Davis Cup (hier geht's zum legendären Duell Horst Skoff gegen Mats Wilander) ausgetragen wurden.

Außerdem findet man auf YouTube noch Videos, in denen Motocross-Maschinen in dicken, benzingeschwängerten Rauchschwaden durchs Stadion springen. Eine Rad-WM hat es natürlich auch gegeben (1987, gemeinsam mit Villach), bei denen die Stars der damaligen Zeit einander die Klinke in die Hand gegeben haben.

Die österreichische Hochzeit des Bahnradsports verbinden die meisten wohl mit Roland Königshofer und seinem Pacemaker Karl Igl, die bis Anfang der 90er-Jahre ihre Runden drehten und dank TV-Berichten und -Übertragungen auch einem breiteren Publikum bekannt waren. Von 1997 bis 1999 wurde das Stadion saniert, seitdem stand es in seiner vollen Pracht im 2. Wiener Gemeindebezirk.

2015 kam dann das Dusika erneut in die Schlagzeilen, als es für eine Zeit lang als Flüchtlings-Notquartier diente.

Laut der Historikerkommission war Dusika NSDAP- und SA-Mitglied, er verbreitete in seiner Radsportzeitschrift "Ostmark-Radsport" nationalsozialistisches Gedankengut und erhielt im Jahr 1939 ein arisiertes Fahrradgeschäft in Wien.

Martin Granadia, Fahrrad-Blogger

Ferry Dusika – Namensgeber mit nationalsozialistischer Vergangenheit

Franz "Ferry" Dusika war der erfolgreichste österreichische Radsportler in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, errang mehrere internationale Titel und förderte den österreichischen Radsport an vielen Stellen. Das Radstadion wurde im Jahr 1984 (nach seinem Tod) nach ihm benannt.

Von 2011 bis 2013 untersuchte eine Historikerkommission im Auftrag der Stadt Wien die historische Bedeutung der Namensgeber vieler Wiener Straßennamen und stieß bei der Dusikagasse (im 22. Bezirk) auf die Aktivitäten Dusikas während der NS-Zeit. Laut Kommission war Dusika demnach NSDAP- und SA-Mitglied, verbreitete in seiner Radsportzeitschrift "Ostmark-Radsport" nationalsozialistisches Gedankengut und im Jahr 1939 erhielt er ein arisiertes Fahrradgeschäft in Wien.

In den 50er-Jahren wurden alle Verfahren gegen Dusika eingestellt oder verworfen. Auch die von vielen geforderte Umbenennung sowohl der Straße als auch des Stadions wurde zwar diskutiert, letztlich aber nicht weiterverfolgt. Jedenfalls kein Ruhmesblatt im Sinne einer sauberen Aufarbeitung der Geschichte.

Bahnradsport

Der Bahnradsport gilt im Allgemeinen als Startpunkt einer Radkarriere. Hat jemand das Ziel, im Kinder- und Jugendalter eine sportliche (Rad-)Laufbahn einzuschlagen, ist das Fahren und Trainieren auf der Bahn der ideale Eintritt. Nationen, deren Strategien auf Jugend- und Bahnförderung setzen, haben in den letzten Jahren auf diese Weise große Erfolge erzielt. Großbritannien ist dafür ein gutes Beispiel.

Der umfassende Radboom der letzten Jahre hat den Bahnradsport jedoch auch für die Allgemeinheit wieder in den Fokus gerückt. In Wien war es rund um 2016/17, als plötzlich Leute Bahnräder kauften, Schnupperkurse aus dem Boden sprießten und eine Trainingslizenz nach der anderen gelöst wurde.

Der Reiz des Bahnfahrens – die Geschwindigkeit, die Zentrifugalkraft, die kompakte Intensität –, all das waren Dinge, die gut zur erlebnissuchenden Gruppe von Radlerinnen und Radlern gepasst und die im Dusika-Stadion ein zweites Zuhause gefunden haben. Die Alteingesessenen waren anfangs vielleicht etwas verstört ob der Schar an Radler/-innen, die da in ihr Allerheiligstes vordrangen, aber auch denen wurde recht schnell klar, dass ein allgemeiner Aufschwung des Bahnradsports auch ihnen zugute kommen würde.

