auto touring fährt: Zug

Einen Zug fahren. Ein Auto lenken. Die beiden haben nichts gemeinsam. Um herauszufinden, wie sich eine Taurus-Lok der ÖBB fährt, gibt es nur eine Möglichkeit: Ich gehe in die Fahrschule. 

Ein 388-Tonnen-Zug mit rund 10.000 PS und einem Bremsweg von einem halben Kilometer – das ist der Alltag für 4.000 Triebfahrzeugführer der ÖBB, wenn sie mit einem Doppelstockzug unterwegs sind. Das möchte ich auch am eigenen Leib erfahren. Ich sitze am Fahrschul-Simulator der ÖBB und führe eine Taurus-Lok mit fünf virtuellen Doppelstock-Waggons. Plötzlich eine Kuh am Gleis! Ich ziehe die Notbremse. Mit voller Wucht. Es tut sich nichts. Chancenlos! Was?

ÖBB-Instruktor Werner Haubenwallner erklärt mir: "Je nachdem, wie viele Waggons die Lok zieht, wird erst nach 20 bis 30 Sekunden die volle Bremskraft entwickelt." Da ist der Zug schon längst über den Gefahrenpunkt drübergefahren. "Mit einem Zug hat man keine Chance, vor einem Hindernis stehenzubleiben." 

Alle zukünftigen Triebfahrzeugführer fahren im Zuge ihrer Ausbildung zwei bis drei Wochen am Fahrsimulator der ÖBB. "Wir üben im Trockentraining Betriebs-Situationen, die im alltäglichen Leben nicht oft vorkommen, aber doch passieren können", erzählt der Instruktor. "Ziel ist es, Gefahrensituationen zu trainieren, damit Lokführer im Ernstfall richtig reagieren." Der Simulator wird laufend zu Übungszwecken eingesetzt. "Ein Lokführer lernt sein Leben lang!"

Meine erste Fahrstunde findet ebenfalls am ÖBB-Fahrsimulator statt, danach darf ich mit der echten Taurus-Lok am Betriebsgleis Stützpunkt Wien West ein kleines Stück fahren.

Ein Lokführer fährt prinzipiell nicht auf Sicht, sondern orientiert sich nach Signalen.

Werner Haubenwallner, Lehrlokführer der ÖBB

Meine erste Fahrstunde

Inwieweit kann man Zugfahren mit Autofahren vergleichen? Gar nicht. Alle 30 Sekunden muss der Triebfahrzeugführer das permanent gedrückte Sicherheits-Pedal mit dem Fuß wieder lösen. Diese Sicherheitsfahrschaltung wird Sifa genannt, auch bekannt als Totmanneinrichtung. Vergisst man darauf, blinkt ein Leuchtmelder und zusätzlich ertönt eine weibliche Stimme, die den Fahrer erinnert: "Sifa, Sifa". Ansonsten gibt es eine automatische Zwangsbremsung. Das möchte ein Lokführer mit rund 500 Passagieren natürlich vermeiden.

"Musiker sind oft begabte Lokführer, da sie es gewöhnt sind, mit den Händen und Füßen etwas Unterschiedliches zu machen", betont Instruktor Haubenwallner. Da werde ich mit meiner Erfahrung als Flötenspielerin in der 1. Klasse Volksschule nicht weit kommen… ;-(

Beim Autofahren werden Gas- und Bremspedal abwechselnd betätigt. Doch wer einen Zug steuert und 388 Tonnen mitführt, gibt nicht laufend Gas. Ist die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erreicht – eigentlich bereits davor (was viel Erfahrung und Gefühl erfordert) –, geht der Lokführer komplett runter vom Gas. Und genau hier passierte mein erstes Hoppla.

Video: Training am Fahrschul-Simulator der ÖBB






Die Kunst ist nicht, schnell zu fahren, sondern sparsam und gefühlvoll.






Werner Haubenwallner, Lehrlokführer


Ich gebe mit dem Zugkraft-Hebel Gas. Es tut sich aber nichts. Im Führerstand erfolgt vieles zeitverzögert. Erst nach ein paar Sekunden bewegt sich der Zug doch. Vorsicht! Im Bahnhof-Bereich darf der Zug höchstens 40 km/h fahren. Rechtzeitig muss ich erkennen, ob die Lok zu schnell wird. Plötzlich bremst die Lok abrupt. Was war jetzt? Ich bin um 4 km/h zu schnell gefahren. Automatische Zwangsbremsung. Denn einen Toleranz-Bereich gibt es keinen. Niemand drückt ein Auge zu, wenn ich 44 km/h fahre. Das passiert mir sicher nicht noch einmal.

