Der Rekord-Meister aus Oberösterreich

Teil 3 unserer Serie "Autoland Österreich": Wir besuchen Raimund Baumschlager, den erfolgreichsten Rallye-Piloten des Landes, und versuchen ihm die Angst vorm Autofahren zu nehmen.

Das Garstnertal im südlichen Oberösterreich, 1980. Raimund Baumschlager ist 21 Jahre alt, als die Eltern sterben. Er hat eine Freundin, bis auf einen minderjährigen Bruder keine Verwandtschaft und vom Vater nicht nur den Spitznamen "Mundl", sondern auch 700.000 Schilling Schulden geerbt. Der junge Betriebsschlosser und Holzknecht aus einfachen Verhältnissen ist verzweifelt: "Ich hätte den Kopf in den Sand stecken können und mir selber leid tun. Oder halt kämpfen", sagt Baumschlager, als wir bei ihm daheim in der Stube sitzen. Er hat sich damals fürs Kämpfen entschieden. 

Mit 58 Jahren kann er heute 14 (!) Rallye-Staatsmeister-Pokale verbuchen und hält damit den unangefochtenen Titel-Weltrekord. Dazu kommen zahllose Erfolge auf internationalem Terrain – neben WM-Top-Platzierungen bei der San-Remo-Rallye oder auf Korsika auch die Krönung beim Safari-Debüt in Kenia 1998: "Überall hat man gelesen, der Baumschlager übersteht doch in der Steppe keine zwei Tage. Dann sind wir Sechste geworden, weit vor den Stohls, den Safari-Spezialisten. Darauf haben alle gesagt, der ist ja doch nicht auf der Nudelsupp'n dahergeschwommen."

Wenn die Eltern im Wald arbeiten mussten, haben sie mich manchmal in den Hühnerstall gestellt, damit ich nicht ausbüchsen konnte. Das war damals völlig normal.

Raimund Baumschlager

Zum Auto auf Umwegen

Zwischen "Mundl" und dem Auto war es keine Liebe auf den ersten Blick: Als Bub auf Opas Traktor war's zwar lustig, aber nicht einmal vorm Führerschein ist er schwarz gefahren wie alle anderen damals. Freunde mussten ihn überreden, mit dem ersten eigenen Auto, einem Mini 1000, an Geschicklichkeitsfahrten teilzunehmen. Es galt, auf Zeit einen Ball in einer Schüssel auf der Motorhaube durch einen Parcours zu manövrieren, ohne dass er rausfällt. Und das tat er nie.

Danach kamen die ersten Autoslaloms: "Da hab ich auf einmal immer alles gewonnen." Dann war da noch die geografische Lage: Die Streckenführung der damaligen 1000-Minuten-Rallye führte quasi an Raimunds Haustür vorbei. "Es war Nacht, die Autos hast schon minutenlang vorher gehört, dann sind die Lichter aufgetaucht und – doing! – da hab ich gewusst, genau das will ich auch machen."

Schulkollege Sepp Gössweiner war dann das Zünglein an der Waage: In dessen Serien-Datsun wollten die beiden 1982 die Pyhrn-Eisenwurzen-Rallye bestreiten. Das Auto war dummerweise nicht homologiert, man tauschte auf ein zugelassenes Modell eines befreundeten Mechanikers und – heimste Platz 2 ein. Damals wurde auch klar, dass Baumschlager künftig nicht rechts sitzen wird: "Sepp, entweder ich fahr jetzt weiter oder wir hören auf, hab ich gesagt. Nicht, weil er schlecht gefahren wäre, aber ich hab's daneben echt nicht ausgehalten."

Bei der nächsten Rallye in Admont wechselte man die Plätze – und kaltverformte zum Einstand Gössweiners Datsun: "Unser erster erfolgreicher Totalschaden." Die Mundlsche Beifahrer-Phobie hält übrigens bis heute an: "Ich hasse nichts mehr, als wenn mir einer beweisen will, was er kann. Wennst nicht selber lenkst, schaut ja alles doppelt so schnell aus."