Dementsprechend war die logische Konsequenz, entsprechende Events und Rennen anzubieten. Bezeichnenderweise ging die Initiative zu den großartigen "Bahn-o-rama"-Trainingsrennen dann von drei Privatpersonen aus – und nicht vom Verband oder anderer "offizieller" Seite. Die vielfältigen Rennformate, 6 bis 7 Termine pro Saison und auch zahlreiche Nachwuchsrennen waren eine willkommene Bühne und Spielwiese.

Außerdem gab es noch die Österreichischen Staatsmeisterschaften (im Frühjahr und Herbst) sowie den Grand Prix Vienna – Österreichs einziges verbliebenes internationales Rennen auf der Bahn.

Diese Veranstaltungen fanden jedoch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Von den maximal rund 5.500 Sitzplätzen im Dusika waren im Schnitt rund 30 bis 40 belegt – Gruppen, Schulklassen oder dergleichen hätte man dort vergeblich gesucht. Allerdings hat der Lärm, den 30 klatschende und grölende Zuschauer verursachten, immer eine leise Vorahnung darauf erlaubt, wie es hier wohl mit einer vollen Halle klingen würde…

Dabei ist es ja nicht so, dass der Bahnradsport kein Zuschauermagnet wäre. Die Six Days-Serie, die seit Jahren erfolgreich durch Europa tourt und dort eine Halle nach der anderen füllt, macht es vor. Kompaktes und kurzweiliges Renngeschehen, alles an einem Ort, gutes Entertainment (auch wenn man vielleicht mal nicht alles vom Rennen mitbekommt) und eine gute Show von tollen Rennfahrerinnen und Rennfahrern.

Andi Graf und Andi Müller ("die Andis") sowie Stefan Matzner und Stefan Mastaller ("die Stefans") haben auch gezeigt, dass österreichische Fahrer vorne mitfahren können. Starke Einzelleistungen gibt es außerdem nach wie vor am laufenden Band – von Verena Eberhardt, Felix Ritzinger, Daniel Auer, Alex Hajek und Tim Wafler, der mittlerweile schon mehr Staatsmeistertitel auf der Bahn als Lenze zählen kann.

Tatsächlich haben alle Beteiligten über Jahrzehnte versäumt, ihren Beitrag zu leisten, damit der (Bahn-)Radsport am Leben bleibt oder gefördert wird.

Martin Granadia, Fahrrad-Blogger

ÖRV, LRV, WSB

Der Radsportverband hat das nie ummünzen oder verwerten können. Tatsache ist auch, dass die Konstellation von Österreichischem Radsportverband (ÖRV), Wiener Landesradsportverband (LRV) und Wiener Sportstätten Betriebsgesellschaft (WSB) immer eine komplizierte war, ein professionelles Sportstättenmanagement war eher nicht in Sicht.

Den Schuldigen zu suchen, wenn es jetzt an den Abriss des "Dusika" und damit um den Wegfall der einzigen Radbahn Österreichs geht, ist natürlich im Nachhinein immer einfacher... Tatsächlich haben eher alle Beteiligten über Jahrzehnte versäumt, ihren Beitrag zu leisten, damit der (Bahn-)Radsport am Leben bleibt oder gefördert wird.

Einzelne Akteure haben da sehr wohl ihre Zeit und Ressourcen in den Dienst der Sache gestellt und in ihrer Freizeit Kinder trainiert, sich auf eigene Kosten in Abenteuer gestürzt oder sich in der öffentlichen Diskussion exponiert, in der Hoffnung, etwas bewegen zu können. Nur sind derartige private Initiativen zwar schön und gut, lösen aber in den seltensten Fällen grundlegende strukturelle Probleme.

Im Nachhinein gibt es viele Dinge, die man vorher hätte anders oder besser machen können. Der ÖRV hätte seine Büro- und Lageräumlichkeiten ins Dusika-Stadion verlegen können, dann wäre schon mal mehr Leben hineingekommen. Die Trainingszeiten hätten "kundenfreundlicher" gestaltet werden können – stattdessen hat man den entgegengesetzten Weg gewählt und die Öffnungszeiten gekürzt, sodass Nutzer/-innen fernblieben und man sich danach darüber mokieren konnte, "dass eh keiner auf der Bahn fährt".

Man hätte die Spinde in den Garderoben zur längerfristigen Nutzung freigeben können, anstelle sie jeden Abend räumen zu müssen. Man hätte Events besser bewerben können und so weiter und so fort.