Ein Triebfahrzeugführer ist zusätzlich unter Druck, da er den Fahrplan einhalten muss. "Wenn der Lokführer zu langsam fährt, hat der Zug Verspätung. Zu schnell darf er aber auch nicht fahren. Die Kunst: Energieeffizient fahren und die Geschwindigkeit halten. Deswegen sind Lokführer angehalten, die Fahrplan-Höchstgeschwindigkeit zu fahren", erklärt der Instruktor.

Video: Vorsicht Kuh auf dem Gleis!

Ein Lokführer fährt nicht auf Sicht

Zweiter Versuch am Fahrsimulator: Ich löse die Bremse, bediene den Zugkraftfahrschalter. Im Weichenbereich gilt wieder: 40 km/h, danach 140 km/h. Dafür muss ich aber wissen, wie lang mein Zug ist, denn erst wenn die letzte Achse des 154 Meter langen Zuges das Ausfahrsignal passiert hat, darf ich beschleunigen.

Ich gebe Gas. Schaue aufs Display. Ich muss ich die Fahrplan-Höchstgeschwindigkeit akribisch genau einhalten. Ich möchte nicht wieder eine Zwangsbremsung verursachen. "Sifa", ertönt eine Stimme. Danke. Das war die Erinnerung. Ich bediene das Sicherheits-Pedal. "Vorsicht, du hast die Geschwindigkeit gleich erreicht, jetzt kannst du den Zugkraft-Hebel wieder ganz zu dir ziehen", erklärt mir der Instruktor.

Ein weiterer Unterschied zum Autofahren: Ein Lokführer fährt nicht auf Sicht, sondern orientiert sich nach Signalen, dazu kommt der extrem lange Bremsweg – er muss immer drei bis vier Kilometer vorausdenken, gedanklich vorausfahren. Jeder Lokführer muss die Strecke genau kennen und wissen, was ihn auf den nächsten Kilometern erwarten wird. Er muss z.B. wissen, wie lange sein Zug ist und wo exakt er im nächsten Bahnhof stehenbleiben muss.

Permanente Überwachung

"Das nächste Signal sind zwei gelbe Lichter. Jetzt musst du die Wachsamkeits-Taste drücken", erklärt Instruktor Werner Haubenwallner. Dieses Zugsicherungssystem wird auch PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) genannt. Die PZB überwacht das Beachten der für die Zugfahrt gültigen Signalaufträge. Sprich: Verschiedene Geschwindigkeiten müssen eingehalten werden.

"Du musst jetzt der Lokomotive mitteilen, dass du das Signal gesehen hast, deswegen das kurze Drücken der Taste." Der Instruktor erklärt mir weiter, dass ich zwar die Lok steuere und überwache, ich aber gleichzeitig auch von der Lok und auch von der Strecke überwacht werde. Das sind das Sicherheits-Pedal und die Wachsamkeitstaste. In beiden Fällen erfolgt eine Zwangsbremsung, wenn ich sie nicht ordnungsgemäß und im richtigen Moment bediene.

Ich schaue aufs Display des Buchfahrplans: Bahnhof Kaiserwald ist die nächste Station. Ich beginne vorsichtig und gefühlvoll zu bremsen. "Ein guter Lokführer spürt im Hintern, ob die Bremse wirkt", lacht Haubenwallner.

Nach der ersten Fahrstunde am Simulator darf ich nun eine echte Taurus-Lok am Betriebsgleis Stützpunkt Wien West steuern. (Die Sicherheit ist permanent durch den ÖBB-Instruktor an meiner Seite gegeben.)

Video: auto touring fährt Zug

Und wie wird man Lokführer?

Die ÖBB bildet im Jahr rund 500 Triebfahrzeugführer aus. "Die Ausbildung dauert 42 Wochen", erklärt Instruktor Werner Haubenwallner. "Nach bestandener Theorie- und Praxis-Prüfung kann jeder Lokführer einen Doppelstockzug alleine fahren."

Interessierte können sich auf der Karriere-Seite der ÖBB bewerben. Ganz besonders ansprechen wollen die ÖBB dabei Frauen, denn derzeit sind nur rund 100 Frauen unter den 4.000 Lokführern. Und das soll sich ändern. Bewerbungen werden laufend entgegengenommen.

Taurus-Lokomotive der ÖBB


Höchstgeschwindigkeit: 230 km/h
Dauerleistung: 6.400 kW
Maximale Leistung ("Booster") 7.000 kW (rund 10.000 PS) 
Maximale E-Bremskraft: 150–240 kN
Leistung der elektrischen Netzbremse 6.400 kW 
Dienstgewicht: 88 Tonnen 


Taurus-Lok mit 5 Doppelstock-Waggons:


Höchstgeschwindigkeit: 140 km/h
Platz für rund 450 Passagiere
Gewicht: 388 Tonnen
Länge der Lok (mit den fünf Doppelstock-Waggons): 154 Meter
Bremsweg bei 140 km/h: rund 450 Meter (!)