auto touring fährt: Luftkissenboot

Schau: Eigentlich ist dieses exquisite Trumm, das ausieht wie ein clean gestutzter Flugzeugflügel, eine uralte ur-österreichische Erfindung. Weiß nur kaum einer. Darum erzählen wir jetzt diese 720-PS-Episode. 

Beinahe beiläufig und ziemlich unscheinbar schmiegt es sich an die linke Flanke des langen Holzstegs, der vom Reifnitzer Ufer nordwärts in den Wörthersee hineinragt. Eine monarch-rote Plane spannt sich hauteng über das Deck aus natürlich und langsam gewachsenem Teak, verhüllt und entblößt gleichermaßen. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, was hier vor Anker liegt, wird zweifelsfrei einen aufregend gestalteten Schwimmkörper vermuten – aber ist’s ein Bade-Ponton, ein Boot, ein Bassin?

Nun, was wir hier lüften, wenn wir diese Plane gleich lupfen, ist alles, nur kein Geheimnis mehr. Vielmehr enthüllen wir hier eine kleine, feine Episode österreichischen Ursprungs aus dem vorigen Jahrhundert, die beinahe in Vergessenheit geraten wäre.

Sehr geehrte Damen und Herren: das erste Luftkissenboot der Welt (bzw. ein Nachbau dessen). 

Am Steg vis-à-vis

Dieses Boot, damals auch S.M.Tb genannt (Seine Majestät Torpedoboot), ist in seinem Konzept also ziemlich genau 101 Jahre alt. Einhundertein! Blicken wir rasch zurück: Anno 1915 hatte Österreich noch einen Kaiser, eine Monarchie, eine eigene Marine, direkten Zugang zum Meer. Der erste Weltkrieg war zwar schon in vollem Gange, für verheißungsvolle Rüstungsprojekte aber hatte man durchaus noch ein offenes Ohr. Vor allem dann, wenn es derart innovativ und visionär klang wie der Inhalt der "Studie über den Bau eines Gleitboots von großer Geschwindigkeit". Vater dieses Konzepts war der unglaublich ideenreiche Dagobert Müller von Thomamühl, Erfinder der Lichtschranke, damals noch im Rang eines Linienschiffs-Leutnant der k.u.k. Marine und Kommandant des Torpedoboots T60.

Seine Idee war es, soviel Luft unter "den Bootskörper einzublasen", dass dieser sich aus dem Wasser heben und dadurch viel schneller ins Gleiten kommen würde. 

Jetzt muss man sich die Situation einmal vorstellen: Gleichermaßen flinke wie Last-fähige Motorboote gab es damals noch nicht, aber Engländer und Italiener waren in punkto Forschung der österreichischen Marine mehr als einen zackigen Stechschritt voraus, experimentierten teilweise bereits mit Versuchsgleitbooten – und dann lag da auf einmal das Konzept für ein fast 60 km/h (rund 33 Knoten) schnelles, aber vergleichsweise kleines Boot auf dem Tisch, das noch dazu vier Torpedos transportieren können sollte. Die Stimmung innerhalb der Marine muss mächtig getost haben, wir vermuten ganze Wellenberge verheißungsvoller Euphorie, die auf beinharte Wellenbrecher purer Skepsis geklatscht sind. 

Und dann lag da auf einmal das Konzept für ein fast 60 km/h schnelles Torpedoboot auf dem Tisch. Die Stimmung innerhalb der Marine muss mächtig getost haben.

Alexander Fischer, Redakteur

Wie dem auch sei, es blieb beim "… hätte können sollen". Denn mehr als ein fahrtauglicher Prototyp wurde nicht gebaut. Über die wahren Gründe darüber kann heutzutage nur gemutmaßt werden, schlussendlich war es wohl ein Mix aus kriegsbedingtem Materialmangel, dann doch fehlender finanzieller Mittel und unzureichendem Lobbying. Das Ende der Luftkissen-Technologie war das jedoch nicht, ganz im Gegenteil.

Und da sind wir nun.

Vor uns der konzeptgetreue Nachbau des Originals, Projektname Leadership, dreizehn Meter lang, vier Meter breit, 720 PS stark. Zwei Motoren sorgen für Vortrieb, einer für Auftrieb (das Luftkissen). Initiiert von dem enthusiastischen Walter Krobath, umgesetzt von einer Gruppe schwer Engagierter und vor extrem Motivierter des Wirtschaftsnetzwerks Visionaer (www.visionaer.info).

Genug getextet, es wird Zeit, das Mikro in die Hand zu nehmen und endlich an Bord zu gehen. 

Mikrofon frei für den Kapitän und Projektleader

Unsere Fragen: Dieses Projekt, warum, weshalb, wieso? Und was unterscheidet ein Luftkissenboot von einem normalen Motorboot?