Und natürlich kann hier auch nicht unerwähnt bleiben, dass durch Corona und die damit verbundenen Ein- und Beschränkungen über mehrere Monate der Jahre 2020 und 2021 kein Zugang zur Halle vorgesehen war und damit natürlich auch der Bezug zur Halle und dem darin betriebenen Sport abebbte.

"Dann geht's doch woanders hin!"

… würde der gelernte Wiener an dieser Stelle einwerfen. Tatsächlich gibt es in Oberösterreich seit mehreren Jahren Initiativen und seit Sommer auch einen konkreten Plan, eine Radbahn zu errichten. Allerdings wird diese nur bedingt mit dem Dusika-Stadion vergleichbar sein, fehlt doch in Linz noch ein Dach oder ein konkretes Konzept für die Nutzung und vor allem auch Wettkämpfe.

Innerhalb von Wien gibt es zwar ein loses Bekenntnis, einen Ersatz schaffen zu wollen, konkrete Pläne dafür sind jedoch keine bekannt. Auch das Stadtentwicklungsgebiet Aspern (im Nordosten Wiens) wird immer wieder einmal als möglicher Standort genannt. Die "Bahnorama"-Trainingsrennen waren auch von slowakischen und tschechischen Vereinen und (vor allem Nachwuchs-)Fahrern/-innen gut besucht.

Dort schätze man die Möglichkeit einer entsprechenden Infrastruktur in Wien gepaart mit der Möglichkeit, sich dort unter halbwegs Rennbedingungen zu messen. Nach dem Abriss des Dusika-Stadions wäre die Radbahn in Brünn die nächstgelegene – eine Freiluftbahn, wobei auch dort ein Neubau diskutiert wird.

Jeder, der schon einmal den Wind gespürt hat, der durch das im Kreis fahrende Feld erzeugt wird, wird mit einem weinenden Auge dastehen.

Martin Granadia, Fahrrad-Blogger

Was bleibt?

Jeder, der schon einmal den Wind gespürt hat, der durch das im Kreis fahrende Feld erzeugt wird und der die ganze Halle in Bewegung versetzt, wird mit einem weinenden Auge dastehen. Auch wenn der Bahnradsport auf Außenstehende wie ein "Orchideenfach" wirkt, ist er doch Grundlage für spätere Leistungen von Radsportlerinnen und Radsportlern.

Diesem Sport – Radfahren ist übrigens der am meisten betriebene Sport in Österreich – eine derart wichtige Grundlage zu entziehen ist für viele Hobbysportler traurig, für die Zukunft des Radsports in Österreich allerdings ein reales Problem. In einem Jahr, in dem Anna Kiesenhofer den Olympiasieg im Radrennen errungen, Patrick Konrad eine Tour de France-Etappe gewonnen und Mona Mitterwallner alle (!) Rennen des U23-XC-Mountainbike-Weltcups dominiert haben, wäre ein anderes Signal wünschenswert.

Abschließender Exkurs: die roten Sessel

Zum Schluss noch eine Video-Kollektion


POV: Trainingsfahrt auf der Holzbahn, Quelle: Thomas Gugler
Stimmungsvoller Rundgang im teilweise bereits demontierten Dusika, Quelle: Moritz Urbex
auto touring fährt: Bahnrad (ein Selbstversuch)
Leichtathletik-Wettkämpfe, Archivmaterial vom ORF, Quelle: hosls blog

Das Ende naht

Dieses Bild stammt vom 22.12.2021. Man sieht: Vom Dusika existiert im Wesentlichen nur mehr das Gerippe. Das Urban Mining, das Herauslösen wiederverwendbarer Rohstoffe aus der alten Bausubstanz, wurde bereits vor Wochen abgeschlossen, Bagger erledigen nun den Rest.  

Zum Autor

Martin Granadia liebt und lebt Radfahren in allen Variationen und schreibt darüber regelmäßig in seinem Blog 169k.net. Er ist auf Rennrad, Gravel-Bike, Mountainbike oder als Zeitfahrer unterwegs und dabei kommen Genuss und Fotos der Landschaft nicht zu kurz. Ehrgeiz befällt ihn in seltenen Fällen, dann stellt er sich auch einmal an die Startlinie eines Rennens. Neue Routen und unbekannte Wege stellen für Martin einen wesentlichen Bestandteil des Radfahrens dar, schließlich ist das Rad das ideale Fortbewegungsmittel, um Gegenden und Orte zu erkunden. Er lebt in Wien.