Mein Weinviertel

Hier bin ich geboren, hier lebe ich, hier fühle ich mich wohl. Panorama-Perspektive auf die berebten Hügel des ehemaligen Heckenklescher-Clusters.

Als ich das erste Mal hier war, waren die Siebziger bereits im Abgang. Man könnte auch sagen: Während das 8. Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sich anschickte, seine letzten Atemzüge zu machen, machte ich hier im Weinviertel meine ersten.

Damals freilich war der Wiener Stadtrand nördlich der Donau ein spärlich besiedeltes Gebiet, soll heißen: Viel Gstätten, wenig Stadt, einige Einheimische, ein paar Aussteiger, das war's. Vom heute bekannten Speckgürtel war noch lange nicht die Rede, denn erst mit der zweiten Donauregulierung kam der Wandel vom preiswerten Überschwemmungsgebiet hin zum überteuerten Wohngebiet.

Aber: Diese Gegend war prägend. Denn das, was ich da als Kind an Natur am Stadtrand vorfand, suchte ich später als Erwachsener für meine Kinder – und wurde wieder im Weinviertel fündig, nur schon ein Stück weiter drinnen im Landesinneren.

Dies hier, liebe Leser, ist ein Stück Persönlichkeit, ein Stück meiner Persönlichkeit, meines Habitats, das ich so sehr mag. Ich werde hier jedoch weder Gastrotipps servieren noch einen Winzer-Wink kredenzen, denn die inhaltlichen Grenzen meiner an sich grenzenlosen Begeisterung für das Weinviertel konzentrieren sich wortwörtlich auf die natürlichen Begebenheiten jener Region, die links der Brünner Straße und rechts des Waldviertels liegt – oder etwas schnulziger formuliert: "Oh du mein Oberleis, mein Hollabrunn, mein Wagram, mein Laa an der Thaya, mein Naglern, oh du mein sanfthügeliger, horizontreicher, oft besuchter Hort ewiger Sehnsucht."

Das Weinviertel, wie man es kennt

Mein Weinviertel

Mein Weinviertel, das ist nicht die klassisch touristisch-stille Kellergassen-Idylle – obwohl ich die schon auch schön finde.

Das ist nicht die Reben hochleben lassende Glückseligkeit – obwohl ich die gelegentlich auch gut finde.

Das sind nicht die ach so pittoresken Burgen und Schlösser und Kirchen und Klöster und sonstigen Bauwerke klerikaler und feudaler Herrschaften – obwohl ich die auch reizvoll finde.

Mein Weinviertel ist ähnlich – aber doch anders. Denn ich mag eher das Karge und Raue, auf das ich gern und immer wieder schaue, vor allem in der kalten Jahreszeit. Ich mag aber auch das Schlichte, Sanfte und Softe, das mein Blick findet, so oft ich ihn in Monaten ohne R übers Weinviertel schweifen lasse. Ich mag die wogenden Felder voller Getreide und die Gärten mit ihren makellos gezogenen Reihen voll Reben, mag den Regen und wenn trockene Lehmböden zu gatschig-rutschigen Wegen werden.

Ich mag ja prinzipiell eher das Herbe, nicht das Lieblich-Warme. Mag lieber Bitter- anstatt Vollmilch-Schokolade. Mag das schon erwähnte Schlichte lieber als das Pompöse, mag die Ruhe viel eher als das Getöse. Ich mag den Weitblick – und dass ich dafür meist nur einen Hügel gemütlich hinauf schlendern muss.

Kritikmodus an: So ohne echte Höhen und ohne Tiefen könnte man dieses Konglomerat an Hügeln und die Ideen von Tälern natürlich auch als banal langweilige Landschaft beschreiben. Man könnte das Fehlen touristischer Hotspots bemängeln und darüber quengeln, dass der vierspurige Autobahnausbau schon weit vor der Grenze endet. Könnte. Muss man aber nicht. Man kann das alles auch unfassbar wundervoll finden. So wie ich.

Mein Weinviertel, mein Wilderlebnis

Mein Weinviertel, das sind Erinnerungen an in freier Natur beobachtbares, unbeschwert vor sich hin äsendes Wild. An Herden von Rehen und einzeln herumhoppelnde Hasen, für die, nur um sie aus der Nähe sehen zu können, schon ein kleiner – Achtung Wortspiel – Feldstecher reicht. Mein Weinviertel, das sind diese weiten sanften Hügelgruppen mit ihren Wiesen und Feldern und Wäldern, die, jahreszeitlich determiniert, farblich ganz unterschiedlich invasiert sind.

Mein Weinviertel, mein Wadelerlebnis

Mein Weinviertel, mein Weinerlebnis

Doch, doch, Weinerlebnisse die gibt's schon auch bei mir. Beispielsweise erinnere ich mich gerne an jene Momente zurück, als der Opa voll Vorfreude beschloss, einem neuen Doppler zu Leibe zu rücken. Wie er sein silber glänzendes Taschenmesser aus dem Hosensack zückte und den weggespreizten Korkenzieher dem Flaschenhals ins Innerste drückte. Wie die beiden Bauchigen ihre Rundungen zunächst noch bockig gegeneinander stemmten, um schlussendlich doch in friedlicher Koexistenz zu enden – das war schon ein Schauspiel.

Nur eines konnte der Opa partout nicht leiden: bröckelnde Korken. Die waren ihm genauso zuwider wie der resche Heckenklescher. Opa mochte den Weißen trocken, kräftig und kalt, so war er halt.

Mein Weinviertel, mein Augenschmaus

Abschließend ein lautes Shoutout an unseren Fotografen Erich Reismann, der, selbst im Weinviertel wohnend, den Hauptteil der Bildlast dieses Artikels beigesteuert hat – herzlichen Dank.