Leinen los!

Wir starten die beiden je 280 PS starken Steyr-Antriebsmotoren, lösen die Leinen und legen ab. Der dritte Motor, der das doppelansaugende Zentrifugal-Gebläse antreibt, bleibt derweil noch stumm. Ewald, unser Kapitän, kennt den Wörthersee und seine Ufer in- und auswendig. Früher manövrierte er die großen Ausflugsschiffe über den See, hier und jetzt steuert er die leise tuckernde Leadership sicher Richtung Seemitte.

Und dann: Stille

Um den Luftkissen-Effekt ideal demonstrieren zu können, fängt Ewald noch einmal bei null an. Null Fahrt, null Schub, null Vorwärtsbewegung. Motoren aus. Die Leadership liegt jetzt doch wie ein bildschöner Ponton im spiegelglatten Wasser, nur dass hier keiner baden gehen will. Schade eigentlich. Wir aber wollen weg, vorwärts fahren, spüren, wie schnell das Boot ins Gleiten kommt. Die Demo kann beginnen.

Getöse. Tiefes Geheul. Man spürt richtig, wie das Gebläse Kubikmeter für Kubikmeter Luft achtern unter das Boot bläst. Die Leadership, so scheint’s zumindest, beginnt zu zucken, ganz so, als ob ihr plötzlich Leben eingehaucht wird. Dann, langsam und unter tiefem Turbinengeheul, hebt sich das Heck aus dem Wasser. Ringsum beginnt der See zu tosen, kleine Fontänen sprühen wie bei einem unkoordinierten Springbrunnen-Schauspiel nach oben, ein kleiner Regenbogen krönt die Vorführung.

Aber jetzt: gleiten, und dann hetzen

Ewald startet die beiden mächtigen Steyr-Antriebsmotoren, lässt seine rechte Hand blindlings auf die zwei glänzenden Hebel neben dem Steuerrad sinken und legt sie um. Zu dem Gebläse-Getöse gesellt sich ein sonores Brummeln. Volle Kraft voraus heißt im konkreten Fallvier, fünf kleine, leichte Ruckler, so wie bei einem flachen Stein, den man über das Wasser platteln lässt. Freilich mit dem Unterschied, dass wir (bzw. die Leadership) sich nach dem vierten, fünften Mal bereits in die Gleitphase befindet, während der Stein nach dem vierten, fünften Mal eventuell schon untergeht (oder kurz darauf).

Wir könnten an dieser Stelle noch ellenlange Absätze beschreibender Worte anhängen, tun wir aber nicht. Stattdessen bieten wir ihnen noch ein letztes kurzes Lichtspiel mit Audiountermalung an, das der Kollege Wilhelm Bauer mit seiner Kamera festgehalten hat.

Und jetzt ganz langsam

Weil sich die Bilder vorhin doch recht flott bewegt haben, schieben wir an dieser Stelle noch rasch eine Art Bilderbuch ein, quasi eine Slow-Motion-Variante des Videos darüber. Also Stillstand bis fast Volle-Kraft-voraus in fünf Bildern.   

Von Null bis Fünfzig plus Stimmung

Der Kapitän spricht…

… über die Unterschiede zu einem normalen Motorboot: "Die Leadership hat aufgrund ihrer Bauart einen größeren Wendekreis."

… über Wendemanöver auf engem Raum: "Da das Boot zwei Antriebsmotoren hat, können diese gegenläufig agieren, wie bei einem Pistenbully, dessen Raupenantrieb auch eine Drehung am Stand ermöglicht."

… über die Ruckler, wenn das Boot beschleunigt wird: "Das ist wie bei einem Auto, bei dem die Räder durchdrehen, das also die Kraft nicht optimal auf die Straße bringt."

… über die tatsächliche Höchstgeschwindigkeit: "Jedenfalls mehr als die 50 km/h, die hier am Wörthersee erlaubt sind."

… über die Möglichkeit, so ein Boot überhaupt fahren zu können: "Einzigartig."

Satt sehen

Letzte Worte

Zum Abschluss leisten wir uns noch eine kleine unverfrorene Ungenauigkeit, aber: Die Zeit passt in etwa, der Regent passt hundertprozentig (Franz Joseph I. von Österreich), der Anlass des Zitats war halt ein anderer. Aber diese Worte könnten nach diesem Erlebnis durchaus auch von mir stammen. Wohlan!

Diese neue Erfindung hat mich sehr interessiert und ich danke sehr für die Vorführung derselben.

Franz Joseph I. von Österreich, 1900 in Wien;
Alexander Fischer, Redakteur, 2016 in Reifnitz