(Anmerkung des Autors: Darauf werden wir gleich noch sehr gern zurück kommen…)

Leben mit dem Risiko

Um wieviel schneller es gehen kann, er-"fährt" Baumschlager 2002 im Cockpit eines VW W12 auf dem italienischen Hochgeschwindigkeits-Kurs in Nardo. Mit 323 km/h Schnitt über 24 Stunden markiert er damals schon einen Weltrekord: "Ein Sebastian Vettel würde vielleicht lachen, aber das Ungewohnte waren die Boxenstopps. Du fährst eineinhalb Stunden 360 und musst dann auf einen Punkt zielbremsen. Den hab ich anfangs um 300 Meter verfehlt. Wurden die Reifen zu heiß, hab ich nachgelassen auf 350. Zum Abkühlen. Kompletter Wahnsinn, würde ich nie mehr machen." Rundstrecke übrigens auch nicht: Trotz Siegen bei 24-Stunden-Rennen (Spa, Nürburgring) stört ihn daran der "unsportliche Blechkontakt": "Mich hat nix mehr an'zipft, als wenn mir einer in der ersten Kurve von hinten in die Kist'n gefahren ist."

Ostarrichi-Rallye 2007, heftiger Abflug in der Nacht. Die Datenauswertung sagt beim Einschlag in den Baum 136 km/h. In 0,1 Sekunden auf Stillstand. "Ich seh heute noch die Zusatz-Scheinwerfer in Zeitlupe vom Auto wegfliegen." Resultat: ein gebrochenes Schlüsselbein, die einzige Verletzung in der Karriere des Raimund Baumschlager.

Fährt die Angst mit?

"Ich fühl mich im Rallye-Auto sicherer als auf öffentlichen Straßen. Da kann ich das Risiko selber bestimmen", meint Baumschlager, der jahrelang Fahrtechnik-Instruktor beim ÖAMTC war. Und die Familie? "Meine Frau hat mich schon so kennen gelernt. Schwieriger war immer eher der Alltag. Hausbauen zum Beispiel. Ich war damals von Jänner bis August nur sechs Tage daheim. Der Hammer war, als meine Tochter Lisa zwei Jahre alt war und vor mir davongelaufen ist, wie ich von der Safari zurück gekommen bin. Da hat's mir die Tränen runterg'haut und ich hab mich gefragt, ob das jetzt wirklich g’scheit ist, was ich mache. Mittlerweile leide ich aber mehr darunter als meine zwei Frauen."

Stationen einer Karriere

Sechs Minuten Onboard-Wahnsinn

2012, Schauplatz Steiermark: Drehen Sie nun bitte Ihre Lautsprecher oder Kopfhörer auf Maximum und sehen "Mundl" hautnah dabei zu, wie er gemeinsam mit Co-Pilot Thomas Zeltner im Škoda Fabia S2000 kurzfristig die Physik außer Kraft setzt…


Zum Schluss: Was wäre, wenn?

Aufmerksame Leser haben bisher unter anderem gelernt: Raimund Baumschlager hat seit jeher eine Heidenangst davor, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Wie würde er also reagieren, wenn wir ihn einfach mal dazu zwingen? Am besten auf einer öffentlichen, aber durchaus selektiven Bergstrecke in seinem gewohnten Revier? Von Windischgarsten hinauf zum wunderschönen Gleinkersee zum Beispiel?

Lassen Sie mich das am besten ausprobieren…

Versuch einer therapeutischen Sitzung

Epilog

2010 hätte Raimund Baumschlager fast den Helm hingeschmissen, erzählt er. Viele Konkurrenten hätten sich damals auch über den Rücktritt gefreut: "Ich versteh's ja irgendwie. Das ist fad, wenn einer immer gewinnt. Aber mir ist halt noch nicht fad."

Den 15. Titel will er heuer aber trotzdem nicht angehen: Ein paar Rallyes wird's hinterm Lenkrad geben, ein paar nur als Teamchef, lautet die einstweilige Devise für 2018. Alles, was jetzt noch kommt, ist ohnehin nur mehr die Kür, finden wir.